stereoplay Kompendium 1988 - "Grundlagen der HiFi-Technik"
Es müsste aber "Grundlagen der Leitungstheorie" heißen.
von Gert Redlich im Januar 2014 - Unter der Chefredaktion von Karl Breh wurden ab 1984 bis etwa 1988 in jede Ausgabe der stereoplay so ziemlich in der Mitte blaue Seiten mit Grundlagen-Wissen eingeklebt. Diese Seiten wurde später nach Abschluß der ganzen Artikel in einem Kompendium zusammengefaßt. Nach meiner Meinung sind diese Artikel hier nicht Hifi spezifisch, sondern allgemeine akustische und elektrische Grundlagen. Einige Artikel verlangen Ihre volle Aufmerksamkeit und gezieltes "Verstehen Wollen" für diese hochkomplexe Materie. Die einzelnen Verfasser haben sich dennoch bemüht, immer wieder mit plausiblen Beispielen nachzuhelfen. Der Inhalt des Kompendiums steht hier.
Über die theoretischen Grundlagen der "Leitungstheorie" -
Anmerkung zur Einleitung und zum Verstehen :
Dies sind 3 hochtechnische Artikel über die Ausbreitung von Wellen bzw. elektrischen Strömen in Leitungen/Kabeln, die nahezu an die (damals ungeliebten) Physik-Vorlesungen an Hochschulen erinnern. Diese Vorlesungen waren immer "recht trocken" und langweilig. Die Wissensvoraussetzungen sind nämlich recht hoch, sodaß der geneigte Leser sich durchaus trauen sollte, ganze Absätze, die er nicht um jeden Preis verstehen muß, zu überspringen.
Am Ende des dritten Artikels kommt im Schlußbereich das eigentlich verwertbare Ergebnis - und natürlich in unseren "Anmerkungen".
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Grundlagen der HiFi-Technik XLV (45)
Die "Entmystifizierung" des Kabels (Teil 3) aus 1988
von Horst Kiesewetter in 1988 - überarbeitet in 2014 von Gert Redlich
3. Das Rezept
Bisher wurde gezeigt, daß die vier Leitungsparameter Widerstandsbelag R', Ableitungsbelag G', Induktivitätsbelag L' und Kapazitätsbelag C' das Übertragungsverhalten eines Kabels vollkommen bestimmen, bei Berücksichtigung seines Frequenz- und Temperaturverhaltens und gleichzeitiger Erfüllung der Bedingungen: Homogenität des Kabels, kurze Meßlänge sowie Spannungs- und Stromunabhängigkeit der Parameter. Der Zusammenhang zwischen den Leitungsbelägen und dem Dämpfungsund Phasenverhalten eines Kabels wurde formelmäßig dargestellt.
Die eigentliche Frage kommt jetzt :
Doch was hat der nach einer klanglich und meßtechnisch einwandfreien Kabellösung Suchende bisher gewonnen? Er kann lediglich an Hand der gemessenen Parameter die mangelhaften Eigenschaften von HiFi-Kabeln feststellen.
Welchen Weg zur Verbesserung sollte jedoch ein Entwickler einschlagen? Die Formeln für den Dämpfungsbelag a und den Phasenbelag ß sind ziemlich unübersichtlich und daher auf Anhieb nicht so sehr geeignet, um festzulegen welcher Parameter in welcher Weise zur Optimierung eines Kabels gezielt verändert werden sollte.
Die "verzerrungsfreie" (optimale) Leitung
Um einen neuen Ansatz in diese Richtung zu machen, betrachten wir eingehend die elektrische Wirkungsweise von Induktivität und Kapazität: Die Induktivität wirkt wie ein frequenzabhängiger Widerstand, der mit der Frequenz ansteigt, bei damit verbundener Phasennacheilung des Stromes gegenüber der Spannung von 90°. Bei der Kapazität ist die Wirkung umgekehrt, indem dieser Widerstand bei tiefen Frequenzen zunächst groß ist und nach hohen Frequenzen hin abnimmt, bei gleichzeitiger 90°-Phasenvoreilung des Stromes gegenüber der Spannung.
Eine verlockende Möglichkeit
Diese gegenläufigen Eigenschaften von Induktivität und Kapazität deuten die verlockende Möglichkeit an, beide gegeneinander auszuspielen. Man müßte jetzt nur dafür sorgen, daß Induktivität und Kapazität exakt spiegelbildliche Blindwiderstandskurven erzeugen, dann würden sie sich bei Addition zu einer reellen Widerstandsgeraden kompensieren, und die Phasenverschiebung des Stromes wäre Null.
leider nur in der Theorie
Dies ist so einfach allerdings nur bei real nicht existierenden reinen Induktivitäten und Kapazitäten möglich. Bei unseren Kabeln bewirken der Widerstand R und die Ableitung G Abweichungen vom idealen Verhalten, die mit Verlusten beschrieben werden. In der komplexen Zahlenebene, bei der der Elektrotechniker mit großem Vorteil operiert, um komplizierte Zusammenhänge leichter zu überblicken, lassen sich diese Verluste als Winkel darstellen; man spricht dann bildlich von Verlustwinkeln. Die induktiven und kapazitiven Verlustwinkel in unserer Leitungs-Ersatzschaltung ergeben sich mit 8 = arc-tan (R/2 n fL) und ö = arctan (G/2 n fC).
