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1958 - Aufbruchstimmung bei BRAUN
Von Wilhelm Wagenfeld, Herbert Hirche, Hans Gugelot und Otl Aicher kamen so starke Impulse, daß sich das ganze Unternehmen im Aufbruch befand. Es war eine aufregende Zeit damals. Auf der Interbau in Berlin fanden unsere modernen Rundfunkgeräte starke Beachtung, die XI. Triennale in Mailand bescherte uns den ersten Grand Prix, und auch auf der Weltausstellung in Brüssel 1958 waren wir hervorragend vertreten.
Die Liefersituation des BRAUN Combi war nur ausreichend
Unser Combi verkaufte sich so gut, daß unsere Hauptsorge wieder einmal war, ausreichende Mengen herzustellen. Richard Rohlf und August Siedler waren in ihrem Element. An jeder Ecke wurde rationalisiert und automatisiert. In Walldürn entstanden ganze Fertigungsstraßen für die Nachbearbeitung der Gehäuse.
Nach amerikanischem Vorbild immer weiter optimiert
Mit Vielspindelmaschinen wurden sämtliche Bohrungen der Metallrahmen oder Aluchassis in einem Arbeitsgang hergestellt. August Siedler und ich nahmen uns die Scherblätter vor. Sie wurden immer noch in vielen einzelnen Schritten gelocht, mit Handsteuerung. Wir übertrugen den komplizierten Bewegungsablauf auf eine präzise geschliffene Kurvenscheibe, die bei jedem Hub der Presse um einen Schritt weitergedreht wurde. Das funktionierte und war unglaublich schnell. Die Frauen brauchten nur noch die Blätter einzulegen.
Heinrich Graichen, unser Formenkonstrukteur, entwickelte eine Spritz-Preßform für die Schwinghebel, die ein Nachschleifen überflüssig machte; sie wurden wegen der von VDE vorgeschriebenen doppelten Isolation schon bald aus Preßmasse hergestellt.
Bodo Fütterer war fast der Mittelpunkt der Firma
Bei Bodo Fütterer konzentrierten sich all diese Fragen. Seine Entwicklungsabteilung hielt die Fäden in der Hand. Die gesamte Fabrikation war angewiesen, nichts zu ändern, was nicht zeichnungsmäßig erfaßt und auf Herz und Nieren geprüft war. So trat die Weiterentwicklung etwas zurück, zumal wir parallel zu den Rasierern das gesamte Küchenmaschinen-, Radio- Phono- und das neu hinzugekommene Fotoprogramm überarbeiteten. Wilhelm Biegler war mit seiner neueingerichteten Planungsabteilung dabei eine entscheidende Hilfe.
1958/1959 - Auf dem Erfolgsweg
Erst im Oktober 1958 konnte man unseren Combi auch in einem hübschen Lederetui kaufen und ab Januar 1959 seinen kleinen Bruder, den Standard, ein sehr einfaches Gerät ohne Langhaarschneider, eigentlich mehr als Nachfolger für den S50 gedacht, dessen Produktion schon lange eingestellt war.
Interessanterweise hatte er noch eine ganze Reihe von Anhängern, die mit seiner Scherblattbefestigung gut zurechtkamen und die Möglichkeit, das Blatt nach eigenem Gutdünken aufzuspannen, sehr schätzten.
1958 - 100 Millionen Umsatz und 3000 Mitarbeiter
Um diese Zeit näherte sich unser Gesamtumsatz der 100 Mio DM Grenze, und über 3000 Mitarbeiter wurden beschäftigt. Überall mangelte es an Platz, und das war ganz gut so, denn sonst hätte sich die Belegschaft noch schneller vergrößert. Schon im September 1958 hatten wir für unsere weitere Expansion ein großes Gelände im Taunusstädtchen Kronberg erworben.
Erika Andreae, eine nette, erfahrene Maklerin, die mir ein Privatgrundstück vermittelt hatte, machte mich darauf aufmerksam. Meine Verhandlungen mit Bürgermeister Jacobi waren angenehm und erfolgreich.
