Sommer 1977 - eine Replik auf einen "Spiegel" Artikel
"Der Spiegel" war schon immer für seine überkritischen und besonders scharfen Artikel (Kritiken) bekannt. Daß die Spiegel-Redakteure sich ziemlich oft - ziemlich weit - aus dem (offenen) Fenster gelehnt hatten, ist ebenfalls bekannt. Inzwischen sind 40 Jahre rumgegeangen und wir wissen das alles natürlich "viel besser" (als die da damals). Damals um 1977 war einiges im Argen und so manche Vorhersage hatte sich in "NICHTS" aufgelöst. Was in dem lustigen Magazin "HOBBY" als Zukunftsperspektive "gehandelt" oder angepriesen wurde, wurde im Spiegel "zerhackstückelt".
In 1977 war die große (analoge) 30cm Laserdisc von Philips bereits weltweit bekannt und alle warteten darauf, daß Philips damit anfangen würde, den Markt der Bildspeicher aufzurollen. Die schmächtige TelefunkenTED Bild-Platte (10 Minuten in Farbe) konnte sich 1977 ebensowenig durchsetzen wie die ganze Quadro-Hysterie. Es war viel Wind um nichts und jede Menge Geld wurde damals verbrannt.
Die großen Magnetbandgeräte mit 38cm/s waren qualitativ immer noch das Maß der Dinge. Die eingeweihten Tonmeister und Toningenieure wußten um 1977 sehr genau, wo die physikalischen Grenzen der Schallplatte - aber auch der Direkschnitt-Platte - lagen.
Viel zu populistisch und fachlich nicht korrekt
kann ich die Spiegel-Aussagen ebenfalls kommentieren. Heute in 2018 wissen wir die Grenzen der CC-Kassetten genauestens zu spezifizieren. Die pensionierten Fachleute aus der AGFA- Magnetband Forschung und aus der Produktion haben mir das genau erklärt und das kommt noch. Auch die Grenzen der Vinyl-Technik sind genau bekannt (Brüggemann-Artikel) und natürlich auch die Grenzen der großen analogen Studio-Bandmaschinen. Lesen Sie, was die Spezialisten damals in 1977 darüber geschrieben haben :
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Stirbt die Schallplatte ? (KlangBild Heft 05/1977)
Ausgerechnet an seinem Ehrentag prophezeit man dem Geburtstagskind sein baldiges Ende. Gerade versammeln sich prominente Zeitgenossen aus Politik, von der phonographischen Wirtschaft, von der Presse und vielleicht sogar aus dem Musikleben, um des amerikanischen Erfinders Thomas Alva Edison zu gedenken, des Mannes also, der die menschliche Stimme auf einer mit Stanniol bezogenen Walze aufzeichnete, indem er akustische in mechanische Schwingungen umwandelte.
Sicher werden bedeutende Worte gesprochen (und gehört) werden über die vergangene, gegenwärtige und zukünftige Bedeutung der Schallplatte, die dieses Prinzip bis heute anwendet. In Wahrheit aber, so unken Schwarzseher aus dem Pressequartier, stehen die Gratulanten um die Bahre einer Schwerkranken.
„Der Spiegel" in seiner Ausgabe Nr. 17 vom 18. April 1977
„Die Musikbranche feiert den 100. Geburtstag des Tonträgers und wagt sich nicht einzugestehen, daß das Jahrhundert der Schallplatte zu Ende geht", konstatiert das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" in seiner Ausgabe Nr. 17 vom 18. April 1977.
Der Bazillus, der für den nach Ansicht der Autoren bevorstehenden Exitus der Schallplatte verantwortlich zu machen ist, wurde klar erkannt: „Das elektromagnetische Tonband ... überflügelt die Schallplatte zunehmend am Markt. In handlichen Kassetten (zehn mal sechs Zentimeter groß) aufgespult, hat das Band die Platte als Top-Tonträger abgelöst."
