Schallplattentechnik 1965 - gestern und heute (Teil 1)
Aus der Philips Händlerzeitschrift Kontakte vom Januar 1965. - Der Siegeszug der schwarzen Scheibe - teilweise aus einem Artikel von Dr. Lichthorn.
Ein Kapitel Historie - Wir schreiben das Jahr 1965 !!!
Im Verlauf der letzten zehn Jahre hat die Schallplatte einen gewaltigen technischen und kommerziellen Aufschwung genommen. Das ist um so erstaunlicher, als die schwarze Scheibe schon zweimal - nämlich beim Aufkommen des Hörrundfunks in den zwanziger Jahren und fünfundzwanzig Jahre später, als die ersten Amateur-Tonbandgeräte in den Handel kamen - totgesagt worden war.
Aber Tonband, Rundfunk, Schallplatte und - last not least - Fernsehen existieren heute friedlich nebeneinander, und nichts spricht dagegen, daß es nicht auch weiterhin so bleiben könnte. Es lohnt sich, den technischen Entwicklungsgang der Schallplatte einmal im Zusammenhang zu betrachten.
Der Wunsch, den flüchtigen Ton festzuhalten, zu „konservieren", hatte seit Jahrhunderten Wissenschaftler, Erfinder und Scharlatane beschäftigt, jedoch ohne praktische Resultate. Den ersten brauchbaren Weg zur mechanischen Schallaufzeichnung fand der Amerikaner Thomas A. Edison.
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1877
Sein „Phonograph", den er im Jahre 1877 zum Patent anmeldete, hatte als Tonträger eine stanniolbezogene Walze, in die die Schallrille in Form einer Schraubenlinie eingeprägt war. Beim Abspielen bewegte sich die mit einer Membrane und dem bekannten schallverstärkenden Trichter verbundene Abtastnadel in der Rille entlang, wobei die auf einer Gewindespindel rotierende Walze gleichzeitig axial verschoben wurde. Die Bewegungen, die die Nadel analog den eingravierten Schallvorgängen zu vollführen hatte, erfolgten senkrecht zur Walzenoberfläche; man bezeichnete diese Art des Schallrillenschnittes als „Tiefenschrift".
Der kommerziellen Nutzung und weiteren Verbreitung der sensationellen Erfindung stellten sich allerdings mancherlei Schwierigkeiten in den Weg. Abgesehen von der auch für damalige Ansprüche höchst unzureichenden Wiedergabequalität haftete den Phonographenwalzen ein entscheidender Mangel an: Sie waren nicht zu vervielfältigen. Jede Walze mußte einzeln bespielt oder besungen werden - eine im Zeitalter der Schallplatten-Millionenauflagen fast unvorstellbare Prozedur. Während aber trotzdem in den neunziger Jahren das Phonographengeschäft in Amerika ein wenig zu florieren begann, war schon der große Konkurrent, die Schallplatte, im Vordringen.
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1887
Die Idee, den walzenförmigen Tonträger durch einen scheibenförmigen zu ersetzen, stammt von dem Deutschamerikaner Emil Berliner. Seine erste Schallplatte, 1887 in den USA zum Patent angemeldet, bestand aus Zink, das mit einer Fettschicht überzogen war. Die Schallrillenaufzeichnung erfolgte nun nicht mehr senkrecht, sondern parallel zur Plattenoberfläche, d. h. in „Seitenschrift". In einem Säurebad wurde die Aufzeichnung haltbar gemacht.
Es leuchtet ein, daß bei der Schallplatte die Möglichkeit einer Vervielfältigung viel eher gegeben ist als bei der Phonographenwalze. Immerhin dauerte es aber auch hier noch einige Jahre, bis Emil Berliner ein Verfahren zur Schallplattenherstellung mit Hilfe von Preßmatrizen so weit entwickelt hatte, daß eine kommerzielle Nutzung möglich wurde.
