Es war 1962 - Heute würden wir es Livestile nennen.
Braun stellte ein wieder völlig neues Steuergerät für edle Ansprüche vor. Es war weiß, es war flach, es war aus Metall und es war volltransistorisiert und es sah völlig irre progressiv modern aus, damals jedenfalls.
Die Presse zerriß sich förmlich, um ja auch einen Bericht oder einen Test schreiben zu dürfen.
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Ein Sonderdruck aus dem RADIO-FERNSEH-HÄNDLER 1962
Berlin 61, Ausgabe Heft 9/1962
(West-) Berlin war gerade eingemauert worden und die Redakteure kamen nicht mehr so weit rum wie früher. Braun hatte daher die Redakteure und Pressemenschen exklusiv nach Frankfurt eingeladen. Dieses neue Gerät brach mit allen Normen, ich meine Geschmacksnormen oder gar Tabus. Sowas macht man doch nicht. Das ist ja ganz weiß.
Der Berliner Autor schreibt also im August 1962 kurz vor oder nach der Funkausstellung:
Eine neue Musikschrankklasse: Kammermusikgeräte
Frankfurt, 14. August 1962. Auf der Fachpresse-Veranstaltung der Firma Braun A.G. Frankfurt/Main, wurde ein neuartiger Musikschrank vorgestellt, der aus der Stereo-Steuereinheit „audio 1" und der Lautsprechereinheit „L 50" besteht. Da es sich hier um den ersten Vertreter einer neuen Geräteklasse handelt, ist es für jeden Fachhändler wichtig, die grundsätzlichen Erwägungen kennenzulernen, die zur Entwicklung des neuen Typs geführt haben.
Der Markt der Musikschränke hat zu einer immer stärkeren Bevorzugung der möbeltechnischen Gesichtspunkte geführt. Die meisten Kunden kaufen auch heute noch „das elegante Tonmöbel" — oder „die repräsentative Truhe", aber fragen wenig nach dem technischen Inhalt. So kam es, daß die Aufwertung der klanglichen Wirkung gegenüber einem Tischgerät mit dem gleichen Chassis für die Verkäuflichkeit kaum noch eine Rolle spielte.
Die andere Seite, nämlich hifi-stereo, hat bisher auf unserem Markt nur eine untergeordnete Rolle gespielt, weil die meisten Käufer etwas Komplettes, eben das Möbelstück, der zwar viel besseren, aber aus einzelnen Bausteinen bestehenden hifi-Anlage vorziehen. Außerdem liegt der Preis echter hifi-Anlagen — das sind diejenigen, die in etwa die technischen Forderungen erfüllen, die in anderen Ländern für hifi bereits gelten — so hoch, daß zunächst nur ein recht beschränkter Abnehmerkreis dafür in Frage kommt. Da es aber nicht möglich ist, ohne erheblichen konstruktiven Aufwand hifi zu realisieren, muß man heute auf dem internationalen Markt mit Preisen von 2.000 . . . 5.000 DM für so eine Anlage rechnen.
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Das Kammermusikgerät
Zwischen dem Preis guter Musiktruhen und denen echter stereo-Anlagen liegt also ein Vakuum, nämlich die Preislage 1.200 . . . 2.000 DM. Dieses wird durch die neue Geräteklasse ausgefüllt, die man zweckmäßig als „Kammermusikgeräte" bezeichnen kann. Zwar ist dieser Ausdruck in den Jahren 1935 . . . 1943 von Siemens für die Reihe seiner „Siemens Kammermusikgeräte" bereits verwendet worden, . . . aber da er genau das bezeichnet, das die neue Geräteklasse ist — nämlich die Mitte zwischen der Musiktruhe als Möbel und den hifi-Anlagen —, kann man sie durch ihn am eindeutigsten charakterisieren.
