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Hier beginnt die Erzählung eines Zeitzeugen aus Hamburg

Unser Zeitzeuge Heinz Schleusner ist durch die ganze Welt gereist und hat viel gesehen und erlebt. Ich durfte ihn im Sept. 2022 bei seinem Familien-Besuch in Hamburg ebenfalls besuchen und ausgiebig erzählen lassen, wie das war vor über 60, 70 und 80 Jahren, als ich noch gar nicht da war oder gerade mal 10 Jahre alt war. Als er im Okt. 2022 wieder zurück nach Guatemala geflogen war, hat er mir zusätzlich zu den 7 Stunden Sprachaufzeichnungen seine bereits aufgeschriebenen Notitzen gemailt. Der Anfang beginnt hier.

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Ein Zeitzeuge erzählt :
Man lebt nur zweimal - wie Heinz Schleusner

Ich weiss natürlich nicht, wie das Herbstwetter war, als ich am Sonntagmorgen, dem 9. Oktober 1932 im Obergeschoss des Hauses Herzberg in der Schützenstrasse zu Schneidemühl (heute Pila) zur Welt kam. In meiner Geburtsurkunde steht zwar als Geburtsort Küddowtal (ein Vorort von Schneidemühl), doch das Haus Herzberg gehörte noch zu Schneidemühl.

Dagegen gehörte das eigene Heim meiner Eltern, in dem ich eigentlich zur Welt kommen sollte und das auf der anderen Strassenseite lag, schon zu Küddowtal. Das Haus war aber nicht rechtzeitig einzugsbereit, wie mir meine Mutter einmal erklärte, weil „das Geschäft natürlich immer vorging.“
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  • Anmerkung : Über das hin und her der Stadt Schneidemühl - mal in polnischem Besitz, mal in preußischem Besitz, nach 1945 wieder in polnischem Besitz - lesen Sie mehr in der Wikipedia.

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Die Erinnerungen an meine ersten Geburtstage

Ich erinnere mich noch gut an einige meiner Geburtstage aus der Vorschul- und späteren Schulzeit. - Im Jahre 1937 fiel mein Geburtstag auf einen Sonnabend. Es war ein schöner, milder und sonniger Tag, als mein Vater sagte: „Komm wir beide fahren mal mit dem Bus in die Stadt“. Busfahren war ja schon immer ein Hobby von mir, zumal wir genau an der Endstation der Linie 4 wohnten, an der die Busse wendeten.

Zu meiner grossen Freude landeten wir bei einem Fahrradgeschäft, in dem ich mir ein Fahrrad aussuchen durfte. Natürlich nahm ich ein rotes, noch mit Stützrädern versehen – und dann gings ab zu Fuss über die Bahnhofsbrücke, die Mulde, an der Gasanstalt vorbei nachhause. Ich strampelte mit allen verfügbaren Kräften und der feste Griff meines Vaters am Sattel verhinderte schlimmere Unfälle. So kamen wir glücklich aber erschöpft zuhause an.
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Meine Eltern

Meine Eltern stammten beide aus Uschneudorf, das auf dem Ostufer der Netze lag und nach dem ersten Weltkrieg polnisch wurde. Deshalb hat mein Vater auch auf das Erbe des elterlichen Bauernhofes verzichtet und ging mit 18 Jahren auf die deutsche Seite nach Schneidemühl. Er lernte zunächst Maurer, dann auch noch Zimmermann und erwarb dann seinen Titel als Baumeister.

Die Grosseltern und die jüngeren Geschwister meiner Eltern wohnten weiterhin auf der „polnischen Seite“ so dass wir oft hinüber fuhren, im Sommer auch mit dem Fahrrad. Es waren ja weniger als 5 km.
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Im Sommer 1938 machte ich einen "Ausflug"

Eines schönen Tages im Sommer 1938 hatte ich - ich weiss nicht mehr warum - eine Auseinandersetzung mit meiner Mutter. Ich meinte wohl, man liebte mich nicht mehr, schnappte mir mein Fahrrad und radelte von Schneidemühl gen "Usch-Neudorf" (an der Netze - ehemals Preußen/Pommern, heute Ujście in Polen), ohne jemandem etwas davon zu sagen.

Die Grenzer in Usch waren wohl etwas erstaunt, als ich ihnen erklärte, dass ich zu Oma und Opa wollte, ließen mich aber passieren, wie das ja auch sonst immer ohne Formalitäten geschah, da ja jeder jeden kannte.
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Ich wurde gesucht, die ganze Nacht

Abends gab es dann zu Hause grosse Aufregung „der Junge ist weg mit dem Fahrrad“ Die Nachbarschaft und die ganze Strasse wurden abgesucht und abgefragt. Ohne Ergebnis. Meine Eltern müssen eine furchtbare Nacht durchlebt haben.

Eine Anzahl der Arbeiter meines Vaters kamen von der polnischen Seite, auch aus Uschneudorf, und als diese bei ihrer Ankunft am nächsten Morgen von dem Ereignis erfuhren, sagten sie wohl zur grenzenlosen Erleichterung meiner Eltern „der ist doch bei Oma und Opa Grünke, gesund und mit Fahrrad“.

Auf der polnischen Seite gab es damals weder elektrischen Strom noch Telefon, so setzten sich Vater und Mutter ebenfalls auf ihre Fahrräder um mich zu holen. Ich kann mich nicht erinnern, mehr als eine Strafpredigt erhalten zu haben.
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Mein 6. Geburtstag 1938 - als unser Vater verunglückte

Mein 6. Geburtstag 1938 bleibt mir bis heute in traumatischer Erinnerung. Es war ja wieder ein Wochenende und wir hatten Besuch von Oma Grünke, Tante Hete, Tante Else und anderen, an die ich nicht mehr erinnere. Wir hatten einen schönen Sonntag.

Am Montagmorgen aber wurden wir mit Geschrei und Geweine geweckt. Mein Vater hatte einen Lastwagen zum Transport von Baumaterial angeheuert. Dieser war morgens gegen 7 Uhr am Bahnübergang Hasenberg mit einem Zug zusammengestossen, wobei mein Vater als Beifahrer tötlich verletzt wurde.

