Musik für Dich, ein Büchlein von Dr. Fritz Bose
1934 war die Machtergreifung der Nationalsozialisten gerade mal 1 Jahr her und die deutsche Kultur wurde "neu ausgerichtet". Volk, Vaterland und die (etwas verfälschte) deutsche Geschichte wurde nun heroisiert und propagandistisch herausgehoben.
Dennoch stehen in diesem Büchlein eine Menge verständlicher neutraler Informationen über die Musik, die Arten und die Instrumente - und so schön aufgelistet, daß ich sie Ihnen ans Herz legen möchte. Schnuppern sie mal und wenn es ab und zu politisch komisch angehaucht scheint, lächeln Sie und überlesen Sie die "Zeitgeist Sprüche" - es ist hier noch 1934 und wir wissen es doch inzwischen besser. Überarbeitet im Januar 2015.
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Musik im Dienste Gottes (Kirchenmusik) (aus 1934 !)
Kann man sich einen (Anmerkung : christlichen) Gottesdienst ohne Musik vorstellen? Eine Kirche ohne Glocken, Orgelklang und Chorgesang? Musik erst schafft die religiöse, weihevolle Stimmung, singend bringen wir unsere Andacht am innigsten zum Ausdruck. Unter Orgelklängen betreten wir die dämmrige, kerzenlichtdurchflutete Halle der Kirche, im Wechselgesang zwischen Gemeinde und Priester vollzieht sich die heilige Handlung am Altar, und Orgelklang umrauscht uns, wenn wir am Schluß des Gottesdienstes wieder in die Helle des Tages zurückkehren.
Am Anfang war alle Musik religiös. Und jeder Gesang war Gottesdienst. Singen und Beten sind eins, und noch heute haben viele Sprachen für beide nur ein Wort. Für die Naturvölker hat die Musik magische Kraft, die Töne und die Melodien sind Zauberdinge, mächtige Werkzeuge in der Hand der Menschen. Ihre Lieder und Tänze sind die Mittel, mit denen sie die Kräfte der Natur, die Geister und Götter beeinflussen und damit Sonne und Mond, Wind und Regen, Wachstum und Reife, Krankheit und Tod nach ihrem Wunsche leiten zu können glauben. Ihre Musik ist Götterkult, und ihre Kulthandlungen sind Musik.
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Sogar im Islam ist es ähnlich
Und in allen großen Religionen der Welt vom Altertum bis in die Gegenwart besteht der Gottesdienst zum größten Teil aus musikalischen oder musikbegleiteten Handlungen. Sogar der musikfeindliche Islam kann nicht ganz ohne Musik, nicht ohne feierlich gehobenen Sprechgesang auskommen. Man kann auch Allah nicht im alltäglicher, profaner Sprache und Rede anrufen, man muß die Stimme zu Gott "erheben", d. h. feierlich, singend sprechen.
Der protestantische Choral
In der katholischen Kirche werden Gebete und Verlesungen der Heiligen Schrift ebenfalls nicht gesprochen, sondern in feierlichem Sprechgesang nach feststehenden, altüberlieferten Melodieformeln, im "Lektionston" rezitiert; außer der Predigt sind also alle Gottesdienste - Messen, Requien und Stundenoffizien - Musik.
In der evangelischen Kirche halten sich Musik und Wort die Waage. Im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht die Predigt - das gesprochene Wort. Und auch die Liturgie wird zur Hälfte - nämlich von seiten des Priesters - gesprochen, zur anderen Hälfte - seitens der Gemeinde - gesungen. Aber der Gottesdienst wird eingeleitet und geschlossen und die Predigt wird umrahmt durch Kirchenlieder, die die Gemeinde singt. Diese "Choräle" bilden das musikalische Kernstück der evangelischen Kirchenmusik.