Komplexe Verhältnisse grafisch veranschaulichen
Die reaktiven Wirkungen von Induktivität und Kapazität heben sich gegenseitig auf, wenn deren Verlustwinkel gleich groß sind, also R/2 jt fL = G/2 jt fC.
Wenn dies für alle Frequenzen zutrifft, dann ist der Dämpfungsbelag a linear und der Phasenbelag ß ist proportional zur Frequenz, die Laufzeit also ebenfalls linear.
Damit sind unsere Forderungen an das ideale Kabel erfüllt, und das Rezept für die verzerrungsfreie Leitung wurde gefunden, indem für alle zu übertragenden Frequenzen gelten muß:
R/L = G/C
Auch das ist nicht neu, es ist 100 Jahre alt
Diese einfache Bedingung ist jetzt allerdings keine neue Entdeckung, sondern sie wurde bereits - vor fast 100 Jahren! - nämlich 1890, von dem englischen Privatgelehrten Oliver Heaviside formuliert, einem Neffen des berühmten Wheatestone. Heaviside entdeckte unter anderem den im Teil 1 behandelten Skin-Effekt. Die obige Bedingung wird nach ihm auch „Heavisidesche Relation" genannt.
aber so klappt es nicht
Durch probeweises Einsetzen einiger Zahlenwerte aus den Parameterkurven unserer Beispielkabel (Bild 6 bis 9) ist schnell zu finden, daß die verzerrungsfreie Bedingung bei herkömmlichen sogenannten NF-Kabeln bei tiefen und mittleren Frequenzen weit verfehlt wird.
Warum nur "zweifelhafte" Philosophien
Warum nur wurde bei HiFi-Kabeln die in Fachkreisen bekannte Bedingung für die verzerrungsfreie Leitung in der Vergangenheit mißachtet und wurden stattdessen zweifelhafte Philosophien konstruiert?
Hier bewahrheitet sich offensichtlich eine alte chinesische Weisheit: „Zu wissen, wie man etwas macht, ist nicht schwer. Schwer ist nur, es zu machen."
Die Erkenntnisse von Pupin und Kramp
Dabei haben Pupin 1900 und Kramp 1902 je einen möglichen Weg beschrieben, die verzerrungsfreie Leitung zu verwirklichen. Vor allem der Vorschlag Pupins, die Induktivität mittels in festen Abständen in die Leitung zwischengeschalteter Spulen zu erhöhen, konnte sich bei Fernmeldeleitungen durchsetzen, wogegen die Empfehlung Krarups, dasselbe durch Umwickeln der Leitung mit Eisendraht zu erreichen, vermutlich aus Kostengründen keine große Bedeutung erlangte, obwohl sie vom Standpunkt der Homogenität konsequenter war.
Einsatz bislang nur bei HF-Kabeln
Betrachtet man die Leitungsparameter unter dem neuen, jetzt einfach erscheinenden Gesichtspunkt der Erfüllung der „Heaviside-Relation", so wird sofort klar, daß die Ableitung G bei bekannten „NF-Kabeln" praktisch immer zu klein ist, und daß deren Vernachlässigung zu Null die verzerrungsfreie Leitung in der Realität sogar unmöglich macht; es müßte der Widerstand R ansonsten ebenfalls verschwinden oder die Induktivität unendlich groß werden, was beides nicht möglich ist.
Bei HF-Kabeln ist die Heaviside-Relation tatsächlich in einem weiten Frequenzbereich erfüllt, da dort die Ableitung stark ansteigt.
Anders ist es bei üblichen HiFi-Kabeln
Durch Überprüfen stellt man also schnell fest, daß bei üblichen HiFi-Kabeln R/L immer größer als G/C ist. Um dies zu beheben, müßte in der Gleichung links R kleiner und L größer, sowie rechts G größer und C kleiner gemacht werden.
Es erscheint also durchaus mühelos genügend Spielraum vorhanden zu sein, um jedes beliebige Kabel noch verzerrungsfrei zu bekommen - einmal von der Schwierigkeit abgesehen, dies frequenzunabhängig zu bewerkstelligen.
