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(10) DER GROSSE PATENTKRIEG

Emil Berliner war ein großartiger Erfinder, doch ein schlechter Geschäftsmann. Mit dem Ansteigen des Plattenspielerverkaufs zeigte sich die Anfälligkeit und Schwerfälligkeit seiner Firmenkonstruktion. Vor allem, als die Walzenkonkurrenz zum letzten großen Schlag ausholte, um ihre Existenz zu retten. Zunächst wurde dieser Krieg unverhüllt in den Zeitungen ausgetragen :
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»Das Grammophon mit seinen schrecklichen Tönen kann nicht der Wunsch eines Menschen von Kultur sein«, schrieben die Walzenfabrikanten, während sich die Grammophonleute von dem berühmten Trompeter Paris W. Chambers bescheinigen ließen:
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»Während das Grammophon den ganzen Tonbereich einer Trompete getreu wiedergibt, kann man beim Phonographen nur ein Fünftel dieser Tonskala hören.«
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»Es gibt nichts Schöneres und Bleibenderes als eine Aufnahme, die man im Heim selbst im Kreise seiner Familie oder sogar von künstlerischen Darbietungen aufgenommen hat«, lobte die Columbia die Vorzüge ihrer Walzengeräte.
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»Das Grammophon hat sich noch nie durch stümperhafte Amateuraufnahmen oder betrügerische Schallplatten in Mißkredit gebracht«, konterten die Vertriebsleute der Grammophon unter Führung von Frank Seaman.
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Der Prozess - Aktenzeichen: Schwingende Nadel

Diese öffentlichen Anschuldigungen brachten keinen der Gegner weiter, sie waren nur die ersten Vorpostengeplänkel eines jahrelangen brutalen Krieges, der vor verschiedenen Gerichtshöfen ausgefochten wurde, bei dem es Überläufer und Gewinnler gab, der Umschichtungen und Verluste brachte, bis alle Parteien Frieden schlossen und das Musikgeschäft unter sich aufteilten.

Vor einem New Yorker Gericht bewies die Columbia Graphophone Company, Inhaberin der Tainterschen Patente, daß Emil Berliner die Erfindung der »schwingenden Nadel« gestohlen hatte. Ihr Anwalt Philip Mauro führte ein Grammophon vor, deutete auf die Nadel und argumentierte:
»Hohes Gericht. Überzeugen Sie sich selbst, daß die Nadel, die die Töne einschneidet und sie nachher aus den Rillen wiedergibt, nicht starr ist, sondern hin- und herschwingt. Dieses Hinundherschwingen wurde als Verbesserung der Edisonerfindung, die mit einem starren Stichel arbeitete, von meinem Klienten zum Patent angemeldet. Dieses Patent wurde offensichtlich von Emil Berliner verletzt. Im Namen meines Klienten, der Columbia Graphophone, beantrage ich, daß der Gramophone Company weiterhin untersagt wird, Grammophone mit schwingender Nadel herzustellen oder zu vertreiben.«

Dem Antrag wurde stattgegeben, und während die Gramophone Company gegen dieses Urteil Berufung einlegte, verließ Frank Seaman das - wie er dachte - sinkende Schiff der Grammophonleute. Er wandelte seine National Gramophone Company in eine eigene Firma um.

Das »Zonophone« - Frank Seamans Experimente

In einer Zeitungsnotiz konnte man lesen, daß die neue Universal Talking Machine Company des Mister Seaman daran denke, selber Sprechmaschinen zu produzieren.

Es dauerte auch nicht lange, und ein neues Gerät kam auf den Markt, das »Zonophone« hieß, recht schwerfällig war und durch besonders häßliche Dekors auffiel.

Gegen diese Maschine, dem Grammophon genau nachgebaut, hatten die Columbialeute nichts einzuwenden. Es stellte sich heraus, daß Seaman schon einige Zeit mit ihnen verhandelt und von ihnen die Erlaubnis bekommen hatte, ein Gerät mit »schwingender Nadel« auf den Markt zu bringen.

Juni 1900 - Wie man einen Vertrag umgeht

Frank Seaman hatte durch seine Verkaufsorganisation dazu beigetragen, innerhalb weniger Jahre das Schallplattengeschäft zu einem Millionenobjekt aufzubauen.

Solange Berliner die Patente allein kontrollierte
, konnte Seaman an diesem Geschäft nur im Rahmen seines Vertrages teilhaben. Als sich jedoch die Patentsituation als verworren und ungeklärt herausstellte, wollte er sich die Rosinen aus dem fetten Kuchen sichern.

Seaman ging sogar noch weiter. Auf Grund seines Vertrages, der ihm für fünfzehn Jahre allein den Vertrieb des Grammophons in Amerika garantierte, verbot er Emil Berliner, Grammophone in Amerika zu verkaufen. Am 25. Juni 1900 wurde dieses Verbot rechtskräftig: der Erfinder Berliner durfte seine eigene Erfindung nicht mehr an den Mann bringen.

Johnson rettet die Situation

Eldridge Johnson, dessen ursprünglicher Maschinenschuppen in Camden zu einer großen Fabrik geworden war, stand durch dieses Verbot vor dem Bankrott. Er hatte alles in die Grammophonherstellung gesteckt, die nun durch Gerichtsbeschluß zum Erliegen kam.

