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"Max Brauns Rasierer" Teil 3 (von 5) (ab 1951)

Erinnerungen von Artur Braun (Nov. 2013 †) -
aufgeschrieben im Jahr 1996.

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Der traurige 6. November 1951 - unser Vater stirbt unerwartet

Dann kam der traurige 6. November 1951. Ich war morgens in die Mainzer Landstraße gefahren, einen Keilriemen für meine neue Schleifmaschine zu holen, und als ich zur Idsteiner Straße zurückkam, war alles in heller Aufregung: Vater sei etwas zugestoßen. Ich rannte die Treppen hinauf zu seinem Zimmer im obersten Stock und fand ihn in seinem Sessel zusammengesunken, umringt von Mitarbeitern. Ich öffnete ihm den Hemdkragen, wollte ihm Erleichterung verschaffen.

Minuten später kam Dr. Sprado, unser Hausarzt, den man sofort verständigt hatte, nachdem Vater der Telefonzentrale noch sagen konnte, daß es ihm schlecht gehe. Dr. Sprado gab Vater eine Spritze ins Herz, aber es war zu spät. Langsam übermannte uns Hilflosigkeit. - Mein erster Gedanke war, daß Vater sich jetzt nicht mehr sorgen und quälen mußte. Und dann kam das Gefühl einer unendlichen Leere und Trauer.
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Artur und Erwin Braun 1952

Erwin war gekommen, und wir betteten unseren lieben Vater auf sein Ruhebett im Nebenzimmer, das er viel zu wenig benutzt hatte. Ich erinnere mich noch, daß Wilhelm Mross seinen Empfindungen spontan in wenigen einfachen Dankesworten Ausdruck gab. Traurig und benommen erlebten wir die kommenden Tage und das Begräbnis.

Unter den Trauergästen war auch Hans Eggenberger, der Vater zum Rasierer geraten hatte. Nur um etwas zu tun, zeigte ich ihm meine neue Schleifmaschine, so als ob er mir dabei hätte helfen können. Er fand einige herzliche Worte des Lobs, und das gab mir etwas Auftrieb, den ich so nötig hatte.
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Ich war jetzt gerade mal 26 Jahre alt

Immer mehr wurde mir bewußt, welch eine riesige Lücke Vater in seinem Unternehmen hinterlassen hatte, besonders in der Technik, für die ich jetzt, mit meinen 26 Jahren, verantwortlich war. Wie gut, daß ich Zeit hatte, mich einzuarbeiten, und daß es mir Vater dabei nicht gerade leicht gemacht hatte.

Daß ich jetzt über einen wertvollen Geschäftsanteil verfügen konnte, daß mir trotz meiner Jugend viel Macht zugewachsen war, hatte nichts Verlockendes, ich sah nur die Verantwortung.

Es ging dennoch weiter

Wie selbstverständlich arbeiteten Erwin und ich weiter im Sinne unseres Vaters. Die kaufmännischen Bereiche waren bei Erwin gut aufgehoben, so konnte ich mich ganz auf die Technik konzentrieren. Für mich stand fest, daß ich mich besonders um Vaters wichtigstes Vermächtnis, um seinen Rasierer kümmern würde.

Die Arbeitsteilung zwischen Erwin und mir

Erwins Sorge galt nicht nur dem Vertrieb und der Verwaltung, sondern unserem ganzen Unternehmen. Wie oft hatte er über dessen Stellenwert, nach außen und innen, nachgedacht, und schon kurz nach Vaters Tod regte er an, eine Werkszeitschrift, unseren „Betriebsspiegel", herauszugeben. Die erste Titelseite war Max Braun gewidmet. Viele Ausgaben sind bis heute erschienen. Als lebendige Chronik von Braun helfen sie mir beim Schreiben dieser Zeilen.

