Ein seltsames Interview mit Ross Walker in stereoplay 03/1982
von Gert Redlich im April 2017 - Ross Walker ist (oder war) der Junior-Chef von Quad und wird im Feb. 1982 von einem stereoplay Redakteur befragt. Der Grund : "stereoplay" testete im Oktober 1981 den Quad ESL 63 und Quad-Juniorchef Ross Walker kam im Feb. 1982 nach Stuttgart, um das Ergebnis zu diskutieren.
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„Ich habe nie einen besseren Lautsprecher gehört"
Diese obige Aussage ist von Ross Walker jun. Meiner Meinung nach (Gert Redlich) ist er da ein wenig abgehoben, denn ich habe zu der Zeit bessere Lautsprecher gehört als die QUAD 57 und QUAD 63, nämlich die Infinity Servostatic 1.
- Anmerkung : Nach meinem Artikel über die "Verklärte Wahrheit der Erinnerung" kam wirklich eine Vielzahl vom Mails bei mir an, in denen die Absender behaupteten, sie hätten nie bessere Laut- sprecher gehört als die dort charakterisierten BRAN L710. Darum relativiere ich diese obige Aussage von Mr. Walker jun. so direkt.
Doch etwas mehr über den Junior. Ross Walker, in 1982 gerade mal 38 Jahre alt, studierte in Cambridge Philosophie, Betriebswirtschaft und Physik. Der begeisterte Segler - er gewann die Eintonner-Weltmeisterschaft 1978 - ist Juniorchef und Vertriebsleiter von Quad in Huntingdon, etwa 200 Kilometer nördlich von London.
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Anmerkung zu diesem Interview : Beim Junior Mr. Ross Walker geht es eigentlich um mehr als um seine oder irgendwelche Lautsprecher. Es geht um die philosophischen Fragen :
- was ist Musik und
- was ist Hifi oder
- was verstehen die Leute darunter.
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Die Fragen :
stereoplay: Mr. Walker, Sie sagten einmal, der Quad-Lautsprecher ESL 63 sei der beste der Welt.
Walker: Das ist nicht ganz richtig. Mit korrektem Programmaterial gibt der Quad 63 ein genaueres Bild des akustischen Geschehens als irgendein anderer Lautsprecher. Ich glaube, daß es sehr gefährlich und ungenau ist zu behaupten, irgend etwas sei das Beste der Welt.
stereoplay: Kennen Sie Lautsprecher, die besser klingen als Ihr ESL 63?
Walker: Ich habe keinen gehört, den ich lieber zu Hause haben würde.
stereoplay: Nun, Ihre Behauptung deckt sich nicht mit den stereoplay- Hörtests. Haben Sie eine Erklärung für die großen Unterschiede in der Beurteilung des Lautsprechers?
Walker: Ich lasse natürlich nationale und kulturelle Vorlieben beiseite. Es scheint da sehr unterschiedliche Erwartungen zu geben, wie reproduzierte Musik klingen soll. Wir haben ja gerade einige Hörproben in Ihrem Studio gemacht. Man soll keine voreiligen Schlüsse ziehen, aber es scheint mir, daß Sie und Ihre Kollegen mehr Klang wollen, als im Original war.
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stereoplay: Wie meinen Sie das?
Walker: Ich finde, der Quad 63 klang entschieden freier, sicherlich auch entfernter. Der Lautsprecher, den wir zum Vergleich hörten, klang dagegen aufdringlich und direkt, während der ESL 63 vom selben Programmaterial ganz andere Ergebnisse lieferte - die meine Ohren ganz klar vorzogen. Das letzte Stück der Testplatte - es war Folkmusik mit Gitarre und Laute* (* Tanzbär.) - klang für meine Ohren mit dem Quad unvergleichlich besser - offen, hübsch zurückgesetzt, detailreich, es war Tiefe darin. Wenn ich eine Platte machen würde, wäre ich glücklich, wenn sie so klänge.
stereoplay: Kommen wir zur Frage zurück.
Walker: Unser Ziel ist es, dem Original so nahe wie möglich zu kommen. Das bedeutet doch, dasselbe Gefühlserlebnis wie bei Livemusik zu haben. Natürlich fehlen uns dabei die optischen Eindrücke, doch mir scheint, der ESL 63 kann sie ersetzen.