Doch ein bis jetzt noch nicht berücksichtigter, zur Beurteilung der Kabeleigenschaften äußerst wichtiger, charakteristischer Parameter schränkt den Spielraum für Manipulationen drastisch ein. Diesen zu kennen und zu kontrollieren, ist unabdingbar, damit die verzerrungsfreie Leitung überhaupt voll wirksam werden kann:
Der Wellenwiderstand
Was hat es mit dem Wellenwiderstand auf sich? Wohl jeder weiß, daß man für Fernsehantennenzuleitungen heute 75 Ohm Kabel (früher 240 Ohm Kabel) verwendet. An vielen Tunern finden sich wahlweise zu benutzende Antenneneingänge mit den Bezeichnungen 75 Ohm und 300 Ohm.
Sehr ausführliche Informationen und Erklärungen finden Sie in diesem Buch aus 1960 rechts im Bild ab Seite 202 bis 222. Hier wird anschaulich erklärt, was bei falscher Anpassung mit der oder den Frequenzen auf der benutzten Leitung passiert.
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Ein Beispiel - Antennenkabel (aber weit her geholt)
Würde man die 75 Ohm mit dem Ohmmeter aus dem Antennenkabel herausmessen wollen, so wäre dem wenig Erfolg beschieden. Der Wellenwiderstand kann doch nur etwas für HF-Techniker sein und ist im Audio-Frequenzbereich vollkommen unwichtig?
Die Theorie der Mißachtung
Diese Meinung ist auch unter sogenannten HiFi-Spezialisten leider weit verbreitet. Der Wellenwiderstand erleidet in dieser Hinsicht die gleiche Mißachtung wie der Skin-Effekt, obwohl er eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Leitungskenngröße überhaupt ist.
Aber was für ein rätselhafter Widerstand kann der Wellenwiderstand sein? Haben wir den Widerstand als Leitungsparameter nicht schon ausgiebig genug behandelt? Um die weitverbreitete Fehleinschätzung des Wellenwiderstandes zu revidieren, ist es an dieser Stelle notwendig, ausführlich auf sein Wesen einzugehen.
Man kann ihn (fast) nicht messen
Die Ursache für die mangelnde Bewertung des Wellenwiderstandes liegt sicherlich auch darin, daß er sich einer vordergründig einfachen Vorstellung entzieht - er ist ja nicht einmal mit einem üblichen Meßgerät direkt abzulesen.
Dem Ohmschen Gesetz zufolge drückt der Widerstand das Verhältnis von Spannung zu Strom aus, beispielsweise am Eingang einer Schaltung. Beim Kabel kann man ebenso ein Spannung/Strom-Verhältnis am Eingang bestimmen, doch hängt dieses außer von den Leitungselementen in hohem Maße vom Lastwiderstand am Ende des Kabels ab. Zur Widerstandscharakterisierung eines Kabels sollten jedoch sinnvollerweise nur Werte herangezogen werden, die vom Kabel allein bestimmt werden.
Wellenwiderstand und Widerstandsbelag
Der Widerstand, von dem hier die Rede ist, darf nicht verwechselt werden mit dem bereits eingehend beschriebenen Widerstandsbelag einer Leitung. Jener ist nur ein Bestandteil der gesamten Leitung, während wir jetzt von dem Widerstand als Hindernis reden, das ein Kabel der Fortpflanzung eines Signalzustandes entgegensetzt, und hierbei spielt der Kabelaufbau als Ganzes eine Rolle.
Um beim Kabel ohne Last einen Eingangswiderstand zu bestimmen, gibt es nur zwei eindeutige Zustände, von denen jeder ein Verhältnis von Spannung zu Strom prägt: die Kurzschlußimpedanz Zk und die Leerlaufimpedanz Z,. (Die Lehrlauf-Impedanz ist der Kehrwert der zur Bestimmung der Leitungsparameter verwendeten Leerlauf-Aadmittanz.) Der gesuchte Wellenwiderstand ist nun gegeben durch das geometrische Mittel aus beiden Impedanzen:
Formel
Schon wieder wird es recht kompliziert
Auch der Wellenwiderstand stellt wiederum ein Spannung/Strom-Verhältnis dar, und zwar bezogen nur auf jede Teilwelle, aus der eine fortschreitende Welle besteht, womit die Bezeichnung Widerstand ihre Berechtigung gefunden hat. (Was mit Teilwelle gemeint ist, wird bald ersichtlich werden.) Im Gegensatz zum Leitungswiderstand ist der Wellenwiderstand an jeder Stelle einer homogenen Leitung gleich groß und somit längenunabhängig.
