stereoplay Kompendium 1988 - "Grundlagen der HiFi-Technik"
Es müsste aber "Grundlagen der Akustik" heißen.
von Gert Redlich im Januar 2014 - Unter der Chefredaktion von Karl Breh wurden ab 1984 bis etwa 1988 in jede Ausgabe der stereoplay so ziemlich in der Mitte blaue Seiten mit Grundlagen-Wissen eingeklebt. Diese Seiten wurde später nach Abschluß der ganzen Artikel in einem Kompendium zusammengefaßt. Nach meiner Meinung sind diese Artikel hier nicht Hifi spezifisch sondern allgemeine akustische Grundlagen. Einige Artikel verlangen volle Aufmerksamkeit und gezieltes "Verstehen Wollen" für diese hochkomplexe Materie. Die einzelnen Verfasser haben sich dennoch bemüht, immer wieder mit plausiblen Beispielen nachzuhelfen. Der Inhalt des Kompendiums steht hier.
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Ein Interview mit Ludwig M. Moser 1984
An den verschiedensten Ecken der HiFi-Branche keimt die Behauptung (und wird meist schnell wieder erstickt), die CD habe Klangfehler. Die Redaktion nützte einen Besuch von Hörforscher Ludwig Moser, um ihn auszuhorchen, wie weit die Wahrnehmungsfähigkeit des menschlichen Ohrs reicht.
„Man muß nur hören wollen"
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stereoplay:
Nehmen wir mal an, ein junger Mensch hört nicht auf die Moralpredigten gegen zu laute Musik und wird irgendwann schwerhörig. Ist es nicht trotzdem ein Skandal, wenn er von der Krankenkasse ein primitives Monohörgerät für nur ein Ohr bekommt?
Moser:
Es besteht durchaus die Möglichkeit, die Eigenschaften moderner Stereokopfhörer auf diese Geräte zu übertragen. Nicht nur beim Musikgenuß, sondern auch zum Beispiel im Straßenverkehr kann man von einer akustischen Unterversorgung der Betroffenen sprechen.
stereoplay: Am anderen Extrem des Hörens gibt es auch in unserer Redaktion Glückliche, die Klangunterschiede bei CD-Spielern wahrnehmen, und andere, die der Analogtechnik, den schwarzen Scheiben grundsätzlich mehr musikalische Freuden abgewinnen. Sie behaupten, die digitale Übertragungstechnik leide unter einer gewissen Härte beim leisen Ausklingen von Stimmen oder Instrumenten.
Moser: Wir wissen alle, daß CD-Spieler sehr leise Töne nicht mehr auflösen können. Im äußersten Fall macht er aus einem winzigen Sinus ein Rechteck mit all seinen Oberwellen bis hinauf zu 20 Kilohertz. Der Dynamikumfang des Gehörs junger Menschen beträgt 120 Dezibel; es wäre denkbar, daß es bei leisen, ausklingenden Passagen gerade noch die recht harten Verzerrungen wahrnimmt. Außerdem werden auch die Phasenbeziehungen kleinster Signale untereinander unpräziser.
Man könnte sich also schon vorstellen, daß vor allem ein junger Mensch die Hüllkurve - das Abbild des komplexen Klanggeschehens in der Zeit -noch detaillierter aufzulösen vermag, als sie über die CD wiedergegeben werden kann. Trotzdem hört man über eine gute digitale Aufzeichnung grundsätzlich mehr als bei analoger.
Bei Versuchen mit Stimmen nahm ich das Kratzen der Bartstoppeln am Hemdkragen wahr - derlei Feinheiten gehen bei analogen Tonbandaufnahmen schlicht im Rauschen unter.
Andererseits monierten Testhörer bei der Herabsetzung der Quantisierung (also bei der Vergröberung der digitalen Stufen) immer zuerst, sie könnten die Emotionsfeinheiten des Redners nicht mehr ausmachen. Nicht ohne Grund wird auch bei den Rundfunkanstalten diskutiert, ein 18 Bit-Verfahren einzuführen.
Stereoplay: Die Feinabstufung der Dynamik steht auch bei den 16-Bit-Spielern zumindest noch bei mittleren Lautstärken außer Zweifel. Bei Pegeln von -60Dezibel unter Maximalausteuerung oder etwa 50dB unter den vorkommenden Dynamikspitzen der CD wären aber winzige Fehler schon denkbar.
Moser: Dieses Thema wurde gründlich untersucht. Merkwürdigerweise entwickelt ausgerechnet das kranke Ohr hier größte Fähigkeiten, es vermag bis zu 0,1dB bei Sinustönen zu differenzieren, das gesunde Ohr eines Normalbürgers schafft nur 0,5dB und bei leisen Tönen noch wesentlich weniger.
stereoplay: Haben die Hörtester kranke Ohren?
Moser: Ich glaube eher, daß sie auch noch die letzten Haarzellen des Ohres an die Front werfen. Man muß nur hören wollen.
stereoplay: Die Feinstunterscheidung wird der Mensch nicht nur zur Kompensation von Schäden, sondern auch "freiwillig" lernen können,
zum Beispiel wenn er sehr intensiv Musik miterleben möchte.
Moser: Das ist sehr gut möglich. Die Mitglieder Ihrer Redaktion gehören nach meinen Untersuchungen zur absoluten Hörelite, obwohl sie ja fast alle rauchen.
stereoplay: ?
Moser: Wenn sie nicht rauchen würden, könnten sie sicherlich noch besser hören.
stereoplay: Sollte man die Gefäßverengung durch Alkohol kompensieren?
Moser: Rauchen Sie lieber weniger!
stereoplay: Glauben Sie nicht auch, daß die Wahrnehmung von subtilen Lautstärkeunterschieden bei Musik ohnehin viel leichter fällt als bei einzelnen technischen Tönen? Immerhin kommen ja dann meist mehrere Töne vor, die man vergleicht, zudem achtet man genau auf die relative Entfernung und die Anordnung im Raum.
Moser: Wenn jemand sagt, da höre ich was raus, dann glaube ich dem Ohr mehr als irgendwelchen Meßtheorien. Schon der Fähigkeit eines Menschen, sich auf bestimmte Klangdetails zu konzentrieren, sehr selektiv zu hören, kann die Technik nicht folgen.
Dann gilt auch die Vorstellung, daß laute sehr leise Töne verdecken, nur bei stationären Bedingungen. Bei der Musikwiedergabe im Raum verändert sich ein tiefer Orgelton zum Beispiel durch Interferenzen sehr stark im Pegel, so daß die feinen Klangkomponenten doch immer durchschimmern können.
Auch wird nie bedacht, daß man in einem Konzert seinen Kopf nie ganz starr hält. Um eine wechselnde und damit natürlichere Räumlichkeit zu erzielen, sollte man wirklich mal einen Kunstkopf bei der Aufnahme von Zeit zu Zeit zur Seite "blicken" lassen - so, als ob ein steiler Zahn auftaucht.