Seither habe ich oft von meiner Mutter gehört : „das Letzte, das Dein Vater gegessen hat, war deine Geburtstagstorte“. Dies hat mich so beeindruckt, daß ich nie mehr meinen Geburtstag mit Freude verbracht habe.
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April 1939 - ich kam in die Schule

Im April 1939 wurde ich in der Bismarckschule in Schneidemühl eingeschult. Das Beste daran war, dass ich zusammen mit den anderen jeden Tag mit dem Bus fahren durfte.

Mein erster Klassenlehrer war Bruno Zielke, der zufälligerweise vor dem ersten Weltkrieg als junger Lehrer schon meine Mutter in Uschneudorf unterrichtet hatte. Er war also von der alten Schule und der Rohrstock war ein bedeutender Teil seines Unterrichts. Für „normale“ bestrafungswürdige Vorfälle gab es einen Schlag auf die ausgestreckte Hand, aber es sind auch Schläge auf den Hosenboden vorgekommen.

Mein grosses Problem war, dass ich Linkshänder war und das war damals noch abwegig. Meine linke Hand erhielt daher einen Verband, der mich zwang, rechts zu schreiben. Trotzdem habe ich nie zu einer guten Schriftnote gebracht. Zum Zeichnen wurde mir diese Qual zum Glück nicht aufgezwungen.
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1942 waren wir schon im Krieg

1942 wurde unser Sägewerk stillgelegt und die Arbeiter – vor allem ältere und Kriegsgefangene - von den FEA Werken übernommen.

Inzwischen wurde auch unser Schuljahr vom Frühling auf den Herbst umverlegt und die Sütterlin Schrift auf die „lateinische“ Schrift.
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Herbst 1943 - ich kam in die Oberrealschule

Im Herbst 1943 wurde ich dann auf auf die Oberrealschule umgeschult und sollte auch meinen Dienst im „Jungvolk“ antreten. Zu meinem Leidwesen war meine Mutter jedoch strikt dagegen und verhinderte meine Teilnahme fast um ein ganzes Jahr. Dafür wurde ich aber schon nach wenigen Monaten „Rottenführer“ als Chef der kleinsten Einheit, circa 10 Mann, die es damals gab.
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Mein 11. Geburtstag

Mein 11. Geburtstag fiel wieder einmal auf einen Sonnabend und ich werde auch diesen nie vergessen. Es war ein nasskalter Herrbsttag.

Als Bauernsohn hatte mein Vater auch in Küddowtal ein wenig Landwirtschaft betrieben. Es wurde Roggen, Kartoffeln und Luzerne für die Pferde angebaut und an der Küddow hatten wir auch eine Wiese, die Heu für den Winter lieferte.

Nach der Schliessung des Sägewerks und wohl wegen der Kriegslage hat meine Mutter die leerstehende Garage in einen Kuhstall umfunktioniert und 2 Kühe angeschafft. Dazu Schweine und jede Menge Hühner und Gänse.
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Beim Säen fast erfroren ......

Aber zurück zum Geburtstag. Wir hatten nur einfache Ackergeräte und borgten uns bei den Bauern bei Bedarf deren Geräte aus. So hatte meine Mutter verreinbart, dass am Sonnabend-Morgen Roggen gesät werden sollte und mich dazu bestimmt, hinter der Drille zu laufen, um die Wrusen, die die Drillen aus der Furche hoben und so die Saat auf die Oberfläche streuten, abzuhaken, damit die Saat wieder in den Boden kam.

Das ganze natürlich barfuss. Der Boden war aber so kalt, dass ich kaum darauf stehen konnte, sondern immer von einem Bein aufs andere hüpfte, um die Kälte auszuhalten. Je schneller die Drille fuhr, desto weniger schmerzlich war es für mich. Wir haben zwar den Roggen gesät, aber als ich mittags wieder zu Hause war, war ich total erledigt und musste statt Geburtstag zu feiern eine Woche mit einer starken Erkältung das Bett hüten.
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Sommer 1944 - Besuch von der Gestapo

Der Sommer 1944 war auch für uns Oberschüler ereignisreich, weil wir Besuch von der Gestapo hatten, denn unser Direktor und auch einige Lehrer waren in das Hitler Attentat verwickelt und oder hatten Teilnehmer versteckt. Die Tragweite des ganzen war mir jedoch nicht bewusst.

Nach den Herbstferien wurde der Unterricht nicht wieder aufgenommen, sondern wir mussten zusammen mit alten Leuten, Hausfrauen und „Fremdarbeitern“ Schützengräben und Unterstände bauen. Beim Jungvolk wurde uns der Umgang mit Panzerfäusten erklärt.
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Weihnachten 1944

Nach Weihnachten wurde die Lage immer kritischer, Geschütze wurden in Stellung gebracht, Panzerfäuste wurden in gewissen Abständen auf beiden Seiten der Schützenstrasse aufgestapelt und in unserem Haus wurde der Gefechtsstand der Artillerie eingerichtet.

Der Kommandeur war beruflich ein Pfarrer aus der Lüneburger Heide. Als er einmal zufällig meine Schwärmerei über die Panzerfäuste hörte, nahm er mich zur Seite und sagte: „Lass das dumme Gerede, wenn Du noch einmal von der Panzerfaust sprichst und mehr noch, wenn Du eine davon, die hier rumliegen, anfaßt, kriegst Du eine Tracht Prügel von mir, wie Du sie noch nie erlebt hast.“
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Die große Flucht aus dem Osten hatte angefangen

Inzwischen waren auch die Verwandten aus Uschneudorf und Neusarben bei uns gelandet und es wurden Vorbereitungen für die Flucht getroffen.

Auch die bei uns im Büro einquartierten Litauer drängten, wir sollten doch zusammen mit ihnen weiter nach Westen ziehen. Meine Mutter glaubte aber noch immer an das „Wunder“, das die Russen aufhalten würde.
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25. Januar 1945 - es wurde Ernst

Ein erster Anlauf zum Treck wurde dann am 25. Januar gemacht, aber wir kehrten wieder um. Am 28. Januar war die Lage so kritisch, dass losgefahren wurde - mit 2 gut ausgestatteten Leiterwagen. Wegen der überfüllten und „verstopften“ Berliner Strasse, hatte man beschlossen, über Schönlanke zu fahren.