Auf Vaters alte Mitarbeiter konnten wir uns verlassen

Bodo Fütterer

Vor allem konnten wir uns auf Vaters alte Mitarbeiter verlassen. Wer es bei Max Braun zu etwas gebracht hatte, der mußte schon einiges können, und aus jahrelanger Zusammenarbeit kannten wir ihre Stärken und Schwächen. Wilhelm Wiegand, Vaters engster Vertrauter, Waldemar Hallerbach und Rudolf Peter standen ihren Mann. In der Rasiererentwicklung konnte ich mich ganz auf Bodo Fütterer verlassen. Er hatte sich in kurzer Zeit eingearbeitet. Wir verstanden uns gut, redeten die gleiche Sprache und hatten oft ganz ähnliche Ideen.

Wilhelm Mross war schon immer der geborene Einkäufer, er half mir sehr bei Außenkontakten, ob es nun um Materialbeschaffung oder Technologie ging. Auch Ernst Kunz mit seinen Werkzeugbauern und Männer wie Heinrich Veith und die anderen in den Maschinenabteilungen wußten sich zu helfen. Hans Kleespies übernahm die Rasierermontage, Hermann Lindemann die Arbeitsvorbereitung.

Ein neuer Ton kam auf : Zuhören war angesagt

Vater war in Spandau Soldat und danach viele Jahre in Berlin gewesen. In seinem knappen, oft ruppigen Kommandostil war ein Berliner Einschlag unverkennbar. Es war manchmal köstlich, wenn er damit auf alteingesessene Frankfurter stieß. Bei mir erzeugte seine Art eher Trotzreaktionen, die manchmal auch etwas bewirkten. Ich wußte, daß man es verstand, wenn ich um Rat fragte und jemanden zu Wort kommen ließ.

Der S50 wurde "hell" - also in Elfenbein

Helle S 50-Gehäuse werden gepreßt

Vielleicht noch in Erinnerung an den hellen "Schick" aus USA nahmen wir uns zuerst vor, den S50 von schwarz auf helles Elfenbein umzustellen, eine Farbe, die ich heute nicht mehr mag, die aber damals groß in Mode war. Wir mußten das preiswerte Phenolharz verlassen und Carbamid-Preßstoff verarbeiten. Nachdem geprüft war, daß die Festigkeit der hellen Gehäuse ausreichte, gingen wir ans Pressen. In einer Presserei, die nur dunkles Material kannte, war das mutig. Kein Wunder, daß wir durch Verschmutzungen massenhaft Ausschuß hatten. Erst nachdem die Pressen abgeschirmt waren und ständig geputzt und entstaubt wurde, konnten wir reibungslos arbeiten.

Vortablettieren konnten wir noch nicht, dazu fehlte es an Erfahrung mit dem neuen Material, das wir anfangs von Cyanamid aus Amerika bezogen. Ernst Kunz schlug vor, das Pulver in kleinen Polyäthylenschalen unter Hochfrequenzwärme etwas zusammenzubacken, das hat die Verarbeitung bedeutend erleichtert.

Ein kleiner Schritt reichte mir nicht mehr

Elfenbeinfarbener S 50 mit Plastikkästchen

Dem S50 eine helle Farbe zu geben, war nur ein kleiner Schritt. Ob er den Verkauf förderte oder sich der S50 wegen seiner Neuheit und guten Rasierleistung immer besser einführte, konnten wir damals nicht beurteilen.

Jedenfalls war es wichtig, sich um seinen Nachfolger zu kümmern, und da ließ sich nicht mehr verheimlichen, wie wenig mir der S52 gefiel, der doch nur ein vergrößerter S50 war. Er besaß zwar den neuen Stator, aber die Form war plump, und noch etwas anderes störte mich so sehr, daß wir es unbedingt abstellen mußten: Seine Rasierleistung hing wie beim S50 wieder ganz davon ab, ob das Scherblatt richtig aufspannt wurde, und leider mußten wir, besonders auf Messen, immer wieder beobachten, daß viele das Blatt nicht richtig handhaben konnten. Häufig wurde es dabei sogar beschädigt. Bodo Fütterer und ich nahmen uns vor, diesen schwerwiegenden Mangel abzustellen.