Juli 1959 - Ab jetzt 4 Direktoren
Kronberg ist später Firmensitz geworden. Am 1. Juli 1959 wurden Werner Dube, Kaufmann und Liebigschüler, und Dr. Ing. Kurt Georg - er kam von Kienzle - zu Direktoren ernannt. Damit deutete sich ein gewisser Rückzug von Erwin und mir aus dem kräftezehrenden Alltagsgeschäft an.
1959/1960 - Die Suche nach neuen Produkten
Unsere hektische Expansion traf auf die erste Marktsättigung, nicht nur im Inland. Der Riesenbedarf der Nachkriegszeit war einigermaßen gedeckt, zuerst bei den Rundfunkgeräten, vor denen schon Max Braun wegen ihrer zyklischen Absatzkrisen großen Respekt hatte. Wir versuchten, mit neuen, mehr technischen Hi-Fi Geräten eine Marktnische zu finden.
Auf das Massengeschäft hatten sich zu viele Hersteller gestürzt, und unsere modernen Holzgehäuse hatten uns nur eine Verschnaufpause beschert.
Hans Gugelot tritt hervor
Hans Gugelot war von dieser Wendung, die er mitangeregt hatte, begeistert. Endlich waren unsere Rundfunkgeräte keine Möbel mehr, sondern technische Geräte! Ganze Systeme von Verstärkern, Lautsprechern, und Abspielgeräten, zum Teil in getrennten Gehäusen, wurden entwickelt. Das kostete viel Zeit.
Mein Interesse : Das "Brot und Butter" Geschäft
Damit unser - man kann es ruhig sagen - profitabler Rasierer nicht zu kurz kam, ging Bodo Fütterer jetzt an die Entwicklung eines neuen Modells, das er gründlich und mit viel Geschick durcharbeitete. Es sollte dann SM3 heißen. Nach den Vorstellungen der Formgestaltung, jetzt unter Leitung von Dieter Rams, unterzog Gerd Müller das dickbauchige Gehäuse des Combi einer Schlankheitskur. Fritz und mir lag das neue Gerät sehr am Herzen, und weil die Formgestaltung damals noch über keinen ausreichenden Maschinenpark verfügte, hatten Gerd Müllers Modelle nicht die Präzision, die sie zu einer vernünftigen Beurteilung brauchten.
Die Grundlage für den Welterfolg BRAUN "Sixtant"
Wir trafen uns daraufhin oft an einer Kopierfräsmaschine im Werkzeugbau, an der wir die komplizierten Radien, die Bodo Fütterer inzwischen konstruiert hatte, auf einen Kunststoffblock übertrugen. So entstand die Form des SM3, der später die Grundlage für unseren berühmten "Sixtant" werden sollte.
Bodo Fütterer achtete darauf, daß der Antrieb, anders als beim Combi, jetzt symmetrisch angeordnet war. Dann nahm er sich das Mitnahmeplättchen vor, das Anlaß zu vielen Reparaturen gab. Dem Grundsatz folgend, daß ein Teil nicht zu viele Funktionen erfüllen soll, teilte er es in zwei Kunststoffteile, die elegant ineinander schnappten, und auf die der Messerkopf wie ein Druckknopf aufgesteckt wurde. Das ist bis heute so geblieben.
Verbesserungen im Detail sichern den Erfolg
Dann wurde der Messerkopf verbessert. Er war jetzt nach unten offen, damit die Haarstoppeln besser herausfallen konnten und die Lücken zwischen den Messern weniger verstopften. Leichter wurde der Messerkopf dadurch auch, ein sehr graziles Druckgußteil. Der Schalter bestand jetzt nicht mehr aus lose eingelegten Teilen, sondern wurde ein komplettes Bauteil, das den Prüfvorschriften besser entsprach.
Im Spätjahr 1959 kam der SM3 auf den Markt. Er wurde Sieger in vielen Warentests. Eines der ersten Modelle hatte ich auf einer Amerikareise Bev Bond gezeigt. Er war so beeindruckt wie wir damals von seinem neuen Gerät mit dem Langhaarschneider.