Da ihm das Wasser bis zum Halse stand, war er in seinen Methoden nicht wählerisch. Auch er trennte sich von Berliner, gründete die "Consolidated Talking Machine Company" und übernahm, ohne viel zu fragen, das Aufnahmeverfahren mit Wachs, das Tainter sich hatte schützen lassen. Er ersetzte bei der Aufnahme die alten Zinkplatten durch massive Wachsplatten, in die sich viel leichter Schallrillen einschneiden lassen. Das so beschriftete Wachs wurde durch die Behandlung mit Graphit elektrisch gemacht, dadurch war die Herstellung eines galvanischen Abzuges aus Kupfer möglich. Von diesem Positiv wurden die Platten direkt gepreßt. Dieses Verfahren hat sich, bis auf geringe Abwandlungen, bis heute gehalten.

»Schallplatten umsonst !!!«

Mit großem Aufwand wurde diese neue Erfindung, die eine wirkliche Verbesserung der Tonqualität darstellte, von Johnson propagiert. In allen Zeitungen inserierte er:

»Schallplatten umsonst !!! In unseren Laboratorien wurde eine umwälzende Entdeckung auf dem Gebiete der Aufnahmetechnik gemacht. Diese Erfindung ist so großartig und umwälzend, daß wir jeden Besitzer eines Grammophons in ihren Genuß setzen wollen. Jeder Grammophonbesitzer bekommt von uns eine neue Schallplatte umsonst! Er braucht uns nur die Nummer seines Gerätes mitzuteilen, und mit der nächsten Post erhält er frei und ohne Kosten eine neue Schallplatte zugeschickt!«

Als Seaman durch einen neuerlichen Gerichtsbeschluß auch Johnson das Wort »Grammophon« zu benutzen verbot, taufte der sein Gerät in »Victor« um und nannte seine Firma entsprechend "Victor Talking Machine Company". Nach wie vor erkannte Johnson Emil Berliner als Erfinder und Patentinhaber an und ließ ihn an seinen Geschäften teilhaben. Das Wort »Gramophone« jedoch verschwand aus dem amerikanischen Sprachgebrauch.
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(Schallplatten-) Kriegsschauplatz Europa

Europa wurde immer noch von der "Gramophone Company" in London mit ihren Schwester- gesellschaften beherrscht. In dieses Königreich schickte Seaman seinen Abgesandten F. M. Prescott, der in Berlin in der Ritterstraße die International Zonophone Company gründete, deren Mitarbeiter alle bei Berliner und Johnson gearbeitet hatten und ihre Produktionsgeheimnisse kannten.

Unter dem hellblauen Etikett »Zonophone« erschienen bald Aufnahmen mit den gleichen Künstlern wie unter den roten Etiketts der »Gramophone«. Nach einigen kostspieligen Patentprozessen wurde der europäische Teil der »Zonophone« von der »Gramophone« aufgekauft, die amerikanischen Anteile erwarb die Victor Company. Frank Seaman hatte auf das falsche Pferd gesetzt. Lediglich als Marke blieb in Europa das Zonophone-Etikett noch bis 1930 bestehen.

Die Platten von ODEON aus Berlin Weißensee

Der zunächst brotlos gewordene Mister Prescott tat sich mit einigen Franzosen zusammen und gründete die International Talking Machine Company, die die Marke »Odeon« herausbrachte. In einer Fabrik in Weißensee bei Berlin begann diese neue Firma Schallplatten und Sprech- maschinen herzustellen. Die Platten der Marke Odeon machten auf der Leipziger Messe von 1904 Sensation komplett : sie waren auf beiden Seiten bespielt!

Völlig neu - Musik auf beiden Seiten

Odeon spezialisierte sich auf Opernaufnahmen, und die große Sängerin Lilli Lehmann - sie war damals schon sechzig Jahre alt - sang zwischen 1905 und 1907 auf dieser Marke.

Die Idee, daß man Schallplatten doppelseitig bespielen konnte, gefiel auch den anderen Firmen. Es nützte der Odeon nichts, daß sie in Inseraten vor Patentverletzungen warnte: die Rückseite der Schallplatte war für alle als Tonträger entdeckt worden.

Carl Lindström steigt in den Markt ein

In Mailand hatten die Direktoren der Mailänder Scala und der Londoner Covent Garden Opera auch eine Schallplattengesellschaft gegründet, die jedoch rein europäisch war und keine amerikanischen Techniker und Manager hatte. Die Fonotopia stellte nur künstlerisch anspruchsvolle Platten her. Sie machte Aufnahmen mit den Künstlern der Scala, mit dem französischen Tenor Ernest van Dyck, mit den Sopransängerinnen Rose Caron und Aino Ackte.

Ihr Bestseller war die Arie »O souverain«
aus Massenets »Le Cid«, gesungen von dem polnischen Tenor Jean de Reszke, dessen Stimmschönheit Bernard Shaw in einer Kritik so gerühmt hatte, und der in der Metropolitan Opera die Hälfte der Bruttoeinnahmen des Abends erhielt.

Lindström regierte von Berlin aus

Die Fonotopia wurde von Carl Lindström, der seine Firma in die Frankfurter Straße in Berlin verlegt hatte, aufgekauft, genauso wie die "International Talking Machine Company" mit ihrer Marke "Odeon".

Durch weitere Aufkäufe finanzschwacher Firmen vergrößerte der geschäftstüchtige Schwede sein Unternehmen, das sich im Jahre 1932 mit der als Tochtergesellschaft von der Gramophone gegründeten Electrola zu dem bedeutendsten Schallplattenkonzern des deutschen Marktes verbinden sollte.
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1900 - Die Walze hatte verloren - Auf dem Grabe der Walze wird der Frieden geschlossen

In Amerika waren inzwischen die von Mister Seaman gewonnenen Patentprozesse mit Erfolg angefochten worden. Deshalb hatten die Columbia-Leute Frank Seaman fallen gelassen, so daß er seine Gründungen verkaufen mußte.

