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DIE GROSSEN MUSIKER Nr.2
PETER ILJITSCH TSCHAIKOWSKY • Band II

INHALT  
A Text-und Bildteil:  
Qualen und Leid im Reiche des Gefühls Seite 13
Schöpferische Aktivität Seite 19
Zur Schallplatte Seite 22
B Die Langspielplatte:  
Ballett-Suiten zu »Schwanensee« op. 20 und »Dornröschen« op. 66  

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Die grossen Musiker - Einführung Teil 2

Die neue Musikzeitschrift aus dem Bastei -Verlag • Mit Langspielplatte • © 1966 für alle Länder Fabbri, Mailand • Deutsche Lizenzausgabe 1967 des Originaltitels »I Grandi Musicisti« • Alle Rechte der deutschen Ausgabe und der deutschen Texte: Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe, 507 Bergisch Gladbach • Redaktion: Günther Jäkel und Leo Karl Gerhartz • Musikwissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Günther Massenkeil,Bonn, und Privatdozent Dr. Klaus Wolf gang Niemöller, Köln • Übersetzung: Leo Karl Gerhartz • Herstellung: Horst Scholz • Satz: Druckerei Gustav Lübbe • Druck: Fratelli Fabbri, Mailand • Printed in Italy. 1966

Das Titelbild zeigt Christa Kempf und Peter van Dyk in »Schwanensee« (Foto Dünhöft, Köln).
Die diesem Band beigefügte Langspielplatte bringt die ungekürzte Aufnahme von Peter Iljitsch Tschaikowsky

SUITE NACH DEM BALLETT »SCHWANENSEE«, OP.20
I - Szene - Moderato
II - Walzer
III - Tanz der Schwäne - Allegretto
IV - Szene - Andante
V - Ungarischer Tanz, Czardäs - Moderato assai

Peter Iljitsch Tschaikowsky
SUITE NACH DEM BALLETT »DORNRÖSCHEN«, OP.66
I - Einleitung - Die Fliederfee
II - Adagio
III - Der gestiefelte Kater
IV - Walzer - Allegro

Es spielen die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Edouard van Remoortel - Spieldauer: 38 Minuten - 5 DM

BASTEI DIE GROSSEN MUSIKER
Sehr geehrter Musikfreund !

Mit dem nächsten Kunstband BASTEI - DIE GROSSEN MUSIKER, der dritten Folge der Tschaikowsky-Serie, bieten wir Ihnen etwas ganz Außergewöhnliches:

Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 h-moll, die „Pathetique", meisterlich interpretiert von den Berliner Symphonikern, sowie den „Slawischen Marsch" und die Fest-Ouvertüre „Anno 1812", gespielt von den Wiener Symphonikern unter der Leitung von Heinrich Hollreiser.

Neben Tschaikowskys letzter Komposition, die ihm Testament und Lebensbeichte zugleich war, steht das musikalische Schlachtgemälde des Rußland-Feldzuges Napoleon Bonapartes.

Um Ihnen die extremen Gegensätze zwischen dem aufwendigen Gefühlsprogramm der „Pathetique" und den realistischen Schilderungen des „Slawischen Marsches" und der Ouvertüre „Anno 1812" ungekürzt nebeneinander darbieten zu können, haben wir uns entschlossen, diese Werke ausnahmsweise auf zwei Langspielplatten aufzunehmen.
Das sollte für Sie ein Grund mehr sein, auch die nächste Tschaikowsky-Ausgabe zu erwerben. Sie erhalten Band 3 in 14 Tagen bei Ihrem Zeitschriftenhändler zum sensationell niedrigen Preis von nur 8,- DM.
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QUALEN UND LEID IM REICHE DES GEFÜHLS

Zwei Frauen spielen im Leben Peter Tschaikowskys eine wichtige Rolle, zwei Frauen, die ihrem Wesen nach ebenso wie in ihrer äußeren Erscheinung ausgesprochen verschiedenartig, ja nachgerade einander entgegengesetzt sind: einmal Tschaikowskys Frau Antonina Nicolajewna, zum anderen Nadjeshda von Meck, jene geheimnisvolle Wohltäterin und Freundin, die darauf bestand, ihre Beziehungen zu Tschaikowsky auf einen (allerdings sehr intimen und auch sehr intensiven) Austausch von Briefen zu beschränken.

Antonina Nicolajewna Miljukowa war Tschaikowskys Schülerin am Moskauer Konservatorium. Die junge Studentin verliebte sich sofort in ihren berühmten Lehrer. Ohne Frage war Antoninas »Liebe« jedoch eher eine oberflächliche, wenn nicht gar unaufrichtige Schwärmerei. Hingerissen von der faszinierenden Aura des Künstlers suchte sie überhaupt nicht nach jenen echten Beweisen gegenseitiger Sympathie, die eine unentbehrliche Voraussetzung für jede dauerhafte Bindung sind.

Immerhin kann man die Schwärmerei des Mädchens wenigstens verstehen. Völlig unverständlich ist dagegen die Haltung des Komponisten, der sich - ganz abgesehen davon, daß er Antonina nicht im geringsten liebte - schon wegen seines krankhaft feindlichen Verhältnisses zu Frauen (homosexuell) im allgemeinen jeden Versuch einer Ehe hätte verbieten müssen. Der Entschluß zu heiraten verdeutlicht einen neuen und nicht unwesentlichen Zug im Charakter Tschaikowskys. Zutiefst erschreckt über die eigenen anormalen Neigungen, blieb sein Erschrecken doch das eines Kindes.

  • Anmerkung : Hier wird erstmalig indirekt seine homsexuelle Neigung angesprochen, aber ohne es deutlich auszusprechen.

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Tschaikowsky litt aufrichtig und ehrlich.

Doch empfand er den Grund seines Leidens eben wie ein Kind vornehmlich in der Tatsache, sich in gewisser Weise von seiner gesellschaftlichen Umgebung ausgeschlossen zu finden. Durchaus der Notwendigkeit eines einsamen, abgesonderten Lebens bewußt, hatte der Komponist dennoch nicht die Kraft, solch ein Leben mutig und männlich zu ertragen.