Das war der Irrtum Nummer 1, denn die Russen kamen mit ihren Panzerspitzen von Süden, um nach Norden an die Ostsee vorzustossen und die Deutschen einzukesseln. So erreichte eine russische Panzerspitze unseren Treck noch vor Schönlanke und zwang alle unter Androhung des Überrollens zur Umkehr. Irrtum Nummer 2 war, dass der Ernst der Lage wohl weiterhin verkannt wurde.
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Als wir den Russen in die Hände fielen

Wir hatten Verwandte in Kegelsmühl, das nicht zu weit entfernt war, und es wurde beschlossen, zunächst dorthin zu fahren.

Während wir dort ausspannten, fuhren andere Fuhrwerke Richtung Deutsch Krone weiter. Wie wir später feststellen konnten, sind sie heil bis nach Niedersachsen oder Schleswig Holstein gelangt, während wir den Russen in die Hände fielen.

Am 29. Januar kamen noch vereinzelte – wohl versprengte deutsche Soldaten durch das Dorf und am 30. Jan. dann die ersten Russen. Diese zogen aber wieder ab.
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Über das Drama des Benehmens der Russen

Das bereits allseits bekannte Drama des Benehmens der Russen will ich nicht im Einzelnen schildern; ich habe es auch nur im Rahmen meines damaligen Verständnisses erlebt. In Erinnerung bleibt mir jedoch der Anblick unseres Hausmädchens, das wohl auf der Flucht vor einem Russen in die Speisekammer geriet und von dem Soldaten dorthin verfolgt wurde.

Wir hockten verstört und verängstigt in einer Küchenecke und hörten Krach und das Klirren zerbrochener Gläser.
Der Russe kam nach kurzer Zeit fluchend wieder heraus und verliess das Haus.

Einige Zeit später kam auch das Mädchen schreiend, mit nassen Kleidern und mit rotem Zeug in den zerzausten und durchnässten Haaren heraus.

„O Gott, war mein erster kindlicher Gedanke, jetzt kommt Ihr Gehirn aus dem Kopf. „ Zum Glück waren es aber nur ausgesteinte Kirschen aus einem Weckglas, das auf ihrem Kopf zertrümmert worden war.
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Unser Onkel Willy - er hatte nur noch 1 Bein

Onkel Willy, einer der jüngeren Brüder meines Vaters, war der einzige Mann unserer Gruppe. Er war vor Leningrad auf eine Mine getreten und hatte so ein Bein verloren. Da er nach dem 1. Weltkrieg die polnische Schule besuchen und später auch den polnischen Wehrdienst ableisten musste, sprach er einigermassen polnisch.

Wenn also Russen auftauchten, gab er sich als ein polnischer Knecht aus, der nicht mit seinen früheren Arbeitgebern geflüchtet war. So erfuhr er manches, was uns oder einigen von uns das Leben gerettet hat.

Eines Tages erfuhr er so von einem Russenkommando, dass sie erfreut waren, dass es hier noch so viele Deutsche gab, sodass es sich lohnen würde, wieder vorbeizukommen, ordentlich einen drauf zu machen und die „Deutschen mal richtig tanzen zu lassen.“ Die Angst war natürlich gross und die bange Frage war, was tun?
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Die Nacht über im Pumpenkeller versteckt

Schliesslich kam einer auf die Idee, dass wir uns alle im Pumpenkeller verstecken sollten. Dieser war unter dem eigentlichen Keller und nur durch eine Luke erreichbar. Er wurde mit viel Stroh für die Nacht hergerichtet; wir zogen abends alle ein, Onkel Willy verschloss die Luke und richtete den Keller so ein, als ob er verwüstet verlassen worden wäre.

Während die Frauen und Mädchen weinten, beteten oder sich ausmalten, dass ihre letzten Stunden nahe seien, entschied ich, dass ich auf keinen Fall sterben wollte. Ich hatte eine Ecke gefunden, in der altes Gerümpel lagerte und hatte mir das so eingerichtet, dass ich mich dahinter unter dem reichlich vorhandenen Stroh verstecken konnte. Mit der so gewonnenen Zuversicht bin ich dann wohl auch eingeschlafen.

Die Russen fanden das „Nest“ also verlassen vor und Onkel Willy hatte grosse Mühe ihnen zu erklären, daß die Deutschen in den Wald geflohen seien. Das wollte man zunächst nicht glauben, aber als Onkel Willy ihnen den Weinkeller im verlasssenen Haus Fenske zeigte, wurden sie zufriedener und zogen nach der „Weinprobe“ mit vielen Flaschen beladen weiter, denn sie wollten mehr als nur Wein.
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Meine Erfahrungen mit den Russen

Nach wenigen Tagen totaler Willkür und Angst, richtete sich ein Trupp von 5 Russen bei der Familie Schwarz - uns gegenüber - ein und sorgte auch dafür, daß die Übergriffe anderer Soldaten eingeschränkt wurden, denn Kegelsmühl war in der Etappenzone der Truppen, die Schneidemühl eingekesselt hatten.

Wie sich herausstellte, war es eine Panzerbesatzung, die ihr Fahrzeug so ins Krumme Fliess, einen Bach, der durch Kegelsmühl floss, gerammt hatte, daß es weder vorwärts noch zurück ging.