Gleichzeitig aber gingen die Verkaufszahlen für Phonographen und Walzen immer mehr zurück, so daß im Januar 1902 auch die Columbia die ersten Schallplatten herausbrachte. Es waren natürlich »die weichsten, sanftesten und brillantesten Platten, die man jemals gehört hatte«.

Es waren aber genauso die offensichtlichsten Erzeugnisse eines Patentdiebstahles, die man jemals gesehen hatte.

Geklaut ist geklaut - von beiden Seiten !

Bevor jedoch ein neuer Patentkrieg ausbrach, in dem beide Seiten schuldig gewesen wären - die Columbia durch Verletzung des Seitenschriftpatentes, Johnson durch Verletzung des Wachsaufnahmepatentes -, schloß man Frieden.

Alle Patente zur Herstellung von Schallplatten und Plattenspielern wurden nun von den Beteiligten gemeinsam kontrolliert. Der Markt, aufnahmefähig wie noch nie, mußte aufgeteilt, erobert und vor allem beliefert werden. Das besorgte Europa. Hier wurde die Schallplatte von der kuriosen und amüsanten technischen Spielerei zu dem wichtigsten Instrument der Musik. Hier entstanden die Voraussetzungen, daß die Schallplatte zugleich ein Kulturträger und ein industrieller Faktor wurde, der hinter Öl und Stahl rangiert.

(11) EINE STIMME FINANZIERT DIE INDUSTRIE

»Vater, mach das Fenster auf, gleich ist es soweit«, sagte am Pfingstsonntagmorgen 1910 eine blonde Frau in einer stillen Straße von Berlin-Rixdorf.

Als ihr Mann die Fensterflügel zum Hof öffnete und zu den Nachbarn hinübergrüßte, die überall schon mit Kissen auf den Fensterbrettern lehnten, tönte eine überirdisch schöne Männerstimme wie vom Himmel herab. »Celeste Aida«, brach es sich an den Mauerwänden, während unten auf dem Hof sich Menschen im Sonntagsstaat versammelten.

Ein Grammophon für die ganze Strasse

Das traditionelle Pfingstkonzert, das Polizeileutnant Georg Schaefer Jahr für Jahr veranstaltete, hatte begonnen. Auf dem Programmzettel, der drei Tage vorher durch die Briefkastenschlitze der Wohnungen geflattert war, standen erlauchte Namen: Dame Nellie Melba, Adeline Patti, Hofopernsängerin Frieda Hempel, Pablo de Sarasate, Leo Slezak und Jan Kubelik. An der Spitze aber war in kalligraphischen Lettern Enrico Caruso verzeichnet. Die Musikerelite der ganzen Welt spielte und sang für den Häuserblock in Berlin-Rixdorf.

»Det besorcht det Grammophong von den großen Edisong«, trällerte ein kleines Mädchen in die Pause hinein. Ihre Mutter schüttelte sie an der Schulter: »Stille biste!« und sie schaute hinauf zum dritten Stock, wo in einem Fenster ein geschwungener Messingtrichter golden in der Sonne glänzte.

Polizeileutnant Schaefer, Besitzer einer Sammlung von fünftausend Schallplatten, legte dort eine nach der anderen auf. Ihn freute es, wenn auch andere an seinen musikalischen Schätzen teilhaben konnten, die in zweihundertvierzig Kästen in einem dunkelgebeizten Regal untergebracht waren. Verzückt folgte er der letzten Platte, die das Konzert beschloß: mit mächtiger Stimme sang Enrico Caruso das »Studenti! Udite«, mit dem er in Franchettis Oper »Germania« die Studenten zur Revolte gegen Napoleon aufforderte.

Und da gab es noch einen Terrier - in Berlin

Leutnant Schaefers glatthaariger Foxterrier aber starrte mißmutig auf sein lebensgroßes Ebenbild, das in Pappe gestanzt auf dem Plattenschrank der »Stimme seines Herrn« lauschte.
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Fred Gaisberg hört seinen Traum - Enrico Caruso

Atemlose Stille lag über dem dunklen Halbrund der Scala. Noch standen die letzten Töne der großen Arie »Studenti! Udite!« in der Luft, die der schmale Mann mit dem elfenbeinfarbenen Teint und den pechschwarzen Haaren gesungen hatte. Er stand mitten auf der großen Bühne wie eine lodernde Flamme des Aufruhrs gegen Napoleon, und als er jetzt seine Hand hob, brach das Lied von Lützows wilder verwegener Jagd aus dem Chor. Zugleich brandete der Beifall auf, ein frenetisches, wildes Geklatsche, Da-capo-Rufe und das scharfe, fordernde »bis-bis«.

Während der Sänger seine Arie wiederholte, verkrampfte ein zierlicher Herr in der achten Reihe seine Hände. So eine Stimme hatte er noch nie gehört, er mußte sie auf Schellack festhalten - koste es, was es wolle. Er beugte sich zu seinem Nachbarn und flüsterte: »Michaelis, stellen Sie sofort fest, was er für zehn Aufnahmen nimmt!«

Wie ein Trunkener ging Fred Gaisberg an diesem Abend, es war der 14. März 1902, in sein Hotel in der Via Manzoni zurück. Noch nie hatte ihn eine Oper so aufgewühlt wie diese Aufführung von Franchettis »Germania«. Aber es war nicht die Oper, es war dieser Tenor Enrico Caruso. Ja, der ganze Ärger hatte sich gelohnt!

