Die Geschichte des Klaviers sollte man kennen
von Gert Redlich im März 2017 - Das Klavier ist neben der Orgel eines der wenigen Instrumente, das - von einem Fachmann gespielt - einen sehr großen Tonumfang bei hervorragendem Klang erzeugen kann. Und für uns Hifi-Fans ist das Klavier der akustische Maßstab für hervorragende Magnetbandaufnahmen (gewesen). Jault das Klavier (ob vom Tonband, der Platte oder aus dem Radio), war das Bandgerät reparaturbedürftig oder die Quelle magelhaft.
Mit den digitalen Medien-Technologien hat das Klavier noch weiter gewonnen, da sich mit diesem Instrument gewaltige Lautstärkeunterschiede spielen lassen. Jaulen kommt nun zwar nicht mehr vor, doch als Tonmeister und Toningenieur hat man sofort einen bewertbaren Klangeindruck einer Musik-Konserve. Auch läßt sich mit einem Konzert-Flügel (im Zimmer, Saal oder Studio nebenan) ein direkter Vergleich mit einer Aufnahme - ohne den großen Aufwand eines (pausierenden) Orchesters - durchführen.
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"Die Geschichte des Klaviers" (aus stereoplay 1982/03)
Wußten Sie, daß Johann Sebastian Bach sein „Wohltemperiertes Klavier" gar nicht für ein Klavier komponierte? - stereoplay- (Musik-) Redakteur Stephan Hoffmann schildert 1982, wie sich das Instrument entwickelte.
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Die Idee mit dem Hammer
Wer auf der schwedischen Sundre-Orgel spielen will, muß sich ganz schön anstrengen: Die Tasten des etwa 1370 gebauten Instruments lassen sich so schwer bewegen, daß ein Mann seine ganze Kraft braucht, um einen Ton zu erzeugen. Glücklicherweise trug der mittelalterliche Orgelbauer diesem Umstand Rechnung: Die Tasten sind so breit, daß man bequem mit der ganzen Faust draufschlagen kann, ohne zwei Töne gleichzeitig zu treffen.
Natürlich beanspruchen diese Tasten viel mehr Platz als bei modernen Orgeln, aber damit konnten die Instrumentenbauer damals verschwenderisch umgehen - ihre mittelalterlichen Auftraggeber waren schon zufrieden, wenn die Meister zwei Oktaven, also 24 Tasten, in ihrer Konstruktion unterbrachten.
„Klavier" (von lateinisch clavis = Schlüssel)
Obwohl schon damals dieses Trimm-dich-Instrument mit Klavier bezeichnet wurde, kann es nicht als Vorläufer des heutigen Pianos gelten. Denn „Klavier" (von lateinisch clavis = Schlüssel) war einfach eine Sammelbezeichnung für die verschiedensten Instrumente. Das kam daher, daß man mit Instrumenten nur dann Musik machen kann, wenn vor den Noten ein Notenschlüssel steht.
Später war der Begriff „Klavier" nicht mehr ganz so umfassend, galt aber immer noch für sämtliche Tasteninstrumente, egal, ob es sich um Orgeln, Klavichorde oder Cembalos handelte. Selbst mit Johann Sebastian Bachs „Wohltemperiertem Klavier" ist keineswegs ein modernes Klavier gemeint - das war nämlich zu Anfang des 18. Jahrhunderts noch gar nicht erfunden.
Zu Bachs Zeiten gab es zwar eine Menge Tasteninstrumente, die sich aber alle in einem wichtigen Punkt vom modernen Klavier unterschieden: Die Saiten eines Flügels oder eines Klaviers werden nämlich mit einem Hammer angeschlagen, während sie früher angerissen oder aber mit Metallstiften angeschlagen wurden.
1709 ein Italiener names Bartolomeo Cristofori
Auf die Idee mit dem Hammer kam im Jahre 1709 ein Italiener names Bartolomeo Cristofori. Der Clou an der Erfindung des Italieners, die im Prinzip auch heute noch in jedem Flügel und in jedem Klavier verwendet wird: Der damals noch lederbezogene Hammer fiel, nachdem er die Saite angeschlagen und den Ton erzeugt hatte, von selbst wieder zurück und ließ die Saite schwingen, solange die Taste niedergedrückt war. Ließ der Spieler sie los, berührte sofort ein Dämpfer die Saite und brachte sie zum Schweigen.