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1895
1895 gründete er die „Berliner Gramophone Company" in Philadelphia. Die ersten Schallplatten, die in den Handel kamen, bestanden aus Hartgummi; sie maßen siebzehn Zentimeter im Durchmesser und waren nur einseitig bespielt. Eine genaue Umdrehungszahl war zunächst nicht festgelegt; das hätte auch wenig Sinn gehabt, da die ersten Abspielgeräte noch mit einer Handkurbel betätigt wurden. Erst mit der Herstellung von Apparaten mit Federlaufwerk (1896) trat die Schallplatte in ernsthafte Konkurrenz zum Phonographen. Dieser hatte inzwischen auch in Europa eine beachtliche Verbreitung erlangt, zumal man Anfang des neuen Jahrhunderts endlich ein Verfahren zur Walzen-Vervielfältigung gefunden hatte. Der Kampf um den Markt dürfte erst 1910 endgültig zugunsten der Schallplatte entschieden gewesen sein.
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1904
Aus diesen Jahren stammen weitere bemerkenswerte technische Verbesserungen: Schellack statt Hartgummi als Plattenmaterial, Aufzeichnung nicht mehr auf Zinkfolien, sondern auf weniger geräuschbehafteten Wachsplatten; Vergrößerung des Plattendurchmessers auf 25 und 30 Zentimeter und wenig später - 1904 - auch die doppelseitige Prägung. Damit war ein Standard erreicht, der sich bis in die zwanziger Jahre kaum änderte.
Das bis heute gebräuchliche Prinzip der galvanischen Matrizenherstellung lag fest, ebenso die Spieldauer von etwa drei Minuten für die 25cm- bzw. viereinhalb Minuten für die 30cm- Plattenseite. Lediglich die Zusammensetzung der Plattenmasse selbst bot ein gewisses Experimentierfeld.
Das Mischungsverhältnis zwischen Schellackharz, Gesteinsmehl, Farbstoff und sonstigen Zusätzen war das streng gehütete Geheimnis der einzelnen Herstellerfirmen.
Größtes Handikap blieb das nach wie vor rein mechanische Aufnahmeverfahren: Solisten und Orchestermusiker saßen vor gewaltigen Trichtern, die in daumendicke Schläuche mündeten, an deren anderem Ende eine runde Membran angebracht war, deren Schwingungen über einen Hebel auf den Schneidstichel übertragen wurden. Dieses primitive System erfaßte stets nur einen gewissen Teil des gesamten hörbaren Schallfrequenzspektrums; tiefe und hohe Töne einzufangen war unmöglich. Es entstand der bekannte „Telefoneffekt", der zwar noch eine halbwegs brauchbare Reproduktion der menschlichen Stimme, vor allem des gesprochenen Wortes, ermöglichte, die Wiedergabe eines vollen Orchesterklanges aber von vornherein ausschloß.
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1925
Die revolutionierende Wende in der Schallplatten-Aufnahmetechnik brachte das Jahr 1925 mit der Einführung der „elektrischen Aufnahme". An die Stelle des Trichters trat das Mikrophon; die von ihm aufgenommenen Schallschwingungen werden als elektrische Impulse über einen Verstärker einer magnetischen Schneiddose zugeführt und dort wieder in mechanische Bewegung umgesetzt. Damit wurde der Bereich der übertragbaren Schallfrequenzen um ein Vielfaches erweitert, so daß nun endlich auch große Klangkörper in befriedigender Qualität aufgenommen werden konnten.
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1930
Auch den Abspielgeräten kam die neue Technik zugute: Um 1930 erschienen die ersten elektrischen Tonabnehmer auf dem Markt; zunächst als Ersatz für die mechanischen Abtaster der Federlaufwerke, dann als komplette Einheiten mit elektrischem Plattentellerantrieb. Die Wiedergabe erfolgte schon damals über den Rundfunkapparat. Die mechanischen Plattenspieler kamen als Heimgerät bald aus der Mode; als Koffergerät fristen sie bis heute überall dort, wo noch Schellackplatten verkauft werden, ein bescheidenes Dasein.
Als letzte technische Neuerung vor dem zweiten Weltkrieg erschienen die ersten Leicht-Tonabnehmer. Die unförmigen, schwarzen Magnetsysteme konnten durch Verwendung besserer Magnetstähle erheblich verkleinert werden. Auch die wesentlich billigeren Kristallsysteme kamen um diese Zeit in den Handel.
