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Musik für Dich, ein Büchlein von Dr. Fritz Bose

1934 war die Machtergreifung der Nationalsozialisten gerade mal 1 Jahr her und die deutsche Kultur wurde "neu ausgerichtet". Volk, Vaterland und die (etwas verfälschte) deutsche Geschichte wurde nun heroisiert und propagandistisch herausgehoben.

Dennoch stehen in diesem Büchlein eine Menge verständlicher neutraler Informationen über die Musik, die Arten und die Instrumente - und so schön aufgelistet, daß ich sie Ihnen ans Herz legen möchte. Schnuppern sie mal und wenn es ab und zu politisch komisch angehaucht scheint, lächeln Sie und überlesen Sie die "Zeitgeist Sprüche" - es ist hier noch 1934 und wir wissen es doch inzwischen besser. Überarbeitet im Januar 2015.

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Epochen der Musikgeschichte - Musik des Altertums

Im Dunkel der frühesten Menschheitsgeschichte liegen die Anfänge der Musik. Aber schon aus dem fernsten Altertum haben wir Kunde über Musikinstrumente und Musikgebrauch. Am Anfang war alle Musik religiös. Gesang ist Erhebung der Sprache über den Alltag, eng noch verbunden mit Wort und Bewegung; Mimik und Tanz als kultische Handlung - ältestes Zaubermittel der Menschheit.

Aus dem China des dritten vorchristlichen Jahrtausends haben wir Berichte über die überragende Rolle, die die Musik im Leben des Volkes spielte. Die Musik regierte den Weltlauf, beeinflußte alle Lebewesen. Man ordnete die fünf Töne der Leiter den fünf Weltgegenden zu: Norden, Süden, Osten, Westen und Mitte. Und die Töne hatten die Eigenschaften dieser Weltgegenden und der Sternbilder, die dort herrschten.

Diese Beziehungen zwischen Musik, Tonleiter und Kosmos beherrschten die ganze antike Musik. Die Posaunenchöre der alten Babylonier, die feinen Instrumente der Hettiter und Thaldäer, der große Aufwand an Musik und Tanz im altisraelitischen Religionsleben, die hochentwickelte musikalische Kultur Ägyptens, alles ist von kosmischen und magischen Gesichtspunkten geleitet.

Noch heute gibt es im Orient, im indischen und im persisch-arabischen Kulturkreise, eine enge Beziehung zwischen den Tonarten bzw. Melodietypen und bestimmten Tageszeiten und Seelenzuständen.

Die Tonartenlehre der Griechen

Das finden wir auch in der Tonartenlehre der Griechen, die bis ins hohe Mittelalter hinein auch das Abendland noch beherrschte. Dabei war schon den griechischen Theoretikern der Zusammenhang des musikalischen Ethos mit den kosmologischen Vorstellungen nicht mehr bewußt. Dennoch glaubte Platon, daß die Musik die Grundlage des Staates sei. Deshalb nahm die Musik einen so breiten Raum im Leben des einzelnen und des Staates ein.

Und weil sich die Griechen soviel mit der Musik beschäftigten, ist so vieles an Schriften über ihre Theorie und Praxis auf uns gekommen. Und sogar einige Melodieaufzeichnungen - denn die Griechen besaßen eine Notenschrift -, teils auf Papyrusblättern, teils in Stein gemeißelt. Aber erst im Jahre 1847 fanden zwei deutsche Forscher den Schlüssel zur Entzifferung dieser Notenschrift. Wir sind also heute in der Lage, altgriechische Musik wiedererklingen zu lassen. (Schallplatte 1337022, "Zweitausend Jahre Musik", Lindström.)

Unsere Kenntnisse von der Musik unserer germanischen Vorfahren sind wesentlich geringer. Direkte Aufzeichnungen, wie von den Griechen, haben wir nicht. Wir besitzen nur Nachrichten aus den Federn der römischen Berichterstatter, die aber bekanntlich nur mangelhafte Geschichtsquellen darstellen. Dafür besitzen wir aus frühgeschichtlicher Zeit herrliche große Bronzehörner, Zeugen einer hochentwickelten Bronzegußtechnik. Diese "Luren« wurden paarweise geblasen, vermutlich zu kultischen Festen.

Die im Museum zu Kopenhagen aufbewahrten Exemplare sind noch heute anblasbar. Ihre Entstehungszeit wird zwischen 1400 und 800 v. Chr. vermutet. Wir wissen freilich nicht, was man auf diesen schönen Instrumenten geblasen hat.

Musik bei den Germanen

Als die Germanen durch die Berührung mit den Römern in die Geschichte eintraten, sind die Hörner nicht mehr im Gebrauch. Durch einen Wechsel der religiösen Anschauungen, durch die Wirren der Völkerwanderungen mögen Herstellung und Gebrauch der Instrumente in Vergessenheit geraten sein. Aus den römischen Berichten, den Funden und Überlieferungen aus späterer Zeit läßt sich ein ungefähres Bild von der reichen musikalischen Kultur der nordischen Völker geben.

Die Musik spielte eine bedeutende Rolle im kultischen Leben. Alle Kulthandlungen vollziehen sich unter Gesang des Priesters und der Gläubigen. Das Volk singt bei den Flursegen und Umgängen, der Priester beim Umschreiten des Altars.

Einzelgesang waren auch die großen Helden- und Götterepen, die der priesterliche Heldensänger, der Scof, in keltischen Ländern Barde genannt, vortrug. Sie hatten sehr viele Strophen, die nach derselben Melodie abgesungen wurden, wie es noch heute die Runengesänge Finnlands zeigen und wie auch die Gesänge Homers vorgetragen wurden.

Chorgesang waren die Lieder zu den Jahreszeitenfesten und zu den Lebensfesten. Auch Tanzgesänge wird es gegeben haben. Diese Tänze dürften Schreittänze gewesen sein, langsame, feierliche Ummärsche mit getragenen Melodien. Denn diese Tanzart bleibt die erste und wichtigste durch das ganze Mittelalter hindurch und in vielfachen Gestaltwandlungen bis in die Neuzeit hinein; unsere Polonäse mag als der letzte Ausläufer dieses Tanztypus gelten.