Im Anfang übernahm die evangelische Kirche mit der katholischen Liturgie auch die katholischen Kirchenlieder, deren Texte sie ins Deutsche übersetzte. Erst allmählich wurde dieser Schatz durch Neudichtung und Vertonung vergrößert. Anfangs waren die evangelischen Kirchenlieder noch kunstvolle Chorsätze, für den Kirchenchor, nicht für die Gemeinde bestimmt. Zu Luthers Zeit sang die Gemeinde nur in der Liturgie mit. Allmählich bürgerte sich der Brauch ein, daß die Gemeinde auch die Oberstimme der Choräle mitsang.
Dadurch veränderte sich das Tempo und der Rhythmus der Melodien, es entstand der langsame, wuchtige Schritt des Choralgesangs in gleich langen Noten mit einer Dehnung am Ende jeder Verszeile. Die Gemeindekirchenlieder gelangten jetzt, etwa von 1600 ab, zur größten Entfaltung und Bedeutung und gaben der evangelischen Kirchenmusik ihr charakteristisches Gepräge. Sie fanden Eingang auch in die großen Formen der kunstmäßigen Kirchenmusik, Kantate und Oratorium, und bildeten schon vor Bach das Fundament aller evangelischen Kirchenmusik.
Die Kantate
Die evangelische Kirchenmusik von heute ist musikalisch arm und dürftig gegen den Glanz und Reichtum vergangener Jahrhunderte. Die Kirche Luthers übernahm von der katholischen den CEhor und das Orchester und zunächst auch die musikalischen Formen, die dann später im protestantischen Sinne weiterentwickelt wurden. Unter ihnen sind die wichtigsten Kantate und Oratorium. Beides sind größere Werke mit Sologesängen, Chören und Orchestersätzen. Zu Bachs Zeit bildete die Kantate noch einen festen Bestandteil des Gottesdienstes. Der Kantor war Chor- und Orchesterleiter zugleich und meist auch der Komponist.
Bach hat fünf Jahreszyklen von Kantaten zu jedem Sonntag des Kirchenjahres für die Thomaskirche in Leipzig geschrieben, einstudiert und aufgeführt. Von diesen sind uns leider nur zweihundert erhalten, die nun wieder jeden Sonntag in der Thomaskirche zur Aufführun gelangen. In diesen Werken wird eine bestimmte religiöse Stimmung in verschiedenster Weise zum Ausdruck gebracht: bald durch einen Sologesang, bald durch ein Duett, bald durch einen Orchestersatz, bald durch einen Choral. Die Betrachtung bleibt aber lyrisch: d. h. es wird nicht erzählt oder dargestellt, es werden nur die für die Jahreszeit und das Bibelwort des Sonntags passenden Empfindungen der Gemeinde in Tönen ausgedrückt. Der Text ist eine freie Dichtung, mit Benutzung von Bibelstellen und Choralstrophen.
Das Oratorium.
Eigentlich ist auch das Oratorium eine Kantate: es besteht genau wie diese aus verschiedenen Nummern in wechselnder Besetzung. Aber hier treten singende Personen auf, es wird eine Handlung musikalisch dargestellt, ein Geschehen erzählt. Die Sänger brauchen nur noch das Kostüm ihrer "Rolle" anzuziehen und zu agieren, und das Oratorium wäre eine Oper.
Das Wort Oratorium kommt vom lateinischen "orare", beten. "Oratorium" hieß der Betsaal neben der Kirche, wo diese Stücke zuerst aufgeführt wurden. Das geschah in Rom Ende des sechzehnten Jahrhunderts, und der Priester Filippo Neri war der Erfinder dieser Kunstgattung. Er wollte dem Volk die heilige Geschichte recht klar und deutlich machen, und deshalb ließ er sie durch Chor und Solisten singend darstellen. Dabei treten auch die Tugenden und die Laster, die Jugend, das Alter, der Tod, die Lust, der Schmerz und andere allegorische Personen als Solo- oder auch als Chorpartien auf. Das erste richtige Oratorium mit Chor- und Sologesang und Orchester, eigentlich schon mehr eine Oper, war "Die Seele und der Leib" von Cavalieri, 1600 in Neris Betsaal in Rom aufgeführt.
