Vorwort zu der in den Medien verteufelten Papp-Röhre
Als der Professor Bose in 1969 seine Entwicklung, - die BOSE 901 - vorstellte, war das bereits ein richtiger Knaller in der Lautsprecherszene. Viele bemängelten, diese Dinger können keinen richtigen Bass. Natürlich war das richtig -aber nicht in amerikanischen Wohnräumen. Als dann die Firma Bose auf dem gigantischen Erfolgsweg die "BOSE 800" Bühnenlautsprecher vorstellte, wurde dieser vermeintliche Mangel dann doch deutlich. Im Freifeld auf der großen Wiese fehlte doch etwas Bass oder Power, das im normalen Wohnraum nicht so brachial aufgefallen war. Und da hatten die BOSE Entwickler eine Idee. Unterstützen wir doch die BOSE 800 und BOSE 802 Bühnenlautsprecher mit einer echten Bass-Kanone. Sie nannten das Teil Bass-Cannon und später Accoustic Wave Cannon. Es war ein etwa 8m langes Rohr, in dem bei etwa einem Drittel ein massives professionelles Bass-Chassis eingebaut war. In einem frühen Elektromarkt in Frankfurt in der Hanauer Landstraße gegenüber der BMW Vertretung (es war um 1980) hing diese Röhre unter der 10m hohen Decke einer Industrie-Halle und machte einen gewaltigen Bass. Die Idee mit dem Rohr war also nicht neu, sie war nur ungewöhnlich.
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Wir haben im Nov. 2024 zwei "Charly S" gespendet bekommen
Damals in 1983 war es für uns Hifi-Fans finanziell nicht möglich, noch ein Paar zusätzliche Boxen - einfach mal so - zu kaufen. Wir hatten ja bereits genügend Erfolge und Mißerfolge.
Die Urteile in den verschiedenen Hifi-Magazinen (je glänzender die Cover-Seite, desto "wahrer" die "Berichte") waren schon sehr konträr. Und Hifi-Boxen aus Pappe, igitt, "sowas" fassen wir doch nicht an. Und so konnten wir uns kein Urteil bilden, welche Richtung der Meinungen jetzt stimmte bzw. der Realität am nächsten kam.
Im Nov. 2024 können wir das, - nach 40 Jahren. Es würde aber nur Sinn machen, wenn diese beiden Charly's noch intakt sind. Nach sorgfältiger optischer und akustischer Prüfung der 6 Lautsprecher-Chassis scheinen die alle 6 intakt zu sein.
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Ein Blick auf die sechs einzelnen Chassis
Die Hochtonkalotten aus dieser Zeit hatten nie Probleme mit dem Zerfall der Schaumstoffsicken - sie hatten keine, - aber ganz viele Sicken von Mitteltönern und Bässen hatten die sehr wohl (siehe BOSE 901 ab Serie III (1978) und JBL 250 Ti (ab 1989) usw.).
In unseren beiden Charly's haben die Mitteltöner getränkte Stoffsicken und die beiden Bässe haben intakte Gummisicken. Natürlich sind die sichtbaren Flächen - vor allem auf der waagrechten Bass-Membrane - ziemlich verstaubt.
Den Staub kann man ganz vorsichtig mit einer weichen Bürste absaugen. Das hatte auch geklappt.
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Dez. 2024 - Nachtrag nach einer Internet Recherche
Es muß bei den Charly S, das sind die 36cm Röhren mit dem 30cm Bass von Philips, mehrere Varianten von Chassis gegeben haben. Unsere beiden Bass-Chassis haben (noch) intakte Gummisicken, andere Chassis (vermutlich aus späteren Produktionen) haben zerbröselnde Schaumstoff-Sicken. Wir raten unbedingt von einer Reparatur ab - es wird viel zu teuer, denn die alten Philips Chassis sind qualitativ nicht berauschend und Sie bekommen heute neue Chassis für weniger Geld in deutlich besserer Qualität !!!
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Wie klingen zwei Charly S nach 40 Jahren ?