Wir waren weltweit sehr gut - das hieß aufpassen.
Die Leistung unserer Rasierer war jetzt so gut, daß immer schwerer zu beurteilen war, ob Änderungen noch eine Verbesserung bedeuteten. Irgend jemand brachte die Idee eines künstlichen Bartes auf, mit dem unter gleichbleibenden Bedingungen getestet werden konnte.
Also nähten wir mit einer Spezial-Nähmaschine Nylonfäden in Bänder aus Weichplastik. Das funktionierte ganz gut, die abgeschnittenen Haare wurden gezählt, nachdem der Rasierer über das Band geführt worden war. Schließlich wurden aber Testgruppen gebildet in denen Mitarbeiter verschiedenster Haar- und Hauttypen die Geräte nach bestimmten Kriterien benutzten und anschließend Testbögen ausfüllten.
Unser Werksarzt, mein lieber, alter Freund Dr. Fritz Bode, ließ Rasierstaub sammeln, den er dann mikroskopisch untersuchte, teils in polarisiertem Licht, um Materialspannungen festzustellen, wie sie entstehen, wenn die Haare gequetscht werden. So arbeiteten wir ständig daran, die Qualität zu steigern.
Ein Schlüsselerlebnis trotz unseres Erfolges - Konkurrenz
Eines Tages legte mir der Einkauf Scherblätter aus Nickel auf den Tisch, die galvanoplastisch hergestellt waren. Ein Produzent von Mikrosieben hatte sie uns angeboten. Sie hatten schlechte Schneidkanten und keine ausreichende Härte, waren aber trotzdem eine unangenehme Überraschung: Da machte eine ganz andere Technologie unserer hochentwickelten Stanztechnik Konkurrenz, in die wir so unendlich viel Mühe gesteckt hatten.
Hatten wir etwas verschlafen ?
Kein schöner Gedanke, aber wir mußten uns mit dieser neuen Technik auseinandersetzten, die möglicherweise unsere Stahlblätter überflüssig machte. Hagen Gross nahm sich der Sache an. Er bildete eine Arbeitsgruppe, der Bodo Fütterer, Galvanik-Leiter Blume, Physiker Claus Cobarg, Physiko-Chemiker Dr. Karl Schölzel sowie Reprotechniker und Siebdrucker angehörten. Sie trafen sich wöchentlich und erteilten jedem die Aufgaben, die er bis zum nächsten Mal zu erledigen hatte.
So wurde lange experimentiert, um geeignete Matrizen herzustellen und vor allem dem galvanisch abgeschiedenen Material ausreichende Härte zu geben.
Die Nickelblätter sahen gut aus und waren völlig korrosionsfest, rasierten aber längst nicht so gut wie unsere alten Stahlblätter. Ich wußte manchmal nicht, ob ich mich darüber freuen sollte.
Bodo Fütterers Wabenmuster
Nachdem Monate vergangen waren, wies mich Bodo Fütterer darauf hin, daß er und andere aus der Gruppe einen erfolgversprechenderen Weg vorgeschlagen hatten, sich damit aber nicht durchsetzen konnten. Dieser Weg wurde daraufhin beschritten und führte nicht sofort, aber nach einiger Zeit, zu sehr brauchbaren Ergebnissen. Schade für unser schönes Stahlblatt. Jetzt waren Lochformen möglich, an die beim Stanzen nicht zu denken war. Bodo Fütterer hatte sich ein Wabenmuster mit welliger Feinstruktur ausgedacht, das bei guter mechanischer Festigkeit vorzüglich rasierte. Sogar eine Schneidkantenerhöhung war möglich.