Musik des Mittelalters

Das frühe Mittelalter steht unter dem Zeichen des Kampfes der Kirche gegen das heidnische Volkstum. Was wir über die germanische Volksmusik aus jener Zeit wissen, kennen wir fast nur aus den Verboten der Kirche. Man kann sich den Gegensatz zwischen dem lebendigen Musikleben der abendländischen Völker und der kirchlichen Musik in den ersten Jahrhunderten gar nicht kraß genug vorstellen. Die erste christliche Musik entstammt einem anderen Lebenskreis als die germanisch-keltische Volksmusik. Ihr theoretisches Fundament ist das des Hellenismus, eines orientalisierten Griechentums.

Die ersten Melodien der christlichen Kirche waren dem jüdischen Tempelritus entnommene Psalmen und Bibelgesänge. Die ersten selbständigen christlichen Gesänge, die Hymnen, sind in Syrien in enger Anlehnung an die Musikübungen des Morgenlandes entstanden. Diese orientalischen Melodien der ersten christlichen Kirche haben sich zum Teil bis in die Gegenwart unverändert in der katholischen Kircher erhalten.

Um 600 nach Christus

Um 600 sammelt Papst Gregor der Große erstmalig alle Gesänge der römischen Kirche. (Nach ihm nennt man die alten einstimmigen Melodien der katholischen Kirche, die in bestimmten Tonwendungen auf wenigen Tönen mehr rezitiert als gesungen werden, "gregorianischen Choralgesang".) Die ersten Aufzeichnungen liturgischer Melodien sind uns aus der Mitte des 9. Jahrhunderts erhalten.

Um diese Zeit hat sich die Kirche in den germanischen Ländern schon überall durchgesetzt. Sie beginnt bereits germanische Elemente in sich aufzunehmen. Die ersten christlichen Dichtungen in deutscher Sprache entstehen.

Auch der Melodienschatz der Kirche erfährt nun von Jahrhundert zu Jahrhundert immer stärkere Umgestaltungen. Die Kirche bestimmt alle Lebensformen des Abendlandes. Sie bestimmt auch die Musik. Aber es dringen umgekehrt auch Elemente der alten heidnischen Volksmusik in die Kirche ein, und das um so mehr, je mehr die Erinnerung an die alten heidnischen Vorstellungen schwindet.

So entwickelt sich die Musik des Mittelalters aus der Durchdringung der nordischen mit der römisch-orientalischen Musikkultur.

Um 1000 nach Christus

Eins dieser nordischen Elemente ist die Mehrstimmigkeit, die, zunächst von der Kirche heftig bekämpft, um das Jahr 1000 in die Kirche einzudringen beginnt. Im Volksgesang war es sicher schon lange üblich, zu der Hauptstimme eine zweite in parallelen Quinten oder Quarten höher oder tiefer zu singen. Schon um 860 berichtet ein schottischer Mönch aus England, daß dort selbst die Kinder alles in dieser Manier sängen, und um 900 bemüht sich der flandrische Mönch Hucbald, diese in der ganzen orientalischen Musikwelt unbekannte und deshalb in der Theorie nicht vorgesehene Erscheinung mit der herrschenden musiktheoretischen Anschauung in Ubereinstimmung zu bringen. Diese, von ihm "organum" genannte Art des Zweistimmigsingens - Parallelbewegung, vorwiegend in Quinten, mit Stimmkreuzung - findet sich noch heute in Island, dem ältesten Rückzuggebiet nordischer Kultur.

Im 12. Jahrhundert

Im 12. Jahrhundert entstehen auf französischem Boden neue Formen der Mehrstimmigkeit. Im "Dsicantus" bewegt sich eine Oberstimme in freier Führung über der Hauptmelodie. In derselben Art sind auch die ersten zweistimmigen Orgelstücke gehalten: Melodie in der linken Hand, die rechte zieht darüber eine verschnörkelte Gegenmelodie. Aber noch immer ist uns wenig von der Musik erhalten. Die Notenaufzeichnung geschieht mit "Neumen", Häkchen und Strichen, die den ungefähren Melodieverlauf wiedergeben, doch weder Höhe noch Dauer des Tons erkennenlassen. Es sind Erinnerungszeichen für den Sänger, der die Melodie schon kennt, hervorgegangen aus dem Handzeichen des Chorführers.

Seit dem 11. Jahrhundert wird die Tonhöhe dadurch festgelegt, daß man die Neumen nun auf und zwischen Linien notiert. Die Zeitdauer freilich bleibt unberücksichtigt. Man
muß sie heute aus dem Rhythmus und der Silbenlänge der Worte erraten. Alle einstimmige Musik bis 1400 wurde so notiert, also auch alle Troubadour- und Minnelieder.

Bei der mehrstimmigen Musik ergab sich die Notwendigkeit. die Dauer der Noten anzugeben, sobald die Stimmen nicht mehr genau parallel gingen. Die jetzt aufkommende Polyphonie, in der alle Stimmen sich frei als selbständige Melodien bewegen, verursachte die Erfindung von Noten mit Zeitwert, die man zur Angabe der Tonhöhe ebenfalls auf Linien setzte. Diese "Mensuralnoten" sind die direkten Vorläufer unserer heutigen Notierungsweise.

Die weltliche neben der kirchlichen Kultur

In dieser Zeit beginnt auch erstmalig eine weltliche Kultur sich neben die kirchliche zu stellen. In Frankreich und Deutschland hat sich eine höfisch ritterliche Kultur ausgebildet, in der die Musik eine bedeutende Rolle spielt.

Der vollendete Ritter muß ein ebenso guter Sänger und Dichter wie Krieger und Turnierkämpfer sein. Angeregt durch die in Spanien residierenden Araber entwickelt sich der Minnedienst, die ritterliche Verehrung der Herrin. Zum Lob der Fürstin treten die Vasallen zu Turnieren und Sängerkriegen an.

Diese Troubadourdichtung dringt aus Spanien zuerst nach Südfrankreich, dann nach Nordfrankreich und England, und dann, als Minnesang, nach Deutschland, wo sie von 1200 bis 1400 blüht. Der französische Troubadour ist zuerst ein fahrender Ritter, der, von einem Spielmann (Jongleur) begleitet, von Burg zu Burg zieht und seine Lieder singt. Der
Spielmann liefert die Weisen zu den Dichtungen seines Herrn und begleitet seinen Gesang auf der Harfe oder Viola ("Fiedel").

Der deutsche Minnesang ist in vieler Hinsicht anders geartet als der Troubadourgesang. Er ist vor allem volkstümlicher, weniger exklusiv höfisch. Der Minnesänger begleitet sich selbst, er ist auch der Erfinder der Weise. Obwohl die Melodien die Schulung in der kirchenmusikalischen Theorie und Praxis zeigen, mag doch viel an Volksliedelementen darin Niederschlag gefunden haben.