Diese Leute wurden so unsere „Kommandantur“ bis zu ihrem Abzug Ende August 1945 und sie sorgten dafür, daß es bei uns im Dorf im Gegensatz zu den umliegenden Dörfern nicht zu Mord und Totschlag kam.
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Alle Pferde und alle Radiogeräte wurden "kassiert"

Die Russen kassierten sofort alle Pferde und alle Radiogeräte. Anfang März erfolgte ein Aufruf, nachdem alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren „zu Aufräumungsarbeiten“ antreten und dafür die notwendige Kleidung mitnehmen sollten. Das wurde auch befolgt, nur glaubte man, dass es sich auf die Umgebung z. B. Schneidemühls bezog, während es in Wirklichkeit nach Russland ging, von wo die Mehrzahl erst nach Jahren oder garnicht mehr heimkehrte.
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Ich gehörte auch zu den „Beerdigungskommandos“

Durch das einsetzende Tauwetter ergaben sich neue Probleme. In der Gegend hatten ja "Kampfhandlungen" stattgefunden und es gab tote Menschen, Soldaten und Zivilisten und Tiere, vor allem Pferde, die ausserhalb der Dörfer noch immer unbeerdigt waren. Die Russen hatten sich nur um die eigenen Gefallenen gekümmert, nicht aber um die Deutschen.

So wurden nun „Beerdigungskommandos“ aufgestellt. Auch ich wurde dazu eingeteilt. Wegen des Zustands der Leichen wurde direkt daneben ein flaches Loch ausgehoben, die Leiche hineingeschubst und dann zugeschaufelt.

Als einzige Markierung steckten wir eine Holzlatte in die Erde für den Fall, dass sich später jemand dafür inrteressieren würde. Das ist aber wohl nie geschehen und die so Begrabenen gehören bis heute zu dem grossen Heer der Vermissten.
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Unser Dorf wurde zu einer "Kolchose"

Etwa zur gleichen Zeit wurde unser Dorf zu einer Kolchose umfunktioniert. Etwa die Hälfte der Einwohner war geblieben und eine ähnliche Zahl war auf dem Treck hängen geblieben, so dass die Mehrzahl der Häuser bewohnt waren.

Jeder Familie wurde 1 Kuh zugeteilt. Der Rest sollte zusammen mit dem Vieh aus anderen Dörfern zum Bahnhof Stöwen zur Weiterverladung getrieben werden. Dazu wurde auch ich zusammen mit 3 gleichaltrigen Jungen aus dem Dorf verpflichtet. 3 Russen mit einer "Kalesche" bildeten unsere Bewachung.
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Zumindest gabs etwas zu Essen

Leider entsprach das Versprechen „bis zum Bahnhof Stöwen“ nicht den Tatsachen. Unser Transport machte abends auf einem verlassenen Bauernhof halt. Wir mussten Heu und Stroh fürs Vieh holen, wurden dann mit Brot und Rührei abgefüttert und anschliessend in ein Zimmer gesperrt, das vorher ebenfalls mit Stroh „ausgepolstert“ worden war.

Wir waren insgesamt 12 Jungen zwischen 12 und 15 Jahren. Am nächsten Morgen gings weiter. Wir Kegelsmühler hielten uns zusammen und teilten unsere Angst. Abends landeten wir wieder auf einem verlassenen Hof, der nur von Hühnern bevölkert war. überall waren grosse Eiergelege und so gab es auch wieder Rührei satt.
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„komm wir suchen die Eier“ - Vorbereitung einer Flucht

Irgendwoher hatten die Russen Wodka aufgetrieben und statt ihn pur zu trinken, kam einer auf die Idee ihn mit rohen Eiern zu vermischen. Das machte sie wohl lustiger und leichtsinniger.

Als die vorhandenen Eier alle waren, bedeutete uns einer, wir sollten noch welche suchen. Da alle sehr müde waren, gab es zunächst keinen Freiwilligen. Ich stiess daher meine Landsleute an und sagte, „komm wir suchen die Eier“.

Das taten wir, während die andern schon ihr Lager aufsuchten. Als wir mit den Eiern kamen, waren die Russen schon recht fidel und bedeuteten uns, nun auch schlafen zu gehen. Das taten wir aber nicht.
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Die Nacht im Heuschober und 2 intakte Weckgläser

Wir verliessen den Hof und machten uns ängstlich, aber entschlossen auf den Weg zurück, wenigstens soweit bis wir uns sicher fühlten.

Dann verkrochen wir uns in einen Heuschober, der in der Nähe eines ebenfalls verlassenen Bauernhauses war, wärmten uns gegenseitig und schliefen bald ein.

Am nächsten Morgen lugten wir erst vorsichtig unter dem Schober hervor; nichts war in Sicht. Das Wetter war nass und kalt. Wir beschlossen, daß 2 von uns das Gehöft untersuchen sollten; schliesslich hatten wir ja auch Hunger.

Im völlig verwüsteten Keller fanden wir dann auch noch zwischen allem Gerümpel 2 intakte Weckgläser, eins mit Leberwurst und eins mit Blutwurst. Damit zogen wir uns zu unserem Heuschober zurück.
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Unsere "Flucht" - zurück Nachhause

Als es schummrig wurde, machten wir uns weiter auf den Weg zurück. Wir mussten Stöwen umgehen und die Bahnlinie kreuzen, dann immer am Strassenrand entlang, um bei Auftauchen eines Fahrzeuges schnell im Wald zu verschwinden, aber es passierte nichts.

Endlich erreichten wir die Kreuzung Kleinmühl - Kegelsmühl. Auch hier liefen wir den Waldrand entlang und kamen schliesslich an den Schweinestall von Kluxens. Dort verkrochen wir uns im Stroh.

In der Frühe wurden wir von Tür und Eimer Gehlappere geweckt. Tante Emma kam zum Schweinefüttern. Leise sagte ich „Hallo Tante Emma, ist die Luft rein?“ Die Tante war so erschrocken, dass sie den Eimer beinahe fallen liess, aber dann sagte sie „Jungchen, dass ihr wieder da seid“ ich werde euch mal schnell heisse Milch mit Honig holen. Die Russen (unsere Kommandantur) sind gerade weggefahren.“

So merkten „unsere“ Russen erst später, dass wir wieder da waren, und hatten auch nichts gegen die Erklärung, dass die „Towarischs“ uns an der Strasse abgesetzt hätten.
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Zuhause wurde ich zum "Kuhjungen"

Zusammen mit den alten Bauern, die nicht zur „Aufräumung“ verpflichtet worden waren, wurde die „Kolchose“ organisiert. Die Kommandantur hatte zwar 5 Pferde, aber die wurden zunächst nicht für die Landarbeit benutzt.