Sommer 1961 - Erwin und Fritz erdachten ein Luxus-Produkt
Unterdessen hatten sich Erwin und Fritz Gedanken darüber gemacht, wie unser Rasierer in eine höhere Qualitätsklasse gelangen könnte. Erwin, dem mattschwarze Bestecke aus Skandinavien so gut gefielen, sprach über dieses Thema auch oft mit Hans Gugelot. Gütsch nahm den Gedanken auf und drückte eines Tages - Mitte 1961 muß es gewesen sein - Erwin ein Muster in die Hand, mit strichmattem, schwarzem Kunststoffgehäuse. Es gefiel uns allen so gut und sah so exclusiv aus, daß wir diesen Vorschlag von Gütsch
dankbar übernahmen.
Die matten Oberflächen machten nicht mehr die Schwierigkeiten wie vor Jahren, es gab jetzt neuartige Schleifbürsten und Schleifschwämme, mit denen man gut arbeiten konnte. Alles traf sich in glücklicher Weise mit unseren gerade fertigen Nickelscherblättern in einem neuen Modell, das den einprägsamen und sehr bekannt gewordenen Namen „Sixtant" erhielt, in Anlehnung an die vielen kleinen Sechskantlöcher des neuen Blattes.
1961 - Die Grenzen kündigen sich an, auch bei der Gesundheit
1961 sollte wichtige Veränderungen bringen. Wir waren auf zu vielen Gebieten tätig, und die stürmische Expansion der vergangenen Jahre fing an, unseren Familienbetrieb zu überfordern. Erwin und ich reagierten auf den ständigen Streß mit gesundheitlichen Problemen.
Trotz der zusätzlichen Belastung, die das bedeutete, beschlossen wir, unsere OHG, in der wir beide noch immer mit unserem gesamten Privatvermögen hafteten, in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln.
Ende 1961 - Die BRAUN AG wird vorbereitet
Erwin kümmerte sich um die zeitraubenden, komplizierten Gründungsformalitäten, und Ende 1961 wurde unter Federführung des berühmten Gesellschaftsrechtlers Boesebeck unser Familienunternehmen eine AG, in der Erwin und ich noch alle Stimmrechte hielten. Anfang 1962 ging Erwin in den Aufsichtsrat, weil er die zermürbende Alltagshektik nicht mehr ertragen konnte, und mir blieb nichts anderes übrig, als den Vorsitz im Vorstand zu übernehmen, trotz meiner angeschlagenen Gesundheit. Gelegen hat mir das alles nicht, wie viel lieber hätte ich an technischen Problemen gearbeitet. Zum Glück standen mir Dr. Rudolf Gros und Albrecht Schultz zur Seite und vor allem mein treuer Freund Ferdinand Simon, als persönlicher Berater, Anwalt und Wirtschaftsprüfer.
Der neue SIXTANT und unsere neue BRAUN Powerwerbung
Um so mehr freute mich, daß unser Sixtant gerade jetzt auf den Markt kam. Seine Produktions- vorbereitungen waren parallel zu unserer AG-Gründung gelaufen. Nicht zuletzt dank massiver Werbeaktionen, die Albrecht Schultz schließlich durchgesetzt hatte, machte er wirklich Furore.
Alle Werbemittel waren streng sachlich nach Ulmer Muster gestaltet, atmeten Präzision und Zuverlässigkeit. Und unser Sixtant war ein vortrefflicher Rasierer, der in vielen Tests immer mit Bestnote abschnitt. Mit ihm war uns ein entscheidender Durchbruch gelungen.
März 1962 - Von Ludwig Erhard geehrt
Im März des gleichen Jahres überreichte uns der italienische Botschafter in Anwesenheit von Vizekanzler Ludwig Erhard den „Goldenen Zirkel", diese so berühmte Auszeichnung für modernes Design.
1962 - Wir hatten es geschafft,
die BRAUN AG war ein richtiger Konzern geworden
In Marktheidenfeld war eine großzügige Produktionsstätte für Haushaltsgeräte entstanden, in Kronberg eine moderne Shedhalle für den Kundendienst, viele Auslandsniederlassungen waren gegründet worden, im März 1962 die altangesehene Filmkamerafirma Nizoldi und Krämer in München und der spanische Hausgerätehersteller Pimer erworben worden.
