In die Röhre gehört
Sonderdruck aus der Funkschau - Heft 6/1984
Ein altes Konstruktionsprinzip feiert fröhliche Urständ - von Klaus H. Knapp
Thema : Zylinder-Lautsprecher
Immer mehr Firmen versuchen sich auf dem Gebiet der zylinderförmigen Lautsprecher. Wir haben uns drei davon mal näher angeschaut.
.
Ein „Ofenrohr" ?
Können Sie sich noch an das „Ofenrohr" erinnern? Vor fast 25 Jahren bot Telefunken einen zylinderförmigen Lautsprecher an, der sich wegen seiner Form in der Branche rasch diesen Spitznamen „verdiente". Lange hat er sich nicht am Markt gehalten, er verschwand bald in der Versenkung.
Einen wesentlichen Punkt hingegen hat man in Erinnerung behalten: Daß sich mit einem Hohlzylinder ein besonders eigenschwingungsarmes (weil sehr steifes) Lautsprechergehäuse aufbauen läßt. Die Natur führt einem das Konstruktionsprinzip ja geradezu vor: Jeder Bambusstab ist hinsichtlich der Festigkeit bei vorgegebener Masse der lebende Beweis.
Das zylindrische Gehäuse hat eigentlich nur einen Schwachpunkt: Will man die Vorteile nutzen, kommt eigentlich nur axialer Einbau der Tief- und Mittelton- Lautsprecher in Frage. Und das bedeutet, daß sie nach oben oder unten abstrahlen - raumakustisch ein Problemfall.
Runde Lautsprechergehäuse haben den Vorzug, daß sie bei kleiner Stellfläche trotzdem ein hohes Volumen erzielen. Ob es sich lohnt, mit Zylinder-Lautsprechern zu liebäugeln, soll dieser Bericht zeigen.
.
Am Anfang war „Charly"
Sieht man einmal von der frühen Telefunken-Lösung und dem Rundumstrahler Omnisono (1981, Heft 10) ab, dann war es ein Außenseiter, der den „Röhrenlautsprecher" aus der Versenkung herausholte.
Karl Baus , bis dato eher der Textilbranche verpflichtet, gründete die Firma Audioplay im pfälzischen Winnweiler - und machte auf der Düsseldorfer HiFi-Video 1982 mit seinem „Charly" Furore. Ein Test in einem HiFi-Magazin verschaffte ihm zusätzliche Publizität.
Daß die Schwesterzeitschrift im gleichen Verlag denselben Lautsprecher einen Monat später in den Keller verriß, mag noch als publizistische Strategie interpretiert werden.
Hauptsache, man war ins Gespräch gekommen. Und das gelang gründlich.
.
Beim „Charly" war alles ganz anders.
Der Röhrenlautsprecher wird nämlich direkt ab Werk verkauft: Karl Baus setzte auf Niedrigpreise. Auch heute noch liegen drei seiner Röhrenlautsprecher unter 400 DM.
Die Idee zum „Charly" kommt aus den "hehren Hallen" der Wissenschaft: Ein vornehm im Hintergrund bleibender Universitätsprofesor hat ihn entworfen. Und er griff dabei auf ein Büchlein zurück, das im Franzis-Verlag erschienen ist und in welchem man lesen kann: „Rohrförmige Boxen haben den Vorzug, daß praktisch keine Biegeschwingungen der Gehäuse auftreten können."
In einem rechteckigen Gehäuse gibt es (fast) immer stehende Wellen, weil der Tieftöner rückwärts gegen eine parallele W^and abstrahlt. Diese stehenden Wellen verfälschen den Klang.
In einer Röhre kann das nicht passieren: Da gibt es keine parallelen Wände. Dennoch regt die Lautsprechermembran die Außenhaut zu Eigenschwingungen an. Will man die Mantelschwingungen eines Lautsprecher-Gehäuses herabsetzen, dann sollte man über ein Material mit möglichst hoher Eigendämpfung nachdenken.
Pappe ist da gar nicht so schlecht. Es ist ein sehr „amorphes" Material, das im gepreßten Zustand kaum zu Schwingungen neigt.
Bleiben noch die unvermeidlichen, restlichen Mantelschwingungen an dem Zylinder. Diese reduziert man erheblich dadurch, daß etwa in der Mitte der Röhre eine sternförmige Verstrebung angebracht wird.