Gaisberg war nämlich drei Tage vorher schon einmal in der Scala gewesen, um Caruso zu hören. Aber . . .
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Gaisberg bekommt keine Loge in der Scala

Der Mailänder Agent der Gramophone, Alfred Michaelis, wollte seinen hohen Londoner Besuch gleich am ersten Abend in die Scala führen. Da aber sämtliche Plätze ausverkauft waren, hatte er einen Logenschließer bestochen, ihm eine Loge zur Verfügung zu stellen. Logen mieten konnte man in der Scala nicht, da sie alle schon lange im Besitz von alten und vornehmen Familien waren.

Michaelis betrat mit Fred Gaisberg und dessen Bruder Will das Foyer der Scala, als die ersten Töne der Ouvertüre erklangen. Sie stürzten die Treppe hinauf, öffneten schnell und geräuschlos die Logentür und standen dem Logenbesitzer, einem Mailänder Baron, und seinen Gästen gegenüber.

»Was fällt Ihnen ein, hier einzudringen?« funkelte der Baron. Michaelis war ganz verwirrt und stotterte:
»Was machen Sie denn hier drin? Ich . . .«
»Mein Herr, diese Loge ist seit vierundachtzig Jahren im Besitz meiner Familie, und ich finde es eine Unverschämtheit . . .«

Der Streit wurde lauter und lauter, Logenschließer und Garderobieren eilten herbei, um den Lärm zu dämpfen und die Parteien zu beschwichtigen. In seiner Erregung packte der Baron den Eindringling Michaelis am Arm. Doch der schüttelte ihn brüsk ab:
»Baron, ich fordere Sie zum Zweikampf. Hier meine Karte!« Mit einer knappen Verbeugung wandte sich Michaelis dann an Will Gaisberg:
»Würden Sie die Güte haben, bei diesem Duell als mein Sekundant zur Verfügung zu stehen ? Sie können dann mit den Sekundanten des Barons Ort, Art und Zeit des Zweikampfes vereinbaren. Kommen Sie, meine Herren.«

Erhobenen Hauptes schritt Michaelis vor den Brüdern Gaisberg die Treppe hinab, gerade als die letzten Takte der Ouvertüre verklangen.

Caruso will 100 Pfund - Eine unverschämte Forderung ......

Das Duell fand jedoch nie statt. Am folgenden Tag hatten sich beide Parteien entschuldigt und die Mißverständnisse geklärt.

Gaisberg hatte nun Caruso gehört und wartete auf seine Antwort. Maestro Cottone, der Klavierbegleiter der Gramophone-Gesellschaft, überbrachte Carusos Forderung:
»Caruso will für zehn Lieder, die er an einem Nachmittag singt, einhundert Pfund bar auf den Tisch haben!«

Gaisberg raufte sich die Haare: »Das ist sehr viel! Im Durchschnitt zahlen wir für eine Sitzung zwei bis drei Pfund, und großen Stars geben wir noch ein Grammophon im Wert von fünf Pfund obendrauf. Aber dieser Mann ist großartig! Er hat eine Stimme, von der ein Schallplattenmann wie ich sein ganzes Leben geträumt hat. Ich werde nach London telegrafieren. Bitten Sie Signor Caruso um zwei Tage Geduld.«

Auf sein Kabel »hundert pfund für zehn lieder« kam aus London umgehend die Antwort: »forderung unverschämt stop verbieten irgendwelche aufnahmen.«

Wütend zerriß Gaisberg das Telegramm. Was wußten die Geschäftsleute in London schon von dieser Stimme! Waren sie dabeigewesen, als sich nach Carusos erster Arie das gesamte Publikum der Scala ehrfürchtig erhob und nur ergriffen flüsterte: »Das ist Italiens größter Tenor!« Hatte er nicht immer einen guten Riecher gehabt, obwohl bei dieser Stimme sogar jemand, der noch nie eine Schallplattenaufnahme gemacht hatte, zugreifen müßte.

Gaisberg ließ Caruso durch Maestro Cottone für den nächsten Tag in sein Hotel bitten.

Caruso singt in Mailand und London verdient 14.900 Pfund

Im Hotel Milan, ein Stockwerk über dem Appartement, in dem ein Jahr vorher Verdi gestorben war, klang am 18. März 1902 wieder die Arie auf, die Gaisberg in der Scala so begeistert hatte: »Studenti! Udite!«

Auf dem Korridor stauten sich Gäste und Kellner. Da drinnen sang der fabelhafte, neunundzwanzig jährige Tenor, der sich die Herzen der Mailänder so schnell erobert hatte. Doch keiner der Ohrenzeugen ahnte, daß er dem Augenblick beiwohnte, der für die Entwicklung der Schallplatte entscheidend war. Caruso machte die Schallplatte musikfähig!

Maestro Cottone, an seinem auf Kisten stehenden Klavier sitzend, griff die letzten Akkorde, und Fred Gaisberg trug die erste Wachsmatrize auf einen kleinen Abstelltisch und legte sie dort gleich in einen Blechkasten.

Die kostbarsten Wachsmatrizen aller Zeiten

Innerhalb von zwei Stunden sang Caruso zehn Arien in den glockenförmigen, großen Blechtrichter des primitiven Aufnahmegerätes. Die Sonne schien zum Fenster herein, und der Tenor war strahlender Laune. Als ihm Fred Gaisberg nach der Sitzung zehn Zehnpfundnoten auf den Tisch zählte, bedankte sich Caruso mit einer Karikatur, die er schnell von dem englischen Plattenmann zeichnete. (Nicht nur Schaljapin konnte zeichnen, Caruso konnte es auch.)