Für die nächsten paar Sätze hatten wir 2 Semester gebraucht
Im übrigen setzt jedes Fortpflanzungsmedium dem fortzupflanzenden Zustand einen dem Wellenwiderstand analogen Widerstand entgegen. So gilt zum Beispiel für die Fortpflanzung einer elektromagnetischen Welle (Radiowelle) im Vakuum ein Wellenwiderstand von
Formel
Wie wir bereits wissen, sind Kurzschluß- und Leerlaufimpedanz komplex und obigem Ausdruck zufolge damit auch der Wellenwiderstand; das bedeutet, man kann ihn durch Real- und Imaginärteil oder Betrag und Phase ausdrücken. Der Betrag des Wellenwiderstandes interessiert uns für die weiteren Betrachtungen ganz besonders. Wir gewinnen ihn aus obigem Ausdruck
mit:
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Formel
Man kann wirklich alles berechnen
Diese Formel ist eine weitere Bestätigung dafür, daß aus den Leitungsparametern allein alle Leitungseigenschaften herleitbar sind.
Nun zurück zu unserer realen Anforderung - Lautsprecherkabel
Berechnen wir den Wellenwiderstand für unsere Beispielkabel, so fällt sofort die starke Frequenzabhängigkeit bei mittleren und tiefen Frequenzen auf (Bild 13). Außerdem liegen die Wellenwiderstände mit ihrem linearen Bereich unterschiedlich hoch (hier von 20 über zirka 40 bis 115 Ohm).
Noch ist nicht geklärt, warum der Wellenwiderstand so wichtig sein soll, haben wir doch gesagt, daß der Dämpfungsbelag a und der Phasenbelag ß die Signalbeeinflussung durch das Kabel erschöpfend beschreiben.
Und wieder die Theorie - das unendlich lange Kabel
Dies ist auch richtig, denn es wurde dabei vom Wellenzustand des Kabels gesprochen, bei dem das Kabel unendlich lang angenommen wurde. Für den wirklichen Kabeleinsatz, ganz besonders bei den kurzen Lösungen im Wohnraum, entspricht dieser Zustand ganz selbstverständlich nicht der Realität. Das Kabel soll schließlich irgendwelche Komponenten verbinden, um einen Signaltransport zu bewerkstelligen. Es wird dabei zwangsläufig am Ende mit einer gegebenen Lastimpedanz abgeschlossen.
Der Vergleich mit der Ausbreitung des Lichts
Was bedeutet diese veränderte Situation für das Signal, das sich zunächst unter vom Wellenwiderstand geprägten Bedingungen im Medium Kabel fortpflanzt?
Es wird, am Ende angelangt, feststellen müssen, daß ein neues Medium mit veränderten Fortpflanzungsbedingungen beginnt. Aus der Physik wissen wir, daß bei analogen Fällen des Übergangs von einem Medium in ein anderes Brechung und Reflexion stattfinden. Beispiele hierfür sind die Lichtbrechung und -reflexion an der Wasseroberfläche oder an Temperaturgrenzen in der Luft (Luftspiegelung), aber auch die in diesem Forum geläufigeren Schallreflexionen sind durch Mediumübergang verursacht. Die Reflexion entspricht beim Kabel einer Richtungsänderung des Signals und die Brechung einer Phasenverschiebung.
Auch da gibt es Reflexionen
Elektrisch ist die Reflexion dadurch zu erklären, daß durch den Abschlußwiderstand am Ende des Kabels ein Spannung/Strom-Verhältnis erzwungen wird, das von dem abweicht, welches durch den Wellenwiderstand gegeben ist.
Die Energiebilanz der hinlaufenden Welle und rücklaufenden Welle
Die Energiebilanz kann nur dadurch aufrechterhalten werden, indem ein Teil der Energie wieder zurück zum Eingang geschickt wird. Es tritt dann zusätzlich zur hinlaufenden Welle eine rücklaufende Welle auf, für die wiederum die gleichen Fortpflanzungsbedingungen gelten, also Spannung/Strom-Verhältnis gemäß Wellenwiderstand. Durch Überlagerung beider Wellen ergibt sich ein vom Wellenwiderstand abweichendes Spannung/-Strom-Verhältnis, nämlich das, das man durch direkte Messung ermitteln kann.
Endlich die korrekte Erklärung des „Wellen"-Widerstandes
Von diesem Zusammenhang rührt also zu Recht die Bezeichnung „Wellen"-Widerstand, weil er nur für jede einzelne dieser Teilwellen gilt; deshalb ist er auch bei Auftreten von hin- und rücklaufenden Wellen mit einer einfachen Methode schlecht zu messen. Beim Kabel im Wellenzustand existiert nur die hinlaufende Welle. Der Wellenwiderstand ist also derjenige Widerstand eines Kabels, den man am Eingang messen könnte, wenn das Kabel unendlich lang wäre.
