High-Fidelity - nicht nur Technik (2)
Was heißt „naturgetreu"?
Ist die High-Fidelity ein einmal feststehender Qualitätsstandard? Eine wenig mediengerechte Vorstellung. Heinz Nisius diskutiert in diesem Beitrag die veränderlichen historischen wie subjektiven Gegebenheiten, von denen die qualitative Beurteilung von Musikübertragung abhängt.
Nach allgemeiner Auffassung unterscheidet sich die High Fidelity von anderen Formen auditiver Massenmedien unter anderem durch die hohe technische bzw. akustische Qualität des vermittelten Schallereignisses. Tatsächlich ist der Anspruch hoher Klangqualität so alt wie das Medium selbst; letztlich hat er sogar zu seinem Namen geführt.
Doch was bedeutet „hohe Klangqualität"?
Die Deutungen dieser Formel reichen von der „naturgetreuen Wiedergabe" über das „Konzerterlebnis im Wohnzimmer" bis hin zur „tönenden Partitur". Man spricht von realistischer Wiedergabe, von einem glaubwürdigen oder nachvollziehbaren Höreindruck, der weitestgehend mit der Hörerfahrung übereinstimmen soll.
Selbst wenn solche Umschreibungen die „hohe Klangqualität" als ein Kennzeichen der High Fidelity eindeutiger faßten, wäre damit nicht viel gewonnen; denn was man tatsächlich meint, kann sich im Lauf der Zeit und im Gefolge der technischen Entwicklung wandeln.
HiFi gestern und heute
Beispielsweise mag die Baßwiedergabe einer betagten Einspielung als recht dürftig und keineswegs dem derzeitigen Qualitätsanspruch des Mediums angemessen erscheinen. Andererseits erreichen heute mit modernsten Mitteln erstellte Aufnahmen nicht immer jene musikalische Anmutung, die manche ältere Aufnahme auszeichnet. Was unsere Väter in den dreißiger Jahren verzückte, ist für sie sicherlich High Fidelity gewesen - wenn sie es auch noch nicht so nannten. Und wahrscheinlich werden unsere Enkel über das lächeln, was wir heute mit High Fidelity im Sinne höchstmöglicher Klangqualität auszeichnen.
High Fidelity - eine historisch bedingte veränderliche Größe
Hohe technische bzw. akustische Qualität des vermittelten Schallereignisses als Kennzeichen der High Fidelity ist also keine feste Größe sondern, wenn man so will, eine historisch bedingte Veränderliche.
Und eine subjektive; denn sie hängt auch von dem persönlichen Verhältnis ab, das der einzelne zur Musik und zum Medium gewinnt. Was der eine als High Fidelity ansieht, muß sich nicht mit der Auffassung des anderen decken.
Die Profis haben andere Ansprüche
Viele Berufsmusiker sind erfahrungsgemäß in ihren Ansprüchen an die Klangqualität des Mediums genügsamer als manch einer, der nicht musiziert oder gar Musik nur aus der Konserve kennt. Eine klanglich allenfalls mittelmäßige Aufnahme, wiedergegeben über eine Anlage bescheidener Qualität, vermag den ernsthaften und erfahrenen Musikfreund unter Umständen mehr zu bereichern als den HiFi-Fan eine Spitzenaufnahme über eine Spitzenanlage, sofern er kein gewachsenes Verhältnis zur Musik hat.
Unter den HiFi-Phantasten findet man so gut wie keine Berufsmusiker oder Musikkritiker, auch nicht solche, die sich den teuren Spaß leisten könnten. Und so mancher Aufnahmeleiter gibt sich mit seinen Produktionen zufrieden, obwohl er Musik aus der lebendigen Begegnung kennt. Schließlich zeigt die Erfahrung, daß viele HiFi-Freunde im Lauf der Zeit ihren Qualitätsanspruch um so höher schrauben, je länger sie mit ihrer Anlage leben und je ernster sie das Medium bzw. die Musik zu nehmen lernen.
Klangnorm oder Normklang
Es erscheint einleuchtend, die Klangqualität der High Fidelity mittels technischer Daten zu beschreiben.
Aber auch das bringt nicht viel mehr Klarheit. Dafür gibt es wichtige Gründe, von denen hier nur einige angesprochen zu werden brauchen.