In der gleichen Nacht noch fuhr Gaisberg mit den kostbaren Wachsmatrizen nach Hannover ab, um sie dort galvanisieren und als Platten pressen zu lassen. Er ließ auf der ganzen Reise sein wertvolles Gepäck keine Sekunde aus den Händen.

Die Titel der Caruso-Platten, die der Gramophone einen Verdienst von fast fünfzehntausend Pfund brachten, waren:
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  1. »Questa o quella« aus »Rigoletto«
  2. »O dolce incanto« aus »Manon«
  3. »Una Furtiva lagrima« aus »Liebestrank«
  4. »Giunta sul passo estremo« aus »Mephisto«
  5. »Dai campi, dai prati« aus »Mephisto«
  6. »E lucevan e stelle« aus »Tosca«
  7. »Serenata« aus »Iris«
  8. »Celeste Aida« aus »Aida«
  9. »No, non chiuder« und »Studenti! Udite!« aus »Germania«

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Caruso machte 234 Aufnahmen mit der Gramophone

Diese zehn Platten waren die ersten von insgesamt zweihundert und vierunddreißig Aufnahmen, die Caruso machte. Er erhielt bis zu seinem Tode im Jahre 1921 runde zwei Millionen Dollars Tantiemen von diesen Aufnahmen. An diesen Zahlen kann man ablesen, wie sehr Carusos Stimme die Industrie finanzierte.

Den größten Erfolg hatte »E lucevan e stelle«. Als Heinrich Conried, der Intendant der New Yorker Metropolitan Opera, im Pariser Büro der Gramophone diese Platte hörte, engagierte er Caruso ohne Zögern sofort an die Met, von wo aus sich der Sänger Amerika und die ganze Welt eroberte.

Es begann die Zeit der Exklusivverträge

Caruso schloß einen Exklusivvertrag mit der Victor und nahm als erste Platte für sie »La donna e mobile« aus dem »Rigoletto« auf. Sie erschien am 1. Februar 1904. Caruso erhielt sie in Gold von der Victor zu seiner Hochzeit geschenkt. Diese Platte war auf der Innenseite des roten Deckels eines schwarzgoldenen Victrolas aus chinesischem Lack befestigt.

Ungefähr fünfunddreißig Jahre später lauschte in der Quäkerstadt Philadelphia der Transportarbeiter Alfredo Cocozza in jeder freien Minute den Platten Carusos. Er spielte sie auf dem alten Victrola-Gerät seines Vaters ab, das dieser wie seinen Augapfel hütete. Konnte er doch damit die göttliche Stimme Carusos hören, des über allem verehrten Sängers, den er nie auf der Bühne erlebt hatte, weil ihm das Geld dazu fehlte. Der Sohn Alfredo sog die Stimme Carusos mit all ihrem Timbre, ihren Zwischentönen, ihrem Glanz und ihrem Umfang in sich auf, bis er eines Tages mitsang. Wie in einem Rausch sang er, so als lausche er in seliger Freude sich selber.

Ein Jahr später schrieben die Kritiker der Musikspiele von Tanglewood, sie hätten seit Caruso nie wieder eine solche Stimme erlebt. Der Transportarbeiter Alfredo Cocozza wurde unter dem Namen Mario Lanza ein großer Sänger. Seine liebste Aufnahme wurde jedoch die Langspielplatte »Der große Caruso«.

(12) PRIMADONNEN VOR DEM TRICHTER

Bedächtig führte Nellie Melba in ihrem Hotelappartement den ersten Löffel mit etwas Eis und einem Stückchen Pfirsich zum Munde.

»Ich muß mich selbst loben, eine köstliche Mischung!« sagte sie dann lächelnd zu ihrem Tischherrn, dem fast siebzigjährigen Komponisten Camille Saint-Saens. Er verbeugte sich:
»Mein Kompliment, Madame. Wenn Sie nicht so eine großartige Sängerin wären, würden Sie sich mit der >Pfirsich Melba < Unsterblichkeit geschaffen haben.«

Es war schwül, und der Duft von unzähligen Rosen, die über das ganze Zimmer verteilt waren, machte die Luft schwer und beklemmend. Die Primadonna und der Komponist löffelten schweigend ihre Eisspeise.

Madame Nellie Melba mit der Stimme Carusos geködert

Doch plötzlich war der ganze Raum von einer Stimme erfüllt, einer schönen, kraftvollen Männerstimme, die »Celeste Aida« sang. Saint-Saens ließ seinen Löffel sinken. »Caruso«, flüsterte er und schloß die Augen. Die »Pfirsich Melba« zerfloß in seinem Glas.