Die Reflexion muß verhindert werden
Oder anders ausgedrückt: Will man Reflexion verhindern, dann muß man ein kurzes Kabel in ein scheinbar unendlich langes verwandeln, indem es am Ende mit seinem Wellenwiderstand abgeschlossen wird. Der Lastabschluß mit Wellenwiderstand täuscht dem Signal ein unendlich langes Kabel vor. Das Signal wird dann vollkommen von der Last absorbiert, so als ob es sich immer weiter fortpflanzen würde. Diesen angestrebten Fall, daß der Lastwiderstand dem Wellenwiderstand entspricht, nennt man Wellenanpassung.
Die Leistungsanpassung ist Teil der Wellenanpassung
Es gibt noch andere Arten der Anpassung, zum Beispiel die Leistungsanpassung. Im Sonderfall der Wellenanpassung liegt auch Leistungsanpassung vor. Ansonsten bezeichnet Leistungsanpassung das mögliche Optimum der Leistungsübertragung, die nur bei gleichzeitiger Wellenanpassung 100% und in allen anderen Fällen kleiner ist. Die Wellenanpassung spielt von jeher dort eine große Rolle, wo Energie sehr teuer ist, etwa bei Sendeanlagen, die nur mit großer Leistung die gewünschte Reichweite erzielen. Jeder Funkamateur stimmt aus diesem Grund seine Antenne auf die Leitung ab, nicht nur, um selbst große Sendereichweiten zu erzielen, sondern vor allem auch, um schwache Empfangssignale nicht durch Reflexion zu verlieren. Auch Energieversorgungsunternehmen berücksichtigen bei Überlandleitungen die Anpassung.
Über die Fehlanpassung
Warum soll dies alles auch für HiFi wichtig sein? Leistung ist hier ja nicht unerschwinglich teuer! Tatsächlich ist jedoch bei Fehlanpassung leider nicht nur ein linearer Leistungsverlust zu beklagen, sondern dieser ist in der Regel auch frequenzabhängig, so wie der Wellenwiderstand und die Lastimpedanz frequenzabhängig sind, was unsere oberste Generalforderung nach formtreuer Signalübertragung im Kern betrifft.
Der Reflexionsfaktor
Die Fehlanpassung bei einer bestimmten Frequenz kann man mit dem Verhältnis ausdrücken, welches die Spannung der reflektierten (rücklaufenden) Welle im Verhältnis zur Spannung der hinlaufenden Welle hat, was genauso für den Strom gilt. Dieses relative Verhältnis ist ein dimensionsloser Faktor, der sich - ähnlich wie beim Dämpfungsbelag a - zwischen 0 bei Wellenanpassung und 1 bei Totalreflexion bewegen kann und wird Reflexionsfaktor genannt.
Die Berechnung des Reflexionsfaktors
Dieser ist mit elementaren Überlegungen quantitativ herleitbar: An der Last Z, dem Ort der Reflexion, addieren sich die Spannungen der Teilwellen U1= U-hin+U-rück und subtrahieren sich deren Ströme I1=I-hin-I-rück. Für die Teilwellen gilt als Spannung/Strom-Verhältnis der Wellenwiderstand Zw, also I-hin . . . . . . . . . .
Nach Auflösen erhält man:
Nein, das müssen Sie nicht unbedingt verstehen !!
Der Reflexionsfaktor ist bei komplexem Wellenwiderstand und komplexer Last ebenfalls komplex. Wenn wir uns für die Beträge der Spannungen und Ströme interessieren, so wirkt auch nur der Betrag des Reflexionsfaktors. Zeichnen wir den Betrag des Reflexionsfaktors unserer Beispielkabel bei 8 Ohm reeller Last auf, so kommt das ganze Ausmaß des Dilemmas an den Tag (Bild 14).
Erinnern wir uns, daß ein Reflexionsfaktor von 1 Totalreflexion bedeutet, und r=0,5 besagt, daß an der Last nur die halbe Eingangsspannung zur Verfügung steht.
Auch das kann man wieder berechnen
Im HiFi-Bereich sind wir gewohnt, in Amplitudenfrequenzgängen zu denken und zu vergleichen, daher wäre es interessant zu wissen, wie sich die durch Reflexion verursachte Pegelminderung in dB ausdrücken läßt.
Analog der Pegelminderung durch die Kabeldämpfung, die mit 20log(1-a) berechnet wurde, können wir die Pegelminderung durch Reflexion mit 20log(1-r) angeben (Bild 15).
Es betrifft denTieftonbereich - die Kurven
Beim Betrachten dieser Kurven wird das erste Erschrecken über die Größenordnung der Amplitudenbedämpfung im Tieftonbereich sicherlich dem Zweifel weichen, ob dies alles seine Richtigkeit hat.
12dB Bedämpfung und mehr, das kann es doch niemals geben? (Was passiert, wenn ein 50Ohm HF-Kabel als Kleinsignalkabel mit lOOkOhm abgeschlossen wird, bleibe vorläufig der Phantasie des Lesers überlassen.)