Und jetzt wird's schwierig. Denn in den 40 Jahren hat sich viel getan bei den digitalen Musik-Quellen und bei der Entwicklung von Lautsprechern. Zur Zeit der Entwicklung des Charly in 1981/1982 war die angekündigte digitale Compact Disc gerade so im Kommen - aber noch nicht für die Consumer erhältlich - und als Quelle dienten nur die besonders guten Direktschnitt- Schallplatten mit teuren MC-Abtastern.
Wenn also der Chef von Audioplay damals von einem abgrund- tiefen Bass schwärmte, so müssen wir das in diese Zeit zurück "transformieren" und relativieren. Nach der Etablierung der CD haben wir ganz andere Vorstellungen von einem abgrundtiefen Bass. Das kann ich in unserem großen Studio demonstrieren, wenn hier das ganze Haus samt Fußboden bebt.
Hier dienen die alten und die neuen Musiken von Dire-Strait (Mark Knopfler) als Musterbeispiele, was von den analogen Schallplatten und was von der CD oder der MP3 Datei zu den Boxen "fließt". Auch auf den Musiken von Katie Melua ist der abgrundtiefe Bass nur auf den digitalten Medien zu hören.
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Ein Blick auf die allerersten BOSE 901 Lautsprecher ab 1970 ist ebenso einen Vergleich wert. Diese Lautsprecher konnten aufgrund der Größe den abgrundtiefen Bass nur über die Oberwellen dieser Töne ausliefern. Ein 40Hz Ton als Grundton konnte nicht begeistern.
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Die Charly S sind sehr wohl aufstellungskritisch .....
In dem Bild oben drüber stehen sie zuerst mal mitten im Raum nebeneinander, um bei hellem Licht auf Schäden untersucht zu werden. Die Hoch- und Mitteltöner und auch die beiden Bässe sind optisch in Ordnung. Die Sicken sind nicht aus Schaumstoff, sondern es ist Leinen und Gummi. Die Montageschrauben der Mitteltöner wurden mal getauscht/erneuert, weil das Lochblech der Abdeckung abgerissen war, aber sonst scheint alles ok zu sein.
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Mitten im Raum ist der Bass mehr als schwächlich. Überhaupt sind die Boxen im Vergleich zu den nebenstehenden JBL L80 deutlich leiser, also weniger effizient. Die Charly und die L80 haben in etwa das gleiche Gehäusevolumen. Darum ist der Sound-Vergleich gar nicht so weit her geholt. Auch waren die JBL L80 (damals im Ausverkauf) preislich sogar sehr ähnlich. Im Sonderangebot hatte ich (etwa 10 Jahre später) für die angeblich unverkäuflichen beiden L80 Säulen nur 990.- DM an Stelle von angeblichen 2.900.- DM (für das Paar) gezahlt. (Und der Händler hatte daran immer noch etwas verdient.)
Beides sind 3-Wege Systeme mit Kalottenhochtönern wie bei den JBL 250Ti und den L90 auch, aber die JBL L80 haben deutlich kleinere Bass-Chassis. Dennoch ist der Tiefbass dem der Charly weit überlegen. Auch ist die L80 sehr ausgeglichen, also nicht spitz oder überzeichnend in Mitten und Höhen wie die Charly's.
Beide Paare sind an dem PIONEER VSX 859 Receiver mit 2 x 110 Watt angeschlossen und lassen sich per Taster und Relais zügig - aber nicht ohne eine kleine Pause - umschalten. Dennoch ist der Klangunterschied zu deutlich, als daß das auf den Lautheits-Unterschied zurückzuführen wäre.
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Auf den Bildern sieht man noch etwas mehr
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In unserem Quadro-Labor Studio sieht es immer ziemlich wild aus, weil dauernd umgebaut wird. Die JBL L80 stehen beide auf fahrbaren Holzkisten, um auf diesen Rollen leichter eine akustisch ansprechende Wiedergabe-Position durch Hin- und Herrücken zu ermitteln. Mit der Aufstellung - wie hier im Bild zu sehen ist -, klingen die L80 Boxen wesentlich besser als viele viele andere von HECO oder CANTON oder BRAUN, die dort alle schon gestanden hatten und die ich ausprobiert hatte. Auf dem Fußboden stehend klingen die L80 aber auch nicht.
Die Charly's sollen aber auf dem Fußboden stehen, haben aber dennoch einen immer noch deutlich schwächeren Bass als die L80 - und jetzt hier in den Seiten-Ecken ist der Bass gefühlt deutlich stärker als vorher in der Raummitte.