Technische Daten können kaum hinreichend gültige Aussagen über die tatsächlichen klanglichen Eigenschaften so wichtiger Geräte machen, wie sie Lautsprecher und Kopfhörer oder Tonabnehmer darstellen. Immerhin kennen wir Lautsprecherboxen, die in einigen Punkten nicht einmal die HiFi-Norm DIN 45.500 erfüllen, trotzdem aber überzeugender klingen als manches "normgerechte" Modell.
- Anmerkung : Zum Beispiel die Goodmans Magnum K aus 1972, die Opernstimmen gewaltiger und beeindruckender wiedergab als mache 10 mal so teure Box.
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Auch Normen werden immer wieder angepaßt - zwangsläufig
Auch technische Normen sind keine festen Größen, sondern werden, wenn auch zögernd, dem jeweiligen Stand von wissenschaftlicher Erkenntnis, Meßtechnik und Technologie angepaßt. Ein Gerät, das heute noch der Norm entspricht, kann aus der morgen gültigen Norm herausfallen.
HiFi-Anlagen der Spitzenklasse haben heute nachweislich ein höheres technisches und klangliches Niveau als viele in der Studiotechnik übliche Geräte. Dennoch wird, daran besteht kein Zweifel, mit diesen Studiogeräten High Fidelity produziert.
Die Kette der High Fidelity beginnt - das sei einmal unterstellt - bei den Mikrofonen und endet beim Lautsprecher oder Kopfhörer. Auf diesem langen Weg können sich vielfältige Übertragungsfehler einschleichen. Auch hier stellt sich die Frage, wo die Grenze zwischen High Fidelity und nicht mehr High Fidelity liege.
Wo hört High Fidelity auf bzw. wo fangt sie an ?
Haben wir es nicht mehr mit High Fidelity zu tun, wenn wir eine hervorragende HiFi-Aufnahme über eine klanglich minderwertige Anlage abspielen? Wird eine mittelmäßige Aufnahme zur High Fidelity, wenn sie über eine HiFi-Spitzenanlage abgehört wird? Welche Aufnahme ist mittelmäßig, welche besitzt Spitzenqualität?
Ob ein auditives Medium den klanglichen Qualitätsforderungen der High Fidelity gerecht wird, das hängt also offenbar auch von den jeweiligen technischen Bedingungen seiner Vermittlung ab. Dieser Umstand ist sicherlich alles andere als eine verläßliche und gültige Richtschnur für die Entscheidung, ob man es nun mit High Fidelity zu tun hat oder nicht.
Objektive und zuverlässige Aussagen sind technische Daten
Trotz all dieser Einschränkungen erscheint es zumindest zweckmäßig, technische Daten als Entscheidungsmerkmale für die klanglichen Eigenschaften von HiFi-Geräten und -Aufnahmen zu setzen, weil letztlich nur technische Daten zu hinreichend objektiven und zuverlässigen Aussagen führen.
Dabei bleibt jedoch zu berücksichtigen, daß sich auf diese Weise nur die technische Seite, kaum aber die bedeutsamere ästhetische Seite des Mediums gültig beurteilen läßt. Immerhin können auch mit hochwertiger Technik klanglich und musikalisch - das ist zweierlei - unzulängliche Aufnahmen gemacht werden. Beispiele dafür sind an der Tagesordnung. Ob die Studiotechnik vielleicht noch nicht ganz HiFi-tüchtig ist?
Ist höchstmögliche Klangqualität ein eindeutiges Wesensmerkmal ?
Da die Klangqualität einer Musikproduktion von vielen technischen, persönlichen und historischen Gegebenheiten bzw. Einschätzungen abhängt, und weil die Übergänge zwischen High Fidelity und nicht High Fidelity fließend sind, läßt sich keine allgemeinverbindliche Trennungslinie auf der Grundlage der sogenannten Klangqualität ziehen. Auch im Einzelfall kann die Entscheidung schwerfallen oder umstritten bleiben. Deshalb stellt sich die Frage, ob höchstmögliche Klangqualität allein ein hinreichend genaues Kennzeichen des Medium sein kann und ob es nicht noch andere, eindeutigere Wesensmerkmale für das neue und eigenständige Medium High Fidelity gibt.
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von Heinz Josef Nisius im März 1982
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