Es ist mühevoll, sehr sehr genau hinzuhören
Warum sind Klangunterschiede bei Kabeln trotzdem relativ mühevoll auszumachen und jahrzehntelang ignoriert worden?
Die Antwort hat zweierlei Aspekte. Zum einen liegt in aller Regel auch ohne Kabel Fehlanpassung vor: Die Eingangsimpedanz der Endstufe stimmt mit der Ausgangsimpedanz der Vorstufe nicht überein; der Innenwiderstand des Endstufenausgangs unterscheidet sich gravierend von der Lautsprecherimpedanz. Auf diese Weise relativiert sich die Fehlanpassung durch das Kabel.
Anmerkung : Man wußte es seit langem.
Über viele Jahre und in ganz vielen Tests in fast allem Magazinen wurde immer wieder propagiert:
Der Ausgang des jeweiligen Verstärkers / Bandgerätes / Tuners solle möglichst "niederohmig " sein und der Eingang des nachfolgenden Verstärkers solle möglichst "hochohmig" sein.
Alleine in der Ton-Studio Technik beim Rundfunk und Fernsehen war immer von gleichartigen angepaßten Ein- und Ausgängen die Rede. Das sind im Studio immer diese bekannten und genormten 600 Ohm auf beiden Seiten.
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Reflexionsfreie Kabelverbindungen ohne Pegelverlust
Bei reflexionsfreien Kabelverbindungen tritt dieser Pegelverlust nicht ein. Sie können daher bei gleichem Dämpfungsverhalten lauter „klingen" als Normalkabel, und vor allem wird die ganze Tieftonleistung von der Last absorbiert.
Dieser Umstand wird ihnen dann gelegentlich bei Klangvergleichen in Umdrehung der Tatsachen als Baßbetonung angekreidet, dabei sind es die Lautsprecherboxen, die jahrzehntelang mit falschen Kabeln auf „Baßtüchtigkeit" getrimmt wurden.
Die Äpfel und die Birnen
Überhaupt ist bei Kabelhörvergleichen infolge undefinierter Anpassungsverhältnisse die Wahrscheinlichkeit überwältigend, daß nicht Kabel, sondern Äpfel mit Birnen verglichen werden.
Warum muß man da so genau hinhören ?
In weiterer Beantwortung unserer Frage, warum derart gravierende Pegelverluste sich nicht ebenso deutlich hörbar machen, muß gesagt werden, daß wieder einmal - wie so oft - der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben, aus der Not eine Tugend gemacht wird: Die infolge Reflexion zurücklaufende Welle trifft am Kabeleingang ebenfalls auf eine Fehlanpassung, bei der ein anderer Reflexionsfaktor gilt.
Die Teilreflexion
Nach nochmaliger Teilreflexion erscheint sie geschwächt ein zweites Mal am Ausgang und wird erneut teilweise absorbiert, teilweise reflektiert. Dieses Spiel wiederholt sich, bis die Energie durch Leitungsdämpfung und Absorption aufgebraucht ist.
Die Lastreflexion und die Mehrfachreflexion
Damit wird die durch alleinige Lastreflexion verursachte gewichtige Dämpfung energetisch gemindert, doch bedeutet dies, daß jedem Impuls ein Schwanz an Mehrfachreflexionen folgt. Würde also am Kabeleingang Anpassung vorliegen, so würde die in Bild 15 gezeigte Dämpfung voll wirksam werden. Die eingangsseitige Anpassung würde bei Fehlanpassung am Ausgang zumindest Mehrfachreflexionen verhindern.
Bei reflexionsfreier Anpassung am Ausgang ist die Eingangsanpassung vom Kabelstandpunkt aus allerdings nicht mehr notwendig.
Nocheinmal das Beispiel mit den Fernsehantennenkabeln
Kommen wir hier noch einmal zurück zu unseren Beispielen mit Fernsehantennenkabeln. Dort ist man sich der Problematik durchaus bewußt.
Werden Fehler gemacht durch Einsatz falscher oder minderwertiger Kabel mit abweichendem Wellenwiderstand oder durch Mehrfachanschlüsse parallel an einer Zuleitung ohne entsprechende Anpassungsglieder, so treten am Fernsehschirm störende Geisterbilder auf, verursacht durch Mehrfachreflexionen an den Fehlanpassungsstellen. Und eben dasselbe spielt sich bei Verbindungen unserer HiFi-Gcräte ab. Was wir hören sind nicht gestochen scharfe Klangbilder, sondern verzerrte und verschwommene Klang-Geisterbilder!
Anmerkung : Endlich kann ich etwas dazu beitragen
Denn das war mein Studienschwerpunkt - die Hochfrequenztechnik.