Allein seine Musik beweist ja, wie unbedingt Tschaikowsky die Stütze der Gesellschaft brauchte. Die Gesellschaft ihrerseits erwartete natürlich wiederum von Tschaikowsky eine den allgemeinen Regeln (Anmerkung : entsprechend den damals bereits verlogenen Sitten der oberen Schichten der Gesellschaft) entsprechende Lebensführung.
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Ein schmerzhaft offener Brief Tschaikowskys an seinen Bruder Modest ist ein eindrucksvolles Zeugnis für diese seine besondere Lebensproblematik:
»Ich habe ausführlich über mich und meine Zukunft nachgedacht, und ich denke jetzt ernsthaft daran zu heiraten. - Ich weiß sehr wohl, daß meine Neigungen ein schweres Hindernis für eine glückliche Ehe werden können, aber ich will gegen meine Natur ankämpfen ......

Wenn Du wüßtest, wie sehr ich an dem Umstand leide, daß viele Menschen Mitleid mit mir haben oder mir Dinge verzeihen, für die ich nichts kann.
Und ist es nicht ein fürchterlicher Gedanke, meine Freunde könnten sich meiner schämen?

Das aber ist geschehen und wird auch weiterhin geschehen. Darum will ich heiraten. Das wird denjenigen den Mund verschließen, die ich zwar verachte, die aber durch ihr Gerede viele mir sehr teure Menschen betrüben.«
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Er heiratet Antonina Nicolajewna am 6. Juli 1877

Nachdem Frau von Meck Tschaikowsky noch in seinen Absichten bestärkt hatte, heiratete er Antonina Nicolajewna am 6. Juli 1877.

Die Ehe wurde für beide, wie es bei den jeweiligen Anlagen der Partner nicht anders sein konnte, zu einer nahezu unmittelbaren Katastrophe.

In zwei Briefen an Frau von Meck hat Tschaikowsky seine Qualen nach der Hochzeit geschildert. Im ersten Brief heißt es:

»Ich schrieb Ihnen ja bereits, daß ich nicht aus Herzensneigung geheiratet habe, sondern infolge einer unglücklichen Verkettung von Umständen, die mich in verhängnisvoller Weise vor eine überaus schwierige Wahl stellte.
Ich mußte entweder ein anständiges junges Mädchen sitzen lassen, deren Liebe ich unvorsichtiger Weise ermuntert hatte, oder sie heiraten. Ich wählte das letztere ..., nicht zuletzt, weil ich hoffte, ich würde ein mir so aufrichtig ergebenes junges Mädchen bald liebgewinnen ...

Als ich jedoch nach der Trauung mit meiner Frau allein war und mir bewußt wurde, daß wir nun für immer verbunden waren, bemerkte ich, daß ich sie nicht nur nicht liebte, sondern ausgesprochen haßte. Mir schien, als ob ich oder wenigstens der beste Teil meines Ich, nämlich mein musikalisches Talent, ein für allemal zu Grunde gerichtet worden sei ...

Meine Frau trifft allerdings keine Schuld; sie hat mir die Ehe nicht aufgedrängt.« In dem zweiten Brief folgen noch verzweifeltere Worte: »Ich habe mit meiner Frau zwei Wochen in Moskau verlebt - eine Kette unerträglicher Leiden ... Ich spürte in mir einen so wilden Haß, daß ich meine unglückliche Frau hätte erwürgen können...

Doch sie ist nicht schuldig..., sondern allein ich mit meiner Charakterschwäche und Weltfremdheit!« Eine so verzweifelt begonnene Ehe konnte selbstverständlich nicht lange Wirklichkeit bleiben.

Um diese trostlose Episode zu beschließen, genügt der Hinweis, daß die Erscheinung Antoninas das Leben Tschaikowskys noch lange und auf tragische Weise beschattete. Ansonsten ist die gescheiterte Ehe ein weiterer Beleg für die wenig ausgereifte und krankhaft melodramatische Gemütsart des Komponisten, der stets dahin neigte, sich dem Leben mit den Maßstäben der »schönen Künste« zu nähern.

Liebe, Offenbarung, Mission - solche und ähnliche Begriffe und die mit ihnen verbundenen Inhalte hatten für Tschaikowsky ausschließlich eine ästhetische Seite und mußten sich mithin in seinem wirklichen Dasein immer wieder an der harten und grausamen Realität der Welt stoßen.
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Nadjeshda von Meck, die Witwe mit großem Vermögen

Mit dem Scheitern der Ehe wird jedoch für Tschaikowsky und auch für seine Kunst eine andere Frau von immer stärkerer Bedeutung: Nadjeshda von Meck.
Nadjeshda von Meck war eine Witwe mit großem Vermögen. Sie liebte es zu reisen und nahm an allen Fragen der Kunst regen Anteil. Nicht die äußere Erscheinung und Lebensführung dieser Frau ist hier jedoch von Interesse, sondern vor allem ihre geistige Persönlichkeit und deren besonderer gesellschaftlicher Hintergrund.

Das Gesellschaftsleben des europäischen und ganz besonders des russischen Großbürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde nicht zuletzt geprägt durch den Typ der Kunstliebhaberin. Die Vertreterinnen dieses Typs waren gutsituierte Damen aus aristokratischen oder großbürgerlichen Kreisen, die über genügend Zeit und Geld verfügten, um sich ausgiebig ihren Liebhabereien zu widmen.

In einer regen Teilnahme am Kunst- und Geistesleben sahen sie die einzige Möglichkeit, sich über die Menge zu erheben und der Langeweile des täglichen Lebens zu entrinnen. All das gilt allerdings vornehmlich für Rußland. Denn was in kulturell hochentwickelten Ländern wie etwa in Deutschland sicherlich bald in ein falsches Überlegenheitsgefühl und Überheblichkeit ausgeartet wäre, blieb in diesem noch jungen und kosmopolitischen Land eine als Leiden und heroischer Kampf verstandene gefühlsselige Überspanntheit.