Braun „audio 1"
Braun zeigte auf dieser Veranstaltung den ersten Vertreter der neuen Klasse, der aus der Kombination der Stereo-Steuereinheit „audio 1" mit der Lautsprechereinheit „L 50" — und einer genau dazu passenden zweiten besteht, die in einiger Entfernung aufgestellt wird, um die dem Raum entsprechende stereo-Basis zu erhalten. Steuer-und Lautsprechereinheit bilden ein Ganzes — einen Musikschrank mit der Stellfläche 65 X 28 cm und einer Gesamthöhe von etwa 1m. Die Lautsprechereinheit L 50 mit drei (Lautsprecher-) Systemen ist eine bekannte Entwicklung aus dem Braun-hifi-Programm — die Steuereinheit hingegen ist etwas völlig Neues.
Eigenschaften :
Sie enthält einen netzgespeisten Alltransistor-Super mit 2 X 14 Watt Musikleistung (Music-power) und einen Plattenspieler PC 45 mit folgenden Eigenschaften:
Federnd aufgehängter Kondensatormotor / Drehzahlschwankungen unter 0,3% / Rumpelabstand größer als 50dB / 1kg schwerer ausgewuchteter Plattenteller, auf gehärteter Stahlkugel laufend / Tonarm aus verwindungssteifem Stahlrohr 10mm rund / Lagerung waagegerechter Gleitlager, senkrecht Spitzenlager / Gewichtsausgleich und Einstellung der Auflagekraft durch abnehmbares Gegengewicht mit Feineinstellung / Tonkopf mit internationalen Maßen, entweder Kristall (Elac) oder Magnetsystem (Shure M77). Aus diesen Daten erkennt man, daß der Plattenspieler den hifi-Anforderungen entspricht. Der HF-Teil besteht aus einem UKW-Baustein, einem AM-Eingangsbaustein, dem gemeinsamen Zf-Verstärker und dem Ratiodetektor.
Empfangteil
Die FM-Selektion für 300 kHz erreicht den Wert 1:3000, die Spiegelselektion 1:500. Die Abstimmautomatik hat einen Fang- bzw. Haltebereich von ±170kHz bei 2 Mikrovolt Eingangsspannung. Für Handabstimmung ist ein Zeigerinstrument vorgesehen. Geregelt werden bei AM eine Zf-Stufe und die Vorstufe mit getrennter Regelspannungsgleichrichtung und Regelverstärker. FM-Begrenzung auf 3 Zf-Stufen mit zusätzlicher Begrenzerdiode und Regelung der Vorstufe mit getrennter Regelspannungsgleichrichtung. Aussteuerung 60mV für 8 Watt.
Der Niederfrequenzverstärker ist zweikanalig ausgeführt, wobei die Treiberstufen und die Endstufen in Gegentakt geschaltet sind. Die Ausgangsleistung beträgt 2 X 14 Watt, wobei als Meßgröße die Musikleistung gewählt wurde nach IHFM-Standard. Dieser Wert ist für transistorisierte Verstärker zweckmäßig, weil Transistorendstufen praktisch wie Gegentakt-B-Verstärker arbeiten, aber eine sehr kleine Ruheleistung gegenüber vergleichbaren Röhrenendstufen haben. Die Maximalleistung tritt nur bei den kurzzeitigen Spitzen im ff in Erscheinung. Sie ist größer als die mit einem Dauerton bei gleicher Verzerrung erzielbarer Sinusleistung.
Der Klirrfaktor beträgt im mittleren Bereich l%, bei 15kHz maximal 2%. Der Fremdspannungsabstand ist größer als 60dB, die Nebensprechdämpfung 45dB bei 1kHz und 36dB bei 10kHz. Übertragungsbereich 20 ... 30.000Hz mit ±2dB. Der NF-Ausgang (mit DIN Normbuchsen) ist eisenlos, Impedanz 4,5 ... 6 Ohm. Der Eingang der NF-Verstärker enthält folgende Schaltmöglichkeiten: Rundfunk-mono und FM-stereo / Phono-mono und Phono-stereo / Band-mono und Band-stereo. Der Balanceregler umfaßt nach jeder Seite einen Bereich von 9,5dB. Es ist notwendig, die wichtigsten technischen Einzelheiten zu kennen, wenn man beurteilen will, wie weit die Steuereinheit an die internationalen hifi-stereo-Forderungen herankommt. Denn davon leitet sie die Berechtigung ab, als erster Vertreter einer neuen Klasse zu gelten.