Die ersten Gedanken der Bedienbarkeit - kein S52

Wir mußten von der Geschicklichkeit der Benutzer unabhängig werden, narrensicher, wie man so schön sagt. Damit fing eine Entwicklung an, die den S52 verließ, dessen Werkzeuge daraufhin teilweise verschrottet wurden. Ich weiß nicht, ob es ein bewußtes Loslösen vom Entwurf des Vaters war. Jedenfalls war das meine erste wichtige eigene Entwicklung.

Holzmodell in „Brötchenform"

Den Gedanken freien lauf lassen - durch Nachdenken

Die Form beschäftigte mich ständig. Es war der spitz zulaufende Einzug am unteren Ende, der so unangenehm organisch aussah. Ich machte Griffstudien und war schließlich überzeugt, daß es besser wäre, die volle Messerkopfbreite bis nach unten durchzuziehen. So unkompliziert, wie das damals noch möglich war, ging ich in die Schreinerei und baute wieder ein Modell aus Lindenholz. Trotz seines etwas plumpen und zunächst ungewohnten Aussehens wurde es richtungweisend für die Form nicht nur der Braun Rasierer, bis heute. Die „Brötchenform" war entstanden. Wie schön, daß es damals noch nicht jene Gremien gab, in denen empfindliche Gedankenpflänzchen zerredet werden, wenn sie gerade keimen.

Ein Prinzip mal auf den Kopf stellen

Holzmodell mit Metallklappen

Mein Holzmodell hatte noch die alte Scherblattbefestigung des S50, mit Knöpfen zum Einhängen und einer Klemmplatte, aber die äußere Form, der Stator und das Alu-Chassis standen nun fest. Jetzt ging ich mit Bodo Fütterer an die wesentlich schwierigere Scherblattaufhängung. Ein federndes Element mußte das Spiel zwischen Messerkopf und Blatt ausgleichen, im Grunde etwa so, wie es Max Braun schon bei seinem ersten Motormodell vorhatte, nur mußten wir das Blatt nach dem Spielausgleich festklemmen. Wir grübelten viel an diesem kniffligen Problem herum, bis wir endlich die Idee hatten, nicht das Blatt über einen festen Kopf zu spannen, sondern umgekehrt den Kopf federnd in ein feststehendes Blatt zu drücken.

Es gab da noch eine Schwachstelle

Funktionsmodell mit Rahmen

War das ein wichtiger Schritt? Bewegte Innenmesser gegen feststehende Außenmesser zu drücken, war doch eigentlich die Regel. Ja, es war ein wichtiger Schritt. Wie leicht hätte die Flexibilität des Blattes alles zunichte machen können. Wir stellten viele Versuche an, und tatsächlich, es ging, auch ohne daß wir beide Federn wesentlich stärker machen mußten; der Kopf wäre sonst zu heiß geworden.

Dann nahmen wir uns die Aufhängung des Scherblatts vor. Längere Zeit arbeiteten wir an einer Lösung, bei der es an zwei Nocken auf jeder Seite des Gehäuses hing und zwei Metallklappen ein Herausspringen verhinderten. Doch was uns schließlich nicht gefiel, war, daß das nackte Blatt beim Einhängen sehr gefährdet war. Mir tat es fast körperlich weh, wenn ein Laie dabei Fehler machte und es sich mit einem unangenehmen Geräusch verabschiedete. Das Blatt mußte in eine Halterung kommen, damit es besser geschützt und sicherer zu handhaben war.

Aus dem Remington Patent lernen

Das 2. BRAUN Patent

Ich weiß nicht mehr, wie lange Bodo Fütterer und ich geknobelt haben, bis uns die Remington-Patentschrift 813.667 in die Hände fiel, die einen Rahmen um die Scherköpfe herum, ausschließlich zum Auffangen der Bartstoppeln beanspruchte. Diese Schrift legte besonderen Wert darauf, daß der Rahmen keinerlei Verbindung mit den Scherteilen hatte. Wie nun, wenn wir gerade das machten und unser Blatt im Rahmen befestigten? Bodo Fütterer baute ein Modell, in dem sich das Blatt durch seine Spannkraft selbst hielt, und es ging.

