FUNKSCHAU 1979, Heft 2 - 4. Trend-Untersuchung
In dem Artikel war nicht zu finden, wer diesen Bericht verfaßt hatte, eine Presseabteilung oder die Funkschau Redaktion.
Das Thema
Zwei Tonträger, die Schallplatte und die Musikkassette, liegen in Marktkonkurrenz. Wie werden sich die Verhältnisse auf dem Tonträgermarkt entwickeln, der allein in der Bundesrepublik Deutschland ein Volumen von über 2 Milliarden DM hat ?
Die Ergebnisse
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- 1. Es wird noch 4 bis 5 Jahre dauern, bis die Musikkassette die Schallplatte ernsthaft im Tonträgermarkt bedrängen kann.
- 2. Zur Zeit hat die Schallplatte eine größere althergebrachte Marktaffinität als die Musikkassette (Affinität = 0,78 bzw. 0,68).
- 3. Daß die Musikkassette die Schallplatte langfristig vom Markt verdrängen wird, ist wahrscheinlich. 60% ±5,5% (bei einer 95,5% igen Sicherheit) der Befragten sind dieser Ansicht; auch die Absatzchancen für Kassettenrecorder werden höher eingeschätzt als für Plattenspieler.
- 4. Das Image der Musikkassette ist in stärkerem Maße als das der Schallplatte in jener Richtung des Vorstellungsfeldes angesiedelt, in die das zentrale Bewußtsein der Gesellschaft bewegt wird (höhere Lebens-, Lust-und Freudeorientierung).
- 5. Aufgrund ihrer noch geringen Image-Prägnanz wird die Musikkassette schneller den Zielvorstellungen der Bevölkerung durch Werbung angepaßt werden können als die Schallplatte (Prägnanz der Schallplatte 0,88, der Musikkassette 0,64).
- 6. Besonders bei Volksschülern und Arbeitern wird die Musikkassette die Schallplatte verdrängen.
- 7. Die zentrale Imageschwäche der Musikkassette gegenüber der Schallplatte, nämlich ihre vermutete geringe Qualitäts-Affinität, wird schrittweise behoben werden.
- 8. Insbesondere wird die Musikkassette im Vertrautheitsgrad mit der Schallplatte gleichziehen.
- 9. Bei Fortsetzung der bisherigen gesamtgesellschaftlichen Entwicklung werden beide Tonträger Absatzsteigerungen erzielen, wobei sich der Musikkassettenmarkt schneller entwickeln wird als der Schallplattenmarkt (insgesamt ist mit einer Steigerung von über 10% für beide Tonträger im Jahre 1979 zu rechnen).
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Coen Solleveld, Vorsitzender der Geschäftsführung der Polygram B.V./GmbH, Baarn/Niederlande und Hamburg, kommentiert die Trenduntersuchung:
Aus der langjährigen Beobachtung des Welt-Musikmarktes möchte ich eine sehr vereinfachte Trend-Charakterisierung geben: Absatzverdoppelung in jeweils 5 Jahren. Das entspricht einer beachtlichen durchschnittlichen Wachstumsrate von 15% pro Jahr.
Der deutsche Markt für bespielte Tonträger, also für Schallplatten und Musikkassetten, liegt zur Zeit genau in diesem „Welt-Trend": Der Absatz zu geschätzten Endverbraucherpreisen hat sich 1978 gegenüber 1973- also in 5 Jahren - auf 2,2 Mrd. DM gegenüber 1,1 Mrd. DM verdoppelt.
Ich kann keine Garantie dafür geben, daß sich dieser Trend weltweit oder speziell für Deutschland langfristig fortsetzen wird, aber es gibt in unserem ,,Software"-Geschäft auch keine definierbaren Sättigungsgrenzen, wie diese bei der Elektro- und Elektronik-Hardware eher beobachtet werden dürften.
Die Bedrohung der Schallplatte durch die Musikkassette in ausgewählten Zielgruppen :
Technisch orientierte Kenner dieser Branche neigen dazu, der äußeren Erscheinungsform unseres Produktes einen zu hohen Stellenwert beizumessen. Die Vermutung, daß die traditionsreiche Schallplatte durch die Musikkassette „bedroht" sein könnte, erschreckt in unserer Branche niemanden, weil eine solche „Bedrohung" unsere eigentliche Leistung, das künstlerische Schaffen, kaum berührt.