Dank Tschaikowsky ist Nadjeshda von Meck der Prototyp solch einer Kunstliebhaberin geworden. Um Frau von Mecks Wesensart zu umschreiben, erübrigen sich fremde Kommentare und Erläuterungen. Ein Blick in ihre eigenen Briefe genügt: »Neulich spielte ich« - so schreibt sie an den Freund - »das Andantino cantabile Ihres ersten Streichquartettes. Ihre Musik versetzte mich in einen Rauschzustand, der meinen ganzen Körper tief erschauern ließ.« Oder: »Wenn ich Musik höre, denke ich an gar nichts, sondern empfinde nur ein herrliches körperliches Wohlbefinden.«

Oder: »Musik löst in mir ein ähnliches Wollustgefühl aus wie der Genuß einer Flasche Jerez (schwerer spanischer Süßwein), sie führt mich in unbekannte, herrliche Räume ... In solchen Augenblicken fühle ich mich bereit zu sterben!«

Natürlich gäbe es kaum einen Grund, bei dem ausschließlich auf den Sinnengenuß bezogenen Musikverständnis dieser Frau zu verweilen, hätte nicht Tschaikowsky viele Jahre in ihrem Bann gestanden.

Zwar weist der Komponist den Vergleich mit der Flasche Jerez als unangebracht zurück - in seiner Antwort schreibt er an Nadjeshda: »Musik ist nicht Täuschung, sie ist Offenbarung!« Aber insgesamt tut er nichts, um die gefühlsträchtige Briefbeziehung zu Frau von Meck zu beenden. Warum konnte diese Freundschaft dauern?
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Tschaikowskys finanzielle Situation

Nun, da ist nicht zuletzt die finanzielle Seite der Sache. Tschaikowsky vermochte - wie noch später erörtert werden wird - die Last des Lehrberufs am Konservatorium nicht lange zu ertragen; er wünschte frei zu sein von jeder festen und regelmäßigen beruflichen Bindung; darüber hinaus wollte er weite Reisen unternehmen.

All das aber war unmöglich ohne die großzügige finanzielle Unterstützung seiner Wohltäterin. Allerdings wäre es sehr ungerecht, wollte man die ebenso einzigartige wie eigenartige Bindung zwischen Tschaikowsky und Frau von Meck nur mit wirtschaftlichen Motiven begründen.

Ohne Zweifel war die Beziehung zu Frau von Meck auch für den Künstler Tschaikowsky wichtig, ja notwendig. Der Musiker brauchte einfach einen Menschen, der seinen Gefühlsüberschwang verstehen und mit ihm teilen konnte. Tatsächlich entspricht Nadjeshda von Meck absolut dem, was Tschaikowsky sich als seinen idealen Zuhörer vorstellte.

Der Komponist wollte zu seinem Publikum keine andere als eine rein spirituelle Bindung. Ein Publikum, das dem Künstler zu nahe treten und das sich mit dem Beifall das Recht einhandeln wollte, einen indiskreten Blick in die geheimsten und intimsten Winkel seiner Privatperson zu tun, war Tschaikowsky zutiefst zuwider.

Seine Privatperson wollte er vor den Augen aller verborgen wissen. Seine gefühlsbetonte Musik sollte ein gefühlsmäßiges Erlebnis erzeugen; darüber hinaus aber durfte es keine weiteren Beziehungen geben. Frau von Meck erfüllte diese Erwartungen des Komponisten in seltener Vollkommenheit.

Den Schleier über dem privaten Lebensbereich Tschaikowskys durfte niemand lüften.

Sobald zuvor ausschließlich spirituelle Bindungen konkrete und intime Formen anzunehmen drohten, spürte der Musiker stets das Bedürfnis auszuweichen und sich für immer zurückzuziehen.

Die Episode Tschaikowskys mit der Sängerin Desiree Artot, noch vor seiner Ehe mit Antonina Nicolajewna, ist in dieser Hinsicht sehr aufschlußreich. Tschaikowsky lernte Desiree Artot 1868 kennen und verliebte sich, so behauptete er wenigstens, unsterblich in sie.

Die Beziehung zwischen beiden war jedoch von Anfang an ausgesprochen eigenartig. Immerhin erwiderte Desiree wohl die ihr entgegengebrachte Sympathie. Auf jeden Fall dachte Tschaikowsky eine Weile ernsthaft an eine Ehe. In einem Brief aus dem Jahre 1868 unterrichtete er seinen Vater über seine Pläne:

»Da Du sicher schon von meiner Absicht zu heiraten gehört hast und Du bestimmt über mein langes Schweigen unzufrieden bist, beeile ich mich, Dich über den genauen Stand der Dinge aufzuklären. Ich lernte Desiree Artot im vergangenen Frühling kennen und sah sie seitdem nur ein einziges Mal wieder. Als sie im Herbst nach Moskau kam, verging ein ganzer Monat, ohne daß ich sie besuchte. Dann traf ich sie zufällig während eines Konzertes, und sie zeigte sich sehr befremdet, daß ich sie noch nicht besucht hatte. Aber auch jetzt hätte ich wohl kaum etwas unternommen, wenn nicht Anton Rubinstein, der auf der Durchreise in Moskau war, mich zu ihr begleitet hätte. Von diesem ersten Besuch an war ich jedoch nahezu jeden Tag bei ihr, und ich verbrachte nun einen großen Teil meiner Zeit mit ihr. Bald empfanden wir füreinander die zärtlichsten Gefühle, denen gegenseitige Geständnisse folgten. Natürlich sprachen wir schließlich auch von der Möglichkeit einer Ehe, und wenn keine Hindernisse auftauchen, denken wir daran, im kommenden Sommer zu heiraten.«

Kaum jedoch hatte die Bindung ihren Höhepunkt erreicht, begann die Vorstellung einer dauernden Ehe Tschaikowsky zu schrecken, und er suchte nach Gründen für einen Rückzug. Er war bestrebt, sich selbst und andere davon zu überzeugen, daß eine Ehe eine Sache von größter Wichtigkeit sei, die man in Ruhe und reiflich überdenken müsse.