Das eigentliche BRAUN Patent war geboren

Unsere benutzerfreundliche Scherblatthalterung war geboren! Wir erhielten dafür das Deutsche Patent 1005406, an dem die Konkurrenz viele Jahre nicht vorbeikam und das uns einen Riesenvorsprung bescherte. Im Grunde genommen war Max Brauns Rasierer erst jetzt wirklich marktfähig. Jetzt konnten wir ihn zügig fertigentwickeln.

Oben: Holzmodell - Unten: Modell aus Plexiglas

Ein neues Modell aus Plexiglas

Für die äußere Form gab es wieder ein Holzmodell, diesmal viel genauer, auf der Kopierfräsmaschine hergestellt. Und wir bauten einen Schalter ein, damit man den Stecker nicht immer herausziehen mußte. Für den Rahmen wählten wir griffsympathisches Acryl.

Schließlich ließ Bodo Fütterer noch ein Modell aus Plexiglas anfertigen, an dem wir das ganze Innenleben studieren konnten.

Ohne die vier Kugelbahnen des S50 war das Gehäusewerkzeug viel einfacher, und schließlich preßten wir umgekehrt, mit dem Stempel von unten. Das nach dem Kunzschen Verfahren zusammengebackene Pulver kippten wir einfach auf den Stempel. Die Metalleinlagen saßen jetzt unten und konnten nicht mehr in die Form fallen und sie beschädigen.

Man nannte es noch nicht so - Finetuning

Am S52-Messerkopf änderten wir nur die Innenkontur. Karl Pfeuffer hatte in der Zwischenzeit die größeren Werkzeuge für die neuen Blätter gebaut und auch neue Härtemaschinen und alles, was sonst noch dazu gehörte, als wir die Aufhängung des Scherkopfes nochmals änderten. Anstelle der zwei Andruckfedern gab es nur noch eine. Wieder wurden die Werkzeuge geändert, und jetzt hatten wir ein neues Teil, das Schwinghebel und Messerkopf verband: das Mitnahmeplättchen. Dieses kleine Teufelsding sah so harmlos aus, hat uns später aber viel Ärger gemacht.

Neu: Eine edle Verpackung aus Leder

Auch an eine Verpackung war zu denken. Aus Offenbacher Entwürfen wählten wir ein Lederetui mit Reißverschluß und gepolstertem Deckel.

Die Fließbandmontage von Hans Kleespies

Manchmal hatte ich mit Vater über eine Fließbandmontage gesprochen, ohne auf Gegenliebe zu stoßen, er hatte zu viel anderes um die Ohren. Jetzt ging ich mit Hans Kleespies an dieses Vorhaben, und bald stand ein Fließband von Rosenkaimer in der 3. Etage. Sein Gummiband war 30cm breit und in seiner Geschwindigkeit zu regeln. An den Seitenstreifen richteten wir Montageplätze ein, dort saßen die Frauen. Die Arbeitstakte hatten wir noch nicht aufeinander abgestimmt. Dann ließen wir die Anlage laufen und warteten ab. Irgendwann kam eine Kaffeetasse auf dem Band daher oder ein anderer Unsinn. So tasteten wir uns langsam und fast spielerisch an eine Fließarbeit heran.

Das Produktspektrum von BRAUN wuchs

Unterdessen hatte ich mich um viele andere Dinge zu kümmern, mein Aufgabengebiet war ja wesentlich größer geworden. Ich entwickelte Plattenspieler, Kofferradios, einen neuen Mixer mit allerhand Zubehör und vieles andere mehr.