Aber selbst unsere Fabrikverantwortlichen haben keinen Grund, sich verunsichert zu fühlen, denn die Verlagerung eines Teiles der Nachfrage von der Platte zur Musikkassette vollzieht sich kontinuierlich, ohne Sprünge und in insgesamt expansiven Musikmärkten, so daß sich die Anpassung der Preß- bzw. Kopierkapazitäten in aller Regel reibunglos im Rahmen normaler Ersatz- oder Erweiterungsinvestitionen vollzieht.
Die Konstellation von Schallplatte und Musikkassette ist nur in geringem Umfang ein Substitutionsproblem, sondern in erster Linie eine Komplementärfrage:
Schallplatte und Musikkassette sind in ihrer technischen Auslegung, in ihrer Funktionalität und in ihrer Anmutung so unterschiedlich, daß sich ihre besonderen Merkmale, ihre typischen Schwächen und Stärken nicht wegwischen lassen, sondern jeder Konfiguration ihre Existenzberechtigung geben.
Wir wissen aus zahlreichen Studien - und die Untersuchung deutet das auch an-, daß die Musikkassette vom Konsumenten weniger „ehrfurchtsvoll" als die traditionsreiche Schallplatte empfunden wird.
Ich stimme nun überhaupt nicht überein mit manchen Marktstrategen, die der praktischen, robusten Musikkassette unbedingt das emotione! stark ausgeprägte Image der Schallplatte unterschieben möchten. Nur in einem Punkt sind wir um Angleichung bemüht: Die Tonwiedergabequalität der Musikkassette darf Schallplattenmaßstäbe nicht scheuen.
Im übrigen sollte bei einem so emotionalen Phänomen wie der Musik der persönliche Geschmack des Konsumenten darüber entscheiden, ob der Tonträger lieber „klein und handlich" oder ,,groß und repräsentativ" sein soll.
Es besteht gar kein Zweifel, daß die Musikkassette auf Grund ihrer auf Mobilität ausgerichteten Technik die auf stationäre Verwendung fixierte Schallplatte ergänzen kann. So hat die Musikkassette die Expansion des Musikmarktes in eben solche Konsumbereiche ermöglicht, die der Schallplatte verschlossen sind.
Ich überlasse es gern den professionellen Propheten in unserem Hause, das Jahr zu bestimmen, in dem die Musikkassette die Schallplatte überholen mag.
Vor einem Jahr noch tippte man für Deutschland auf 1981/82. Aber das vergangene Boomjahr 1978 mit rund 20% durchschnittlichem Zuwachs hat eine unerwartete Revitalisierung der Langspielplatte gebracht. War dies eine Tendenzwende, ein neuer Trend? Ich glaube nicht. Eher ist dies ein Anzeichen für die Vermutung, daß sich zwischen beiden Tonträgern ein spannungsreiches, aber fruchtbares Koexistenz-Verhältnis entwickeln wird.
Auf einen Aspekt der Kassette möchte ich noch eingehen, nämlich auf Leerkassetten bzw. die Privat-Überspielung. Es ist wohlbekannt, daß Privat-Überspie-lungen von Musik eine erschreckende Dimension angenommen haben.
Unsere Marktforschung beweist, daß mehr Musik zu Hause aufgenommen wird, als bespielte Tonträger gekauft werden. Die Spieldauer der 1977 verkauften Leerkassetten überstieg die aller fabrikmäßig bespielten Tonträger mit genau 6,7 Mrd. Minuten gegenüber 6,4 Mrd. Minuten für Singles, LPS und Musikkassetten (Quelle: Statistik des Bundesverbandes der Phonografischen Wirtschaft).
Abgesehen vom Umsatzausfall ergibt sich hier ein Verlust der Rechte von Autoren, Verlegern, Produzenten, Komponisten und Musikern. Ehe die Gewohnheit, privat zu überspielen, zu einem noch größeren Mißbrauch von Autoren-Rechten auswächst, muß ein entsprechender Urheberschutz gefunden und angewendet werden.
Ich denke da weniger an eine höhere Gebühr auf Geräte, sondern vielmehr an eine auf Leerkassetten. Die Verbraucher würden so zwar nicht von ihrem Hobby lassen, doch wären die Rechte der Urheber für diese Nutzung ihres Eigentums wieder anerkannt und gesichert - und das bedeutet einen notwendigen neuen Schutz der Kreativität dieser Menschen.
Das war eine Betrachtung aus 1979, als es der Pattenindustrie noch richtig gut ging.
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