Er fand unzählige Schwierigkeiten in der Tatsache, daß die Artot nicht bereit war, ihre Karriere als Sängerin aufzugeben. Und er betonte immer wieder seine Furcht, er könne, wenn er genötigt sei, der Gattin bei ihren Gastspielreisen durch die Welt zu folgen, die Kraft verlieren, seinen kompositorischen Aufgaben zu genügen.
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Tschaikowskys Alpdruck mit den Gefülen für Frauen

So wurde für Tschaikowsky der Eheplan, der ihm zunächst so ersehnenswert und ideal erschien, nach und nach zu einem wahren Alpdruck.

Hin- und hergerissen von quälender Unsicherheit faßte er endlich den Entschluß, wenigstens vorläufig von der Verwirklichung seines Planes abzusehen.
Das Scheitern des Eheplanes mit Desiree Artot ist nicht nur eine gewisse Vorwegnahme der Katastrophe der Ehe mit Antonina Nicolajewna, es ist zudem ein erstes Zeichen von Tschaikowskys allgemeinem und grundsätzlichem Abscheu vor Frauen - einem Abscheu, wenn nicht gar Ekel, der ein vielleicht entscheidendes Merkmal seiner ebenso tiefen wie engen, ebenso empfindsamen wie hysterischen, ebenso bewegten wie labilen Persönlichkeit darstellt.
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Normalisierung und Aufschwung

Zwischen dem ersten gescheiterten Eheversuch und der wirklich versuchten Ehe nimmt die Entwicklung Tschaikowskys als Komponist einen außerordentlich raschen Aufschwung.

Gegen Ende des Jahres 1866 war Tschaikowsky - durch die Vermittlung Nicolai Rubinsteins, der seine Kompositionen schätzte - Professor für Harmonielehre an dem jungen Konservatorium in Moskau geworden. Die Dozententätigkeit behagte dem Musiker aber überhaupt nicht.

Auch wer die Gemütsart Tschaikowskys nur flüchtig kennt, wird unmittelbar einsehen, daß ihm die trockene und methodische Form des Lehrberufs nicht zusagen konnte. Tatsächlich war er einfach unfähig, das Lehren auch nur für einen Augenblick als positive Aufgabe zu begreifen; er sah in ihm vielmehr nur Plagen und Mühen.

Die Briefe Tschaikowskys aus der Zeit seines Wirkens am Moskauer Konservatorium sind deshalb auch nichts anderes als eine endlose Kette von Klagen, eine einzige Folge von offenen Leidenserklärungen.

Allerdings gewann Tschaikowsky in Moskau einige höchst bedeutsame Freunde. Er vertiefte seine Beziehung zu Nicolai Rubinstein und machte die Bekanntschaft des Verlegers Peter Jürgenson, der zahlreiche Werke von ihm veröffentlichte.

Vor allem aber lernte er den großen Dramatiker Alexander Ostrowski kennen. Eine Frucht dieser Bekanntschaft war die dreiaktige Oper Der Woiwode, die 1869 in Moskau ihre Uraufführung erlebte. Das Werk geriet jedoch bald wieder in Vergessenheit. Gedruckt wurden von der Partitur nur die Ouvertüre, die Zwischenakt-und die Ballettmusik.

SCHÖPFERISCHE AKTIVITÄT

Was mehr als alle privaten Schwierigkeiten in der ersten Phase seiner künstlerischen Laufbahn zählt, ist Tschaikowskys stetige schöpferische Kraft.

Nicht nur entfaltet der Komponist in drei Sinfonien, ebensovielen Streichquartetten, dem berühmten ersten Klavierkonzert und in den Orchesterfantasien Romeo und Julia und Francesca da Rimini sein musikalisches Talent auf überreiche Weise; er erweist sich zudem sofort als der brillante Meister einer musikalischen Technik, die jede zopfige Schulgelehrsamkeit weit hinter sich läßt.

Darüber hinaus sind bereits Tschaikowskys erste Kompositionen ein bemerkenswertes Zeugnis dafür, wie wenig die kosmopolitische Grundhaltung des Musikers auf einer bloßen Nachahmung fremder Modelle beruht, denn diese Kompositionen heben sich spürbar von ihren westeuropäischen Vorbildern ab.

Ein typisches Beispiel hierfür ist die Sinfonie Nr. 2, die gerade in unseren Tagen wieder häufiger aufgeführt wird und deren heitere Eleganz und einschmeichelnde Elegik sich in zunehmendem Maße allgemeinerBe-liebtheit erfreut.Tschaikowsky macht in diesem 1872 komponierten und 1879 völlig umgestalteten Werk von dem reichen Volksliederschatz seiner Heimat ausgiebig Gebrauch. Im Finale zitiert er sogar das ukrainische Volkslied »Der Kranich« in seiner originalen Form.

Auch in den übrigen Sätzen verwendet er häufig folkloristische Motive. Es wäre allerdings einseitig, wollte man wie M. Hofman in Tschaikowkys Sinfonie nur das Bild von einem Künstler sehen, »der durch Dörfer und übers Land streift und sich unter das einfache Volk mischt, um dessen Freuden und dessen Kummer zu teilen«. Denn schon mit dem Eröffnungsthema des ersten Satzes und im gesamten weiteren Verlauf werden die in die Komposition eingewobenen Volksweisen spürbar von einer frischen und klaren Eleganz überlagert, die ihren Ursprung eindeutig in der unmittelbaren gesellschaftlich-bürgerlichen Umgebung des Komponisten hat.

In diesem Sinne ist auch die Bezeichnung »klein-russische« (ukrainische) Sinfonie einzuschränken. Tschaikowsky hat mit seiner zweiten Sinfonie ein entzückendes und bis ins Detail scharf umrissenes musikalisches Gemälde geschaffen; von der allgemeineren Wirklichkeit des menschlichen Lebens und der mit ihm verbundenen Leiden und Freuden ist es jedoch weit entfernt.
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Tschaikowskys musikalische Welt

Auch alle übrigen Merkmale der frühen Arbeiten Tschaikowskys gründen ausnahmslos in den Bedingtheiten ihrer direkten gesellschaftlichen Umgebung. Das gilt besonders für die Tendenz, den musikalischen Organismus im melodischen Ausdruck aufzulösen. Tschaikowskys musikalische Welt - und das ist seine Welt schlechthin - lebt, ja erschöpft sich fast in weitgespannten und süßen, zarten und einschmeichelnden Melodien. Solch eine Welt kann nicht immer tief und muß begrenzt sein, zwangsläufig immer abhängig von der jeweiligen Qualität und Feinheit der einzelnen Melodie.