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1945 - 1948
Die Kriegs- und Nachkriegsjahre bis zur Währungsreform ließen die technische Weiterentwicklung der Schallplatte stagnieren. Zunächst galt es, die weitgehend zerstörten Fabrikationsstätten wieder aufzubauen. Vor allem fehlte es an Aufnahmestudios, und so mußte man zunächst auf gerettete Matrizenbestände zurückgreifen. Dem chronischen Mangel an Platten-Rohmaterial, vor allem an Schellack, begegnete man, indem man bei der Herstellung der Preßmasse auch alte Schallplatten mit verarbeitete. Beim Kauf einer neuen Schallplatte mußte noch bis 1950 jeweils eine alte in Zahlung gegeben werden.
Die allmähliche Gesundung des Wirtschaftslebens zu Beginn der fünfziger Jahre brachte wiederum einige wesentliche technische Fortschritte. Die während des Krieges für den Rundfunk entwickelte magnetische Schallaufzeichnung wird nun auch für die Schallplatte nutzbar gemacht: Die Aufnahme erfolgt nicht unmittelbar auf die Wachsplatte, sondern zunächst auf Tonband. Dadurch wird ein wesentlicher Unsicherheitsfaktor ausgeschaltet; denn während bei der empfindlichen Wachsplatte eine Kontrolle durch nochmaliges Abspielen an Ort und Stelle nicht möglich war, kann das Tonband während und nach der Aufnahme abgehört werden.
Auf diese Weise werden musikalische oder technische Mängel sofort erkannt; und da sich das Tonband wie ein Film schneiden und wieder zusammenkleben läßt, genügt es, lediglich die fehlerhafte Stelle des betreffenden Musikstückes neu aufzunehmen und nachträglich in die Gesamtaufnahme einzufügen. Das „Überspielen", d. h. das Übertragen der Tonbandaufzeichnung auf die Wachsplatte, geschieht später in der Fabrik, so daß auf diese Weise auch der Transport der höchst temperatur-und stoßempfindlichen Wachse vermieden wird.
Die Zwischenschaltung des Tonbandes zwischen Aufnahmemikrophon und Schneidapparatur ermöglicht eine weitere technische Verbesserung, nämlich die Verlängerung der Spieldauer. Jahrzehntelang hatte man sich mit einer Laufzeit von höchstens viereinhalb Minuten begnügen müssen - eine besonders für die Reproduktion klassischer Werke höchst lästige Einschränkung (eine 1928 erschienene Aufnahme der Missa Solemnis von Beethoven umfaßte z. B. elf 30-cm-Platten!).
Das Füllschriftverfahren:
Bald nachdem sich die Tonbandaufnahme allgemein durchgesetzt hatte, kamen Schallplatten auf den Markt, die bis zu 70 Prozent mehr Spieldauer aufwiesen als bisher. Das wurde dadurch ermöglicht, daß man die Abstände zwischen den einzelnen Rillenwindungen auf der Plattenoberfläche variierte. Die „Auslenkung", d.h. die seitliche Bewegung der Schallrille, entspricht bekanntlich der Lautstärke: je lauter der aufgenommene Schall, desto größer die Auslenkung. Bei unveränderlichem Rillenabstand müssen die Windungen stets so weit voneinander entfernt sein, daß auch maximale Lautstärken keine Berührung oder Überschneidung benachbarter Rillen herbeiführen.
Bei dem neuen Verfahren richtet sich der Windungsabstand nach der Lautstärke; an den „leisen Stellen" rücken die Windungen enger zusammen, so daß die Plattenoberfläche besser ausgenutzt wird. Der jeweils erforderliche Mindestabstand muß jedoch vorausbestimmt werden. Das geschieht, indem beim Überspielvorgang das Tonband an zwei Stellen abgetastet wird, wobei die erste Abtastung zur elektronischen Steuerung des Rillenabstandes dient. Die Schallplatten mit verlängerter Spieldauer bestanden nach wie vor aus Schellack; sie konnten mit einer normalen Stahlnadel abgespielt werden.
