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Juni 1979 - ein Vorbericht über eine Art CD im "fonoforum"
von Gert Redlich im Aug. 2015 - Es gab ja Ende der 1970er Jahre nicht nur einen Grund, warum der Hifi Markt in sich zusammenbrach. Das Überangebot, die stetig fallenden Preise, der Leidensdruck der Japaner, ihre Massenproduktion abzusetzen und jetzt das Gemunkel und die teilweise geschürten Spekulationen über eine digitale Schallplatte mit ungeahnten Qualitäten, das war der Tropfen, (der das Faß zum Überlaufenbringt,) vor dem alle gezittert hatten.
Und jetzt rammte Philips Fakten in den Markt und spielte seine Marktmacht bei den Plattenfirmen aus. Siemens hatte seine Anteile an der "Deutschen Grammophon" an Philips verkauft und Philips hatte noch andere - einen nach dem anderen - aufgekauft. In dem Artikel ist noch kein Wort über SONY drinnen, doch hinter den Kulissen wurde mit Sicherheit schon verhandelt oder bereits kooperiert.
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Juni 1979 fonoforum - Kommt eine neue Schallplatte?
Die mechanische Schallabtastung ist schon über hundert Jahre alt. Die Perfektion ist fast erreicht. Der Tonabnehmer muß bei leisen Stellen Rilleninformationen weit unter einem Mikrometer abtasten. Dabei sollte der Fehler einen Millionstel Millimeter nicht überschreiten. Schon bei geringem Staub gerät die ganze Perfektion außer Kontrolle. So ist es nicht verwunderlich, daß viele Labors eine bessere Schallspeicherung auf elektronischem Wege suchen. Wie weit sind diese Versuche jetzt?
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- Anmerkung : Der Artikel ist von 1979 und die Perfektion der analogen Rillentechnik war wirklich bereits am oberen Ende des physikalisch Möglichen angekommen.
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100 Jahre Schallplatte
Seit der Erfindung der Schallplatte vor mehr als 100 Jahren hat sich daran kaum wesentliches geändert. Sicher, die Verbesserungen sind unübersehbar. Der Klang näherte sich immer mehr dem Original.
Aber prinzipiell ist alles beim alten geblieben. Bei der Aufnahme wird die Tonschrift mit einem geheizten Stichel in eine Lackplatte geschnitten. Davon wird ein Druckstock aus Metall hergestellt, der dann die Schallplatte aus einer Kunststoffmasse preßt.
Früher war es Schellack, heute der Kunststoff PVC. Beim Abspielen werden die Schallrillen wieder mechanisch abgetastet. Anfänglich mit einer Stahlnadel, die ihre Bewegung direkt auf eine Membran übertrug; später verstärkte man das abgetastete Signal elektrisch und führte es erst dann einer Lautsprechermembran zu.
Kaum noch Verschleiß mit Diamanten
Heute tastet man die immer feiner gewordenen Schallrillen mit winzigen Diamanten ab, die kaum mehr einen Verschleiß verursachen. Die Qualität ist jetzt wesentlich verbessert, aber die Schallplatte ist immer anfälliger für Staub, Kratzer und Verwellungen geworden. Mit der heutigen perfektionierten Elektronik, die kleinste Nuancen der Musik wiedergibt, werden auch Störungen immer hörbarer.
Neue Wege - neue Probleme
Schon lange war die anachronistische mechanische Abtastung den Elektronik-Spezialisten ein Dorn im Auge. In den Labors experimentierte man mit magnetischen Platten und digitalen Systemen. Versuchsmuster wurden von verschiedenen Herstellern gezeigt.
Jetzt stellte der Elektronikriese Philips eine digital gespeicherte Schallplatte vor. Einige Hundert Journalisten lauschten den Klängen dieser Zukunftsplatte.
Der Saal mit donnernden Klängen
Mit mehreren Monitor-Lautsprechern (Philips 545, Test siehe FONO-FORUM 1/1979) wurde der Saal mit donnernden Klängen gefüllt.
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Dann folgten leise Stellen, denn dies ist der Vorteil des neuen Mediums: Das Rauschen ist viel geringer, also gehen Pianissimostellen nicht mehr in einem „Wasserfall" unter.
Nur, so richtig demonstrieren konnte man diesen Vorteil in Holland nicht, denn die Geräusche im gefüllten Saal waren unüberhörbar. Besser als eine herkömmliche Schallplatte wars allemal, so gut, daß ein Witzbold ein Spulentonband unter dem Tisch vermutete.
Doch die neue „Compact-disc", wie sie von Philips genannt wird, hat noch andere Vorteile.
Mit der Computer-Technik
Aufgezeichnet wird nicht mehr in herkömmlicher Technik „analog", sondern wie im Computer „digital". Das heißt, die Schlangenlinie der Schallinformation wird in kleine Teile zerhackt. Übrig bleibt keine mehr oder wenig gekrümmte Linie, sondern nur noch Striche unterschiedlicher Länge mit verschieden langen Pausen dazwischen.
- Anmerkung : Das war das erste Produktionskonzept von 1978/79. Das wurde später erheblich verändert.
Diese Information wird einer Folie von 0,16 Tausendstelmillimeter Dicke spiralförmig wie bei der Schallplatte eingepreßt. Dann wird sie von einer transparenten Schutzschicht überzogen.
Beim Abspielen tastet ein Laserstrahl die Striche von unten ab und wandelt sie wieder elektronisch in Musik um. Staub und Kratzer stören nur, wenn sie sehr stark sind, denn der Schärfepunkt des Lasers liegt auf der Folie, unter der Schallplattenoberfläche. Also „sieht" er Störungen kaum, da er sie nur als unscharfen Fleck wahrnimmt und nicht auswertet.