Die beiden Orchesterfantasien Francesca da Rimini (nach Dante) und Romeo und Julia (nach Shakespeare) gehören in dieser Hinsicht - wohl nicht zuletzt wegen der glücklichen Wahl der literarischen Vorlagen - zu den gelungensten und gleichsam am meisten romantischen Kompositionen in der Reihe der Frühwerke. Denn hier gelingt Tschaikowsky ausschließlich mit den Mitteln des gefühlsbetonten, melodischen Ausdrucks die Gestaltung von zwei musikalischen Szenen, die in sich abgerundet und überzeugend sind.

Tschaikowskys Quartette sind anders

Das gleiche muß man von den drei Streichquartetten und hier insbesondere von dem 1876 vollendeten 3. Streichquartett es-moll op. 30 sagen, auch wenn es im Bereich der sogenannten »reinen« Musik nicht so unmittelbar einleuchten mag wie bei der »Programmusik« der Orchesterfantasien. Tschaikowskys Quartette haben bis auf die Bezeichnung mit der reichen klassischen Tradition des Streichquartettes, die wir mit den Namen Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert umreißen können, kaum mehr etwas gemeinsam.

Sie sind vielmehr eher höchst intime »Gedichte«, die ihre Rechtfertigung wie ihre Überzeugungskraft vornehmlich in jener manchmal unkontrollierten, immer aber lebendigen Gefühlserregung suchen, die den Urgrund der musikalischen Inspiration Tschaikowskys darstellt. Das vielleicht typischste Beispiel für diesen »poetisch-emotionalen« Stil ist das Andante funebre e doloroso aus dem Streichquartett Nr. 3.

Ein letztes und besonders bezeichnendes Merkmal in den frühen Kompositionen von Peter Tschaikowsky liegt in der Tatsache, daß hier die Melodie nicht mehr aus dem musikalischen Vorgang entwickelt erscheint wie in der Klassik, sondern als ein im wahren Sinne des Wortes erlösender Einfall.
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Tschaikowskys »Knalleffekt«

Giulio Confalonieri hat die plötzlichen und eigenständigen melodischen Ausbrüche in den Werken Tschaikowskys mit dem Knalleffekt des Unterhaltungsromans verglichen. Ein zwar strenger, aber auch zutreffender und erhellender Vergleich. Man denke nur an das Klavierkonzert Nr. 1 b-moll.

Gerade dessen so berühmtes und in so zahlreichen Schlagern imitiertes Eröffnungsthema ist solch ein typischer »Knalleffekt«. Das verdeutlicht schon allein der Umstand, daß dieses Eröffnungsthema auf sein plötzliches und überraschendes Auftauchen in der Introduktion beschränkt bleibt und den weiteren Verlauf des Konzertes in keiner Weise beeinflußt.

Sicher ist in der Musik Tschaikowskys der »Knalleffekt« nicht deren
schlechtester Teil. Die zentrale Problematik der Kompositionen des russischen Musikers liegt nicht dort, wo unvorbereitete melodische Einfälle sich entfalten, sondern "da, wo" eine falsche Synthese gesucht wird. Jene allgemeine und umfassende Synthese, in die Tschaikowsky ohne jede kritische Kontrolle sein ganzes ungebändigtes Ich einströmen läßt.

Wenn er einem Autor Unreife oder Formalismus vorwerfen wollte, pflegte der bedeutende italienische Literaturhistoriker Francesco De Sanctis zu sagen:

»Der Dichter ist da, aber es fehlt der Mensch.« Im Falle Tschaikowskys wäre dieser Satz umzukehren: »Nur der Mensch ist da, allzuviel Menschliches.« »Menschliches« im Sinne eines gewissen Mangels an Selbstbeherrschung und geistiger Disziplin; »Menschliches« im Sinne einer zu unmittelbaren und zu ungebändigten Übertragung menschlichen Fühlens in die künstlerische Aussage.

Tschaikowsky läuft immer dann Gefahr, einer falschen Gleichsetzung von Leben und Kunst zu erliegen, wenn er den melodischen Höhepunkt überquellen und ausladend dauern läßt. Allerdings leben die beiden Ebenen seiner Musik - die heiter-elegische einerseits und die expressivpathetische andererseits - immer nebeneinander.

Und wenn auch in der künstlerischen Entwicklung des Komponisten der unkontrollierte Ausbruch immer vorherrschender wird, so ist doch nicht zu übersehen, daß Tschaikowsky gerade in seinen letzten Lebensjahren wieder ein Meisterwerk von feinstem Geschmack und hochstilisierter Grazie geschaffen hat: das Ballett Der Nußknacker.
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Peter Tschaikowsky und Modest Mussorgski

Die künstlerischen Grenzen Tschaikowskys werden nicht zuletzt auch in einer Gegenüberstellung seiner Persönlichkeit mit der Mussorgskis deutlich. Peter Tschaikowsky, der Schöpfer der Pathetique und Sucher nach dem Absolut-Schönen in der Kunst, und Modest Mussorgski, der Autor des Boris Godunow und der wohl berühmteste Repräsentant der neurussischen, nationalen und realistischen Schule, lebten zwar in ein und derselben Zeit, ihre Kunst und ihre jeweiligen künstlerischen Ziele waren jedoch schlechthin unvereinbar.

Zwei Dokumente mögen die Verschiedenartigkeit der beiden russischen Komponisten belegen. In einem Brief Tschaikowskys finden sich über Mussorgski folgende Sätze: »Mussorgski kokettiert mit seinem Mangel an musiktechnischen Kenntnissen. Er rühmt sich seiner Unwissenheit und komponiert, wie es ihm gerade einfällt, indem er blind der Unfehlbarkeit seines Genius vertraut. Dabei blitzen allerdings talentvolle und eigenartige Einfälle bei ihm auf.«

Mussorgski urteilte seinerseits über Tschaikowsky eher noch schärfer. Wenigstens scheint es so in dem berühmten Brief, den er am 26.12.1872 an seinen Freund Wladimir Stassow - den Musikästheten und Theoretiker des »Mächtigen Häufleins« - geschrieben hat.