Wie klingt denn Musik live? Natürlich variiert sie sehr stark, je nachdem, auf welchem Platz Sie sitzen. Und jeder von uns hat eine Vorliebe für bestimmte Plätze. Manche wollen ganz vorne sitzen und das Ganze auf sich einhämmern lassen, als ob sie in der Tasche des Musikers stecken würden. Andere sitzen lieber etwas weiter hinten und ziehen ein integrierteres Klangbild vor.
stereoplay: Diese Argumente sind natürlich sehr subjektiv.
Walker: Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß wir an Plattenfirmen Quad-Lautsprecher verliehen beziehungsweise verkauft haben, und ausnahmslos sagen die Toningenieure: „Genauer als alle anderen Lautsprecher machen die Quad mir klar, was ich tue."
stereoplay: Können Sie Namen nennen?
Walker: In England verkaufte ich beispielsweise an Nimbus, in Schweden an Opus 3; beide stimmen überein, und amerikanische Toningenieure bestätigen es: Sie können vom Kontrollraum ins Aufnahmestudio und zurück gehen - der Quad enthüllt mehr, ist genauer, eben besser.
stereoplay: Die Genauigkeit des Quad ist unbestritten und wurde in unserem Test bestätigt. Aber stereoplay fand Mängel sowohl in der Tiefen- als auch besonders in der Höhenwiedergabe. Sie konnten vorhin im Hörtest deutlich hören, daß der Vergleichslautsprecher viel mehr Druck in den Bässen brachte, er gab einen Kontrabaß "korrekter" wieder. Im Höhenbereich brachte er Details, die der ESL 63 für sich behielt.
Walker: Ich zog den Quad bei praktisch allen Hörproben vor, weil er den Baß verfärbungs- und verzerrungsfrei wiedergab. Natürlich brachte der Vergleichslautsprecher viel mehr Baß, aber viel ungenaueren.
stereoplay: Finden Sie nicht, daß der Quad im Vergleich zu anderen Lautsprechern und im Vergleich zum Originalinstrument zuwenig Höhen wiedergibt?
Walker: Mit dem Originalinstrument kann man schlecht argumentieren, weil wir es normalerweise nicht kennen. Ich bin der Meinung, daß der Vergleichslautsprecher, den wir vorhin hörten, die Höhen überaggressiv brachte. Der Quad dagegen ist sehr sanft in den Höhen, und viele Leute, die ihn zum erstenmal hören, fragen: „Wo sind die Höhen geblieben?" Aber nach einer Weile entdecken sie, daß alle Höhen da sind, nur fehlt ihnen der aggressive Charakter, den manche mit HiFi gleichsetzen.
stereoplay: Allerdings bestätigen die Meßwerte klar, daß ab zehn Kilohertz der Schalldruck schon unter kleinen Winkeln abnimmt.
Walker: Wie haben Sie das gemessen?
stereoplay: Gemäß DIN-Norm in einem Meter Abstand.
Walker: Der Quad ist so konstruiert, daß er in drei Meter Abstand, "wo" man auch zum Musikhören sitzt, einen ausgeglichenen Frequenzgang liefert. Mein Vater, der die ganze Entwicklungsarbeit am Quad geleistet hat, spielt drei Abende der Woche im Symphonieorchester die Zweite Flöte. Er weiß, wie ein Konzert klingen muß, und auch ich finde, daß mit dem 63 meine Platten gleich klingen wie das Original auf meinem Platz in der 20. Reihe im Konzertsaal. Ich habe überhaupt keine Sorgen, daß wir die Höhen falsch hören.
stereoplay: Natürlich hängt der Klangeindruck stark von der Sitzposition ab. Ich möchte aber nicht in der 20. Reihe sitzen, sondern so weit vorn wie möglich, und das kann mir die HiFi-Anlage, wenn sie stimmt und die Aufnahme richtig gemacht ist, recht gut vermitteln: die Musik möglichst natürlich wiederzugeben.
Walker: Ja, das Problem ist: Was ist HiFi? Die Leute wollen Instrumente so hören, wie sie sich sie vorstellen. Ich glaube, was aus dem Quad herauskommt, ist ein genaueres Abbild dessen, was hineingesteckt wurde, als bei irgendeinem anderen Lautsprecher. Natürlich müssen beim Lautsprecherbau Kompromisse geschlossen werden. Sonst würden die Konstruktionen so groß, daß sie in kein Haus hinein paßten.
stereoplay: Wie viele Kompromisse haben Sie geschlossen?
Walker: In ganz speziellen Fällen - etwa wenn jemand Rock'n' Roll mit 120 Dezibel hören will - ist der 63 ungeeignet. Aber ich bin ganz sicher: Wer wirkliche Musik hören will - ich meine das im Gegensatz zu künstlicher Musik - mit normalen häuslichen Lautstärken, für den leistet der 63 viel bessere Arbeit als irgend etwas anderes.
stereoplay: Also doch der beste Lautsprecher?