Als der letzte Ton verklungen war, klopfte es an der Tür. »Da ist dieser Schallplattenmensch schon wieder«, stöhnte die Melba, »seit einem Monat bestürmt er mich, für seine Firma Aufnahmen zu machen. Sehen Sie hier, alle Blumen sind von ihm. Ich will aber nicht!«

Saint-Saens legte seine Hand auf ihren Arm: »Sie dürfen Ihre Stimme nicht der Nachwelt vorenthalten!« Er hob die Stimme: »Kommen Sie herein, mein Freund.«

Er schüttelte Landon Ronald von der Gramophone in London die Hand: »Sie haben mir mit der Stimme Carusos eine große Freude gemacht, und Sie haben Madame überzeugt, nicht wahr?«

»Also gut«, nickte die Melba, »ich werde eine Aufnahme machen. Doch soll sie für meinen Vater in Australien bestimmt sein.«

So telegrafierte Landon Ronald 1904 nach London: »Aufnahme Melba in drei wochen stop in ihrem haus great cumberland place.«
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Schallplattenkonzert im Hotel Metropole

Nur wenig später veranstaltete die Gramophone Company ihre erste Pressekonferenz im Hotel Metropole. Die Melba hatte sich überreden lassen, ihre erste Schallplatte, die Arie »Ah! for's e lui«, auf den Markt zu bringen. Diese Platte war der Mittelpunkt der Veranstaltung, über die die konservative Westminster Gazette am nächsten Tag schrieb: »Die Schallplatten sind nicht frei von technischen Fehlern, aber sie sind erheblich besser als im vergangenen Jahr.«

In kurzer Zeit wurden vierzehn Melba-Platten aufgenommen, die alle eine mauvefarbene Hülle erhielten, mit einem mauvefarbenen Etikett als »Melba-Labels« gekennzeichnet waren und in einem mauvefarbenen Büchlein beschrieben wurden, das den Titel »Melba und ihre Gramophone-Platten« trug.

Ein lebenslanger Vertrag mit "His Master's Voice"

Die Primadonna, die mit der englischen Königin Alexandra befreundet war, schloß einen lebenslänglichen Vertrag mit His Master's Voice. Sie legte den Grundstein zu der neuen großen Schallplattenfabrik in Hayes, die heute fünfzehntausend Leute beschäftigt, und ein Plattenspieler wurde nach ihr benannt. Sie sang im Duett mit Caruso (diese Boheme-Arie »O du süßestes Mädchen« kostete als Besonderheit zwanzig Mark), und ihr Begleiter bei »Ave Maria« war Jan Kubelik, der König der Geiger.

Nachdem sie 1919 in Australien für das Rote Kreuz mehrere hunderttausend Pfund ersungen hatte, machte der englische König sie zur »Dame«.

Nellie Melba wurde wieder gesund

Im Januar 1920 schrieb die Musikzeitschrift The Voice: »Es wird die Grammophonisten mit Bedauern erfüllen, wenn sie hören, daß Dame Melba bettlägerig und sehr unpäßlich ist. Berühmte Spezialisten stehen ihr aber hilfreich zur Seite. Sie ordneten als erstes an, daß das Grammophon aus ihrem Krankenzimmer verschwinde. Dame Melba hatte immer wieder Platten von Stella Power angehört, ihrer Lieblingsschülerin, die allgemein >Little Melba< genannt wird.«

Nellie Melba wurde wieder gesund und machte einige neue Schallplattenaufnahmen, darunter »Home, sweet home«. Das Lied hatte sie sehr beeindruckt, als während des Burenkrieges eine Schallplatte herausgekommen war, die »Abfahrt des Truppentransporters« hieß. Dieses »Hörbild« schilderte die Geräusche des Hafens, das Rufen und Weinen der Menschen, das Abschiedslied der Soldaten »Home, sweet home«, und es klang im klagenden Ton der Schiffssirenen aus.

Zum letzten Male hörte man Dame Melba am 8. Juni 1926 im Covent Garden singen - im Alter von 65 Jahren. Die Abschiedsvorstellung wurde auf Schallplatte übernommen, und man konnte deutlich das Zittern in ihrer Stimme hören, als die Rührung sie übermannte. (Nellie Melba starb 1931 in Sydney in Australien.)
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Die Schloßherrin von Craig-y-Nos

»Da unten liegt das Schloß der Patti«, sagte Fred Gaisberg zu seinem Bruder, als sie vom Bahnhof von Penwyllt mit dem Wagen die Straße ins Tal rollten.

Bereits wenige Stunden später hatten sie zwei große Schlafzimmer im Schloß als Aufnahmeraum eingerichtet. Der eine Raum war völlig leer, nur ein Klavier stand schmal und dunkel auf zwei Kisten, und aus dem Vorhang, der die Tür zum Nachbarzimmer bedeckte, ragte gierig und fordernd der Aufnahmetrichter. Die Apparatur selbst war hinter dem Vorhang verborgen und wurde von Will Gaisberg bedient.
Durch Mister Alcock, den Manager der großen Sängerin, wurde die Patti verständigt, daß alles bereit sei.
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Adelina Patti - vierzig Jahre Europa in Atem gehalten

Mit Juwelen behängt, in einem Kleid aus rauchfarbener Brüsseler Spitze betrat die Dreiundsechzigjährige den Raum. Das war die Frau, die mit ihrer Stimme und ihren Launen vierzig Jahre lang Europa in Atem gehalten hatte, die die Herabsetzung des Kammertons auf vierhundertfünfundzwanzig Schwingungen erzwang, der alle, alle Fürsten des Abendlandes ihre Reverenz erwiesen hatten.