In Italien blieb das Oratorium immer eng mit der Oper verbunden, und die Grenzen stehen nie fest. Vor allem gab es sehr bald auch weltliche Oratorien, die meist Stoffe aus der antiken Heldensage behandelten. In der Kirche selbst, als Teil des Gottesdienstes, hat das Oratorium niemals eine Stelle bekleidet, es ist immer weltliche oder geistliche Erbauung außerhalb der Kirche geblieben.
Händel und das Oratorium
Mit neuem Geist erfüllte Händel diese Form, und seine weltlichen und religiösen Oratorien sind wohl das Erhabenste, was in dieser Gattung geschaffen wurde. Er räumte vor allem dem Chor die Hauptrolle ein, auf den die Italiener schließlich ganz verzichtet hatten. So schuf Händel die neue Form des Oratoriums: das große Chorwerk mit Solo und Orchester.
Dem Chor fällt dabei die Aufgabe zu, die Handlung zu erzählen und mit Betrachtungen religiösen oder moralischen Inhalts zu beleuchten. Berühmt und noch heute viel aufgeführt ist Händels "Messias", der in ergreifender Schlichtheit und Größe die heilige Legende vom Leben und Sterben des Heilands erzählt. Die erste Aufführung war am 13. April 1742 in Dublin (England) zugunsten des Findelhauses. Sie war wie die meisten Händel-Premieren nicht nur ein künstlerisches, sondern auch ein gesellschaftliches Ereignis und der Zudrang so groß, daß man die Damen öffentlich ersuchte, ohne Reifrock zu erscheinen. Von geistlichen Oratorien Händels spielt man heute noch "Saul", "Israel in Agypten", "Joseph", "Judas Makkabäus", von den weltlichen ist das bekannteste "Herakles".
Seit Händel waren es vorwiegend deutsche Komponisten, die dass Oratorium gepflegt haben. Von Bach haben wir das liebliche "Weihnachtsoratorium", von Haydn "Die Schöpfung" und "Die Jahreszeiten". Besonders zahlreich sind die Oratorienwerke im neunzehnten Jahrhundert, unter denen die von Liszt ("Christus") und Mendelssohn ("Paulus" und "Elias") als denen Händels und Haydns ebenbürtig hervorragen.
Die Passion
Aufs engste verwandt dem Oratorium ist die "Passion", die musikalische Darstellung des Leidens des Herrn. Sie unterscheidet sich nur darin vom Oratorium, daß sie älter ist, daß sie in der Kirche als Teil des Gottesdienstes entstand, und daß sie sich eng an den Text des Evangeliums anschließt, während dem Oratorium eine freie Dichtung zugrunde liegt.
Die Passion wurzelt in der Liturgie der katholischen Kirche, die in der Karwoche den Vortrag der Passionsgeschichte aus den vier Evangelien vorschreibt. Früh schon begann man, diesen Text "mit verteilten Rollen" zu lesen, die Reden Christi, der Jünger, der Hohepriester durch verschiedene Geistliche lesen - und das heißt in der katholischen Kirche: singen - zu lassen.
Dieser Gesang war und blieb durch Jahrhunderte hindurch einstimmig und unbegleitet und bestand aus den feststehenden Lektionsformeln, den sogenannten "Choralweisen" (Choralpassion). Nur die Ausrufe der Menge, das "Kreuzige!", "Hosianna!" usw. ließ man vom Ehor mehrstimmig singen. Später vertonte man auch die erzählenden Teile des Textes und dann sogar die Worte der redenden Personen in mehrstimmigen Chorsätzen im Motettenstil (Motettenpassion). Im siebzehnten Jahrhundert, dem Jahrhundert der Oper, dringen Opernelemente auch in die Passion: Rezitativ und Arie lösen die Motettenform ab, ausdrucksvoller Sologesang erfüllt die Forderung nach dramatischer Wahrheit der Musik.