Als im 14. Jahrhundert neben dem Ritterstand auch das Bürgertum hervortrat und das städtische Leben neben dem höfischen aufblühte, übernahm das Bürgertum auch die Pflege des Minnesangs, des kunstvollen einstimmigen Liedes. Die Amateurdichter und -komponisten schlossen sich zu Zünften zusammen, in denen nach strengen Regeln und Gesetzen die freie ritterliche Kunst gehandhabt und weiter gepflegt wurde. Den Meistersang mit seinen Licht- und Schattenseiten hat Wagner in seinen "Meistersingern" trefflich geschildert.

Das 14. Jahrhundert

Das 14. Jahrhundert ist eine Zeit der größten Umwälzung. Das Bürgertum blüht auf, die Städte gewinnen Unabhängigkeit von Klöstern und Burgen. Der Kaufmann tritt neben den Ritter, die Hanse wird mächtiger als Fürsten und Könige. In den Städten entstehen herrliche Dome und Rathäuser. Das Bürgertum übernimmt die Pflege der Wissenschaften und der Kunst, die bisher vom Adel ausgeübt wurden. Die ersten Universitäten werden gegründet. Die Kenntnis der antiken Welt beginnt sich zu verbreiten. Dadurch entsteht ein freieres, von der Kirche gelöstes Geistesleben. Vor allem in Italien blüht eine weltliche Kunst heran: die Florentiner Dichter Dante, Petrarca, Boccaccio, der große Florentiner Maler Giotto. An dieser Blüte ist auch die Musik beteiligt. Die weltliche Musik herrscht in diesem Jahrhundert sogar vor.

Der neue, weltliche Musikstil, die "ars nova" (neue Kunst) bringt die erste rein weltliche Instrumentalmusik. Orgel und Laute, Viola und Harfe sind die bevorzugten Instrumente der weltlichen, Posaunen, Trompeten, Schalmeien die der kirchlichen Musik. Man komponiert sehr, lebhaft bewegte und verzierte Melodien, zwei, auch drei Stimmen in freier Polyphonie, meist für eine Solostimme und ein oder mehrere Instrumente.

Die Texte sind Dichtungen in der Landessprache. Sie behandeln die Liebe und die Natur. Die Musik schildert, oft in bewußter Lautmalerei, Natur-Vorgänge, Schlachtgetümmel, Marktschreie.

Das 15. Jahrhundert

Im 15. Jahrhundert findet diese Neuerung der weltlichen Musik, die Freiheit der Stimmen, die Lockerung der traditionellen Formen, auch auf die kirchliche Musik Anwendung. In England nimmt die neue mehrstimmige Kirchenmusik ihren Ausgang (Dunstable), geht dann aber auf die Niederländer über. Die aus der Verbannung von Avignon nach Rom zurückkehrenden Päpste bringen niederländische Musiker mit, die nun für zwei Jahrhunderte in Italien und in ganz Europa tonangebend in der Musik werden. Das Gemeinsame im Stil der vier aufeinanderfolgenden niederländischen Schulen ist, daß die kirchliche Musik wieder überwiegt (Messen und Motetten, daneben weltliche Chansons).

Der kirchliche Text wird vom Tenor (d. h. "Haltenden") in langen Noten gesungen. Darüber bewegen sich zwei, im 16. Jahrhundert drei weitere Stimmen im freien Kontrapunkt (Gegenbewegung). Diese Nebenstimmen waren im 15. Jahrhundert instrumental ausgeführt, sie sind sehr verschnörkelt und gar nicht singbar. Im 16. Jahrhundert werden sie gesungen, zunächst noch unter Mitwirkung von Instrumenten. Die Hauptstimme, "cantus firmus"(feste Stimme), die den Messetext oder Motettentext trug, war entweder frei erfunden, meist aber einer bekannten weltlichen Komposition, einem Volkslied oder Chanson, entnommen.

Über den damaligen Klang und die Harmonie

Wir dürfen uns den Klang dieser frühen mehrstimmigen Werke nicht als harmonisch in unserem Sinne vorstellen. Ein Harmoniegefühl entwickelte sich erst allmählich durch die Gewöhnung an mehrstimmige Musik. Man hörte die mehrstimmigen Kompositionen zunächst nicht als Folge, von Akkorden (wie wir sie hören würden), sondern als Verknüpfung zweier oder dreier Melodien. Man genoß die Gleichzeitigkeit der verschiedenen gesungenen und gespielten Melodien. Auf die Zusammenklänge kam es weniger an. Auch auf die Folge der Akkorde wird noch nicht Bedacht genommen, eine Verknüpfung der Akkorde nach harmonischen Gesichtspunkten beginnt erst im 16. Jahrhundert.

Die bedeutendsten Meister der niederländischen Schule, deren Messen heute zum Teil auch wieder im katholischen Gottesdienst Verwendung finden, sind Dufay, im Anfang des 15. Jahrhunderts in Italien, später in Frankreich; Konrad Paumann, der blinde Orgelmeister in Nürnberg, die erste große deutsche Musikerpersönlichkeit; Jean Okeghem, der Pariser Kanonkünstler; Jakob Obrecht, Ende des Jahrhunderts in Flandern; Josquin de Pres, der größte der niederländischen Meister, Schüler Okeghems, dessen Werke, alle vorherigen und zeitgenössischen aus den Kirchenkapellen verdrängten.

In der päpstlichen Kapelle wurde eine vielgesungene Motette aus dem Repertoire gestrichen, als sich herausstellte, daß sie nicht von Josquin, sondern von Willaert, dem zweitgrößten und letzten Meister der niederländischen Schule in Italien, war. Ein Zeitgenosse Josquins ist Heinrich Isaak, der deutsche Großmeister der Messen- und Motettenkomposition und des deutschen Liedes, dessen Leben zwischen dem kaiserlichen Hof in Wien und Innsbruck ("Innsbruck, ich muß dich lassen") und dem Hof der Medici in Florenz hin und her pendelte.