Umsatz und Stückzahlen machen sich immer gut
Eindrucksvolle Vergleiche der Umsatzzahlen (nach Stück und DM aufgeschlüsselt) untermauern die These. Vor allem die horrende Zahl von 100 Millionen unbespielten Cassetten, die sich die Bundesbürger im vergangenen Jahr angeschafft haben sollen, und die „rund 10.000 gewerbsmäßigen Schwarzkopierer" („Der Spiegel") lassen das Schlimmste befürchten:
Der Musikindustrie werde durch das (legale) Überspielen des Bürgers für den Eigengebrauch und durch das (illegale) Wirken der "Raub-"kopierer so viel Geld vorenthalten, daß „es übermorgen bei aller Supertechnik kaum mehr produzierte Musik geben (wird), die überspielt werden kann".
Nach dem obligatorischen "Raub-"kopierer kommt die Handhabung
Die „Spiegel"-Autoren sehen die Ursache der überbordenden Nachfrage nach unbespielten und MusiCassetten nicht nur in der Bequemlichkeit der Handhabung „an jedem Ort und in jeder Lage", nicht nur in den (unbestreitbaren) Preisvorteilen, die ein Selbstüberspieler genießt, sondern auch in der zur Perfektion getriebenen Technik beim Cassettenband und bei den Wiedergabe- und Aufnahmegeräten.
„Das Vorurteil, das Cassettenband biete auf sechs Millimeter Breite und vier Spuren und drei Zwischenräumen sowie infolge der geringen Laufgeschwindigkeit von 4,75 Zentimetern pro Pro Sekunde zu wenig Frequenzbreite und damit zu geringe Wiedergabetreue, ist pauschal nicht mehr zu halten."
- Anmerkung : Da hatte sich der Spiegel Redakteur schon mal unglaubwürdig gemacht, denn das CC-Band ist ja nur 3,8mm breit und nicht 6mm.
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Die Realität sieht dagegen ganz anders aus
Das ist aber beileibe kein Vorurteil. Sondern ein sehr komplexer und enger physikalischer Zusammenhang, in dem Bandgeschwindigkeit, Spurbreite, Schichtdicke, Kopfspaltbreite, HF-Vormagnetisierung und verschiedene andere Parameter stehen. Bleibt man beim heute bekannten Prinzip, dann sind der übertragbare Frequenzbereich, das Verhältnis von Stör- zu Nutzsignal und die verfügbare Dynamik durch keinen Trick ad infinitum zu verbessern. Es ist schon erstaunlich genug, wie weit es die Techniker gebracht haben, wenn man an die Anfänge der Compact-Cassette denkt, die als Tonträger für Diktiergeräte konzipiert war.
Ein hoher Aufwand an Zeit und Geld ist nötig
Um das aber zu können, was die CC heute kann, bedarf es enormen Aufwandes. Zunächst mal an Geld. Für ein HiFi-Cassetten- Deck der Spitzenklasse darf man sich heutzutage satte DM 2.500.- aus den Rippen schneiden - wenn nicht noch mehr. Und bevor man eine Aufnahme vom Rundfunk oder einer Schallplatte machen will, darf man sich durch eine dicke Bedienungsanleitung hindurchfressen. Die Cassetten-Decks erreichen die vom Hersteller propagierten Daten nämlich nur, wenn der stolze Besitzer alle erforderlichen Meß- und Justierarbeiten brav erledigt hat. Und zwar bitte vor jeder Aufnahme.
(Gerade das Dolby-Rausch Unterdrückungssystem reagiert sauer, wenn Ein- und Ausgang verschieden eingepegelt sind. Es kappt die Höhen weg, und Durchsichtigkeit und Leuchtkraft des Klangs sind dahin.)