Auch die Vorproduktion in den Maschinenabteilungen verlangte Zuwendung und natürlich Vaters und mein Lieblingskind, der Werkzeugbau. Die Werkzeugmacher freuten sich über bessere Maschinen und neue Arbeitsplätze mit guter Beleuchtung, eine persönliche Ansprache und zu Feiertagen auch mal eine Flasche Schnaps. Natürlich waren sie alle gewerkschaftlich stramm organisiert, das tat aber unserer gegenseitigen Zuneigung keinen Abbruch.

1953 - das überarbeitete BRAUN Logo

Auch Erwins Arbeit in den kaufmännischen Bereichen zeigte sichtbare Erfolge. Ständig beschäftigte ihn das Erscheinungsbild unseres Unternehmens. Er hatte Wolfgang Schmittel als Grafiker und G.P. Joest als Werbeassistenten eingestellt. Wolfgang Schmittel sollte unser Firmenzeichen, das noch von Will Münch stammende "Braun" mit dem hochgezogenen "A", überarbeiten und seine endgültige Form festlegen.

Im Mai 1953 erschien es erstmals im Betriebsspiegel. Das war Erwins erster Schritt, unserem Unternehmen ein unverwechselbares Gesicht zu geben.

Der neue BRAUN „300 de Luxe"

Ein besserer Name als das schwülstige „300 de Luxe" ist uns damals für unseren neuen Rasierer nicht eingefallen. Bis zur Frankfurter Frühjahrsmesse 1953 hatten so viele unser Fließband verlassen, daß der Verkauf beginnen konnte. Und der 300 de Luxe war eine kleine Sensation!

Von da ab war es unsere Hauptsorge, genug davon herzustellen, um die lebhafte Nachfrage einigermaßen zu befriedigen, obwohl der Preis mit 69,- DM deutlich über dem S 50 mit seinen 39,50 DM lag.

April 1953 - Wir flogen nach Amerika

Abflug mit DC 6 in Genf
Unsere Reisegruppe bei einem US-Kleinunternehmen
Mit Mitarbeitern von Webster in Milwaukee
Rundfahrt um Manhattan

Dann zog es mich nach Amerika. Im April 1953 flogen Wilhelm Mross und ich mit der Deutschen Studienreisengesellschaft nach den USA. Unsere Gruppe war nur klein - außer dem Leiter, Dr. Stienecke, waren wir nur zu viert - und Besucher aus Deutschland waren damals noch sehr selten, aber die Türen vieler Firmen standen uns offen. Die Bereitwilligkeit, mit der man uns alles zeigte, hatten wir nicht erwartet. Ich erinnere mich gern an "Allan Bradley" in Chicago oder "Webster" in Milwaukee. Wie freuten sich dort die deutschstämmigen Mitarbeiter, wieder einmal Deutsche zu sehen und Erinnerungen an die alte Heimat auszutauschen.

Ein unvorstellbarer Automatisierungsgrad

Wir staunten, daß selbst große Unternehmen mit einem für uns damals unvorstellbaren Automatisierungsgrad auch kleine Betriebe nicht verdrängen konnten, die sich trotz knapper finanzieller Mittel oft recht pfiffig behaupteten. Die hohe Produktivität der Betriebe, ihr zweckbezogenes Arbeiten war beeindruckend. Sehr gut gefiel uns der umfangreiche Einsatz von Druckluft für Automatisierungszwecke, so etwas gab es bei uns nicht. In Lower Manhattan in der Canalstreet fanden wir bei einem Trödler einen gebrauchten Preßluftzylinder, den Wilhelm Mross auf ein paar Dollar herunterhandelte, und den wir als Anschauungsmuster stolz mit nach Hause brachten.

Die amerikanische Produktivitätsmentalität

Aber das war eigentlich nicht so wesentlich. Viel mehr ging es um jene amerikanische Produktivitätsmentalität, die so anders, so freier war als die unsere und die damals nach dem großen Krieg der gesamten Weltwirtschaft die dringend benötigten Impulse gab.

Nie wieder "Das geht nicht" hören . . .