Dabei hat man beim „Charly" einen einfachen Trick benutzt, der sich sogar zum Patent anmelden ließ: Die Zahl der Sternstrahlen muß ungerade sein. Sonst könnten sich nämlich in der Verstrebungsebene eine Art chladnischer Klangfiguren - gehäusespezifische, geradzahlige Eigenresonanzen - ausbilden. Und gerade die will man nicht haben. Mit diesem Verstrebungsstern lassen sich Resonanzen niedriger Ordnung praktisch vollends unterdrücken.
.
Stattliches Baßvolumen als Stärke
Einen Vorteil haben die voluminösen Zylinderlautsprecher: Sie können konstruktionsbedingt mit einer ordentlichen Baßwiedergabe aufwarten, denn große Volumina erlauben große Membranflächen des Tieftöners. Damit muß weniger Hub erzeugt werden, was wiederum zu weniger Verzerrungen führt.
Tieftöner sollen auch wegen der tiefen Frequenzen möglichst weit von der Rückwand der Box entfernt montiert werden, weil ja jeder Lautsprecher auch nach hinten abstrahlt. Da der Tieftöner den „Deckel" im Zylinder bildet, ist sein Abstand von der Rückwand (bis zum Boden des Zylinders) identisch mit der Höhe des Lautsprechers - beim „Charly S" immerhin ein Meter.
Fairneßhalber sei erwähnt: Man kann natürlich auch einen großen Tieftöner durch mehrere parallel- bzw. seriengeschaltete kleine Tieftöner ersetzen. (Siehe die BOSE 901 in allen Varianten) Letztlich kommt es ja auf die bewegte Luftmasse an - und da ist es im Prinzip gleichgültig, ob man eine große Membranfläche oder mehrere kleine verwendet.
Doch zurück zu den Röhrenlautsprechern. Das relativ große Volumen bei vergleichsweise kleiner Standfläche kommt mit wenig Bedämpfung aus. Die Folge ist im allgemeinen ein besonders guter Wirkungsgrad.
Für Röhrenlautsprecher mit einer Höhe von 80cm ergibt sich ein recht natürlicher Klangeindruck, vorausgesetzt, der Konstrukteur hat über die Plazierung der Hochtonlautsprecher nachgedacht.
Die Befestigung der Hochtöner in Ohrhöhe einer sitzenden Person und mit Richtung auf sie wäre ideal. Die Baßanteile der Musik breiten sich ohnehin kugelförmig im Raum aus, so daß die Anordnung des Tieftöners am oberen Ende des Zylinders keine Rolle spielt.
Eventuell noch vorhandene Mitteltonanteile des Tieftöners werden nach oben hin zur Decke abgestrahlt: Sie verlieren sich dann durch Reflexionen im Raum.
.
Die Frequenzweiche mit nur 6 dB Flankensteilheit
Der Erfinder des „Charly" leitete daraus die Chance ab, eine Frequenzweiche (Übernahmefrequenz 400 Hz) zu verwenden, die nur 6 dB Flankensteilheit hat. Natürlich trennt diese Weiche nicht so scharf wie eine mit 12 dB oder gar 18 dB - dafür macht sie aber auch weniger Ärger mit Phasenverschiebungen.
Wenn wir uns bisher relativ ausführlich mit dem „Charly" beschäftigt haben, so deshalb, weil sein Konstruktionsprinzip im Grunde genommen für alle anderen Zylinderlautsprecher sinngemäß gilt. Wir haben aber eine Ausnahme entdeckt, die etwas anders aufgebaut ist:
.
Die Dantax-Tube, schlank und rank
Der dänische Konstrukteur Jan Momme hat drei verschieden große Röhrenlautsprecher entwickelt, die aus weißem Kunststoffgehäuse [Bild 4) bestehen und oberhalb des Bodens zwei Öffnungen besitzen.
Und das hat seinen Grund: Anders nämlich als beim „Charly" ist hier der Tieftonlautsprecher mit der Membrane nach unten, zwei Handbreit über dem Boden, angeordnet [Bild 5).