Dafür wurden Jochs für die Kühe gebaut, die von jetzt an die Pferdearbeit verrichten mussten. Wir hatten anfänglich 18 Kühe. Es wurden 3 Gespanne geschaffen und die Kühe wurden reihum eingesetzt. Der Rest ging auf die Weide.

Da ich der einzige „Stadtjunge“ war und von der Landwirtschaft kaum Ahnung hatte, wurde ich zum Kuhjungen ernannt und musste die Kühe hüten. Das ging leider nicht lange gut. Als die Kühe auf einer Weide nahe der Strasse waren, wurden sie von vorbei fahrenden Russen entdeckt, die sofort eine abschossen, während ich vor Angst schlotternd durchden Wald ins Dorf lief, um den Vorfall zu melden.

Unsere Russen schwangen sich zwar sofort auf die Pferde, konnten aber nichts mehr ausrichten.
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Da waren es nur noch 17 ..... und dann nur noch 16 Kühe

Wir hatten nun nur noch 17 Kühe. - Es wurde beratschlagt, was zu tun sei und man kam zu dem Entschluss, ich sollte jetzt den Kettenhund vom Bauer Schwarz, bei dem sich die Russen auch einquartiert hatten, mitnehmen und bei Gefahr sofort loslassen, damit er ins Dorf rasen konnte, um so die Gefahr zu melden, denn vom Kühe hüten hatte er sowieso keine Ahnung.

Das ging einige Tage gut, bis wieder ein Trupp mit Lastwagen auftauchte. Ich liess den Hund los und verzog mich in den Wald. Unsere Russen kamen auch kurze Zeit später mit ihren Maschinenpistolen knatternd angeritten und die Lastwagenbesatzung verzog sich schleunigst, aber ohne die bereits getöte Kuh.

Dadurch gab es im Dorf Fleisch satt, aber wir hatten nur noch 16 Kühe. Also wurde beschlossen, dass die Kühe im Stall blieben. Ich wurde dadurch als Cowboy arbeitslos.
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Vom "Kuhjungen" zum "Pferdepfleger"

Bisher hatten wohl die Jungens von Schwarz die Pferde gefüttert und gepflegt, aber da sie ja bei der Landarbeit gebraucht wurden, wurde ich zum Pferdepfleger ernannt. Ich musste die Pferde füttern, striegeln, auf- und abzäumen, die Kaleschen säubern und so fort.

Vor allem, wenn sie angeheitert waren, um es nicht anders auszudrücken, fuhren sie wie „gesenkte Säue“ - wie mein Onkel zu sagen pflegte - und fuhren eine Kalesche nach der anderen zu Schrott. Dadurch kamen sie auf die Idee, ich könnte ja zusätzlich auch Kutscher sein. Das war für mich natürlich phantastisch, denn so kam ich nach Deutsch Krone, nach Schneidemühl und in die umliegenden Dörfer und war so bald ein geschätztes Nachrichtenbüro.
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7. Mai. 1945 „Hitler kaputt – Krieg vorbei“

Am 7. Mai kam dann die grosse Nachricht „Hitler kaputt – Krieg vorbei“. Mit 3 unserer Beschützer und 2 leeren Milchkannen gings nach Deutsch Krone, wo die Russen eine Sonderration Wodka und andere Sachen in Empfang nahmen und wir uns damit wieder angeheitert und lautstark auf den Rückweg machten.

Im Dorf waren inzwischen Schweine und 1 Kalb geschlachtet worden und auch sonst alles für das Fest vorbereitet worden. Mein Onkel Willy war ja Fleischermeister und hatte alles wohl im Griff.
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Mein erster Schluck Wodka

Als wir am späten Nachmittag ankamen, waren das Wellfleisch und die Kochwurst schon fertig und mein Onkel und auch ich bekamen ein Glas voller Wodka. „Dawai Bazan“ lachten die Russen, als schon das erst Nippen mir einen Hustenanfall verursachte. Dann gab mir einer eine Kochwurst und bedeutete, dass ich diese zerkaun und dann mit dem Wodka runterspülen sollte.
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Eine Siegesfeier der besonderen Art

Das klappte dann auch irgendwie im Laufe der Zeit. Die Russen hatten auch ein schönes Grammophon erbeutet, das allerdings nur klassische Musikplatten hatte, ausser einer, die auf einer Seite das Deutschlandlied und und der anderen Seite das Horst-Wessel Lied hatte. Da sie dieses nicht kannten, haben sie es den ganzen Abend abgedudelt und dazu gestampft, gesoffen und gegröhlt. Eine Siegesfeier der beonderen Art.
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Die Wodka Nachwirkungen

Nachdem ich also Wurst und Wodka heruntergeschluckt hatte, durfte ich zu meinen Pferden. Ich bin auch noch wissentlich auf den Heuboden geklettert. Dort habe ich – wohl zu meinem Glück – Heu für eine Woche heruntergeschmissen und bin dann schliesslich – schon ausser Bewusstsein hinterhergefallen.

Beim Morgengraun wachte ich dann auf und wühlte mich aus dem Heu. In meinem Kopf dröhnte und pufferte es, mein Magen rebellierte und ich erbrach mich, als ich aus dem Stall an die frische Luft kam. So gut es ging, schleppte ich mich nach Hause, wo ich dann von meiner Mutter empfangen, weiter verarztet und ins Bett gesteckt wurde.
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Noch einmal mit der Kutsche nach Schneidemühl

Ich diente weiter als Pferdejunge und machte so manche Reise in die Umgegend mit. Schneidemühl war sehr stark zerstört. Auf dem Marktplatz hatte man eine Denkmal für die gefallenen russischen Soldaten aufgebaut.