Die Passion in der evangelischen Kirche
Die evangelische Kirche übernahm die Passion, stellte sie jedoch in einen neuen Rahmen. Die auch heute noch vielfach aufgeführten Oratorien von Heinrich Schütz greifen auf die schlichte Ausdruckskraft der einstimmigen Solorezitation der alten "Choralpassion" zurück. Sebastiani nahm in die Passion den protestantischen Ehoral auf, der dann bei Bach den Kern des Werkes bildet.
In der Bachschen Form ist die Passion in nichts von einem Oratorium unterschieden, die redenden Personen sind als Solostimmen mit Begleitinstrumenten behandelt, das Volk vertritt der Chor, der außerdem noch in Choralstrophen die Stimmungen der Gemeinde zum Ausdruck bringt; die fortlaufende Erzählung des Evangeliums geschieht durch die Solopartie des "Evangelisten", der sich auch schon in den ältesten Choralpassionen findet. Das Orchester tritt neben dem Chor als Begleitung und auch allein hervor.
- Obwohl diese Passionen außerhalb des Gottesdienstes stehen, sind sie religiöse Weiheakte und ebenso bedeutend vom Standpunkt der Kirche wie der Kunst. Dabei sind sie heute, wie auch die Oratorien und Kantaten, an keine Konfession gebunden und in beiden christlichen Kirchen zu Hause.
Die Messe
Der wichtigste Teil der katholischen Kirchenmusik und auch die wichtigste kirchliche Handlung ist die Messe, die das Sakrament des Abendmahls, das Wunder der Verwandlung der Hostie in den Leib und das Blut Christi enthält. Man unterscheidet die "stille Messe", in der die einzelnen Gebete usw. von einem zelebrierenden Priester "gelesen", d. h. im feierlichen Sprechgesang rezitiert werden, von den gesungenen Messen, "Amt" und "Hochamt" ("Missa solemnis" - erhabene Messe), in denen auch Chor und Orchester mitwirken. Die Messe besteht aus verschiedenen Zeremonien, Gebeten, Anrufungen, Glaubensbekenntnis, Opfer, Wandlung und Kommunion, Segen. Diesen verschiedenen Kulthandlungen entsprechen verschiedene musikalische Teile. Einige sind im Laufe des Kirchenjahres täglich wechselnd entsprechend der Festzeit oder dem Tagesheiligen ("Proprium").
Andere sind für alle Zeiten feststehend ("Ordinarium"). Diese letzteren sind es, die als Ganzes komponiert das musikalische Kunstwerk "Messe" bilden. Es sind das Kyrie ("Herr, erbarme dich !"), das Gloria (»Ehre sei Gott"), das Credo (Glaubensbekenntnis), Sanctus (»Heilig") und Agnus Dei ("O Lamm Gottes").
Die heute aufgeführten Messen entstammen zumeist den hundertfünfzig Jahren von der Wiener Klassik bis zur Gegenwart - von den herrlichen Messen Haydns und Mozarts, von der C-Dur-Messe und der "Missa solemnis" Beethovens über die romantischen Messen Schuberts und Liszts zu den Meisterwerken Bruckners, des bedeutendsten Vertreters der modernen katholischen Kirchenmusik.
Eine besondere Form der Messe ist das »Requiem" (Totenmesse), so genannt nach den Anfangsworten des Introitus (Einleitung) "Reqiem aeternam donna eis, Domine" (Ewige Ruhe gib ihnen, Herr). Von den Hauptsätzen der gewöhnlichen Messe fehlen hier das Gloria und das Credo. Berühmte Kompositionen des Requiems sind die von Mozart, Eherubini, Verdi und Berlioz. Das "Deutsche Requiem" von Brahms ist eine auf Bibelworten aufgebaute Trauermusik, ohne die Form des katholischen Requiems zu imitieren, für den Konzertsaal, nicht für die Kirche bestimmt.
Bitte beachten Sie, das ist ein Büchlein aus 1934
Bestimmte heroische und deutschnationale Ansichten und die propagandistischen Einschätzungen sind dem damaligen Zeitgeist geschuldet. Sie sollten darüber lächeln, wir wissen es heute besser. Die Texte wurden im Jan. 2015 eingefügt.
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