Warum hinkt das Beispiel mit dem Antennenkabel ? Bei genauerem Untersuchen der weiter vorne genannten Formeln fehlt der Bezug zum jeweiligen Signal-Pegel. Denn die Folgeeffekte bei nicht angepaßten Kabeln (Reflexionen und Echos) sind in der Praxis sehr wohl pegelabhängig. Und bei den Antennenkabeln geht es um geringste Spannungen und Ströme, und die sind erheblich kleiner als die 0dB (1,5 Veff) NF-Pegel in der Studiotechnik oder gar bei unseren 30 Volt Lautsprecherleitungen. Auch spielt die absolute Frequenz eine ganz erhebliche Rolle. Unterhalb von 20.000 Hz gelten die ganzen HF-Erkenntnisse nur noch bedingt.
Auch der Vergleich mit der historischen Fernmeldeleitung hinkt etwas, weil die dortigen Anforderungen sich auf niedrigste Signal-Pegel und auf Leitungslängen von 30km und mehr (zwischen den Verstärkerstufen) beziehen. Alleine für die Theorie der unendlich langen (angepaßt abgeschlossenen) Leitung ist dieses Beispiel zutreffend.
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Die teuren Voodoo Kabel
Was verspricht Abhilfe? Nicht das Versilbern der Leitungen, auch nicht Drähte aus 24 Karat-Massivgold und erst recht nicht das Versprechen der Werbung, daß die NASA-Astronauten dieses Material zum Schnüren ihrer Stiefel verwenden, sondern einzig und allein muß als Konsequenz die Anpassung der Last an den Wellenwiderstand des Kabels oder umgekehrt des Wellenwiderstandes an die Last gefordert werden.
Die modischen Stegleitungen
Wie steht es in diesem Zusammenhang mit den modischen Stegleitungen bei Lautsprecherkabeln? Hat ihre Existenz noch einen anderen tieferen Hintergrund, außer daß sich der Steg hervorragend für Werbezwecke bedrucken läßt und man an der Farbgebung endlich die unterschiedlichen Preisklassen erkennen kann, wenn man sie schon nicht hört?
Stegleitungen sind so wenig verzerrungsfrei wie andere auch. Ihr Wellenwiderstand jedoch wird nicht wie angestrebt niederohmig, sondern steigt bis aufs Doppelte von Normalkabeln, also bis über 200 Ohm (siehe auch Proximity-Effekt in Teil 1). Daß sie entsprechend anders klingen, liegt auf der Hand, und nur darauf scheint es wohl anzukommen. Es ist schon erstaunlich, was dem HiFi-Liebhaber an atemberaubendem Fortschritt zugemutet und von diesem auch akzeptiert wird!
Überanpassung kontra Unteranpassung
Die Frequenzabhängigkeit des Wellenwiderstandes von Normalkabeln vor Augen, scheint es unmöglich zu sein, eine Anpassung herbeizuführen. Ein Grund mehr, bei Kabeln die Verzerrungsfreiheit anzustreben, denn die Erfüllung der Heaviside-Relation beinhaltet, daß der Wellenwiderstand im ganzen Übertragungsbereich reell und linear ist.
Umgekehrt bedeutet ein vom Wellenwiderstand abweichender Abschluß einer ansonsten verzerrungsfreien Leitung aber auch, daß diese nicht voll wirksam werden kann.
Bei einer Überanpassung (Lastwiderstand größer als Wellenwiderstand) tritt zunehmend die Leitungskapazität in Erscheinung; bei Unteranpassung (Lastwiderstand kleiner als Wellenwiderstand) wirkt zunehmend die Leitungsinduktivität.
Solche kapazitiven und induktiven Anpassungsfehler tragen übrigens stark zu einer Verformung und Verlängerung von Rechteckimpulsen (Digitaltechnik) bei.
Ein Lösungsansatz
Die Verzerrungsfreiheit eines Kabels würde also durch Fehlanpassung wieder zunichte gemacht. Folglich müssen wir in unsere „Kabelrezeptur" den Abschluß mit Wellenwiderstand einbinden.
Setzen wir die Formel für den Wellenwiderstand in die Heaviside-Relation ein, so ergibt sich die Beziehung:
Formel
Wir wollen sie als erweiterte Heaviside-Relation bezeichnen. Nur Kabel, die dieser Beziehung im ganzen Audio-Frequenzbereich genügen, sind wirkliche NF-Kabel. Alles andere ist schlichtweg Etikettenschwindel!
Realisierung von verzerrungsfreien Lautsprecher-Kabeln
Das Vorgehen zur Verwirklichung von NF-Kabeln ist durch unsere „Rezeptur" vorgezeichnet. Zunächst entscheidet man sich, für welchen Lastabschluß das Kabel eingesetzt werden soll: beim Lautsprecherkabel zum Beispiel nominal 4 oder 8 Ohm.
