Hier geht es weiter mit 1961er Editorials usw.
Im nächsten Editorial werden die (ersten?) Anfeindungen gegen die Rezensenten und gegen die Kritiker mal etwas aus der Sicht der Redaktion und vor allem dem Zeitgeist von 1961 beleuchtet.
Editorial - fonoforum 5/61 - 6. Jahrgang
Schlagt ihn tot, er ist ein Rezensent!
von H.O.Sp. im Juni 1961 - Oft schon werden Schallplattenhörer und Leser des „fono forum" das Dichterwort nachempfunden haben, das den Zorn des Künstlers auf den Kritiker ausdrückt. Da besitzen sie nun eine Platte, der ihre ganze Liebe gehört, sie hüten sie als Heiligtum.
Kommt doch da so ein intellektueller Snob und weist der Wiedergabe hier einen Fehler nach, da ein paar Nachlässigkeiten. Er verzeichnet geschmacklose Effekte, der Solist gar wird technischer Mängel und beschämender Unreife geziehen. Und was nun erst die Tonmeister betrifft ... Klirrfaktor, Rauschen, Verzerrung und anklagende Worte mehr nagen an den Werten ihres Schatzes. Und überhaupt ...
Eine andere Platte hingegen wird vom Kritiker mit Worten höchsten Lobes bedacht. Glanzvolle Stimmen, Ausgewogenheit des Solistenquartetts, eine unübertreffliche Orchesterleistung, eine musikalische Reife, die dem Meisterwerk, das da auf die Platte gebannt worden ist, in erschöpfender Weise gerecht wird - so heißt es.
„Denn was du schwarz auf weiß besitzt ...", denkt sich der „fono forum"-Leser, (Anmerkung: Dieser Glaube ist solch eine Erbschaft aus den 12 Jahren des 1000jährigen Reiches !!) eilt beflügelten Schrittes in sein Fachgeschäft und ersteht die Platte. Aber groß ist die Enttäuschung. Die so positive Kritik will nicht übereinstimmen mit dem, was er zu hören vermeint, sie scheint ihm viel zu gut für den tristen Genuß, den er sich mit seinem Geld erkauft hat; in Zukunft wird er vorsichtiger sein ...
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Anmerkung:
„Denn was du schwarz auf weiß besitzt ..." . . .
Dies ist eine der typischen Überlieferungen aus den 12 Jahren Indoktrination, die uns noch viele viele Jahre in Deutschland "begleiten" wird. Was Du schwarz auf weiß hast, das ist einfach wahr ! oder vielleicht doch nicht ?
Die Sache bleibt einfach, solange man den Rezensenten der Dummheit, der Unfähigkeit oder der Bestechlichkeit zeiht. Sie wird ein wenig komplizierter, wenn man von diesem simplifizierenden Schlagworte abrückt. Und es scheint uns der Augenblick gekommen, einmal für unsere Mitarbeiter und gleichzeitig im allgemeinen für den Stand des Kritikers eine Lanze zu brechen.
Da ist das kuriose Wort „Objektivität". Der Kritiker soll objektiv sein. Man pflegt sich zu wundern, daß die Urteile verschiedener Kritiker über ein und dasselbe Werk auseinandergehen. Wenn aber Objektivität darin bestünde, daß absolute Einigkeit in allen Details herrsche, wäre es am besten, einen Roboter zu konstruieren, in dessen Schlund Werte wie Komponist, Werk, Solist, Orchester, Dirigent und einige andere fein ausgetüftelte Details mehr hineingesteckt werden. Der Druck auf den Knopf veranlaßt die Mühle zu mahlen, alle Einzelheiten zu verarbeiten und das Resultat gebrauchsfertig auszuspucken.
Das aber heißt, den Begriff Kritik ad absurdum führen durch die Leugnung, daß menschliches Fühlen und Denken am Hörvorgang und dessen intellektueller Auswertung beteiligt sind, Substanz, die eben keine gleichförmigen Reaktionen bewirkt, sondern unendlich vielen feinsten Schwankungen unterworfen ist.
Diese lassen eine bestimmte Breite des Urteils nicht nur zu, sondern machen sie unerläßlich. Hier trifft „Objektivität" auf „Subjektivität". Die genaue Kenntnis des Werkes, die Möglichkeit des Vergleichs aus der Erinnerung an eine Vielzahl von Interpretationen und ein gutes Gehör mischen sich nun mit der individuellen Ausprägung, die eines liebt, das andere ablehnt, die sich an bestimmte Dinge leidenschaftlich engagiert, durch andere wiederum wenig oder überhaupt nicht berührt wird.