Die Musik im Zeitalter der Reformation

Die Reformation selbst bedeutet für die Musik keine so einschneidende Umwälzung - die Protestanten behielten zunächst die katholische Gottesdienstordnung und damit die katholische Kirchenmusik bei. Aber die Reformation ist nur eine der vielen Umwälzungen, die sich im 16. Jahrhundert vollzogen. Die geistige Strömung der "Renaissance", der Wiedererweckung des klassischen Altertums, bringt eine Weitung des Horizonts, eine Befreiung der Seele aus den Fesseln einer engen, von der Kirche bestimmten Welt- und
Lebensanschauung, eine Loslösung des einzelnen aus dem starren Gefüge der Kasten und Zünfte. Das bedeutet natürlich den Zerfall der festgefügten, geschlossenen Kultur des Mittelalters, den Beginn der Zivilisation.

Es beginnt eine von der Kirche unabhängige Wissenschaft: Kopernikus stellt das Weltbild richtig, Leonardo da Vinci und andere sezieren gegen das Verbot der Kirche Leichen, um Anatomie zu studieren, Amerika wird entdeckt, die Welt umsegelt, der Buchdruck wird erfunden und auch der Notendruck.

Auf dem Gebiet der Musik bahnt sich eine Scheidung in Vokal- und Instrumentalmusik an. Bisher war die Besetzung beliebig, man führte die Musik so auf, wie man Mittel hatte, jede Stimme konnte gesungen oder auf einem beliebigen Instrument gespielt werden.

Komponiert wurde nur nach Gelegenheit, jeder Organist und Kapellmeister schrieb sich sein Repertoire selbst und so, wie es von seinen Leuten aufgeführt werden konnte. Wurde das Stück auch von einer anderen Kapelle übernommen, so richtete man es nach den dort vorhandenen Instrumenten und Sängern ein. Jetzt aber beginnt man, da die gedruckten Noten nun eine weite Verbreitung finden, die Instrumente und Singstimmen vorzuschreiben.

Die Gegenreformation in Italien

Die Reformation wirkt als "Gegenreformation" auch in Italien. Man bemüht sich, die Fehler zu beseitigen, die zur Reformation in Deutschland geführt hatten. Eine dieser Forderungen war die Verständlichkeit der Musik in der Kirche. Unter dem Gewirr der gegeneinander und durcheinander laufenden Stimmen ging der Text verloren. Man erstrebte deshalb nun einen einfachen, erhabenen Stil der Meßkomposition unter Fortlassung der Instrumente aus der Kirche. Allmählich verschwindet auch der cantus firmus, alle Stimmen werden frei erfunden.

Der neue Vokalstil wird in Italien, in Rom und in Venedig gepflegt. Die römische Schule führt Palestrina, der größte katholische Kirchenkomponist aller Zeiten. Der Stil seiner Messen und Motetten ist zwar schon bei Josquin de Pres und Orlando di Lasso vorgebildet, aber erst bei ihm wird er zum ausschließlichen Prinzip. Seine Kompositionen sind meist fünfstimmige Vokalwerke in einem schlichten Stil, ohne kontrapunktische Künstelei, zwar jede Stimme für sich eine schöne Melodie, aber ständig auf den Gesamtklang bedacht. Die Stimmen werden gesungen, Instrumente treten meist nicht mehr auf. Es entstehen so Werke mit bewußter Harmonieführung. Seine edle, vom Standpunkt unserer funktionalen Dur-Moll-Harmonik, manchmal recht kühne Harmonik beruht auf Folgen von Dreiklängen. Die Dissonanz als Spannungsträger ist jener Musik noch unbekannt. Sie hat dadurch etwas Überirdisches, Schwebendes, Schwereloses. Sie gehört noch heute zu den schönsten Werken der katholischen Kirchenmusik.

Die venezianische Schule

Die venezianische Schule, vertreten durch den letzten Niederländer Willaert, durch Andrea und Giovanni Gabrieli u. a., pflegt einen anderen Stil der Kirchenmusik. Man stellt Sing- und Instrumentalchöre gegenüber, teilt die großen Kapellen in verschiedene kleinere, die zum Teil auch an gegenüberliegenden Plätzen in der Kirche aufgestellt werden und sich in der Fortspinnung der Melodien ablösen, bald sich zu strahlendem Zusammenklang vereinigend, bald echoartig einander wiederholend, bald einer dem anderen kanonartig nacheilend (Mehrchörigkeit im "konzertierenden" oder "imitierenden" Stil). In diesen prächtigen, mit großem Aufwand an Sängern und Instrumenten ausgestatteten Werken zeigt sich schon der Beginn des Barock.

Noch ein anderes Element zeichnet die venezianische Schule aus: die Chromatik. Man sprengt den Rahmen der Kirchentonarten und verwendet alle Zwischenstufen der Tonleiter, führt die Stimmen in Halbtongängen, stellt leiterfremde Akkorde unvermittelt nebeneinander. Besonders auf dem Gebiet der Motette und des neuen weltlichen Kunstliedes, des Madrigals, das für das ganze Jahrhundert die bedeutendste Form der weltlichen Musik ist, finden wir eine so kühne Harmonik, wie sie uns erst wieder im Beginn des 20. Jahrhunderts, in der nachwagnerschen Musik, begegnet.

In Deutschland liegt das Schwergewicht der musikalischen Neuerungen gleichfalls im weltlichen Kunstlied. Zum ersten Male treffen wir hier ein mehrstimmiges deutsches Lied, das wohl eng an das zeitgenössische Volkslied anschließt. Die zahllosen gedruckten Liederbücher aus dieser Frühzeit des Notendrucks zeigen die überragende Rolle, die das deutsche Lied damals in der Musikpflege des Bürgertums gespielt hat. Diese kunstvollen Volksliedbearbeitungen im Stil der Motette und des Madrigals wurden mehrstimmig gesungen, auch wohl mit Instrumenten begleitet oder nur auf Instrumenten aufgeführt.

Es ist eine Blütezeit der Hausmusik, des Viola- und Lautenspiels. Die großen deutschen Liedmeister jener Zeit sind Ludwig Senfl, Heinrich Isaak, Heinrich Finck und Johannes Walter, der musikalische Mitarbeiter Luthers und Schöpfer der ersten protestantischen Choräle.