Die Eigendynamik mühsam unter Kontrolle halten
So hatte unser Wachstum seine eigene Dynamik entfaltet, und die Produktpalette war viel zu breit geworden für unsere alte Organisation, bestehend aus einer technischen- und einer Vertriebsleitung.
1962 - Erwin baute unter dem Vorstand vier Bereiche
Undenkbar, da alles durchzuschleusen. Erwin hatte viel über diese Probleme nachgedacht, und wir gingen daran, unter dem Vorstand vier Artikelbereiche zu bilden:
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- Rasierer unter Albrecht Schultz und Bodo Fütterer,
- die Haushaltsgeräte unter Hagen Gross,
- Karl Buresch für Rundfunk und
- Ernst Krull für Foto.
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Damit "man" nicht geschoben wird :
So bekam unsere AG eine schlankere Form, wie man heute sagen würde, mit kürzeren Wegen in den Bereichen und einer besseren Kostenstruktur. Es war auch nicht leicht, das Wachstum der Belegschaft in Grenzen zu halten, und so ergab eines das andere. Man denkt immer, man schiebt, und dabei wird man geschoben.
Damit bei dieser Hektik unser Rasierer nicht wieder ins Hintertreffen geriet, und weil sich damals eine beginnende Nachfrage nach „schnurlosen" Geräten abzeichnete, ging Bodo Fütterer an die Entwicklung eines netzunabhängigen Rasierers. Erwartungsvoll tauften wir dieses Gerät dann auf den Namen „Commander".
Anmerkung : Zu der Zeit um 1962 fing Max Grundig an, auch die wenigen bis dahin alleine aktiven Hifi-Firmen vor sich her zu treiben. Bei den Radiogeräten und Musiktruhen und Fernsehern hatte das bereits "hervorragend" funktioniert. Die Wettbewerber von Grundig hechelten immer nur noch hinterher. Grundig war so gut wie überall Martkführer geworden, sogar in ganz Europa. Und das wollten die beiden Brüder unbedingt vermeiden, einem Anderen hinterher zu hecheln.
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Der BRAUN „Commander" wurde kein Erfolg, er kam zu früh
Aber ein großer Erfolg war ihm nicht beschieden. Es lag nicht nur an den Nickel-Cadmium Akkus von Varta, deren Ventile laufend undicht wurden. Zu viele Leute hatten darin herumgeredet, und auch unsere sonst so sparsame Formgestaltung war über das Ziel hinausgeschossen: Durch zusätzliche Griffplatten wurde das Gerät wesentlich plumper als erforderlich. Ich will damit nicht sagen, daß ich es besser gemacht hätte, wenn ich damals mehr Zeit gehabt hätte. Es kann auch damit zusammenhängen, daß ein kleiner Rasierer formgestalterisch nicht so viel hergibt wie eine große Hi-Fi Anlage, es geht bei ihm halt um winzige Radien und Proportionen, mit denen nicht viel Staat zu machen ist.
Anfang 1963 - Raus aus dem Tagesgeschäft
Anfang 1963 verließ ich meiner Gesundheit zuliebe den Vorstand, in dem Dr. Gros jetzt den Vorsitz übernahm, und wechselte in den Aufsichtsrat. Leider war ich damit meinem Lieblingskind, dem Rasierer, noch entfernter, zumal Bodo Fütterer in die Schweiz ging, um dort eine Produktion galvanischer Scherfolien aufzubauen.
Endlich - Das Erfolgspferd - der BRAUN Sixtant
Die Hauptlast mußte also weiterhin der Sixtant tragen, der sich hervorragend bewährte und einen Umsatzrekord nach dem anderen aufstellte.
Fremdgeräte "umlabeln" - Nicht immer gesunde Entscheidungen
Weil die eigene Entwicklung neuer Geräte mit den durch unser neues Design eröffneten Verkaufsmöglichkeiten nicht Schritt halten konnte, fingen wir an, Fremdgeräten eine Art Braun-Design überzustülpen und sie dann in unser Vertriebsprogramm aufzunehmen.