Adelina Patti führte die konsternierten Schallplattenleute in den riesigen Wintergarten, nötigte sie in steife, viktorianische Sessel und meinte tröstend:
»Sie müssen mir Zeit lassen, mich an den Gedanken zu gewöhnen, Diesen schrecklichen Gedanken, daß ich meine Stimme in dieses Gefängnis von Rohre schicken soll. Vielleicht gewöhne ich mich auch gar nicht an den Gedanken. Dann müssen Sie wieder abreisen. Aber wir werden sehen.«

Sie lächelte die Herren an, erblickte das Aufnahmegerät und sagte mit jugendlicher Stimme:
»Wenn ich da hineinsingen soll, dann singe ich nicht!« Sie klatschte in die Hände und rief: »Bringt zwei Flaschen Champagner!«
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Sie singt - mit zwei Flaschen Champagner

Dann stieß sie mit ihnen an, hob das Glas mit Champagner in die Sonne und lachte:
»Machen Sie nicht solche Gesichter, ich mag traurige Leute nun einmal nicht leiden.«
Geschäftig wie ein Kind schleppte sie ein schweres Poesiealbum mit goldenen Schließen herbei und blätterte stolz die Seiten um. Die beiden Gaisbergs lasen die Chronik der »Queen of Song«, geschrieben von den erlauchtesten Häuptern Europas:
»Nichts schmeichelt so wie Ihr Gesang!« Zar Alexander II.
»Die Nachtigall aller Jahreszeiten.« Kaiser Wilhelm I.
»Die Königin an einen spanischen Untertan, auf den sie stolz ist.« Königin Christina von Spanien.
»Wenn König Lear recht hatte, als er sagte, daß eine süße Stimme ein gift of price für eine Frau ist, dann sind Sie, teure Adeline, die reichste aller Frauen.« Queen Victoria.
»Ich strecke meine Hände nach Dir aus, o Königin des Gesangs.« Adolphe Thiers, Präsident von Frankreich.
Und so ging es weiter, Seite um Seite.
Drei Tage später kam Mister Alcock aufgeregt in die Aufnahmeräume.
»Gleich kann es losgehen. Die Patti will singen. Sie betet nur noch in ihrer Privatkapelle um Erfolg.«
Eine Viertelstunde später - die Zeiger auf Gaisbergs Uhr zeigten auf Punkt elf - stand die Patti vor dem Trichter.
»Sie sind ein scheußlicher Kerl, ein wahrer Teufel, daß Sie mich hier hineinsingen lassen wollen«, zischte sie Fred Gaisberg zu, und dann begann sie zu singen.

Sie war nur noch Stimme, nur noch Klang

Silbern und klar kletterte ihre Stimme in schwindelnde Höhen, sie vergaß den Trichter und vergaß den Aufnahmeraum. Ihr südländisches Temperament und ihr Schauspielerblut überwältigten sie, sie war nur noch Stimme, nur noch Klang.

Als sie sich alles vergessend vom Trichter wegdrehen wollte, hielt Gaisberg sie an den Armen fest und schob sie wieder nach vorn. Die Patti wurde zwar rot, sang aber genauso schön weiter. Als sie mit einer Schult er drehung Gaisberg abschütteln wollte, hielt dieser sie noch fester.

Doch nach dem letzten Ton riß sie sich los:
»Was fällt Ihnen ein, mich hier zu umarmen und festzuhalten? Ich habe mich einverstanden erklärt, zu singen, aber nicht . . . Und jetzt will ich sofort die Aufnahme hören!«
»Madame, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen . . .«, wandte Gaisberg ein und wurde sogleich von der Patti unterbrochen :
»Unsinn, ich will jetzt die Aufnahme hören, sonst singe ich überhaupt nicht mehr!«
»Will, spiel die Matrize ab«, rief Gaisberg über den Vorhang, und dann ertönte das »Batti, batti« der Primadonna strahlend und rein aus dem Trichter.

Die Wachsaufnahme kann man nur einmal abspielen ....

Die Künstlerin klatschte vor Vergnügen in die Hände, umarmte Gaisberg und rief: »Sie lieber Mensch, ich freue mich ja so, das ist die größte Freude, die Sie mir machen konnten.« Dann eilte sie lachend zur Tür und rief: »Rolf, mon eher, komm doch bitte!« Ein junger, wohlgebauter und schöner Mann trat ein und verneigte sich. Er war ein Masseur aus Schweden und lebte mit der Primadonna zusammen.
»Baron Cederström, mein Gatte«, stellte die Patti ihn vor.

Dann lächelte sie ihn an und sprudelte hervor: »Meine Stimme auf der Schallplatte, das mußt du hören! So habe ich mich ja noch nie gehört. Das sind hier Zauberer, die beiden Herren aus London.«

»Madame, leider können wir dem Baron Ihre Stimme nicht vorführen, denn beim Abspielen wurde die Wachsaufnahme zerstört. Ich wollte Sie warnen, aber Sie haben mich unterbrochen!« Gaisberg zuckte bedauernd die Schultern.
»Ach, was, Sie ernster Mensch, das ist doch nicht schlimm. Ich singe eben noch einmal, so oft Sie wollen!«

Heute singt hier die Patti!

Vier Tage hintereinander wurden jeden Vormittag zwischen elf und zwölf Uhr Aufnahmen gemacht. Dann fuhren die Gaisbergs mit ihren wertvollen Matrizen nach London zurück.

Am 8. Februar 1906 wurden die Patti-Platten in zweihundert
englischen Zeitungen angekündigt, und alle Schallplattenhändler hängten Plakate in ihre Schaufenster:

Heute singt hier die Patti! Die Platten gingen in Sonderhüllen und zu Sonderpreisen reißend weg. Jetzt konnte jeder die Patti für sich und bei sich singen lassen, auch der, der sich vorher keine Eintrittskarte leisten konnte.

Und während die Platte unter der Nadel kreiste, stellte man sich vor, wie die Primadonna mit einem Schmuck im Wert von zweihunderttausend Mark auf der Bühne der Covent Garden Opera die Violetta in »La Traviata« sang und Damen der höchsten Gesellschaft sie als Komparsen umrahmten, während aus den Kulissen Dutzende von Detektiven wachsam auf die Kolliers, Diademe und Ketten starrten.