Warum transistorisiert?
Der Aufwand von 27 Transistoren und 10 Dioden (wozu für FM-stereo und Entzerrervorverstärker bei magnetischen Tonabnehmern noch weitere 4 Transistoren und 4 Dioden kommen) ist sehr beträchtlich, aber notwendig, wenn man die Qualitätsgrenze von hifi erreichen — und das Gerät auch für den stereo-Rundfunk so weit vorbereiten will, daß die kleine Adaptereinheit nur noch eingesetzt zu werden braucht, wenn der stereo-Rundfunk dasein wird.
Nachdem die Ela-Abteilungen unserer Großfirmen ihre kommerziellen Verstärker und Endstufen im letzten Jahr transistorisiert haben, war es eigentlich selbstverständlich, daß auch für die Heimelektronik transistorisierte Musikgeräte kommen werden, „audio 1" ist ihr erster Vertreter. Durch die Bestückung mit Transistoren kann man einen sehr gedrängten Aufbau erreichen und hat mit Wärmeproblemen überhaupt keine Schwierigkeiten mehr.
Die Gesamtleistung, die das Gerät dem Netz entnimmt, beträgt 35 Watt bei den Fortissimospitzen, während ein Röhrenverstärker ähnlicher Endleistung mindestens viermal soviel verbraucht.
Eine Anschaffung auf Lebenszeit (eine Aussage von 1962)
Außerdem ist die Lebensdauer der Transistoren praktisch noch gar nicht festzulegen. Die Angaben der Erzeuger schwanken zwischen 7000 und 20 000 Betriebsstunden, die ein Heimgerät nicht einmal in zwanzig Jahren erreichen wird. Damit ist das Gerät eine Anschaffung auf Lebenszeit.
Bei den ungewöhnlich hohen Anforderungen an alle Einzelteile ist auch nicht zu erwarten, daß von dieser Seite her eine Einschränkung der Lebensdauer kommen könnte. An die Bauelemente werden bei der Auswahl kommerzielle Güteanforderungen gestellt.
Die neutrale Form
des Kammermusikgerätes „audio 1" garantiert die Verträglichkeit mit jedem Möbelstil. Daher braucht man auch keine Farbvariationen. Außerdem läßt sich das Gerät leicht hinter einen Vorhang schieben und die Zweitlautsprechergruppe als Flachausrüstung leicht an die Wand hängen. Es ist also nicht notwendig, daß die Anlage überhaupt optisch in Erscheinung tritt, wenn man Bedenken gegen die neutrale Form hat. Aber wer das Wesen der neutralen Form einmal erkannt hat, weiß, daß sie völlig zeitlos wirkt und weder mit Kunst noch mit Technik etwas zu tun hat.
Sie ist etwas Neues — der Ausdruck eines Formgefühls, das in die Zukunft weist. Allerdings nur geeignet für so neue Dinge, wie es Musikschränke sind, die man weder als Musikinstrumente noch als technische Anlagen bezeichnen kann. Vielleicht wird auch der Fernseher einmal zu jener neutralen Form finden, die ihm und nur ihm zugehört. Man kann nicht verlangen, daß sich jeder Kunde mit der neutralen Form einverstanden erklärt. Aber wer überhaupt den Weg zum Kammermusikgerät findet, wird auch der neutralen Form zustimmen, die sicher noch nicht ihre endgültige Lösung gefunden hat, aber auf dem besten Wege dahin ist. Jedenfalls stehen hier Form, technischer Inhalt und Zweck in glücklicher Harmonie miteinander.
(oka)