Dies ist leider wiederum ein Kompromiß, denn nur wenige Lautsprecherboxen haben eine lineare und reelle Impedanz von 8 Ohm. Und wenn schon, dann meistens auch niedriger: Nach DIN kann das Impedanzminimum für 8 Ohm-Boxen bis 6,4 Ohm sinken, was von den Chassisherstellern gern ausgenutzt wird, weil es höheren Wirkungsgrad bedeutet.
Die Grenzen sind eng gesteckt
Liegt der Lastabschluß fest, so grenzt die erweiterte Heaviside-Relation den Spielraum für die Leitungsparameter ein. Über die Leitungsgeometrie sind die Induktivität und die Kapazität, wie wir wissen, gewissermaßen aneinander gekoppelt.
Der Widerstand resultiert ebenfalls aus der Leitungsgeometrie und hat Einfluß auf die Induktivität. Die Ableitung schließlich hängt vom Dielektrikum und der Geometrie und damit wiederum von der Kapazität ab. Mit anderen Worten: Bei jedem Entwicklungsschritt zur homogenen, verzerrungsfreien Kabellösung müssen jedes Mal sämtliche Leitungsparameter gleichzeitig geändert werden.
Nicht jede Theorie ist praktisch machbar
Eine langwierige, mühevolle und trickreiche Gratwanderung kann letztlich zum Ziel führen. „Kann" deshalb, weil nicht alle eventuell gewünschten Wellenwiderstände ohne weiteres zu realisieren sind, hohe Werte für den Wellenwiderstand schon gleich gar nicht.
Das in 1988 !!! einzig bekannte 8 Ohm Kabel
Das einzige bekannte Beispiel für ein solchermaßen entstandenes NF-Kabel ist das OCOS DC8 (Bild 16 bis 20 und stereoplay 7/87; die Aussagen beziehen sich allein auf das Kabel ohne den sogenannten „Converter"). Beim OCOS DC8 wurde der Trick angewandt, die Ableitung durch „Verunreinigung" des Dielektrikums auf das erforderliche Maß zu erhöhen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, durch künstlichen Eingriff Abweichungen einzelner Parameter vom theoretisch geforderten Wert zu beheben.
Wie funktionieren "Korrigierte Kabel" ?
Sie werden durch Einbau konzentrierter Bauelemente in regelmäßigen Abständen in das Kabel verwirklicht, so daß für die Leitung als Ganzes die Heaviside-Relation erfüllt wird. Dieses Vorgehen ist leider nicht bei jedem Kabel möglich und setzt wegen der Frequenzunabhängigkeit der diskreten Bauelemente bereits frequenzunabhängige Leitungsparameter voraus.
Dennoch ist diese Methode flexibler und gezielter einsetzbar, durch den hohen manuellen Arbeitsaufwand leider jedoch auch relativ kostspielig. Der Urvater eines korrigierten Kabels ist die pupinisierte Fernmeldeleitung; ein aktuelles Beispiel ist das TRANSenergy Correct Z8 Lautsprecherkabel (Bild 16 bis 20 und stereoplay 7/87).
Man benutzt Tricks ähnlich der Pupin-Theorie
Es ist klar, daß punktuell korrigierte Kabel im Inneren nicht mehr als homogen anzusehen sind. Tatsächlich bestehen sie aus einer Aneinanderreihung von homogenen Teilstücken mit dazwischen befindlicher Stör- oder Stoßstelle von ganz bestimmter Beschaffenheit, und zwar derart, daß die Stoßstelle das zugehörige Leitungsstück mit komplexem Verhalten zu einem reellen kompensiert.
Es liegt also konjugiert komplexer Abschluß der Teilstücke vor, was mit Leistungsanpassung gleichzusetzen ist. Nach außen verhält sich das Kabel reell, also verzerrungsfrei.
Die Antwort und das Resume von 1988 !!
Verzerrungs- und reflexionsfreie echte NF-Kabel für den engagierten HiFi-Liebhaber: Das ist die Antwort, die die Leitungstheorie dem Kabellatein der HiFi-Münchhausens entgegensetzen kann. Dies heißt nicht, daß es nicht über die Leitungstheorie hinausgehende Ansatzpunkte für weitere Erforschung von heute noch ungeklärten Phänomenen geben kann. Doch wer sich damit zu befassen wagt, sollte die Möglichkeiten auf der Grundlage der Leitungstheorie erst überzeugend ausschöpfen, will er noch ernstgenommen werden und sich nicht der Scharlatanerie verdächtigen lassen.
Weitere Literatur:
P. Vielhauer: Lineare Netzwerke, VEB Verlag Technik 1982
H.-G. Unger: Elektromagnetische Wellen auf Leitungen, Hüthig Verlag 1986
W. Hilberg: Impulse auf Leitungen, Oldenbourg Verlag 1981
U. Freyer: Die Fehlanpassung, Franzis Verlag 1984