DER UNIVERSAL-ENTZERRER UE 100 (von 1961)
VON SIEGFRIED FRANZ HÜBNER - SÜDDEUTSCHER RUNDFUNK, STUTTGART
vom März 1961
1 . Einleitung
In der Studiotechnik des Hörrundfunks, im Fernsehen, Tonfilm und in der Schallplattenindustrie werden häufig wechselnde Anforderungen an das Klangbild gestellt. Auch in der Meßtechnik, Akustik, elektronischen Musik und in der Nachrichtentechnik will man häufig bestimmte Frequenzen hervorheben oder abschneiden.
Der Wunsch der Toningenieure ging deshalb dahin, den Frequenzgang an mehreren Stellen ohne störende Verzerrungs-, Phasendreh- und Einschwingvorgänge genau definiert ändern zu können. Diese Anforderungen, welche durch die bisher vorhandenen Geräte nicht ganz erfüllt werden konnten, führten zur Entwicklung des hier beschriebenen Entzerrers, der außerordentlich viele Möglichkeiten zur Beeinflussung von Frequenzgang, Amplitude und Steilheit der Frequenzkurve im Hörbereich bietet. Die Bedienungsorgane (Bild 1) sind übersichtlich und psychologisch richtig angeordnet. Es können alle acht Filterstufen gleichzeitig zur Frequenzgangbeeinflussung verwendet werden. Dabei erfolgt die Amplituden- und Frequenzänderung durch Schalter bzw. Drucktasten, so daß die Entzerrung jederzeit reproduzierbar ist. Die dadurch mögliche genaue Einhaltung der Frequenzgänge ist für die Verwendung des Gerätes in der Stereooder Meßtechnik besonders wichtig.
2. Arbeitsprinzip
Die Filterschaltung zeichnet sich dadurch aus, daß an Stelle von Induktivitäten eine Gegenkopplungsschaltung mit RC-Gliedern angewendet wird. Die dadurch entstehenden Vorteile sind:
- sehr niedriger Klirrfaktor (0,1%)
- minimale Intermodulationsverzerrung (0,3 %)
- sehr niedrige Geräuschpegel (20uV)
- geringe Empfindlichkeit gegen magnetische und elektrische Störfelder
- minimale Phasenverzerrung (Höhen ca. 2%, Tiefen ca. 10%)
- guter Rechteckdurchgang
- kein Überschwingen,(Bild 6)
- Übergänge der einzelnen Filterstufen ohne Welligkeit
- große Genauigkeit der Frequenzgänge (± 1 dB).
Die Verstärkung des Gerätes bei Stellung „Linear" ist 0 dB, so daß keine nachfolgenden Verstärker benötigt werden, um eine evtl. Einschaltdämpfung wieder auszugleichen.
3 . Aufbau
Der UE 100 hat einen erdfreien symmetrischen Ein-und Ausgang und entspricht in seinen Anschlußdaten denen des V72. Der Entzerrer wird in einem Transportgehäuse geliefert, kann aber als Einschub in der Größe 5 in jedes Normalgestell eingebaut werden (Bild 2). Er ist mit dreizehn Doppeltrioden und einer Pentode bestückt, die alle mit Gleichstrom geheizt werden und sehr stark gegengekoppelt sind. Das Gerät ist nach dem Baustein-Prinzip aufgebaut, die Bausteine sind durch steckbare Kabel miteinander verbunden, damit wird die Arbeit des Meßdienstes vereinfacht.
Jeder der sechs Bausteine (Bild 6 a bis h mit Tabelle 1) beeinflußt einen bestimmten Frequenzbereich. Alle Bausteine ermöglichen es, den Frequenzgang in Frequenz, Amplitude und Steilheit gleichzeitig und unabhängig voneinander an acht Stellen des Hörbereichs zu beeinflussen.
4. Technische Daten
Die Bilder 4 a bis c zeigen die prinzipiell möglichen Entzerrerkurven. Das Bild 5 veranschaulicht den Tonumfang einiger Musikinstrumente in Beziehung zu den Entzerrerkurven des UE 100. Diese Bilder sollen als Arbeitsunterlagen für den Toningenieur dienen und sollen somit das Verbindungsglied zwischen Technik (Frequenz) und Musik (Notenschrift) sein und eine „gezielte" Frequenzgangbeeinflussung ermöglichen.