Wieder zu Hause, versuchte ich in vielen Diskussionsabenden, unseren technischen Führungskräften die Anregungen unserer Reise weiterzugeben. Von da an trafen wir uns wöchentlich, sahen uns manchmal RKW-Filme an und diskutierten oft lange über die vorgesehene Zeit hinaus. Irgendwann, viel später, waren wir so weit, daß alle schmunzelten, wenn jemand sagte, "etwas" ginge nicht.

Unser 300 de Luxe weckte großes Interesse, sogar in Amerika, dort hatte ich Muster gezeigt. In Deutschland verkaufte er sich von Anfang an hervorragend, ohne daß wir viel Werbung für ihn machten.

Von Amerika lernen

Wie in Amerika gelernt, versuchten wir kraftraubende, ermüdende Arbeiten Maschinen oder Vorrichtungen zu überlassen, schraubten elektrisch, nieteten auf Hydropressen und versuchten den Materialfluß in Gang zu bringen, denn trotz der Kleinheit der Geräte wurden Kubikmeter und Tonnen von Material bewegt.

Hof der Idsteinerstraße 91

Wir platzten aus allen "Nähten"

Unser altes, ausgebranntes Fabrikgebäude in der Idsteiner Straße ächzte in allen Fugen. Besonders seine Etagenbauweise war unpraktisch. Mit den großzügigen ebenerdigen amerikanischen Produktionshallen hatte das nichts zu tun. Zu viele Teile wurden in Kisten und Kästen über die Treppen geschleppt, und an dem kleinen Materialaufzug stauten sich die beladenen Hubgestelle, die wir notgedrungen inzwischen eingeführt hatten. Da half auch lautes Klopfen an den Aufzugstüren nicht.

Kein Wunder, daß in dieser drangvollen Enge der Wunsch nach rationeller Fertigung zu ebener Erde immer brennender wurde. Im kommenden Jahr, also 1954, sollte er erfüllt werden.

1954 - ein Ingenieur und Architekt kam hinzu.

Richard Rohlf

Richard Rohlf, ein ehemaliger Offizierskamerad von Erwin, Ingenieur und Architekt, ließ sich nicht lange drängen, bei uns mitzumachen. Im Januar, beim Skilaufen auf der Seiser Alm, saßen wir abends im Hotel Mezdi und skizzierten moderne Fertigungsgebäude, wie ich sie in den USA gesehen hatte. So begann unsere lebenslange Zusammenarbeit und Freundschaft.

Wir wollten aus der Frankfurter Enge heraus, aus dem alten Gallusviertel mit seinen rußgeschwärzten Straßen, irgendwohin in eine Gegend, wo es noch viel Platz gab, auf einer grünen Wiese. Richard sollte diese Aufgabe übernehmen.

Er hatte seit Monaten die Frankfurter Produktion studiert, und mit den zuständigen Stellen für Wirtschaftsförderung war schon eine Vorauswahl getroffen.

Feb. 1954 - Walldürn wurde auserkoren

Erster Besuch in Walldürn

Im Februar 1954 fuhren wir nach Tauberbischofsheim und Walldürn, die damals in die engere Wahl kamen. Das alte Wallfahrtsstädtchen Walldürn hatte es uns angetan, trotz der Misthaufen vor der Tür mancher Bauernhäuser. Ein halbwegs ebenes Wald- und Wiesengelände war zur Gewerbeansiedlung vorgesehen, und ein kleiner Betonsteinhersteller hatte sich schon niedergelassen. Außerdem gab es nebenan noch den „Fuchsbau", eine Gaststätte in einem unverputzten Neubau.

Als wir dort ein Glas Bier tranken und uns nach Arbeitsmöglichkeiten in der Gemeinde erkundigten, kamen wir mit einem anderen Gast ins Gespräch, der uns für Arbeitssuchende hielt und jedem von uns ein Essen spendierte. Wir haben es dankend angenommen und später mit dem Spender, dem Inhaber eines Walldürner Autohauses, oft darüber gelacht.