In Höhe der schlitzförmigen Öffnungen sitzt im Innern des Zylinders ein akustischer Kegel, der die Schallabstrahlung in den Raum übernehmen soll. Je ein Hochtöner und ein Mitteltöner befinden sich an der Spitze des Zylinders auf einer um 45° geneigten Fläche. Diese ist ihrerseits wieder mit einer schwarzen Schaumstoffschicht abgedeckt.
Auch in dieser Box wurde etwa in der Mitte zur Verhinderung unerwünschter Schwingungen eine Art akustisches Sperrventil („Flow Resistor") eingebaut. Das glatte Spritzgußmaterial ist an der Innenwand des Zylinders bis hinab zum Tieftöner mit Dämpfungsmaterial ausgeklebt.
Man kann sich leicht vorstellen, daß diese Box bei gleichem äußeren Erscheinungsbild schon deshalb anders „klingt", weil der Hochtöner nicht direkt auf den Zuhörer abstrahlt (wie beim „Charly"), sondern eine Streuung über die Decke benutzt.
.
Dantax ist kein Neuling im Lautsprechergeschäft.
Das im Norden von Jülland am Skagerrak gelegene Unternehmen stellt auch hochwertige Lautsprecher her: den FUNKSCHAU-Lesern unter den Namen Scan-Speak bekannt. Die Firma hat in den siebziger Jahren zwei Patente zur Serienreife gebracht, die heute in den eigenen Lautsprechern konsequent verwendet werden: Die Hexagonal-Wicklung sowie den „symmetrischen Hub".
Bei der Hexagonal-Wicklung (Bild 6) handelt es sich um den Ersatz konventioneller Schwingspulendrähte mit zylindrischem Profil durch einen sechseckigen Draht. Er wird in einer kombinierten Warm/Kaltverformung hergestellt und ermöglicht eine Schwingspule herzustellen, die etwa vier- bis sechsmal so hoch belastbar ist wie eine gleich große Schwingspule aus konventionellen Drähten.
Grund: Die zwischen den runden Drähten liegenden Luftzwickel verschwinden durch das Sechskant-Profil. Diese Lufträume führen zu Wärmestau in der Spule und verringern darüber hinaus auch deren Steifigkeit.
Anmerkung : BOSE hatte bereits von Anfang an rechteckig gewalzten Falchdraht für seine Schwingspulen verwendet und auch soe beworben - mit dem gleichen Vorteil wie oben beschrieben.
.
Der „symmetrische Hub"
Die zweite Erfindung von Scan-Speak ist die des „symmetrischen Hubs". Mit ihm läßt sich ein exakt symmetrisches Ein- und Ausschwingverhalten auf einen rechteckigen Impuls hin erzielen.
Wirkt auf die Schwingspule eines Lautsprechers eine Rechteckfunktion ein, dann wird die Anstiegzeit des Stromes durch die Induktivität bestimmt. Da die Beschleunigung der Membran im Idealfall proportial zur Stromstärke ist, sollte nach Möglichkeit die Induktivität der Schwingspule über den ganzen Bewegungsbereich konstant bleiben.
Das ist sie aber nicht immer, wie aus Bild 7 hervorgeht. Schwingt die Spule nach außen, dann laufen immer weniger Kraftlinien durch die Spule: Die Induktivität sinkt. Scan-Speak hilft dem dadurch ab, daß über das zentrale System eine magnetisch leitende Hülse gezogen wird, die so lang ist, daß ein gleichmäßiger Kraftlinienfluß auch in der extremen Außenlage gewährleistet ist.
Damit erreicht man, daß die Anstiegszeit beim Anlegen einer Sprungspannung unabhängig wird von der Stellung der Schwingspule. Ein weiterer Pluspunkt: Die Intermodulation kann man damit verringern.
Mit diesen beiden Eigenentwicklungen hat sich das Unternehmen eine ganze Palette von Lautsprechern aufgebaut, die nun in den drei „Tuben"-Standgehäusen ihren Einsatz finden.
.
Eine Mischung aus beidem: „Das Ei"
Eine Kombination aus beiden Ideen ist der von "Profi HiFi" gebaute Zylinderlautsprecher „Das Ei". Er besteht aus einem Röhrengehäuse aus gewickelter Pappe, ist 85 cm hoch und hat einen Durchmesser von 35 cm. Außen ist er mit schwarzem Schaumstoff beklebt [Bild 8).