1949 - Das Ende der Schellackplatte
So bedeutungsvoll diese Erfindung auch war - sie konnte doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Ära der alten Schellackplatte mit 78 UpM ihrem Ende zuneigte. Seit etwa 1949 gab es in den USA Kunststoff-Langspielplatten, und schon 1951 erschienen die ersten Langspielplatten mit 33 1/3 UpM und verkleinerten Rillenmaßen auf dem deutschen Markt. Damit war der entscheidendste Schritt zur Vervollkommnung der Schallplattentechnik eingeleitet.
Die Vorteile der neuen Langspielplatten waren vielfältig: Ihre Spieldauer betrug bis zu 22 Minuten pro Plattenseite und in Verbindung mit dem variablen Rillenschnitt sogar über 25 Minuten. Der Frequenzbereich war nochmals beträchtlich erweitert, und das materialbedingte geringere Grundgeräusch ließ auch größere Dynamik zu. Darüber hinaus waren die Platten nahezu unzerbrechlich.
Die veränderte Umdrehungszahl setzte allerdings neue Abspielgeräte voraus; zudem war eine Abtastung mit der immer noch gebräuchlichen Stahlnadel auf Grund des weichen Plattenmaterials in Verbindung mit den verringerten Rillenmaßen unmöglich.
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1951
Die seit 1951 hergestellten Plattenspieler trugen den neuen Erfordernissen Rechnung: Sie waren durchweg mit zwei Abtastsaphiren für Normal-und Mikrorillen ausgestattet und für die Umdrehungsgeschwindigkeiten 78, 33 1/3 und z.T. schon 45 UpM ausgelegt. In den folgenden Jahren gingen alle Firmen dazu über, ihr gesamtes klassisches Repertoire auf Langspielplatten umzustellen. Die Tagesschlager erschienen weiterhin auf 25-cm-Schellackplatten; aber auch hier ergab sich eine starke Konkurrenz in Gestalt der ebenfalls aus den USA stammenden 17-cm-Kunststoffplatte mit 45 UpM. Diese Plattenart kam 1953 in den Handel; sie entspricht qualitativ etwa der 33-cm-Langspielplatte und hat bei variablem Rillenschnitt bis zu sieben Minuten Spieldauer pro Seite.
Während der folgenden Übergangsjahre sah sich die deutsche Industrie genötigt, alle Tagesschlager sowohl auf 78er- als auch auf 45er- Platten zu veröffentlichen. Erst im Jahre 1958 wurde die Produktion von Schellackplatten endgültig eingestellt — eine „lautlose Revolution" hatte sich vollzogen. Die Einführung der Langspielplatte zwang alle Schallplattenfirmen zu gewaltigen Investitionen für Neuaufnahmen. Ein Pressen von alten Matrizen war nicht mehr möglich; also mußten beispielsweise sämtliche Werke des klassischen Standardrepertoires, sofern sie nicht schon als Tonbandaufnahmen vorlagen, neu eingespielt werden. Aber auch ältere Tonbandaufzeichnungen blieben bereits deutlich hinter dem neuen Qualitätsstandard zurück; denn auch die Studiotechnik hatte sich ständig weiterentwickelt.
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Jetzt kommt High Fidelity
Um diese Zeit kam in den USA das Schlagwort „High Fidelity" - soviel wie „hohe Wiedergabetreue" - auf. Unter diesem Zeichen sammelte sich bald in der ganzen Welt eine riesige Gemeinde von Qualitätsfanatikern. Die Forderung nach noch größerem Frequenzumfang, noch gewaltigerer Dynamik überwucherte hier und dort sogar die Frage nach der musikalischen Qualität der Darbietung. Die Einführung des UKW-Rundfunks, der weitesten Kreisen die Vorteile einer hochqualifizierten „Breitband"-Übertragung deutlich machte, hat diese Entwicklung entscheidend vorangetrieben. Die Geräteindustrie paßte sich dem neuen Trend an, indem sie neben üblichen Plattenspielern auch ganze Wiedergabeanlagen mit leistungsfähigen Verstärkern und großformatigen Lautsprechern lieferte.
Die gesamte Entwicklung mußte zwangsläufig zur stereophonischen Wiedergabe führen. Seit 1958 gibt es in Deutschland die stereophonische Schallplatte. Ihre Geschichte und ihre Technik sind so interessant, daß wir sie gesondert behandeln wollen.