August Siedler, links, mit seinen Mitarbeitern Völlger, rechts, und Hansen, Mitte
Fließbandmontage

Die pfiffige Antwort auf ein Inserat verblüfft alle

Ein paar Wochen nach meiner Amerikareise setzten wir ein Inserat in die Zeitung, etwa mit dem Wortlaut, daß man in Amerika bessere Vorrichtungen als bei uns baue und daß wir jemanden suchten, der als Vorrichtungskonstrukteur diesem Mangel abhelfen könne.

Unter den Bewerbern schrieb uns einer, das könne man nicht nur in den USA, und wir sollten unser Licht nicht so unter den Scheffel stellen. Es war August Siedler. Er hatte bei VDO als Vorrichtungskonstrukteur gearbeitet und war dann in die Berufsberatung gegangen, weil er den Dauerstreß nicht mehr aushalten konnte - und da war es ihm jetzt zu langweilig geworden. Wir wurden uns bald einig, er hatte ähnliche Vorstellungen wie ich und eine Menge praktischer Erfahrung. Oft saßen wir bis in den späten Abend zusammen und sprachen über neue Vorrichtungen und Automatisierungsmöglichkeiten.

1953 - Der Kontakt zu RONSON / USA

Bodo Fütterer und ich in den USA

Schon 1953 war durch Wilhelm Wiegand und unseren Brüsseler Vertreter Nico Blomhof eine Verbindung zu Ronson in Amerika zustande gekommen, einem großen Hersteller von Feuerzeugen. Ronson interessierte sich für den Vertrieb unseres Rasierers und eine Lizenzfertigung in den USA.

Eines Tages besuchte uns Beverly Bond, ein ehemaliger Cheftechniker von Remington, den Louis Aronson zum Aufbau dieses Geschäfts gewonnen hatte. Er sprach kein Deutsch, und mein Englisch war schlecht, aber wir verstanden uns auf Anhieb.

Seine Hauptsorge war, daß er viele Rasierer nicht mehr einwandfrei zum Funktionieren bringen konnte, wenn er sie erst einmal demontiert hatte. Ich zeigte ihm ganz offen, wie man sie an einem Frequenzgenerator abstimmt, und mit diesem Vertrauensbeweis begann unsere lange, gute Zusammenarbeit, und eine Freundschaft, die uns bis zu seinem Tode verband.

Feb. 1954 - Eine Sternstunde für Deutschland !!!

Unterzeichnung des Ronsonvertrages
Der erste große Dollarscheck
Artur Braun - Mr. Bond - Erwin Braun

Im Februar 1954 schlossen wir den Ronson-Vertrag, mit 10 Millionen Dollar damals das größte Konsumgüter- geschäft Deutschlands nach dem Krieg. Technisch kamen von Beverly Bond viele Anstöße. Seine Qualitätsanforderungen waren hoch. Bei Remington hatten ihm große Fabriken und auch die Rasiererfertigung unterstanden. Er wußte, wovon er sprach. Die USA-Lieferungen unterschieden sich nicht nur in der Netzspannung von den europäischen, sondern auch in der Ausstattung. Das Gehäuse war schwarz, der Scherkopfrahmen elfenbeinfarben. Für das schwarze Gehäuse war „satin finish" verlangt, also ein matter Seidenglanz.

Wir liefern jetzt sogar nach Amerika

Preßformen zu mattieren hatte aber keinen Sinn, weil die aggressive Preßmasse alles blankschliff. Also mühten wir uns, mit Fiberbürsten und Schleifpaste eine halbwegs matte Oberfläche hinzubekommen. Heute ist sie bei schwarzen Gebrauchsgegenständen die Regel, die neuen Kunststoffe erlauben es, die Formen zu mattieren. Die zusätzlichen Lieferungen nach Amerika trieben die tägliche Stückzahl in die Höhe, und bald war das im alten Gebäude in der Idsteiner Straße nicht mehr zu schaffen.

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