Dieser Brief ist allerdings das einzige schriftlich fixierte Urteil Mussorgskis über Tschaikowsky; im ganzen war seine Haltung eher positiver und freundlicher.

Der Brief Mussorgskis bezieht sich auf einen Konzertabend, an dem auch Tschaikowsky teilnahm und in dessen Verlauf neben Mussorgskis Liederzyklus Die Kinderstube auch Teile des Boris Godunow aufgeführt wurden.

Er lautet: »Alle diese Tage bin ich oft mit Anbetern der bedingungslosen musikalischen Schönheit zusammengetroffen und habe ein seltsames Gefühl von Leere im Gespräch mit ihnen empfunden ... Sadyk Pascha« - das ist der Spitzname für Tschaikowsky im Kreise des »Mächtigen Häufleins« - »befand sich in einem Dämmerzustand, träumte vielleicht von Scherbet-Fruchtsaft, vielleicht aber auch vom Moskauer Sauerteig *), in den er sich beim Anhören von Bruchstücken aus Boris Godunow verwandelte.

*) Anspielung auf den Musikerkreis des Moskauer Konservatoriums, der das »Mächtige Häuflein« und dessen Kunstanschauungen befehdete.

Zuhörer pflege ich immer zu beobachten (das ist lehrreich!), und als ich bei Sadyk Pascha die Neigung bemerkte, sich ernstlich von der Säuernis durchdringen zu lassen, erwartete ich Gärung, und wirklich geriet der Teig nach dem Vortrag der Papagei-Erzählung (aus Boris Godunow) in Gärung, und die Bläschen fingen an mit stumpfem, trägem, faulem, häßlichem Ton zu platzen.

Aus der Summe dieser Töne (es gab ihrer nicht viele) behielt ich folgendes: ,Welche Kraft! Aber die Kräfte werden verzettelt... Es wäre nützlich, sich mit einer Sinfonie zu befassen (en forme - versteht sich)'. Ich, der Kraftmensch, bedankte mich bei Sadyk Pascha, und das war alles. Gestern traf ich Sadyk Pascha zufällig im Bessel-Verlag. Und wieder begann dasselbe Lied: ,Gebt mir musikalische Schönheit - einzig und allein musikalische Schönheit!'...«
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Tschaikowsky und das »Mächtige Häuflein«

Die Beziehungen Tschaikowskys zu dem »Mächtigen Häuflein« insgesamt waren sicherlich nicht nur feindlicher Natur. In Moskau kam Tschaikowsky häufig mit Balakirew zusammen, um mit ihm über künstlerische Probleme seiner sinfonischen Dichtung Romeo und Julia zu beratschlagen.

Auch mit Wladimir Stassow unterhielt der Komponist immerhin einen Briefwechsel. Die Gegensätze zwischen Tschaikowsky und Mussorgski aber waren letztlich wohl unaufhebbar. Natürlich hatte Tschaikowsky recht, wenn er Mussorgski Mangel an musiktechnischen Kenntnissen und Dilettantismus vorwarf. Von seinem Standort aus konnte er gar nicht anders urteilen.

Aber bei einer tieferen Sicht der Dinge wird man doch unsicher, welchen Dilettantismus man den fragwürdigeren nennen soll: jenen technischen, der Mussorgski nicht störte, das revolutionäre Werk des musikalischen Realismus, nämlich den Boris Godunow zu schaffen, oder jenen mehr geistigen, der Tschaikowsky daran hinderte, die ästhetische und dem schönen Schein verhaftete Enge seines ebenso überspannten wie übermächtigen Ich zu sprengen.
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ZUR SCHALLPLATTE (Band Nr.2 - Platte Nr.2)

Peter Iljitsch Tschaikowsky, Aus dem Ballett »Schwanensee op. 20« (1875/76):

I Szene - Moderato
II Walzer
III Tanz der Schwäne - Allegretto moderato
IV Szene - Andante
V Ungarischer Tanz, Czardas - Moderato assai

Es spielen die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Edouard van Remoortel
(Vox, PL 11770) Spieldauer: 20 Minuten
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Schwanensee, Dornröschen und Der Nußknacker

Schwanensee, Dornröschen und Der Nußknacker gehören zu den ersten Zeugnissen der Gattung des sinfonischen Balletts. Tschaikowsky hat es in diesen Werken verstanden, die Elemente seines sinfonischen Stils auf das glücklichste mit seiner leichten und empfindsamen Melodik und mit einer brillanten und reich getönten Orchesterbehandlung zu verbinden.

Die drei großen Ballette Tschaikowskys sind Marksteine in der Geschichte des Balletts und für viele bis heute unübertroffen. Das Ballett Schwanensee op. 20 komponierte Tschaikowsky in den Jahren 1875 und 1876. Die Uraufführung am 4. März 1877 im Moskauer Bolschoi-Theater war ein vollständiger Mißerfolg.

Die Schuld an dem Fiasko traf den halbdilettantischen Dirigenten im gleichen Maße wie den völlig phantasielosen Choreographen. 1880 und 1886 wurde Schwanensee in Moskau aufs neue, diesmal in der Choreographie von Hansen, aufgeführt, aber wiederum vermochte sich das Werk beim Publikum nicht durchzusetzen.

Tatsächlich hat Tschaikowsky den Triumphzug seines ersten Ballettes nicht mehr erlebt. Denn erst eine Gedenkfeier zu Ehren des verstorbenen Komponisten im kaiserlichen Marien-Theater zu Petersburg, bei der der zweite Akt von Schwanensee aufgeführt wurde, regte den »Erzvater der Choreographie«, Marius Petipa (1834-1910), zu einer Neuinszenierung an.