Schon im Mai konnte ich Fjodor von unserer Kommandantur überreden, bei uns zu Hause vorbeizufahren. Das Haus hatte am Giebel wohl eine Salve von einer Stalinorgel abgekommen, war aber schon notdürftig geflickt und von Deutschen bewohnt, die dort hängen geblieben waren. Das Werksgelände war völlig intakt. Ich ging auch in den Sägespänekeller, wo wir eine grosse Kiste mit Sachen vergraben hatten. Die war aber aufgefunden und ausgeraubt worden.
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Der letzte Sommer in der Heimat - und mein Bruder Egon

Unsere Dorfkolchose funktionierte und noch dachte wohl niemand der Einheimischen daran, dass dies ihr letzter Sommer in der angestammten Heimat sein sollte.

Zu unserer Kolchose gehörte auch das GUT Kegelshöhe, auf dem auch mein älterer Bruder Egon eingesetzt war. Er hatte einen Passierschein und ging morgens die rund 1.500 Meter dorthin und kam abends zurück. Wenn das Wetter schlecht war, blieb er auch manchmal dort. So waren wir nicht beunruhigt, als er eines Abends Mitte Juni nicht in Kegelsmühl ankam. Erst als Kegelhöhe sein Nichterscheinen reklamierte, kam Angst und Unruhe auf. Auch unsere Kommandantur beteiligte sich an der Suche, aber alles war zunächst vergeblich.
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.... ihr könnt da "jemanden" abholen

Etwa 10 Tage später erfuhr dann unsere Kommandantur, dass sie ein Mitglied ihrer Kolchose in Deutsch Krone bei der GPU abholen könnten.

Wir fuhren hin und erhielten einen Egon, der mich nicht erkannte und völlig verstört war. Auch zu Hause wurde es nicht besser. Egon hatte manchmal epileptische Anfälle und diese erfolgten jetzt in sehr kurzen Abständen und in einer sehr heftigen Form. Danach war er völlig erschöpft. Er aß auch kaum und am Morgen des 25. Juni, dem Geburtstag meiner Mutter, starb er.
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Egon wäre im August 16 Jahre alt geworden

Wie wir später von unserer Kommandantur erfuhren, war er von einer Streife kontrolliert worden und man fand eine leere Patronenhülse in seiner Hosentache. Die Reaktion „DU Partisan“ und ab nach Deutsch Krone ins GPU Gefängnis. Dort wurde er dann wohl so gefoltert, um ein Geständnis zu erhalten, dass er seelisch und körperlich zusammenbrach.

Er wäre im August 16 Jahre alt geworden. Die Patronenhülse hatte er gefunden und wollte sie seinen kleinen Brüdern mitbringen, die die überall herumliegenden Patronenhülsen sammelten, klassifizierten und tauschten, wie man in normalen Zeiten Zigarettenbilder sammelte.
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Als die Russen die alten deutschen Mähdrescher bestaunten

Im Dorf gab es auch einen LANZ Bulldog Trecker mit riesigen Stahlrädern und der älteste von den Vogels Jungen wusste auch, wie man ihn in Betrieb setzen konnte, nachdem die Russen Diesel organisiert hatten.

Dieser Trecker leistete grosse Dienste bei der Getreideernte. Im Dorf gab es mehrere Mähdrescher, die von den Russen bestaunt wurden, weil sie das Korn fertig in Säcken ablieferten. War einer kaputt, blieb er auf dem Acker stehen und der nächste wurde in Betrieb genommen.

Jede Woche fuhren wir mit dem Trecker auch zum Bahnhof Wittenberg, um das Getreide abzuliefern. Zur Erntehilfe bekam die Kolchose auch eine Gruppe von etwa 30 deutschen Kriegsgefangenen, denen man versprochen hatte, dass sie nach der Ernte nach Hause entlassen werden würden. Das war jedoch eine Lüge, zusammen mit dem letzten Getreidetransport wurden sie nach Russland transportiert und landeten – wie wir später erfuhren - im Kaukasus. Sie kamen erst 1948 nach Hause.
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Und dann noch eine positive Überraschung

Einer der russischen Bewacher der Kriegsgefangenen bescherte uns eine Überraschung, von der wir in diesem Augenblick noch nichts ahnen konnten.

Mein Bruder Lothar - er war damals gerade 10 Jahre alt – hatte irgendwo ein nagelneues Journal für Buchhaltungszwecke gefunden und stolzierte damit durch die Gegend. Dieses fand das Interesse dieses Russen, denn es erschien ihm ideal für seine Gefangenenkontrolle. Lothar wolltes es aber nicht hergeben. Da zeigte ihm der Soldat einen Packen bunter, nagelneuer Geldscheine und die erschienen Lothar so attraktiv, dass er in das Geschäft einwilligte. Er hat diesen Packen Scheine auch bis ins Aufnahmelager Berlin mitgebracht.

Hier entdeckten wir dann, dass es kein Spielzeuggeld, sondern „Deutsche Mark der allierten Besatzungstruppen in Deutschland“ waren, mit denen die Russen wohl entlohnt worden waren, aber nichts damit anfangen konnten. Lothar hatte über 200 Mark für sein Journal kassiert.
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Unsere Kuh war die Letzte von 18

Obwohl nach Ende meiner „Cowboy“ Zeit jede Familie ihre Kuh im Stall ließ, verloren alle nach und nach ihr Rindvieh durch nächtliche Einbrüche in die Ställe, gegen die wir machtlos waren, weil wir nachts unsere Häuser nicht verlassen durften und unsere Kommandantur erklärte sich für machtlos, weil alles so leise geschah und sie auch ein Recht auf Schlaf hatten.

Ich persönlich glaube nach wie vor, dass „unsere Russen“ Teil des abgekarteten Spiels waren und ihren Anteil in Form von Wodka oder anderen Zuwendungen kassierten. Da wir auf dem grossen mit verschiedenen Ställen und Scheunen bebauten Fenske Grundstück wohnten, versteckten wir unsere Kuh jeden Abend woanders und waren so die letzten, die ihr Rindvieh verloren, und zwar durch dessen eigene Schuld.

Die Kuh war nämlich wie die Bauern sagen, „nach dem Bullen“ und brüllte deswegen oft und laut. Das konnten wir trotz der Verschanzung mit Strohballen nicht völlig unhörbar machen. So fanden wir eines morgens nur noch die Gedärme des Tiers vor.
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Ende August 1945

Ende August zogen die Russen ab und erklärten uns, dass alle deutschen Gebiete östlich der Oder jetzt den Polen gehörten und diese über unsere Zukunft entscheiden würden.