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CC-Kassetten haben ihre Grenzen
Die Cassetten-Decks, die die Güteklasse „HiFi nach DIN 45.500" für sich beanspruchen dürfen, sind keineswegs unkompliziert in der Bedienung und keineswegs billig. Und auf keinen Fall erreichen sie die Wiedergabequalität, die bei einer guten Schallplatte (hier ist die Rede von der Aufnahme-und Fertigungsqualität, nicht vom konservierten Musikprogramm) auf einem Plattenspieler der entsprechenden Preisklasse ohne jede Mühe zu erreichen ist.
Allerdings: Die „Plattenfürsten" machen sich wenig Kopfzerbrechen um diese besagte Aufnahme- und Preßqualität - viel zu wenig für unseren Geschmack. Es ist fast nicht möglich, eine Schallplatte ohne Höhenschlag und ohne Dezentrierung auf dem freien Markt zu kaufen. (Weshalb sich besonders sorgfältig produzierte Platten einer enormen Nachfrage erfreuen, obwohl sie DM 30.- oder gar DM 45.- kosten.)
Eigentlich ist der Höchststand der Entwicklung erreicht
Bei der Compact-Cassette und den zu ihrer Verwendung notwendigen Geräten ist ein Höchststand der Entwicklung erreicht. Mehr - oder sagen wir - viel mehr ist aus physikalischen Gründen bei diesem Prinzip nicht drin. Bei der Schallplatte aber schon - man brauchte zum Beispiel nur im Preßwerk sorgfältiger zu arbeiten, mehr PVC pro Platte zu verwenden, die soeben gepreßte Platte mehr (Anmerkung : langsamer) auskühlen zu lassen, und schon hätte man einen stupenden Zuwachs an Qualität gewonnen.
(Und daß sich bei der Aufnahmetechnik noch viel machen läßt,
bekommen wir fast monatlich demonstriert.)
- Anmerkung : Es ging noch etwas zu machen, mit noch höherem Aufwand. Tascam und Yamaha quetschten sogar 8 Spuren auf das 3,8mm CC-Band ihrer Mini-Aufnahmestudios, wie sie sie nannten. Geprüft hatte ich diese Qualität nie, denn ich hatte es nicht geglaubt.
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Das mit der kommenden CD wußten sie damals (noch) nicht
Ob die von den „Spiegel"-Autoren so verführerisch propagierten revolutionären Zukunftstechnologien der herkömmlichen Schallplatte mit ihrer schneckenförmigen Mikrorille den Garaus machen können - wer lebt, wird sehen.
Die opto-elektrisch abgetastete Tonband-Cassette mag für teure Musikwiedergabeautomaten eine Möglichkeit sein - wird man aber eine mit einem Laser-Strahl arbeitende Aufzeichnungsmaschine in Jedermanns Wohnzimmer stellen können?
Wenn nicht, dann fällt bei diesem Prinzip die angeblich für die Phono-Industrie so verhängnisvolle „Selbstüberspielung" weg.
Mitleid mit der Musikindustrie ist wirklich nicht angebracht
Das Menetekel einer wegen Finanzschwäche produktionsunfähigen Musikindustrie wäre dann gebannt, denn sie verdient an der Musik, nicht am Medium, auf das sie gespeichert ist.
Und neue Musik wird immer gebraucht. Gerade die Hits, die Allerweltsschlager also, sind vergänglich wie Schnee in Panama, müssen also unentwegt ersetzt werden.
Beim augenblicklichen Stand der Technik, so darf man wohl ohne „pauschale Vorurteile" sagen, scheint mir die Elegie auf die Schallplatte verfrüht. Für Musik im Auto, oder auf Parties, oder auch für den einen Star anhimmelnden Teenager ist die Compact-Cassette gewiß eine akzeptable Sache. Wer aber zu Hause ernstzunehmende Musik „in hoher Wiedergabetreue" hören will, für den bleibt die Schallplatte der Top-Tonträger.
Womöglich noch für lange Zeit.
P. K. im Sommer 1977