Walker: Ich kenne viele Leute, auch Testjournalisten, die sehr enttäuscht waren, als sie den Quad zum erstenmal hörten, sie fragten: „Warum macht der Walker soviel Aufhebens davon?" Aber wenn sie zwei Wochen damit gelebt hatten und dann ihre früheren Lautsprecher wiederhörten, wurde ihnen klar, was sie ohne Quad versäumt hatten.
stereoplay: Wie erklären Sie sich das?
Walker: Das Gehirn ist sehr kompliziert, und es arbeitet die ganze Zeit daran, den Klang zu korrigieren, der durch die Ohren kommt. Es weiß, wie etwas klingen soll, und korrigiert es entsprechend. Wenn es zum erstenmal den Quad-Klang verarbeitet, neigt es aus Gewohnheit noch zum Überkompensieren. Nach vier Jahren Quad klingt für mich alles andere unnatürlich und wenig schön.
stereoplay: Genausogut könnte sich das Gehör an einen schönenden Klang gewöhnen. Wenn Sie vom Konzertsaal nach Hause kommen und Ihre HiFi-Anlage mit den ESL 63 anstellen, hören Sie dann im ersten Moment, wenn das Gehirn nicht sofort kompensiert, Unterschiede zum Original, vor allem in den Höhen?
Walker: Klar. Das ist ein Thema, das wir lösen werden. HiFi im weitesten Sinn ist eine der besseren Beiträge der Menschheit zur Lebensqualität im 20. Jahrhundert. Aber ich glaube, HiFi steckt in den Kinderschuhen und hat noch weit zu gehen.
stereoplay: Glauben Sie nicht, daß HiFi den Kinderschuhen längst entwachsen ist?
Walker: HiFi ist insofern sehr gefährlich, als es uns immer schwerer wird, wirkliche Musik damit zu hören. Denn wir haben uns daran gewöhnt, auf perfekte Übertragung bekannter Stücke zu achten. Es gibt keine falschen Noten mehr. HiFi tendiert dazu, unser Verhältnis zur Musik zu zerstören. Es gibt heute ganz klar die Vorstellung, HiFi bestehe aus einer Menge Höhen, einer Menge Mitten und einer Menge Bässen und wenig Querverbindungen zwischen ihnen. Was heute manchmal verkauft wird, hat wenig mit Musik und wenig mit Vergnügen zu tun. Wenn es „dsds dsds u u" geht, ist es angeblich schon HiFi!
stereoplay: Der Gedanke der High Fidelity ist doch, Musik so natürlich wie möglich zu übertragen.
Walker: Es gibt Leute, die Musikanlagen nur als Hilfsmittel kaufen, und es gibt andere, die Musikanlagen als Selbstzweck betrachten. Immer wieder fragen mich Kunden nebenbei am Telefon, ob sie den und den neuen Tonabnehmer kaufen sollen, der 500 Mark kostet. Ich frage zurück, ob sie nicht lieber Platten für 500 Mark kaufen wollen...
stereoplay: . . . die dann eventuell schlecht reproduziert werden. Viele Engländer sagen, die Wiedergabe mit dem Quad unterscheide sich nicht vom Original. Viele Deutsche sagen, sie unterscheide sich sehr stark davon. Da muß es einen fundamentalen Unterschied geben.
Walker: Wir müssen aufpassen, daß wir nicht HiFi und wirkliche Musik verwechseln. Als ich während der Funkausstellung 1981 in Berlin im Hotel Kempinski den Quad 63 vorführte, kamen viele Leute spontan zu mir und sagten: „Ich habe noch nie einen besseren Lautsprecher gehört!" Das ist das Schöne daran, wenn man HiFi-Hersteller ist, daß man einfach sagen kann: „Ich will jetzt nicht mehr Mr. X's schreckliche Boxen hören. Ich werde bessere Lautsprecher bauen!"
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- Abschließende Anmerkung : Und damit ist die Titelaussage vollkommen relativiert.
Es war auch etwas sonderbar, daß keine weiteren Namen (dieser Gesprächsrunde) genannt wurden. Laut der Zeitzeugen wurden damals bereits sehr oft freie Mitarbeiter / Redakteure eingesetzt bzw. angeheuert, die bei Namensnennung ein höheres Honrar hätten bekommen müssen. "Eine Zeitung" kann nämlich kein Interview führen, das sind immer Menschen.
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