Die Premiere fand am 8. Februar 1895 im Petersburger Marien-Theater, der Ballettmetropole des damaligen Rußlands, statt. Und jetzt endlich gab es einen rauschenden und sensationellen Erfolg.
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Schwanensee - die Story

Die im szenischen Ablauf in vier Akte aufgeteilte Handlung des Ballettes Schwanensee erzählt eine Märchenfabel, in der die Liebe über List und böse Zauberkunst triumphiert.

Der erste Akt zeigt die reich geschmückte Gartenterrasse vor einem königlichen Schloß. Der junge Prinz Siegfried feiert in der heiteren Gesellschaft seiner Freunde und Gefährten seinen 21. Geburtstag. Zur Unterhaltung tanzen ein Jüngling und zwei Mädchen aus der frohen Runde einen Pas de trois.

Doch plötzlich wird die gute Stimmung durch den Auftritt der Königin gestört. Die Mutter tadelt die lockere und unbeschwerte Lebensführung ihres Sohnes. Auf dem morgigen Hofball soll der nun großjährige Prinz eine Braut erwählen und sich dem Ernst des Lebens zuwenden.

Nachdem die Königin wieder gegangen ist, will die alte Heiterkeit nicht zurückkehren. Der Prinz ist von den Ankündigungen der Mutter ganz verstört. Da fliegt ein Schwarm wilder Schwäne über den Park. Der Prinz ist rasch entschlossen, das Fest zu verlassen und auf Schwanenjagd zu gehen.

Der zweite Akt, der musikalisch und choreographisch so selbständig ist, daß er häufig für sich allein aufgeführt wird, spielt an den Ufern eines Waldsees. Die Jäger befinden sich auf der Suche nach den Schwänen und sind überrascht, sie ruhig auf dem See schwimmend anzutreffen.

An der Spitze der Schwäne erkennen die Jäger einen wunderschönen weißen Schwan, der auf seinem Haupte eine Diamantenkrone trägt. Siegfried befiehlt den Höflingen, die Jagd zu beginnen. Schon will er selbst den aufbrechenden Gefährten folgen, da hält eine außerordentliche Erscheinung ihn zurück.

Auf der Lichtung wird ein wunderschönes Mädchen sichtbar. Über ihrem Haupte glänzt die diamantene Krone der Schwanenkönigin, und ein Gewand aus weißen Schwanenfedern gibt ihr das Aussehen halb eines Menschen und halb eines Tieres.

Das Mädchen glaubt sich unbeobachtet. Als sie voller Schrecken den heimlichen Lauscher erkennt, will sie fliehen. Doch Siegfried verspricht, ihr nichts zuleid zu tun, und bittet sie inständig zu bleiben. Odette - das ist der Name des Mädchens - gibt nach und erzählt dem Prinzen ihr Schicksal.

Rotbart, ein böser Zauberer, hat sie und ihr Gefolge in Schwäne verwandelt. Nur zwischen Mitternacht und Morgengrauen ist es ihnen erlaubt, wieder ihre menschliche Gestalt anzunehmen. Ein Jüngling, der nur Odette und keine andere liebt, vermag allerdings den Bann Rotbarts zu brechen.

Siegfried schwört Odette, sie zu retten. Er lädt sie zu dem morgigen Hofball ein. Doch sie kann nicht zusagen. Der Zauberspruch Rotbarts verbietet ihr, sich vom See zu entfernen. Siegfried und Odette gestehen sich ihre Liebe. Endlich kehren die Jäger und Odettes Gefährtinnen zurück und vereinigen sich mit dem Liebespaar zu einem allgemeinen Tanz, der dauert, bis die Morgenröte die Mädchen entführt.

Dritter Akt. Der Hofball ist in vollem Gange. Dem Prinzen werden sechs junge Mädchen vorgeführt, aus deren Mitte er eine Braut wählen soll. Keine vermag ihn jedoch zu fesseln. Da erscheinen neue Gäste: an der Seite eines stolzen Edelmannes betritt dessen wunderschöne Tochter Odile den Festsaal.

Odile gleicht in ihrer Erscheinung völlig Odette, nur ist sie nicht in Weiß, sondern in Schwarz gekleidet. Siegfried vermeint in dem Mädchen die Geliebte vom Waldsee wiederzuerkennen. Hastig stürzt er auf den Edelmann zu und bittet ihn um die Hand seiner Tochter.

Dieser aber - er ist kein anderer als Rotbart - verlangt zunächst das feierliche Versprechen ewiger Liebe. Schon ist Siegfried im Begriff, den Wunsch des fremden Edelmannes zu erfüllen, da erlischt das Licht und der königliche Palast wird von einem furchtbaren Donnerschlag erschüttert. Als es wieder hell wird, erkennt der Prinz vor sich den hohnlachenden Rotbart und in der Ferne das Bild der weinenden Odette. Odile war ein grausamer Trug des Zauberers.

Der letzte Akt spielt wieder am Ufer des Waldsees. Die völlig gebrochene Odette wähnt sich verraten. Die Mädchen versuchen, sie zu trösten. Da eilt Siegfried atemlos herbei und bittet Odette um Verzeihung. Sie vergibt ihm und beide finden sich in einem Tanz.

Doch wieder stört Rotbart das Glück der Liebenden. Fest entschlossen, seine Rache zu Ende zu führen, läßt er den Waldsee über seine Ufer treten, um Odette und ihre Gefährtinnen, die sich in Menschengestalt nicht vor dem Ertrinken schützen können, zu vernichten. Siegfried aber will lieber mit Odette sterben als sie verlieren, und diese Bereitschaft zum Tode bannt die Kraft des Zauberspruches.

Machtlos muß Rotbart mit ansehen, wie die Liebe seine List besiegt. Während die Mädchen das ewige Glück des Paares preisen, steigen Siegfried und Odette in eine Barke und fahren einer frohen Zukunft entgegen.
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Eine romantische Atmosphäre als Grundlage

Die Sätze der Schwanensee-Suite charakterisieren einzelne markante Punkte im Ablauf des Geschehens. Das Vorspiel versetzt den Zuhörer in jene romantische Atmosphäre, die die Grundlage der gesamten Handlung bildet.