Technische Daten im Detail
Stromversorgung 220 V/117 V 50—60 Hz
Leistungsaufnahme 66 Watt/300 mA ~
Verstärkung 0 dB (innerhalb des Geräts auf + 5 dB umschaltbar)
Eingangs-Scheinwiderstand ca. 5000 0hm, 40 Hz bis 15 kHz
Frequenzgang
„LIN" ± 0,25 dB, 20 Hz bis 20 kHz
Ausgangs-Scheinwiderstand ca. 35 Ohm, 40 Hz bis 15 kHz
Ausgangsspannung + 6 dB (1,55 V)
Übersteuerungsgrenze + 18 dB (6,3 V) auf LINEAR
Klirrfaktor
(gesamt) max. 0,1 %> zwischen 20 Hz und 20 kHz bei einer Ausgangsspannung von 1,55 V (+ 6 dB) an 300 Ohm
bei einer Ausgangsspannung von 3,2 V (+ 12 dB) an 300 0hm 40 Hz 120 Hz 1 kHz 5 kHz 10 kHz 0,4% 0,1 %> 0,04% 0,11 % 0,15%
Intermodulation 0,3%, 50 Hz: 6 kHz / 4 : 1 an 300 Ohm bei einer Ausgangsspannung von 3,2 V (+ 12 dB)
Fremd- und Geräuschpegel Meßabschluß am Eingang 200 0hm gemessen mit J-77
P (Fremd) ... — 78 dbm (lOOMikrovolt)
Ohrenkurvenbewertung nach CCIR P (Geräusch) — 93 dbm (20 Mikrovolt)
Störfeld-Beeinflussung P (Fremd) ... 130 Mikrovolt bei 50 mGauss eff. 50 Hz
Genauigkeit der „dB-Stufenschalter" ± 1 dB
Isolationswiderstand ca. lOMegohm. Gehäuse gegen Nullpotential
Röhrenbestückung 9 Stück E 81 CC + 4 Stück E 83 CC + 1 Stück EF 804—S
Gewicht 22 kg
Genauigkeit der Grenzfrequenzen ± 1 dB
Abmessungen nach DIN 41610 550 mm • 232 mm • 295 mm.
5. Anwendung
Der UE 100 kann so angewendet werden, daß ein meßtechnisch bekannter, jedoch nicht erwünschter Frequenzgang entzerrt wird. Man kann aber mit dem UE 100 das Klangbild auch nach dem Gehör einstellen.
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Bild 7 zeigt die Einschaltmöglichkeiten des UE 100 in einer Tonregie-Anlage. Durch den niedrigen Fremdspannungspegel ist es möglich, das Gerät in den Mikrophonkanal einzuschleifen. Bei Einfügung in die Hauptsendestraße empfiehlt es sich, einen Aussteuerungsmesser hinter das Gerät zu schalten, damit die nachfolgenden Verstärker nicht übersteuert werden können.
Die Änderung der Bandbreite
Beim Betätigen der übereinanderliegenden Tasten eines Bandfilters, z. B. fu = 300 Hz und fo = 850 Hz, erhält man die schmalste Bandbreite mit der Mittenfrequenz fm = 500 Hz. Es ist nun möglich, die Bandbreite nach oben, unten oder gleichzeitig nach beiden Seiten zu vergrößern, z. B. fu = 180 Hz und fo = 1700 Hz, ergibt eine große Bandbreite mit der Mittenfrequenz fm = 600 Hz.
6. Beispiele
Einige Anwendungsmöglichkeiten in der Meßtechnik werden in den folgenden Bildern gezeigt.
Bild 8: Schallplatten-Entzerrungskurve (Beispiel)
Bild 9: Gehörkurve
Bild 10: Frequenzkurve zur Linearisierung der Schalldruckkurve eines Lautsprechers
Die Bilder 11 bis 15 zeigen nun die subjektive Anwendung in der Studiotechnik.
Wenn man das Gerät UE 100 in die Hauptsendestraße einschaltet, so kann, wie Bild 11 zeigt, das gesamte Klangbild der Aufnahme beeinflußt werden.
Die Einfügung des Gerätes in den Mikrophonkanal einer Instrumentengruppe ist bei Tanzmusik besonders interessant. Dann ist es natürlich möglich, den Musikinstrumenten einen besonderen Klangcharakter zu geben (Bild 12). Auch die Klangfarbe von Sängern kann verändert werden.
Bei Live-Fernsehsendungen, Übersee-Empfang, Reportagen usw. können die Störgeräusche, welche außerhalb des Sprachbereiches liegen, scharf abgeschnitten werden (Bild 13).
Der Umschnitt von Schallplatte auf Band über den UE 100 (Bild 14) kann durch Anheben der tiefen und der hohen Frequenzen, bevor sie wegen Plattenrauschens und Rumpelgeräuschen stark abgeschnitten werden, eine Renovierung der Aufnahme ermöglichen. So sollte es möglich sein, alte Archivaufnahmen wieder sendefähig zu machen.
Nicht ganz gelungenen Aufnahmen kann noch nachträglich durch die in ihrer Bandbreite veränderlichen Bandfilter Präsenz und Brillanz verliehen werden (Bild 15).
Bei der Bedienung des UE 100*) nach dem Gehör ist das musikalische Einfühlungsvermögen des Toningenieurs genau so wichtig, wie die Übersicht über die technischen Möglichkeiten, um eine unnatürliche Beeinflussung des Klangbildes zu vermeiden, denn es bestehen zahlreiche Möglichkeiten, unter denen der Toningenieur wählen muß.
*) Hersteller des Universalentzerrers UE 100 ist die Firma Klein & Hummel, Stuttgart, Postfach 402.
Anmerkung: Da ist keiner mehr, K+H wurde von Sennheiser gekauft.
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