Erkennbare Probleme bei der Expansion - erste Fehler beim Controlling
Dem Umsatz, der bald die 100 Mio-Grenze überschritt, hat das geholfen, nur wie es mit dem Gewinn aussah, war nicht so leicht festzustellen. Daß bei unserem Expansionsdrang die innerbetriebliche Kostenrechnung nicht Schritt hielt, liegt nahe, und als Hagen Gross sogar Feuerzeuge und Geschirrspülmaschinen ins Programm aufnehmen wollte, da mußte ich überstimmt werden.
Und beim Rasierer blieb de Entwicklung stehen . . .
Mir mißfiel, in welcher Weise wir uns verzettelten, während man sich um den Rasierer viel zu wenig kümmerte. Und dort waren keine großen Würfe mehr zu vermelden, außer einem ab- und zuschaltbaren Langhaarschneider im neuen "Sixtant S", dessen Form Richard Fischer verbesserte, und der ein sehr brauchbares Gerät wurde.
Und noch ein Desaster
Aber schon seine schnurlose Version war wieder ein Desaster. Heiße Widerstände schädigten die Akkus, und die Geräte mußten vom Markt genommen werden. Es hat dann lange gedauert, bis mit dem BN ein halbwegs brauchbares netzunabhängiges Gerät angeboten werden konnte. Sein Vorschalt-Trafo wies wieder einen Rundbogen auf, wie einst der heiße Vorwiderstand von Max Brauns erstem Motorrasierer.
Ende 1963 hatte die BRAUN AG 4.600 Mitarbeiter
Zum Glück gingen diese Pannen in der stürmischen Entwicklung der kommenden Jahre unter: Ende 1963 waren 4.600 Mitarbeiter beschäftigt, bei einem Umsatz von 145 Mio, das Hausgerätewerk in Marktheidenfeld und das Rasiererwerk in Walldürn wurden wesentlich erweitert, in der DDR imitierte der VEB Bergmann-Borsig unseren SM3, und am 27.10.1964 gingen wir mit 6 Mio Vorzugsaktien an die Börse, bei einem Umsatz von 173 Mio.
Um diese Zeit war unser kleiner Rasierer Standard 2, mit Langhaarschneider, das beste Gerät in einem Japantest. Von den unzähligen Geräten der übrigen Produktpalette zu berichten, würde hier zu weit führen.
Mitte 1966 - Richtfest in Kronberg und ganz andere Ideen
Mitte 1966 stand endlich der Rohbau unserer neuen Zentrale in Kronberg. Es sollte das letzte Gebäude von Braun sein, an dem ich mitwirkte. Erwin und ich hatten schon lange überlegt, wie wir unser Unternehmen straffen könnten, vielleicht durch Ausgliederung ganzer Artikelbereiche. Den Rasierer wollten wir jedenfalls behalten.
Als das Unternehmen über unsere Köpfe wuchs
Ich erinnere mich noch gut an die Gespräche, die wir mit Großunternehmen, nicht nur in Deutschland, in dieser Hinsicht führten, allerdings ohne greifbare Ergebnisse. Erst im Januar 1967, als ich von der Seiseralm zurückfuhr und Erwin in Baden, in der Schweiz traf, nahmen diese Überlegungen Gestalt an.
Die amerikanische Gillette Corporation hatte erneut Interesse bekundet, wie schon einmal vor etwa eineinhalb Jahren, diesmal aber wesentlich konkreter.
Die Versuchung war groß, zumal es zwischen Erwin und mir nicht mehr so gut klappte wie früher, aber unsere Beziehungen waren noch so, daß wir bei einer derart schicksalhaften Entscheidung übereinstimmten.
1967 - Wir fliegen nach Boston zu Vinzenz Ziegler
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- (Anmerkung : Der Chef von Gillette heißt korrekt Vincent C. Ziegler.)
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Wir (Erwin und ich) sind dann in den USA gewesen, haben mit Vinzenz Ziegler, mit Colman Mockler, Paul Cuenin, Bob Perry und vielen anderen Männern von Gillette gesprochen und den Eindruck gewonnen, den bestmöglichen Partner gefunden zu haben.