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Die Charly's sind innen gut "ausgestopft"
Somit war die Frequenzweiche nicht zu sehen. Die dort verbauten passiven Bauteile sagen dem Ingenieur schon, was er in etwa erwarten kann. Die Frequenzweichen von BRAUN und HECO haben wir bereits analysiert und könnten das vergleichen. Der Hochtöner wie auch der Mitteltöner sind Großserienpodukte.
Das Bass-Chassis soll von Philips kommen und ist sicher auch ein Massenprodukt. Die Qualität ist dennoch gut, die Sicken und die Membranen sind sauber zentriert und bewegen sich kratzfrei. Aber sicher aus Preisgründen ist es kein Wunderwerk wie so manche Bässe von JBL oder anderen Spezialisten aus USA. In dem Basswürfel der "Infinity Servostatic 1" ist solch ein 38cm Super-Bass drinnen, der bei geringstem Hub das Haus zum Zittern bringt.
Daß ein Basschassis nur mit 4 von 8 möglichen Schrauben befestigt ist, fällt dem Betrachter zwar auf - aber mit den 4 langen Schrauben ist das bombenfest montiert. Die Charly Boxen waren auch nie als Disco-Boxen angepriesen worden. Der gestanzte Stahlblech-Korb ist sicher für die Anforderungen genügend stabil und verwindungssteif, für größere Lautstärken hatte JBL vor vielen vielen Jahren Versuche gemacht, warum ein massiver ALU-Druckguss-Korb bessere Eigenschaften hätte. Auch der Magnet ist "economy", das konnte JBL einfach besser - und natürlich erheblich teurer.
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Zusammenfassung der Boxen und der Höreindrücke
Die Boxenkonstruktion war/lag ganz gezielt und auch von Anfang an wahrheitsgemäß beschrieben auf der Lowcost Schiene. Alles Überflüssige sei weggespart worden. So kam auch der günstige Kampf-Preis (ab Werk) zustande. Solch ein Trick in einem abflauenden Markt funktioniert aber auch nur einmal. So um 1985 war (unseres Wissens nach) bereits Schluß mit dem Erfolg.
Die Befestigung der Hoch- und Mitteltöner mit Knete oder Kleber ist nach anderen Berichten gewöhnungsbedürftig bis bescheiden, eben Lowcost. Unsere beiden Röhren sind aber immer noch stabil - nach 40 Jahren. Daß die schwarze Glanz-Folie nach so langer Zeit ihre Klebeeingenschaft verliert, ist nicht ungewöhnlich. Jedenfalls ist die "Trommel" oder "Röhre" mechanisch noch intakt Der Rahmen für den Bass und die hölzerne Bodenplatte ist nach wie vor fest verleimt.
Das Anschlußkabel ist mit 0,75 mm² nicht das Dickste, aber für die damaligen Möglichkeiten vollkommen ausreichend. Ob die DIN-Lautsprecherstecker schon dran waren oder nachträglich angelötet wurden, die haben nochmal etwas Leistung absorbiert. Ich habe sie sofort abgeschnitten.
Mit dem 2 x 110 Watt Pioneer Receiver gehen diese Boxen schon erstaunlich laut. Dann mit höherer Lautstärke klingen sie ganz vernünftig. Aber : Je leiser Sie die Lautstärke einstellen, desto größer ist die Enttäuschung. Es klingt nur noch dünn und überspitzt und der Bass geht "verloren".
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Und das ist völlig konträr zu den JBL L80, die je nebendran stehen. Die klingen leise und laut ganz erstaunlich gut.
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Da es vermutlich keine Ersatz-Chassis mehr gibt, und einfach nur gleich große Chassis die Abstimmung der Frequenzweiche unterlaufen würden, probieren wir keinen Maximal-Lautstärke- Test.
Bei aller Kritik, die damals sicherlich ungerecht - weil von den Wettbewerbern "angeregt", erzwungen oder gar gekauft - war, dürfen wir Preis und Leistung einfach nicht außer Acht lassen. Für den publizierten Peis mussten sich damals viele Wettbewerber ziemlich warm anziehen.
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