Es kamen auch bald die ersten Panjewagen mit armen, aber frechen Leuten (Polen) an, die sich die besten Häuser aussuchten und die deutschen Bewohner daraus vertrieben. Zum Glück siedelten sich in Kegelsmühl nur 3 Familien an.
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Ab jetzt mussten wir für die Polen arbeiten .....

Im Gegensatz zu den Russen, die immerhin eine gewisse Ordnung eingeführt hatten und dafür sorgten, dass jede Familie einen Anteil an der Ernte für die eigene Versorgung bekam und eigenes Kleinvieh hatte, mussten wir für die Polen kostenlos arbeiten und zusehen, wie wir uns selbst versorgten. Unsere Gesuche auszureisen wurden erst bearbeitet, als sie durch den Winter keine Arbeit mehr für uns hatten.

Bis in den November 1945 mussten wir noch, sogar bei Frost und unter Schnee Kartoffeln rausmachen, die in die Brennerei gingen, die schon unter den Russen immer voll in Betrieb gewesen war und jetzt Wodka für die Polen produzierte.
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Nachts kamen die vermummten Polen

Das schlimmste war, dass uns nachts vermummte Polen überfielen, aus dem Haus jagten und dann alles, was ihnen gefiel, mitnahmen. Jede Nacht wurde eine andere Familie überfallen, aber man wusste nie, wer wann dran war. So wurden von unserer Seite immer neue Verstecke gesucht, um wenigstens das Wchtigste zu schützen.

Wir wohnten auf der rechten Seite des Hauses der Familie Fenske, die rechtzeitig geflohen war. Es war ein ehemaliges Gutshaus aus der Zeit, als auch Kegelsmühl ein Gut war.

Hinter unserem Wohnzimmer war ein Mansardenzimmer, das nur ein kleines Fenster hatte, das versteckt über dem von aussen zugänglichen Kellereingang war. Dort versteckten wir unsere wichtigsten Sachen und schoben dann einen Kleiderschrank vor die Tür. Zu unserem Glück haben die Polen es nie entdeckt.
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12. Januar 1946 - wir durften "aus Polen" ausreisen

Zum Jahresende bekamen wir dann endlich die Ausreisegenehmigung und der Transport war – glaube ich – für den 12. Januar 1946 ab Bahnhof Stöwen festgesetzt. Wie ich schon erwähnt habe, haben vor dem Krieg eine Reihe von Leuten aus Uschneudorf und Usch im Betrieb meiner Eltern gearbeitet.

Inzwischen hatte meine Mutter und meine Tante Hedwig auch Kontakte dorthin geknüpft. Dabei muss man sich vorstellen, dass es bis dahin über 20 Kilometer waren, die die Frauen im Winter bei Schnee und Frost zu Fuss gehen mussten.

Für die Ausreise war festgesetzt, dass jeder nur soviel mitnehmen durfte, wie er selbst tragen konnte und wir wussten auch durch vor uns Abreisende, dass sie auf dem Wege nach Stöwen auch wieder überfallen und ihrer letzten Wertsachen beraubt wurden.

Wir hatten ja noch eine ganze Reihe von Sachen, die wir auf keinen Fall mitnehmen konnten, zum Beispiel das Bettzeug, viele Kleidung, Geschirr, die Teppiche mit denen wir unsere Leiterwagen ausgekleidet hatten und vieles andere mehr. Wir wollten dies alles nicht unseren Peinigern überlassen.
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Mit einem Trick konnten wir doch etwas mehr retten

So vereinbarten sie mit einem dieser früheren Arbeiter, - ich erinnere den Namen nicht mehr – dass er einen Tag vor dem angesetzten Transport mit seinem Leiterwagen nach Kegelsmühl kommen sollte um alles mitzunehmen, was wir sonst zurücklassen müssten und uns dafür zum Bahnhof Stöwen zu fahren und dort abzusetzen. Es klappte und wir behielten wenigstens die Habseligkeiten, die wir tragen konnten.

Wir waren ja eine ansehnliche Gruppe. Unsere Mutter, Lothar. Eberhard und ich, Tante Herta mit Rudi und Marianne, Onkel Willy, der ein Bein bei Leningrad geopfert hatte, mit Tante Hedwig und ihren Kindern Reinhard, Erika und Brigitte, Oma Grünke, Oma Schleusner, Tante Else sowie Tante Emma und Onkel Karl Kluxen.

In Stöwen standen die Güterwagen bereit und wir wurden darin verladen. Es war hundekalt und wir versuchten, uns mit unserem kärglichen Gepäck einzurichten, so gut es eben ging. Irgendwann fuhr der Zug dann los, um nach einiger Zeit wieder stehen zu bleiben.
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So ging es langsam gen Westen.

Kurz vor Küstrin wurde der Waggon von den Wachsoldaten geöffnet und uns bedeutet, dass, wer immer wollte, im Schnee austreten durfte. Das wollte auch Onkel Karl Kluxen, der schon über 70 Jahre alt und nicht mehr sehr gelenkig war. Mit vereinten Kräften kam er auch von dem Waggon herunter, war aber von der Situation derart überfordert, dass er den Wachsoldaten anschrie und wohl auch handgreiflich wurde. Die Einzelheiten habe ich nicht miterlebt.

Jedenfalls stiess oder schlug der Soldat den alten Mann mit dem Gewehr, so der dann den Bahndamm herunter rollte und liegen blieb. Da kam auch schon das Kommando zum Einsteigen und die Tür wurde wieder geschlossen.

Das war das letzte Male, daß seine Frau - unsere Tante Emma – und wir alle, von unserem Onkel Karl gesehen haben. Wenn er nicht schon tot war, ist er sicherlich ganz schnell erfroren.
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Eine große Hilfe war das schwedischen roten Kreuz

In Küstrin wurden wir dann entladen und vom schwedischen roten Kreuz in Empfang genommen. Als erstes bekamen wir alle eine warme Suppe, sie war wohl in diesem Augenblick das herrlichste Geschenk für uns.

