Das mußte mal gesagt werden
von Gerhard R. Koch im Januar 1982
geboren 1939 in Bonn, Abitur 1960 in Frankfurt. Studium der Germanistik, Geschichte, Musikwissenschaften, Philosophie, Soziologie. Seit 1960 musikkritische Beiträge in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seit 1976 Musikredakteur der FAZ, Mitarbeiter bei HiFi-Stereophonie seit 1970
- Dieses Editorial ist erschienen in der Hifi-Stereophonie 1982 Heft 01
Superlative
Spätestens seit Muhammad Ali, dem schlechthin Allergrößten aller lebenden wie toten Boxer aller Zeiten, ist Groß-, ja Größtmäuligkeit Trumpf. Klappern gehört zum Handwerk - und wer auf ganz und gar gewaltige Erfolge aus ist, tut gut daran, diese auf jeden Fall entsprechend anzukündigen. Aber der Box-Champion hatte es immerhin schwer: mußte er doch sowohl die Trommel des eigenen Ruhmes als auch so nebenbei sämtliche Gegner schlagen. Und mit nachlassender Kampfkraft ist ihm auch die Weltmeisterschaft im überlebensgroßen Sprücheklopfen abhanden gekommen.
Die Musiker haben es da besser:
Für sie gibt es schließlich die PR-Abteilungen der Schallplattenindustrie, in deren Büros man auch nicht gerade auf den Mund gefallen ist. Der Schickeria-Tratsch, die Kritiker-Reklame und ein flotter Pressedienst ergänzen sich da aufs Vorteilhafteste. Und das Erhabene und das Lächerliche, das Pompöse und das Makabre liegen eng beieinander. Zwischen Hitlers massenmörderischer Selbstbeweihräucherung als „größter Feldherr aller Zeiten" (Gröfaz) und Robert Musils satirischer Formel vom „genialen Rennpferd" (in „Der Mann ohne Eigenschaften") liegen zwar immer noch Welten; aber der Ungeist der Sensationshascherei und der Superlative, der beiden Formeln zugrunde liegt, ist gleichermaßen fatal.
Nun gibt es zwar Fans und Kritiker . . .
. . . die sich im Gefolge der Plattenmarktstrategien der ach so überaus wichtigen Frage zuwenden, ob denn nun Karajan, Bernstein und Solti wirklich die drei Größten seien - und gar, wer von ihnen nun ein für allemal der absolut und immerdar schlechterdings einzig Allergrößte sei (und über Pollini oder Brendel oder Horowitz werden die gleichen und gleichermaßen unabdingbar notwendigen Überlegungen angestellt).
Aber da wird wenigstens (was die Sache nicht besser, unter Umständen vielleicht sogar noch schlimmer macht) zumindest mit dem Schein musikalischer Argumente operiert.
Über derlei Fitzelkram allerdings sind die cleveren Köpfe der Plattenbranche nun schon längst hinaus. Da hieß es in den Branchennachrichten einmal schlicht und ergreifend und in der lakonischen Präzision der Aussage schwerlich überbietbar: „Der Mann gehört - da sind Zweifel ausgeschlossen - zu den zehn besten Pianisten der Welt."
Der Maestro wird überall "benutzt"
Gewiß wird jeder, der je in seinem Leben den Namen Herbert von Karajan oder auch nur einen Ton Musik gehört hat, sofort und restlos zweifelsfrei wissen, wer damit gemeint ist: Francois Glorieux natürlich, der belgische Klavierspieler, der so hübsch, glitzernd und artig-adrett die Songs der Beatles in verschiedenartiger stilistischer Manier über die Tasten und durch die Ohren plätschern läßt. Da andere Pianisten - Glenn Gould oder Cecil Taylor etwa - derartiges selbstverständlich nicht ganz so gut können, ist es doch glockenklar, daß eben nur einer der zehn besten Pianisten der Welt auf Grund solcher Kunstfertigkeiten diesen Ruhm verdient.
Aber Kreativität, die nur einzelne Blüten - und seien es Stilblüten - hervorbringt, ist nicht sonderlich viel wert: In der Wiederholung liegt die Würze. So heißt es nun im PR-Magazin von Intercord nicht minder lapidar: „Kennen Sie Andre Previn? - Daß sich unter diesem Namen einer der genialsten Pianisten unserer Zeit verbirgt, dürfte hinreichend bekannt sein." An diesem Satz stimmt nun ebenfalls so gut wie nichts mehr. Gewiß ist Andre Previn ein vorzüglicher und erstaunlich vielseitiger Musiker: ein ganz hervorragender Dirigent (in einigen Repertoirebereichen sogar überragend), ein ausgezeichneter Pianist, im klassischen Repertoire wie einst als Jazz-Spieler - und darüber hinaus auch ein Komponist wirkungssicherer, ebenso solide gearbeiteter wie perfekt inszenierter Filmmusiken. Aber das Klavierspiel ist keineswegs seine Haupttätigkeit, als Pianist ist er keine richtungweisende Größe - und kann man einen nur reproduzierenden Instrumentalisten wirklich genial nennen?
„einer der genialsten Pianisten unserer Zeit"
Wenn schon Pollini, Brendel, Horowitz, und wie sie alle heißen mögen (überschätzt werden sie samt und sonders), ganz und gar keine Genies sind, wie soll dann Previn gleich „einer der genialsten Pianisten unserer Zeit" sein? Und selbst die Tatsache, daß er ein sehr guter Klavierspieler ist, dürfte mitnichten „hinreichend bekannt sein".
Wem es nur noch um die möglichst reibungslose und profitintensive Vermarktung von Produkten, Leistungen und auch Menschen geht, dem kann an exakter und realer Information kaum mehr gelegen sein: Da zählt nur noch der aufgegagte Slogan. Ernstnehmen können die Plattenpropagandisten denn auch die von ihnen zu Fördernden nicht mehr - und heißen sie Glorieux oder selbst Previn.
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Es geht nur ums "Geldmachen"
Dies freilich ist der Boden, auf dem nicht nur die Stilblüten sprießen, sondern auch die Eigentore fallen: So firmiert in einer aktuellen Verlautbarung der spanische Schlagersänger Julio Iglesias kurz und bündig als „der erfolgreichste Plattenverkäufer der Welt". Der Show-Star als Markt-Hit und als Plattenstapel, der sich selbst optimal verkauft: der Abgott hinter der Ramsch-Theke. Die Sprache der PR-Manager verrät ihre geheimen wahren Absichten. Und die heißen nun einmal: Geldmachen, nichts weiter als Geldmachen.
von Gerhard R. Koch im Januar 1982
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