Die Musik im Jahrhundert des Barock

Die entscheidende Neuerung des 17. Jahrhunderts ist die "Monodie", der 1. einstimmige begleitete Sologesang. Man hatte schon vorher die vielstimmigen Madrigale und deutschen Lieder oft so ausgeführt, daß man die Hauptstimme, den Tenor, sang und die anderen durch Violen oder Flöten spielen ließ oder auf der Laute oder Orgel hinzufügte. Ging bisher das Streben auf Schönheit des Satzes und Künstlichkeit des Stimmgewebes, so geht es jetzt auf Ausdruckskraft der Melodie und Schönheit des Vortrags. Man entdeckt die Melodie und zugleich den Sänger. Es entsteht das Ideal des bel canto, des schönen, ausdrucksvollen Gesanges. (Wir dürfen uns den Chorgesang der früheren Jahrhunderte ziemlich rauh klingend vorstellen. Gut singen hieß richtig singen.)

Man begann die Melodie zu pflegen, sie den Worten des Textes anzupassen, im Tonfall wie in der Stimmung. Diese Entwicklung, die bei den Madrigalen des ausgehenden 16. Jahrhunderts beginnt - auch die Chromatik liegt in der Richtung dieser Entwicklung -, führt zur Schaffung von Sologesängen mit Streichquartettbegleitung, zur Komposition von Monologen, zum Rezitatio, schließlich zur Oper.

Die Monodie

Die Monodie im Sologesang und in der Oper wird begleitet durch einfache Akkorde, die die Melodie stützen, aber selbst nicht melodisch hervortreten. Die Begleitung geschah durch das Cembalo, die Orgel, die Laute oder Theorbe. Sie wurde nicht ausgeschrieben. Man schrieb den tiefsten Ton des Akkordes hin und gab durch Ziffern darüber an, welcher Dreiklang sich über diesem Akkord aufbauen sollte. Wie er gespielt wurde, überließ man dem Spieler und den Gegebenheiten des Instruments. Man nennt diesen bezifferten Baß "Generalbaß" oder "basso continuo" (durchlaufender Baß). Er begleitet alle Musik, Solo-, Chor- und Orchesterwerke, bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.

Das monodische Prinzip wurde auch auf die Instrumentalmusik übertragen. Man schuf Stücke für ein Soloinstrument mit Begleitung durch den Generalbaß oder durch ein Streichquartett. Hieraus entwickelt sich die Sonate. Da man in der Orchestermusik der Zeit auch die Mehrchörigkeit und den konzertierenden Stil der venezianischen Schule übernommen hatte, entstand durch Gegenüberstellung von zwei Instrumentalkörpern innerhalb des Orchesters das Concerto grosso.

Das "Concerto grosso"

Hier tritt ein "Concertine" aus drei Soloinstrumenten mit Generalbaß dem übrigen Orchester, oder "Concerto grosso", gegenüber. Durch Gegenüberstellung eines einzelnen Soloinstruments gegen das Gesamtorchester entsteht das Instrumentalkonzert, die Sonate mit Orchesterbegleitung. Von jeher bestand die weltliche Instrumentalmusik aus Tänzen und Liedbearbeitungen. Meist faßte man mehrere zu einer Folge (Suite) zusammen. Solche Folgen von tanz- oder liedartigen Sätzen bilden auch jetzt das Material der Orchestermusik, die ja in erster Linie zur Unterhaltung, wenn nicht direkt zum Tanz, bestimmt war.
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Der Dreißigjährige Krieg

Bei Beginn des Dreißigjährigen Krieges kommt die Monodie auch nach Deutschland. Der Leipziger Thomaskantor Schein, der Dresdener Hofkapellmeister Schütz und der Wolfenbütteler Hofkapellmeister Praetorius sind die bedeutendsten deutschen Meister des Barocks und des konzertierenden Stils.

Durch Verbindung des monodischen Sologesangs mit Generalbaß und mit konzertierenden Chor- und Orchestersätzen entstehen neue Formen der Kirchenmusik: Kantate und Passion. Der unheilvolle Krieg, der Deutschland verwüstete, hat auch die deutsche Musik lahmgelegt. Die Chöre und Orchester sind der Not zum Opfer gefallen.

Als wieder Friede im Lande ist und allmählich sich die Säckel der fürstlichen und städtischen Kassen wieder füllen, beruft man aus Italien Musiker, die Musikpflege wieder zu erneuern. Dort war der neue Stil inzwischen zu höchster Entfaltung gelangt, besonders auf dem Gebiet der Oper. Und nun überschwemmen italienische Musiker und italienische Werke nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa für mehr als ein Jahrhundert.

Alles, was wir an Musik aus jener Zeit haben, ist höfische Kunst. Das Volk hat im großen, schrecklichsten aller Kriege das Singen verlernt. Es ist mehr als zuvor geknechtet, ausgesogen, leibeigen. Das Bürgertum der Städte äfft höfische Sitte nach. Die Lieder der Zeit sind italienische Arien, die Texte mit griechischen Namen, lateinischen und französischen Brocken gewürzt.

Die Musik im Jahrhundert des Rokoko und der Aufklärung

Im 18. Jahrhundert wandelt sich das prachtliebende, großartige Barock in das zierliche, empfindsame Rokoko. Die Musik wird galant, geistreich, frivol, höfisch. Die Melodie ist alles. Die Sänger werden wichtiger als die Komponisten. Besonders in der Oper wirkt sich diese Vorherrschaft der Primadonnen und Kastraten sehr zum Schaden der Kunstgattung aus.

Die bedeutendsten Blüten bringt die Zeit auf dem Gebiet der Kirchenmusik hervor. Mit dem Reichtum an Mitteln, den die italienische Musik des Barock besaß, vermochten wenige Große erhabene Werke von gewaltigem Ausmaß an Form und Inhalt zu schaffen. So der große und tiefernste Borelli und die beiden großen deutschen Barockmeister Bach und Händel. Bachs Kantaten und Passionen und Händels Oratorien sind die letzten großen Werke des Barock, einer auf das Große, Edle, Erhabene, Wuchtige und Wahre, zugleich aber auch Zarte, Innige und Schöne gerichteten Kunst.

Als Bach stirbt (1750)

Als Bach stirbt (1750), beginnt der Umsturz sich vorzubereiten. Eine neue Epoche der Weltgeschichte bricht an, an deren Ausgang wir heute stehen: das bürgerliche Zeitalter. Mannigfach sind die musikalischen Neuerungen. Andere Instrumente treten auf und bedingen einen neuen Stil. Es bildet sich die Form der Sonate heraus. Es entsteht aus dem "Concerto grosso" die Orchesterbesetzung, die wir heute verwenden. Es entsteht die Sinfonie aus der französischen Ouvertüre in Anlehnung an die Sonatenform. (Mannheimer Orchester unter Stamitz seit 1745).