Danach ging es zur Entlausung. Eine dicke Pulverspritze wurde jedem in den Nacken geschoben und gepumpt. Es stank fürchterlich und reizte zum Husten.

Danach wurden wir regisitriert. Der Zufall wollte es, dass wir für die britische Besatzungszone eingeteilt wurden. So kamen wir zunächst in das Auffanglager im britischen Sektor Berlins. Es bestand aus dem Heeresgerichtsgebäude und Gefängnis und der Kruppkaserne. Wir bekamen eine Zelle zugeteilt mit 2 Doppelstockbetten und „eigenem“ Klo.
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Bis Ende März 1946 in Berlin

Eigentlich sollte dies eine kurze Übergangslösung sein, aber da die Alliierten gerade ihre ersten Meinungsverschiedenheiten hatten und die Russen keine Züge bereitstellten, blieben wir hier bis Ende März. Hinzu kam, dass unsere Mutter Typhus bekam und in die Isolierstation eingewiesen wurde.

So waren wir 3 Jungen weitgehend auf uns allein gestellt. Im Lager gab es morgens eine Schleimsuppe, Haferflocken oder Graupen, manchmal mit Milch aber meistens mit Wasser. Dazu pro Tag 400 Gramm Matschbrot, dass etwa zur Hälfte aus Wasser bestand und abends eine Suppenbrühe oder wie immer man das bezeichnen wollte.
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Mit dem „Spielzeuggeld“ von Lothar waren wir reiche Leute

Wir Jungen mussten uns ja die Zeit vertreiben und taten das auf verschiedene Art und Weise. Wir entdeckten, dass das „Spielzeuggeld“ von Lothar richtigen Wert hatte und waren somit „reiche“ Leute. In der Spremberger Strasse gab es ein Kino, dass war immerhin wärmer als unsere Zelle und während der ganzen Zeit gab es nur einen Film, an den ich mich erinnere : „ Grosse Freiheit Nummer Sieben“. Wir haben ihn wohl 20 oder mehr male gesehen. Es gab auch englische und russische Filme, aber an die erinnere ich mich nicht mehr.

Vor dem Kino gab es eine Bude, die Heissgetränk verkaufte - „Himbeergeschmack“ für 15 Pfennig. Wir haben viel davon getrunken, es war so schön warm. Ein anderes Vergnügen war das Fahren mit der S-Bahn - immer rund um Berlin. Wenn das Wetter schön war, spielten wir auf einem Flakscheinwerfer, der im Poststadion stand und mit dem man immer noch um die Runde kurbeln konnte.
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Unsere Mutter kam gesund aus dem Krankenhaus

Endlich kam unsere Mutter aus dem Krankenhaus und wir wurden ins Auffanglager Braunschweig transportiert. Durch unsere Verwandten in Berlin, die nicht ausgebombt waren, gab es eine universelle Kontaktstelle, durch die wir erfuhren, wer sonst wo gelandet war.

So war Onkel Arthur, der als Justizbeamter und wegen seines Alters UK gestellt war und in Frankfurt an der Oder Dienst tat, in Niedersachsen, bei Hitzacker gelandet. Er schrieb uns, dass dort erst wenig Flüchtlinge oder Vertriebene waren. Meine Mutter stellte daher den Antrag, nach dort umgesiedelt zu werden, was auch genehmigt wurde.

Da wir noch keine Einweisung hatten, blieben wir einige Tage auf engstem Raum bei Onkel Arthur und Familie.
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Wir landeten am Ende in Glienitz auf der Westseite der Elbe

Dann bekamen wir die Einweisung nach Glienitz an der Elbe, 3 Kilometer von Wietzetze entfernt ins Haus der Familie Schulze. An einem regnerischen Apriltag machten wir uns auf den Weg dorthin, wurden aber trotz unseres Einweisungsscheins von der Familie nicht aufgenommen.

Da der Bürgermeister auch nichts ausrichten konnte, musste unsere Mutter zu Fuss in das 8 Kilometer entfernte Neu Darchau laufen, wo der nächste Polizeiposten war, um Hilfe zu holen. Wir hockten derweil an einer Hecke an der Strasse gegenüber dem Haus, in das wir einziehen sollten.

Es war schon dunkel als unsere Mutter mit dem Polizisten ankam, der sein Rad schob und mit dem er nach vollzogener Amtshandlung wieder zurück radelte.
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Opa Griebe mochte - wie so manche Deutschen - keine Vertriebenen

Der "Verursacher" des Problems war „Opa Griebe", ein pensionierter Maurer, der mit seiner Tochter und Enkelin das ganze Haus bewohnte. Schiegersohn Artur Schulze war noch in russischer Kriesgefangenschaft.

Man hatte sich wohl schon damit abgefunden, dass wir aufgenommen werden mussten und stellte uns ein Zimmer im Erdgeschoss und eine Mansarde im ersten Stock zur Verfügung, nachdem der Polizist mit harten Strafen gedroht hatte.

Unten gab es 1 Bett sowie Tisch und Stühle und oben gab es ein Doppelbett. Am nächsten Tag meldeten wir uns offiziell an und bekamen Lebensmittelkarten und Bezugsscheine für eine Brennhexe und andere Kleinigkeiten.
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  • Anmerkung von Gert Redlich : Bei uns im Taunus war es so ähnlich. Erst nachdem mir mehrere aus dem europäischen Osten vertriebene Deutsche - aus Schlesien und Pommern und sogar aus Siebenbürgen - erzählt hatten, wie schofelig sich die ehemals strammen Nazis - die vom Krieg fast nicht betroffenen Einheimischen - angestellt hatten, konnte ich es als "wahr" einstufen. Die reichsdeutschen Neumitbürger wurden von den reichsdeutschen Alt-Nachbarn geächtet, gemoppt und ausgegrenzt, was das Zeug hielt. Sogar die Kinder wurden in der Volksschule gehänselt und gefoppt. Übrigens : diese Zeitzeugen leben auch noch.

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