Sein Hauptthema erscheint zunächst als Solo des Englischhorn, um dann von den Blechbläsern und schließlich auch von der Streichergruppe übernommen zu werden. Dem Vorspiel folgt der Walzer. Er entspricht der Szene, in der Odette und Siegfried sich ihre Liebe gestehen.

Wegen seiner lebendigen Rhythmen, seiner reizvollen Synkopeneffekte und seiner edlen Klangschattierung wird dieser Walzer zu Recht immer wieder zu den schönsten Stücken Tschaikowskys gezählt. Das Fagott eröffnet den Tanz der Schwäne, der in seinem ersten Teil aus einem entzückenden Wechselspiel zwischen Bläsern und Streichern besteht, in dem sich die Bindungen zwischen den Schwänen und ihrer Königin widerspiegeln; im zweiten Teil wird dagegen die fröhliche Stimmung von mehr klagenden Tönen überschattet: leise Akkorde und überirdische Harfenklänge bilden die Überleitung zu einem Violinsolo voller Wehmut und Schmelz. Der Csardas führt zurück zum Hof und mitten hinein in den großen Ball der königlichen Residenz, dessen festlicher Glanz die Suite beendet.
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Dornröschen op. 66

Peter Iljitsch Tschaikowsky, Aus dem Ballett »Dornröschen op. 66« (1889/90): /

I Einleitung - Die Fliederfee
II Adagio
III Der gestiefelte Kater
IV Walzer - Allegro

Es spielen die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Edouard van
Remoortel (VoxPL11770) Spieldauer: 18 Minuten
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Die Handlung des Dornröschen-Ballettes

Die Handlung des Dornröschen-Ballettes ist der berühmten Märchenerzählung von Perrault entnommen. Bereits in der Introduktion deutet Tschaikowsky die entscheidenden Kräfte an, die sich in dem späteren Geschehen feindlich gegenüberstehen.

Das Thema über den schweren Akkorden des Eingangs versinnbildlicht die böse Fee Carabosse. Ein sich anschließendes, langsameres zweites Thema stellt dagegen die gute Fliederfee dar, die später die Prinzessin von dem Fluch der bösen Carabosse erlöst. Dieses zweite Thema wird von den Bläsern bis zur Erschöpfung wieder und wieder aufgenommen.

Schließlich hebt sich der Vorhang. Wir befinden uns in der Residenz von König Florestan. Alle sind eifrigst mit den letzten Vorbereitungen für die Taufzeremonie der neugeborenen Prinzessin beschäftigt. Der Haushofmeister prüft aufgeregt, ob auch niemand auf der Liste der Gäste vergessen worden ist.

Endlich erscheinen die Gäste. Die Tänze zur Feier der Taufe beginnen. Auf einmal unterbricht Lärm in der Vorhalle die allgemeine Fröhlichkeit. Die Fürsten sind in größter Besorgnis über die Ursache der Unterbrechung, und ihre Ängste bestätigen sich.

Der Haushofmeister hat vergessen, die böse Fee Carabosse einzuladen. Aufgebracht stürzt die in schreckenerregende, schwarze Gewänder gekleidete Carabosse in den Saal und schleudert auf das Kind in der Wiege die unheilvolle Prophezeiung: »Aufwachsen sollst du und die schönste Prinzessin der Welt werden - doch dann sollst du in der Blüte deiner Jugend sterben!«

Die Fliederfee bemüht sich sofort, diesen Bannfluch durch eine zweite Prophezeiung unschädlich zu machen, und kündigt ihrerseits den verzweifelten Eltern an, die Prinzessin werde nicht sterben, sondern mit dem ganzen Hof in einen hundert Jahre währenden Schlaf sinken. Dann aber würde sie durch den Kuß eines Prinzen erlöst und glücklich werden.

Die Erfüllung dieser Prophezeiungen bilden den weiteren Inhalt des Balletts. Und gerade die nun folgende Märchenhandlung hat Tschaikowsky zu einer besonders anmutigen und träumerischen Musik angeregt. Das Adagio der Suite versinnbildlicht den Höhepunkt der Handlung, jenen Augenblick nämlich, in dem der Prinz die Prinzessin durch seinen Kuß aus ihrem hundertjährigen Schlaf erweckt.

Dem folgenden Teil liegt ein vergnügliches Intermezzo aus der Hochzeitsfeier des glücklichen Paares zugrunde. Der gestiefelte Kater, ein Gast der Festgesellschaft, schildert seine Liebesabenteuer mit der weißen Katze. In den schmeichelnden Motiven der Holzbläser werden die liebestollen Annäherungsversuche des Katers an seine Angebetete auf eine sehr amüsante Weise musikalisch nachgezeichnet.

Ein ungestümer, brillanter Walzer, der dem Besten von Johann Strauß gleichberechtigt an die Seite gestellt werden muß, beschließt die Dornröschen-Suite.
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Die Uraufführung am 13. Januar 1890

Die Uraufführung des Ballettes Dornröschen fand am 13. Januar 1890 im Marien -Theater zu Petersburg statt. In der Choreographie des berühmten Tanzmeisters Petipa tanzten in den Hauptpartien Carlotta Brianza, Paul Gerdt, Enrico Cecchetti und Marie Petipa.

Schon vor Tschaikowsky wurden viele Musiker durch das Märchen Perraults zu eigenen Werken inspiriert. Die erste Komposition nach dem berühmten Stoff entstand 1825 und stammt von Michael Enrico Carafa. 1829 gestaltete Louis-Joseph Ferdinand Herold ein Dornröschen-Ballett. Henry Charles Litolff schrieb 1874 eine vieraktige Dornröschen-Operette. Nach Tschaikowsky komponierte der Italiener Ottorino Respighi das musikalische Märchen Dornröschen, das 1920 in Rom uraufgeführt wurde.

Auch Tschaikowskys Dornröschen-Ballett selbst hat bedeutende Komponisten nachschöpferisch beschäftigt. Igor Strawinsky instrumentierte einen Pas de deux aus Tschaikowskys Komposition für kleines Orchester und Hans-Werner Henze hat unter Verwendung Tschaikowskyscher Melodien eine Kurzform des originalen Dornröschen-Balletts geschaffen.
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