Dieses Beteiligtsein an den Dingen, dieser Schuß des unverwechselbaren persönlichen Temperaments muß einfach als notwendiges Ingredienz in einer Rezension enthalten sein, sonst fehlt es ihr an der Spontaneität, die dem Sammler doch raten oder abraten will, sich die besprochene Platte zu kaufen.
So sehr der Rezensent, der aus Leidenschaft für sich selbst und für die Musik schreibt, d. h. ohne nach links und rechts zu sehen, so sehr er so formuliert, daß er am Ende vom Resultat ehrlich sagen kann: „Jawohl, es stimmt, was du geschrieben hast, du kannst es vertreten", so wenig ist die Aufgabe damit abgeschlossen.
Sie soll dem Konsumenten helfen, das Gute zu erkennen, die Spreu vom Weizen sondern zu lernen. Dieser wird nach einiger Zeit „seinen" Kritiker gefunden haben, mit ihm einig sein, sich von ihm leiten lassen und ihm vertrauen. Er sollte es tun und nicht vorzeitig „Kreuziget ihn!" schreien.
Wenn Fälle vorkommen wie die am Anfang beschriebenen - sie finden sich und nicht so selten-, so sind die Verdammungen und Verwünschungen zumeist emotionalen Ursprungs. Viele Details werden sich schon einmal klären lassen durch einen Vergleich der Wiedergabeanlage, der Tauglichkeit bzw. des Abnutzungsgrades des Tonabnehmersystems, der Qualität der Lautsprecher. Die Differenz aller dieser technischen Dinge mag schon zu einer Divergenz im Urteil der Gesamtqualität führen.
Geht es aber dann in die rein musikalischen Gefilde, zu den Fragen des Tempos, der Dynamik, der Stimmigkeit der Proportionen, der inneren Spannung, so wird man unseren Kritikern fairerweise ein gerüttelt Maß an Erfahrung zugestehen müssen, einen Überblick über die Literatur und deren Interpretationen, die den Hörer zumindesteinmal stutzig machen und an seinem eigenen Urteil zweifeln lassen müssen. Der ehrliche Versuch einer Überprüfung sollte folgen, und man kann sicher sein, daß in den meisten Fällen das extrem weit nach einer Seite ausgeschlagene Pendel sich zumindest beruhigt - was beim erstenmal ja schon etwas heißen will.
Die Auseinandersetzung mit der Kritik wird ihre Früchte tragen, der rein gefühlsbetonten Zuneigung zu einem geliebten Besitz wird sich die Kenntnis von dessen Schwächen und Mängeln gesellen - was die Liebe zu ihm nicht geringer zu machen braucht, aber eine große Bereicherung der Urteilskraft bedeutet, die beim nächstenmal vorsichtiger und kenntnisreicher beim Kauf einer Schallplatte sein wird. Das möchte Kritik erreichen.
Ist der Hörer nun nach genauer Prüfung seiner Platte nicht einverstanden mit der Beurteilung im „fono forum", kann er guten Gewissens und mit brauchbaren Argumenten dem Kritiker XY einen Brief schreiben, der - und dessen sind wir sicher - eine sachliche und wohlfundierte Antwort bereithalten wird. Und es könnte sogar sein, daß Herr XY antworten wird: „Jawohl, in dieser und jener Einzelheit haben Sie Recht, ich habe da falsch gehört." Auch Rezensenten können sich irren, und es gehörtzu ihrem vornehmsten Recht, das unumwunden zuzugestehen. Auch dann noch bleiben sie Fachleute, Kenner.
Vielgeschmäht und vielgescholten sind sie über das bloße Referieren hinaus, mitleidende und mitliebende Beteiligte an einer Interpretation. Sie gießen ihre Freuden und Schmerzen in zu gleicher Zeilenlänge gepreßte Kolumnen Druckerschwärze, die so unerbittlich aussehen und in denen doch der Anteil des Herzens dem des Gehirns die Waage hält. Man sei gerecht und wisse ihnen ein wenig Dank dafür, auch wenn man sie zuerst einmal zum Teufel wünscht.