Die Verhandlungen und Vertragsvorbereitungen haben sich dann über das ganze Jahr hingezogen. Im Juli 1967 kam es zu einem offiziellen Übernahmeangebot von Gillette.
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Am 19. Dezember 1967 - der Gillette Vertrag ist unterzeichnet
Am 19. Dezember 1967 haben Erwin und ich im schweize- rischen Baden den Vertrag mit Gillette unterzeichnet. Wir sind anschließend in ein ruhiges Nebenzimmer gegangen und haben uns spontan umarmt. Er hatte auch Tränen in den Augen.
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Anmerkung : Erwin Braun ist 1992 in der Schweiz verstorben.
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Das Für und Wider bei unserer Entscheidung :
Unsere Familie hat dem Unternehmen seinen Namen gegeben, und im Grunde waren wir Familienunternehmer geblieben, solche, die ganz anders als Manager mit ihrem Vermögen haften und denen man es trotzdem nicht leicht macht.
Die Kommentare sind regelrecht Anfeindungen aus bestimmten Kreisen :
- Wenn "sie" Schiffbruch erleiden, dann haben "sie" die Zeichen der Zeit nicht erkannt und sich keinen starken Partner gesucht,
- wenn "sie" Profite einfahren, dann haben "sie" jemanden ausgebeutet, und
- wenn "sie" aus eigener Kraft einer Expansion nicht mehr gewachsen sind und Anteile verkaufen, dann haben "sie" Kasse gemacht und ihr „Gesinde verscherbelt", wie man z.B. im Spiegel später in einem anderen Fall lesen konnte.
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Alle wissen es besser - natürlich hinterher.
Viele Gedanken und Selbstzweifel an dieser Entscheidung:
Heute weiß ich, daß ich diese Zeilen nicht mehr schreiben könnte, wenn wir damals nicht verkauft hätten. Erwin hat sich bis zu seinem Tod (1992) immer wieder gegrämt und gefragt, warum wir damals so gehandelt haben, und dabei kann die Antwort doch nur lauten:
Weil wir überleben wollten und das Unternehmen überleben sollte!
1991 - Und doch !! Wir hatten es richtig gemacht !
Heute steht unsere Braun AG unter Gillette glänzend da, hat allen Stürmen zum Trotz sich stetig entwickelt und einen Umsatz, der fast 10 mal höher ist als bei der Übernahme. Zum Glück haben wir uns richtig entschieden, prägen Vaters und unsere Anstrengungen und die treue Mitarbeit vieler begeisterungsfähiger Menschen von damals noch immer das Bild des Unternehmens, nach mehr als 25 Jahren.
1996
Der BRAUN Rasierer der meistverkaufte auf der ganzen Welt !
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich bin am Ende meines Berichts angelangt. Vor mir auf dem Tisch liegt ein Betriebsspiegel, auf dessen Titelseite steht, daß Max Brauns Rasierer, unser Rasierer, heute der meistverkaufte der Welt ist!
Mögen ihm und unserem Werk und seinen Menschen noch lange Glück und Segen beschieden sein.
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Impressum
Veröffentlich im Januar 2014 mit der persönlichen Genehmigung von Artur Braun vom Juni 2013.
Jo Klatt Design+Design Verlag, Hamburg
©1996 Copyright und Herausgeber: Artur Braun, Königstein
Rat und Hilfe: Claus C. Cobarg und Hartmut Jatzke-Wigand
Layout und Buchausstattung: Jo Klatt, Hamburg
Lithos und Druck: Bertheau-Druck GmbH, Neumünster
Auflage: 300 Exemplare
Am 3. November 2013 verstarb Artur Braun † mit 88 Jahren - viele lange Jahre nach seinem Bruder Erwin Braun, die beide zusammen der BRAUN AG zu Weltruf verhalfen.
Im Juni 2013 htten wir noch telefonisch vereinbart, uns bei ihm Zuhause bei Tee und Kuchen zum Zeitzeugengespräch zu treffen, es hatte leider nicht mehr sein sollen.
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