Der Nachteil von Cristoforis Hammermechanik: Der Ton seines Hammerflügels war anfangs vergleichsweise schwach und konnte kaum verändert werden. Für die erheblich ausgereifteren Konstruktionen von Cembalo und Klavichord stellte das neue Tasteninstrument zunächst keine Konkurrenz dar.
1735 der deutsche Instrumentenbauer Gottfried Silbermann
Als der deutsche Instrumentenbauer Gottfried Silbermann, der die Hammerkonstruktion aus Italien übernahm, um 1735 Johann Sebastian Bach einen solchen Flügel vorführte, bemängelte der Thomaskantor die dünnen Höhen und die schwer spielbaren Tasten. Erst 1747 entdeckte Bach einen Silbermann-Flügel, dem er „völlige Gutheißung" zollte.
Bei den Herstellern hatte sich das neue Prinzip allerdings schon längst durchgesetzt. In ganz Europa, besonders in England, Frankreich und in Wien, bastelten die Klavierbauer an einer Verbesserung der Hammermechanik.
Allmählich verwendeten auch die Komponisten das neue Instrument: 1773 schrieb Muzio Clementi das erste eigentliche Klavierwerk, seine Sonate Opus zwei war also explizit für das Klavier geschrieben - dagegen das gesamte Klavierwerk Bachs, ein großer Teil von Mozarts Kompositionen und selbst noch die Werke des jungen Beethoven waren ursprünglich für andere Tasteninstrumente geschrieben worden. Erst aus dem Titel „Große Sonate für das Hammerklavier", den Beethoven seiner Sonate in B-Dur von 1818 gab, geht hervor, daß der Komponist sie speziell für einen Hammerflügel schrieb.
1821 der französische Instrumentenbauer Sebastian Erard
Der endgültige Durchbruch des neuen Instruments kam mit der Erfindung der sogenannten Repetitions-Mechanik des französischen Instrumentenbauers Sebastian Erard im Jahre 1821: Beim Rückfall von der Saite wird der Hammer sofort wieder abgefangen und ist für den nächsten Anschlag bereit, ohne daß der Spieler die Taste ganz loslassen muß. Jetzt stand den virtuosen Klavierkompositionen Chopins oder Liszts nichts mehr im Wege.
Das Pianino
Die meistgebaute Klavierform des 19. Jahrhunderts war trotzdem nicht der Hammerflügel, sondern das Pianino, ein Vorläufer des heute üblichen Klaviers, bei dem die Saiten nicht horizontal, sondern vertikal gespannt waren.
Zwar war der Klang des Pianinos vergleichsweise dünn, dafür aber brauchte es erheblich weniger Platz als die bis zu drei Meter langen Flügel und paßte besser in kleine Mietswohnungen. Der Handel mit Pianinos florierte: 1889 wurden allein in Deutschland 70.000 Instrumente hergestellt - das Stück zu etwa 450 Mark. (Anmerkung: Das war damals sehr viel Geld.)
. . . die Klaviatur im Baß um eine Oktave erweitert
Obwohl die technische Entwicklung des Klaviers seit 1850 im wesentlichen abgeschlossen war, fehlte es auch in dieser Zeit nicht an Versuchen, Klaviere und Flügel vor allem klanglich zu verbessern. Beispielsweise wurde die Spannung der Saiten erhöht, um einen voluminöseren Klang zu erhalten. Der gußeiserne Rahmen eines modernen Klaviers muß eine Saitenzugkraft von 18 Tonnen halten können.
Der bislang letzte Verbesserungsversuch stammt von der Klavierbaufirma Bösendorfer in Wien: Um dem Bösendorfer-Spitzenmodell, dem Konzertflügel „Imperial" (Stückpreis in 1982 etwa 71.310 Mark), eine noch größere Klangfülle zu geben, wurde die Klaviatur im Baß um eine Oktave erweitert.
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Die Wiener Problemlösung ging so :
Seit allerdings ein Pianist, der an den normalen Klavierumfang gewöhnt war und den die größere Tastenzahl verwirrte, bei einem Konzert irrtümlich eine Oktave zu tief begann, lackiert man in Wien die zusätzlichen Tasten vorsichtshalber alle schwarz - gebraucht werden sie sowieso kaum.