Es entstehen neue weltliche Lieder, Lieder im Volkston, bewußt einfach und ungekünstelt, damit jedermann sie singen könne, mit schlichten deutschen Texten (Berliner Liederschule). Schauspieler parodieren die seelenlose, schönklingende, arienreiche Rokoko-Oper; daraus entsteht eine neue Gattung, das volkstümliche Schauspiel mit volkstümlichen Liedeinlagen, das deutsche Singspiel. Eine ähnliche Entwicklung in Italien führt zur heiteren "0pera buffa". Die ernste große Oper wird reformiert durch Gluck, der dem Sängerunwesen einen schlichten erhabenen Gesangstil entgegensetzt.

Eine neue deutsche Musikschule in Wien

Eine neue deutsche Musikschule bildet sich in Wien. Haydn vollendet die Form der Sinfonie, des Streichquartetts, der Sonate. In seinen Oratorien gibt er dem "empfindsamen Geist" der Zeit beredten musikalischen Ausdruck. Mozart ist weicher, melodiöser, weltlicher. Mehr und mehr tritt das Bürgertum als Musikverbraucher hervor. Bisher ist die Musikübung in den Händen der Orchester, Chöre und Theater der Höfe und des Großadels
sowie der Kirchen. Jetzt beginnt ein bürgerliches Konzertleben. Es gibt die ersten öffentlichen Konzerte, es entsteht der Berufsstand der konzertgebenden Künstler.

Dazu gesellt sich eine starke Verbreitung der Musikübung im Bürgerhaus. Das Klavier wird das bevorzugte Instrument der Hausmusik. Die Verleger lassen "Hand- und Galanteriestücke", "Musikalisches Allerlei" und andere Sammlungen von Modemusik für den Gebrauch der musikliebenden Damen erscheinen und machen gute Geschäfte. Die gesamte Klaviermusik dieser Zeit ist zierlich, galant; es sind vorwiegend Tanzsätze (Rameau, Couperin, Wilhelm Friedemann Bach, Johann Christian Bach).

Von den Liebhabern ausgehend, wird auch das deutsche Lied erneuert. Das Lied der Zeit ist für den Gesang im Hause und in der Schule, im Kränzchen und im Salon bestimmt. Es sind zierliche, anspruchslose Melodien, die Hauptsache ist die Empfindung, der Gefühlsgehalt der Texte. Die Entstehung des Vereinswesens (Freimaurerei) hat einen bedeutenden Anteil
an der Entwicklung des Liedes, führt zur Entstehung des Chorliedes.

Die Musik im Jahrhundert der Romantik

Die Französische Revolution, die das achtzehnte Jahrhundert abschließt, bringt alle Kräfte des Umsturzes zur Entfaltung. Mit dem Bürgertum setzt sich eine neue Weltanschauung durch, eine liberalistisch-individualistische.

Der Mensch löst sich als Einzelwesen aus der Masse, er befreit sich aus der traditionellen Einordnung in Staat, Stand, Familie. Der Künstler hört auf, Handwerker zu sein. Haydn war noch fast Leibeigener seines Fürsten und zählte in dessen Hofstaat unter die Lakaien. Was er schuf, schrieb er im Auftrag seines Herrn für die Kapelle, die er leitete, zu dessen Unterhaltung. Sein Schüler Beethoven war schon ein frei schaffender Künstler. Ihm war Musik die Auseinandersetzung mit Gott und der Welt, nicht nur ein schönes, kunstreiches Handwerk. Er komponierte, weil er mußte. Dieser innere Zwang
des freien Individuums duldete keinen äußeren Zwang. So blieb er ohne Anstellung und lebte nur seinem Schaffen. Wohl arbeitete auch er noch nach Bestellung und nach der Gelegenheit - das tun schließlich alle Komponisten mehr oder weniger -, aber er schrieb auch viele Werke ohne Bestellung und ohne zu fragen, ob jemand sie aufführen würde.

Aus dieser neuen Einstellung zur Kunst ergibt sich auch eine neue Gestaltungsweise. Beethovens Musik ist in stärkerem Maße als vorher der Ausdruck seiner Persönlichkeit, Niederschlag seiner Erlebnisse, Tagebuch und Glaubensbekenntnis. Diese Rolle spielt die Kunst bei allen Romantikern. Der romantische Künstler hält seine Einfälle für Offenbarungen einer höheren Macht, die ihm als Auserwähltem, Begnadetem, zufließen. Der Künstler wird dadurch zu einem Ausnahmewesen, einem Übermenschen gestempelt.

Musikausübung wird zu einer Kulthandlung

Musikausübung wird zu einer Kulthandlung, der Künstler zum Vermittler göttlicher Offenbarung. Er rückt damit aus der Masse der Zeitgenossen heraus, nimmt eine Sonderstellung in der Gesellschaft ein, wird Halbgott und Paria zugleich. Der Künstler des neunzehnten Jahrhunderts ist ein Außenseiter der Gesellschaft, und er dokumentiert das auch nach außen durch seine Kleidung (Flatterschlips, Künstlermähne, Schlapphut) und sein Verhalten.

Diesem Gottesgnadentum des romantischen Künstlers verdanken wir die ungeheure Vielfalt der Formen und Stile des neunzehnten Jahrhunderts. Die Form ist nun nicht mehr als das Material, mit dem der Komponist seine Eingebungen gestaltet. Er formt es um nach den Erfordernissen seiner Eingebung. So bildet jeder Meister die überlieferten Formen nach
seinem Willen um und aus - man denke an die Entwicklung der Sinfonie bei Beethoven, Schubert, Liszt, Brahms, Bruckner, Strauß. Die Formen weiten sich, zerfallen. Jeder Komponist erhält schließlich seinen eigenen Stil.

Bei aller Abhängigkeit von Zeitströmungen und bei aller gegenseitigen Beeinflussung stehen doch am Ende des romantischen Zeitalters die Komponisten als Vertreter eigener, oft sehr widersprechender Stilgattungen nebeneinander. So wirken um 1875/80 neben Wagner, Brahms und Verdi Bruckner und der junge Richard Strauß, Bizet, Eösar Franck, Massenet, Mussorgsky, Tschaikowsky, Offenbach, Johann Strauß u. a.