Von nun an - Die größten Namen der Welt

Durch das Beispiel Carusos und der Patti animiert, wollte nun keiner der Großen im Reich der Musik mehr zurückstehen. Und da durch den Tenor Francesco Tamagno die Honorarverhältnisse - zehn Prozent vom Verkaufspreis - festgelegt worden waren, mochte auch niemand auf die bedeutenden Einnahmen verzichten.

  • Der Violinvirtuose Sarasate, dessen kleiner und süßer Ton so gerühmt wurde, spielte noch, bevor er 1908 in Biarritz starb, seine »Tarantella« und das »Prelude« von Bach in den Aufnahmetrichter.
  • Ignac Jan Paderewski, der begabteste Pianist, den die Welt je sah, machte 1911 seine erste Plattenaufnahme in seinem Haus in Lausanne. Auf der Höhe seines Ruhmes schloß er einen Exklusiv-Vertrag mit His Masters Voice ab. Alle Kritiker priesen die Delikatesse seines Anschlages, seinen herrlich singenden Ton. Er konnte das Publikum bannen und ihm genauso schmeicheln. 1938 spielte Paderewski die Rolle eines guten klavierbesessenen Onkels, der alles ins Lot bringt, in dem englischen Film »Mondscheinsonate«.
    Im Alter konnte er neben seiner politischen Vergangenheit als Ministerpräsident der Republik Polen und Präsident des Exilparlaments in Frankreich auf eine große Zahl von Plattenaufnahmen von Couperin, Paganini, Liszt, Chopin und Schumann zurückblicken.
  • Jan Kubelik, der im eigenen Salonwagen durch Amerika reiste, verewigte das Singen seiner »Emperor«, der schönsten Stradivarius-Geige der Welt, auf einigen Schallplatten. Schon als junger Mann hatte der tschechische Virtuose so viel verdient, daß er sich in Schlesien ein Gut für anderthalb Millionen Reichsmark kaufen konnte.

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und die Namen gingen weiter

  • Es sang die Amerikanerin Geraldine Farrar, die in Berlin studiert hatte und »vom Kaiser an abwärts« Favoritin der Berliner Gesellschaft war, ihre Glanzrolle, die Violetta aus »La Traviata«. Als »Marguerite« ist sie die Partnerin Carusos auf einer Gounod-Schallplatte, die sensationell war und die Kleinigkeit von zwanzig Goldmark kostete. Die Platte beginnt mit Mephistos (Monsieur Jouret) schrecklichem Schrei.
  • Es sangen die Italienerin Luise Tetrazzini, deren, Stimme mit dem Abschied der Patti aufging, und die Tschechin Emmy Destinn, die für die bettelnden Landsleute immer eine Schatulle mit Geld bei sich trug und von der man flüsterte, daß sie am ganzen Körper tätowiert sei.
  • Der holländische Mezzosopran Julia Culp, deren Aufnahmen besonders in Übersee gut verkauft wurden, heiratete später den Teppichgroßhändler Baron von Ginskey. Er baute ihr eine Villa, in der alles in Herzform angelegt war. Selbst die Teppich-, Tapeten- und Geschirrmuster trugen das Symbol der Liebe. Als Max Ittenbach von der Electrola die Sängerin einmal besuchen kam, hatte der Baron Tannenreiser in Herzform zur Begrüßung vor die Tür legen lassen.
  • Die sparsame Lilli Lehmann, die sich auf die Front ihrer Grunewaldvilla den Spruch

    »Spare - lerne - leiste was,
    dann haste - kannste - biste was«


    hatte schreiben lassen, sang Schuberts »Erlkönig« und Schumanns »Mondnacht«.
  • Leo Slezak machte eine Schallplattenaufnahme nach der anderen,
  • und von Alfred Grünfeld wurde für alle Zeiten der »Frühlingsstimmenwalzer« festgehalten, den Johann Strauß für ihn komponiert hatte und den er so meisterlich wiedergab.

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Nicht alle mochten das Grammophone

Es gab damals keinen Künstler von Bedeutung, der nicht die Schallplatte als das Mittel erkannte und benutzte, um der Nachwelt erhalten zu bleiben.

Trotzdem blieb die Meinung des Publikums noch immer geteilt. Man hatte zwar einen Plattenspieler und hörte sich Schallplatten an, aber nach außen hin waren zumindest die Snobs über die Konservenmusik erhaben, und sie nannten den Plattenspieler des »Spießers Wunderhorn«.

»Wer wird heute, ich bitte Sie, nicht über das Grammophon schimpfen«, schrieb ein Felix Nabinger in den Münchener Neuesten Nachrichten. »Die Abneigung gegen die automatische Musikmühle gehört zum eisernen geistigen Inventar jedes gebildeten Menschen. Wer die Musikmühle verteidigt, riskiert, daß ihm nachts die Fenster eingeworfen werden. Es gehört Mannesmut dazu, ein gutes Wort für Stift, Membrane und Hartgummiplatte einzulegen. Und diesen Mannesmut besitze ich. Ich bekenne mich hiermit als begeisterter, ja fanatischer Anhänger der automatischen Musik.«

Zur gleichen Zeit verkauften die deutschen Schallplattenhändler drei Millionen Platten im Jahr, und die Fabriken stellten genauso viele Plattenspieler her. Sie wurden jedoch zum größten Teil exportiert. Deutschland war das führende Land in der Plattenspielerproduktion geworden.

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