Die Idee vom „Charly" mit der Pappröhre ist hier also von einem anderen nochmals aufgegriffen worden. Auch die Lieferung ab Werk (Preis ca. 250 DM) ist den Pfälzern abgeschaut. Die Zwei-Wege-Box ist mit einem Baß-/Mitteltonchassis mit Polypropylen-Membran bestückt. Ein Strontiummagnet in Verbindung mit Langhub-Schwingspule sorgt bei einem Boxenvolumen von 80 Litern für den Basisklang. Die 19mm-Polyamidkalotte (Heco) ist für den Hochtonbereich zuständig. Auch im „Ei" findet man eine 6-dB-Frequenzweiche.
Vom Tube-Zylinderlautsprecher hat man die Abschrägung abgeschaut, ohne allerdings die Lautsprecher hinter einer Schaumstoffschicht zu verbergen. Grundsätzlich neue Ideen sind hier nicht aufgegriffen worden.
.
Alle drei Lautsprecher im Hörvergleich
Beim Hörtest zeigt sich, daß „Röhre" nicht gleich „Röhre" ist. Am besten hat uns der „Charly S" gefallen. Seine vollen, saftigen Bässe waren nie aufdringlich, Streichinstrumente klangen samtig und nicht schrill, Schlagwerk (Triangel, Becken, Pauken in Edgar Elgars Märschen) kam sauber durchgezeichnet, ohne lärmende Härte.
Am schönsten klangen die Kontrabaß-Sonaten von Bottesini: Man glaubte, neben dem Solisten zu stehen. Ein Minuspunkt: Geht man mit der Lautstärke zurück, nehmen die Bässe überproportional stark ab, während die Höhen in etwa linear zurückgehen. Vielleicht sollte man beim Lautsprecher-Lieferanten Philips mal um einen anderen Tieftöner nachsuchen.
Die Tube-Box zeigte diese Lautstärkeabhängigkeit nicht. Sie überzeichnet etwas in den Höhen, klingt dort gelegentlich sogar scharf. Der Gesamtklang ist ausgewogen, jedoch etwas „verhangen" - ist da vielleicht das Schaumstoffkissen über dem Mitteltöner/Hochtöner schuld?
Die Baßabstrahlung nach unten über den Streukegel funktioniert nicht ganz so perfekt, wie sich der Konstrukteur das wohl gedacht hat. Hier hätten wir vom Prinzip her eigentlich noch mehr erwartet. Die Box besticht durch gediegene Verarbeitung und ein gutes Aussehen. Sie ist nur über den Fachhandel erhältlich.
Dritter "Sieger" in dieser Runde wurde „Das Ei". Um es vorweg zu sagen: Diese Box ist deutlich besser als manche konventionelle Kastenbox der gleichen Preislage. Sie betont aber stark den Gegensatz zwischen Hochtöner und Tieftöner.
Außerdem hat „Das Ei" wohl auch noch kleinere Probleme mit Partial-schwingungen im Membranmaterial des Baß-/Mitteltonschassis. Der Hersteller hat für Frühjahr 1984 bereits ein verbessertes Chassis angekündigt. Vielleicht sollte man sich auch die Weiche nochmal unter die Lupe nehmen: Sie scheint nicht ganz unschuldig daran zu sein, daß im oberen Mitteltonbereich (Streicher) noch Fortschritte erzielbar scheinen. Die Stärke des „Eies": durchsichtiger Klangeindruck in den Tiefen, gute räumliche Staffelung.
.
Soll man sich also einen Röhren-Lautsprecher kaufen?
Der Röhren-Lautsprecher scheint uns gerade für jüngere HiFi-Freunde eine erwägenswerte Alternative, da man hier mit wenig Standfläche hohe Boxenvolumina realisieren kann. Wie bei allen Lautsprecher-Hörproben gilt auch hier: Unbedingt daheim hören, gegebenenfalls das Rückgaberecht ausnutzen. Einen Vorteil haben alle von uns getesteten Röhrenlautsprecher: Sie sind unempfindlicher als andere Konstruktionen hinsichtlicl optimaler Aufstellung im Zimmer.
Klaus H. Knapp (1984)