Der schaffenden Musiker und jetzt der ausübende Musiker

Neben den schaffenden Musiker tritt der ausübende. Selten sind beide in einer Person vereinigt. Der Komponist ist sehr oft nichts als das, während er früher fast immer auch ein Amt hatte, als Kapellmeister, Chorführer, Kammermusikus, Organist. Früher schuf er für seine Kapelle, für seinen Chor oder für andere im Auftrage. Nun schreibt er seine Werke für die ganze Welt. Den Vertrieb übernimmt der Musikalienhandel; Notenverkauf und Aufführungstantiemen sind die Einnahmequellen des frei schaffenden Komponisten.

Seine Werke werden Gegenstand des Kunstgeschäfts, Handelsartikel. Vorbedingung dafür ist eine riesige Ausbreitung der Kunstausübung. Nicht nur die Berufsmusiker, weiteste Kreise des Publikums treten als Konsumenten auf. Jedes Bürgerhaus übt praktische Musik, spielt die Werke der zeitgenössischen Meister. Das Klavier wird zum Gebrauchsmöbel in jeder Wohnung.

Die Dilettantenmusikpflege ?

Aber diese Dilettantenmusikpflege ist keine neue Blüte der Hausmusik, sie ist ein Unsegen für die künstlerische Kultur. Denn auch die Musikpflege des Dilettanten wird von der romantischen Vorstellung vom Gottesgnadentum der Kunst beherrscht, und hier wirkt sie sich verheerend aus. Die Grenzen zwischen Dilettanten und Künstlern schwinden dahin, denn der göttliche Funke kann ja auf jeden fallen. Wenn Kunst nur Eingebung ist, kann sie jeder ausüben, dem die Gnade der Eingebung zuteil wird. Die Technik, das handwerkliche Können, erscheint von untergeordneter Bedeutung. Wer etwas Klavierspielen konnte, dünkte sich Priester der Kunst, wem gar eine Melodie einfiel, hielt sich für erleuchtet, und staunend lauschte die Familie, das Kränzchen, der Verein den Offenbarungen des Auch-Künstlers.

Der allgemeine Individualismus bedingte, daß sich auch die Dilettanten geistig selbständig machten. Sie pflegen ihren eigenen Stil und Geschmack, und es bildet sich eine eigene Dilettantenliteratur heraus. Für die klavierspielenden Töchter, für Zitherklubs und Mandolinenorchester, für Liedertafeln und Gesangvereine entstehen Berge von Kompositionen, von eifrigen Vielschreibern hingeworfen, ohne jeglichen künstlerischen Wert, klingendes leeres Geschwätz: die Schweizer Salonalben, die Charakterstücke und Idyllen.

Diese Machwerke geschickter Spekulanten tragen viel zu der Geschmacksverwirrung bei, die am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts im Publikum um sich gegriffen hat und von der selbst tüchtige Musiker nicht frei geblieben sind (Grieg, Sinding).

Die Musik im 20. Jahrhundert

Die allgemeine Auflösung aller überlieferten Formen, in die die Romantik ausläuft, setzt sich am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts fort, und die ersten Jahrzehnte stehen unter dem Eindruck des Chaos. Die Überbewertung des Klanges, die sich seit Wagner in der neuromantischen und impressionistischen Musik ausgebildet hat, ist noch ein Erbe der Romantik. Die Impressionisten zerbrechen die Form, lösen sie auf in Farbtupfen, in Klänge, Akkorde, Melodiesplitter (Debussy).

Die Dissonanz wird seit Wagner als harmonischer Baustein in neuem Sinne gebraucht: nicht mehr wie bisher als Spannungsträger, als Vorwand zur Auflösung in den Wohlklang, als notwendiges Mittel zur Verknüpfung zweier Konsonanzen, als notwendiger Kontrast - sondern als Ding an sich, als isolierter Klang. Aus der nichtaufgelösten Dissonanz wird eine Dissonanzenkette, die Dissonanz als Träger des Ausdrucks in der Melodie (Mahler, Reger, Strauß). Dadurch wird die Beweglichkeit der Stimmen erhöht, es entsteht eine Neubelebung der Polyphonie.

Die atonale Musik

In letzter Konsequenz führt beides zur atonalen Musik. Man befreite sich von den Fesseln der Tonart, die bisher noch immer bestanden hatten, wenn auch die moderne Harmonik den Rahmen der Tonarten längst gesprengt hatte. Die erpressionistischen Werke des zweiten Jahrzehnts verleugnen alle Gesetze der Harmonik, aber auch des Rhythmus und der Melodik. Es sind ganz eigenwillige, völlig subjektive und deshalb zuletzt stillose, asoziale Werke (Schönberg, Op. 11 bis 23).

Die atonale Musik dieser Epoche des Chaos (Weltkrieg und erste Nachkriegsjahre) fordert die gänzliche Freiheit von jeder Regel. Harmonisch sollte jeder Toni zu jedem in gleichwertige Beziehung treten können, Grundlage der Komposition sollten die zwölf Töne der chromatischen Leiter in völliger Beziehungslosigkeit sein, d. h. aus allen Tönen, die überhaupt möglich sind, kann die atonale Melodie jeden beliebigen wählen. Diese in letzter Konsequenz von Josef M. Hauer (Wien) vertretene Theorie der Zwölftönemusik hat sich aber als absurd herausgestellt. Es ist niemandem möglich, ohne Gestaltungsgesetz, ohne Beziehungen zu den Tönen, zu komponieren.

Es müssen bestimmte Töne durch Wiederholung ausgezeichnet sein, gewisse Zusammenklänge als Grundklang erfaßt werden können und gewisse Einschnitte der Melodie als Gliederungen empfunden werden, wenn eine Ansammlung von Tönen als Musik, als Melodie, als sinnvolle "Gestalt" aufgefaßt werden soll.

Die "Neue Musik"

So entsteht aus dem Chaos eine neue Blüte der gesetzmäßigen Kunst in der "Neuen Musik", die das dritte Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts beherrscht. Bei Schönberg, dem namhaftesten Vertreter der atonalen Musik, wird sie zu einem starren Formalismus. Er wählt aus der Zwölftönereihe eine Anzahl von Tönen aus, die er zur "Grundgestalt" des Werkes macht. Aus ihnen bildet er die Melodie und die Harmonie im gleichzeitigen Nach- und Übereinander. Durch Umstellung der Töne ergeben sich die nötigen Veränderungen, um aus dem kleinen Motiv ein größeres Musikstück zu "konstruieren".

Die eigentliche "Neue Musik" hat sich von diesem Fehler frei gemacht, schon Schönbergs Schüler Alban Berg (Oper "Wozzek"), mehr noch Josef Haas, Ernst Toch, Rudolf Hindemith, Hugo Herrmann, Heinrich Burkhard, H Lothar von Knorr, Paul Höffer, Hugo Distler, Hermann Zilcher, Armin Knab, und andere. Diese Komponistengeneration schafft unkonstruierte, lebendige, organisch gestaltete Musik, in Anlehnung an den strengen Stil Bachs.

Das gemeinsame Kennzeichen ist die Kontrapunktik, die Selbständigkeit der Stimmen. Jede Stimme ist eine eigene sangbare Melodie. Selbst ein Klavierstück ist nicht aus Akkorden gebaut, sondern aus zwei, drei oder mehr gleichzeitig erklingenden Melodien, die neben- und durcheinander laufen. Die Zusammenklänge sind nicht "atonal", machen aber von der durch Wagner, Strauß, Reger zur Selbstverständlichkeit gewordenen freien Harmonik Gebrauch. Wenn auch die neue Musik noch nicht in alle Schichten des Volkes Eingang gefunden hat, hat sich das Ohr des konzertliebenden Publikums doch weitgehend an die "Tristanakkorde", an Vorhalte und freie Dissonanzen gewöhnt, selbst in der Schlagermusik ist diese gemäßigt-moderne Harmonik heimisch geworden. Zudem ist die Harmonik weniger wichtig geworden.

Das Verhältnis des Künstlers zu seinem Werk

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  • Anmerkung : Hier beginnt der Tribut an die Propaganda der 3. Reiches und der Überlebenskampf von Autoren.


Das Interesse des Hörers wird in der neuen Musik wesentlich von der Führung der Melodien und ihrer Gleichzeitigkeit in Anspruch genommen. Grundlegend gewandelt hat sich das Verhältnis des Künstlers zu seinem Werk. Er ist nicht nur der Genius, der göttliche Offenbarungen zu Papier bringt. Die Skizzenbücher Beethovens zeigen, daß auch der romantische Künstler es nicht war, auch wenn es so schien.

Er hat seine Werke mit Mühe und Fleiß gearbeitet, hat an ihnen gefeilt und gedrechselt, bis sie fertig dastanden. Kunst kommt von Können, und so steht das Handwerkliche wieder im Vordergrund. Die Psychologie vermittelte die Erkenntnis, daß Begabung nur den kleinsten Teil des Künstlers mache, wichtiger sind die Umstände, die Umgebung, die Arbeit, der Fleiß. Die Künstler der Gegenwart betrachten sich wieder als Arbeiter, als Handwerker, als Schaffende. Wie andere Häuser, Brücken, Möbel, Kleidungsstücke schaffen, arbeiten sie Tonwerke. Diese sind nicht göttliche Offenbarungen, sondern Gebrauchsdinge, zur Unterhaltung, zur Erbauung, zur Gemeinschaftsbildung dienend.
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Das Gemeinschaftserlebnis einer großen Volksbewegung

Die Gemeinschaftsbildung bildet den Angelpunkt der Reform des öffentlichen Musiklebens, die eben begonnen hat. Das Schwergewicht des Musiklebens liegt längst nicht mehr im Konzertsaal. Es ist auf das Haus, die Schule, die Bünde, die Wehrverbände übergegangen. Den wichtigsten Anteil am Musikleben der Gegenwart hat der Rundfunk. Die ihm daraus erwachsenden Verpflichtungen, volkserzieherisch und geschmacksbildend zu wirken, sind bis heute von ihm noch nicht erfüllt.

Noch beherrscht ihn einerseits der Ehrgeiz, das schwindende Konzertleben zu ersetzen, andererseits verbreitet er allzu willig die geschmacklosen Erzeugnisse eines verderbten Massengeschmacks aus der versinkenden bürgerlichen Zeit, jene Dilettantenliteratur des neunzehnten Jahrhunderts, die sich auch heute noch der Beliebtheit der urteilslosen Menge erfreut. Er wird seine Aufgabe erfüllen, wenn er gute und Volkstümliche Musik senden würde - neben Standardwerken der Weltliteratur aus allen Zeiten (mit Einführungen für den ungeschulten Hörer) Hausmusik, die zum Mitmusizieren anregt, und Gebrauchsmusik für Tanz und Unterhaltung.

Die Erneuerungsbestrebungen des Musiklebens, die neben und in dem Rundfunk der Gegenwart wirken, gehen vom Volkslied aus, an das ja auch die Kunstmusik der Gegenwart wieder anknüpft. Die Jugendbewegung, die Wandervögel waren es, die schon am Beginn des Jahrhunderts das Volkslied in den Mittelpunkt ihres Musikerlebens stellten. In der ausdrucksreichen, strengen, knappen, volksnahen Formenwelt besonders des älteren Volksliedes fanden sie eine neue Form des Musizierens und Musikerlebens.

Im Singen und Spielen der Weisen, im Zusammenklingen der frei erfundenen Ober- und Unterstimmen und der Begleitung durch einfache Melodie- oder Akkordinstrumente erlebten sie den Zusammenschluß zu einer Gemeinschaft durch die Musik. Dieses Gemeinschaftserlebnis wird zum Ausgangspunkt einer großen Volksbewegung, die in Singkreisen und Volksmusik- schulen, in Sport- und Wehrverbänden eine Erneuerung des Volksgesanges und des Volksliedes anbahnt.

Von hier aus dürfte die weitere Entwicklung der Musik im zwanzigsten Jahrhundert entscheidend beeinflußt werden. Es wird zu neuen Formen der Musik und des Musizierens kommen, zu einer Neugeburt einer vom Volkslied herkommenden Haus- und Gebrauchsmusik und einer neuen, volkstümlichen kultischen und weltlichen Feiermusik für Weiheakte und Volksfeste. Die scharfen Gegensätze zwischen Volks-, Kunst- und Unterhaltungsmusik werden schwinden, und aus einer Annäherung und Verschmelzung der drei Gattungen wird eine neue musikalische Kultur entstehen, eine Musik, an der dann das ganze Volk ausübend und mitschöpferisch beteiligt ist.
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Bitte beachten Sie, das ist ein Büchlein aus 1934

Bestimmte heroische und deutschnationale Ansichten und die propagandistischen Einschätzungen sind dem damaligen Zeitgeist geschuldet. Sie sollten darüber lächeln, wir wissen es heute besser. Die Texte wurden im Jan. 2015 eingefügt.

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