Ein Beispiel aus der Optik
Ein ähnlicher Effekt tritt auf, wenn man den Finger nahe vor ein Fotoobjektiv hält, das auf größere Entfernung eingestellt ist. Einfach zu demonstrieren ist dies mit einer Spiegelreflexkamera. Beim Betrachten der Landschaft im Hintergrund stört der Finger kaum, er wird fast durchsichtig und ist nur als leichter Schatten sichtbar.
Hochsensible Systeme
Die Laser-Elektronik wertet aber nur eindeutige Signale wie „hell" und „dunkel" aus. Daher treten Störungen erst auf, wenn sie sehr groß sind und da auch nur kurzzeitig, da die Platte sehr schnell dreht (ca. 5 Umdrehungen pro Sekunde!).
Damit die Schärfe immer auf der Folienebene liegt, auch bei verwellter Platte, regelt die vordere Linse der Laseroptik dauernd nach. Dies muß sie sehr schnell (Tauchspulprinzip wie beim dynamischen Lautsprecher) können, denn die Platte dreht sich am Anfang mit 500 Umdrehungen pro Minute, am Schluß mit 215.
Variable Drehzalsteuerung
Diese unterschiedliche Drehzahl ist dem veränderten Plattenradius zuzuschreiben, denn wenn sich der Laser mit konstanter Geschwindigkeit von 1,25 m/sec durch die Spur bewegt, ist die Ausnutzung des Systems am besten.
Nur 11,5cm Durchmesser
Die Platte ist nur einseitig bespielt und speichert bei einem Durchmesser von 11,5cm eine Stunde Information. Somit lassen sich problemlos tausend Stunden Musik in einem Aktenkoffer transportieren. Auch wenn man drei Stunden hört pro Tag reicht's fast für ein Jahr!
Ein Plattenspieler für 500,- DM
Trotz mehr Musik pro Platte soll diese billiger als eine LP sein, man schätzt 15,- DM.
- Anmerkung: Das wure anfänglich kräftig ins Gegenteil verkehrt. Die Platten waren ab 1984 bis 1990 deutloich teurer als Vinyl Platten.
Der Plattenspieler kostet in einfacher Ausführung ca. 500,- DM. Ist der (völlig ungefährliche) Festkörper-Laser nach etwa fünf Jahren ausgebrannt, kostet Ersatz unter 50,- DM, weniger als ein gutes Tonabnehmersystem heute.
- Anmerkung: Das war die damalige Vorstellung der Philips Strategen, die heute (in 2012) leider völlig daneben liegt. Von Sony zum Beispiel wird kein Austausch Laser für ältere CD-Spieler auch aus der ES Klasse mehr angeboten.
Die Qualität, speziell bei Rauschen, Klirren und Tonhöhenschwankungen, übertrifft die besten Studiobänder. Also die Idealplatte?
Vergleich zwischen der herkömmlichen Schallplatte und dem Vorschlag von Philips für eine laserabgetastete Zukunftsschallplatte
Der Vergleich
Compact-disc | konventionelle LP | |
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Benutzer Eigenschaften | mechanisch unempfindlich | mechanisch sehr empfindlich, spez. bei Staub, Kratzer, Wärme |
Spielzeit | 1 Stunde | 2 x 25 Minuten |
Plattendurchmesser | 11,5 cm | 30 cm |
Kanäle | 2 (bei halber | 2 (bei reduzierter |
Spieldauer 4 etc.) | Qualität 4) | |
Frequenzumfang | 20 kHz | 20 kHz |
Dynamik | 85 dB | max. 60 dB |
Verzerrungen | 0,05% | 0,5% |
Kanaltrennung | 80 dB | 30 dB |
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Wo ist der Haken?
Die Zukunft hat noch nicht begonnen! Was Philips der Presse zeigte, war ein publizistischer Schachzug. Es gibt weltweit mehrere unterschiedliche Versuchs-Systeme von Zukunftsplatten.
Speziell japanische Firmen zeigen Schallplatten von 30cm Durchmesser mit 3 Stunden Spielzeit. Diese großen Scheiben rotieren mit hoher, konstanter Umdrehungszahl und werden auf Bildplattenspielern abgespielt.
Während Philips einen recht preisgünstigen Schallplattenspieler und einen teuren Bildplattenspieler für Ton und Bild einsetzt, lassen sich auf den japanischen Modellen beide Platten wahlweise abspielen. Aber wer kauft schon einen teuren Bildplattenspieler, wenn er nur Musik hören möchte ?
Auch ist die lange Spielzeit der großen Platten kein Argument. Meist muß man sich so ganze Werkkopplungen kaufen, auch wenn man nur eine einzige Sinfonie hören möchte. Diese Platte dürfte etwa um 50,- DM kosten.
Nachteil: Bildplattenspieler sind länderspezifisch
Das größte Hindernis ist aber, daß diese Schallplatten mit der jeweiligen Fernsehnorm verbunden sind. Platten aus USA (NTSC-System) können weder in Frankreich (SECAM), noch in Deutschland (PAL) abgespielt werden. Ein Problem nicht nur für Touristen, sondern auch für Importeure.
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Qualitätsnachteil der CD - nur 14 Bit
Die Philips Compact-Disc hat aber auch einen Nachteil. Zur Codierung benutzt sie 14 bit; die Japaner 16 bit, was zwar eine geringe Reduzierung der Spieldauer mit sich bringt, andererseits aber durch die genauere Auflösung eine wesentlich höhere Qualität. Die Leute in den Aufnahmestudios verlangen heute mindestens 16 bit, um eine optimale Klangqualität zu erreichen.
Das Idealsystem
Die ideale Zukunftsplatte wäre die Philips Compact-Disc, aber mit 16-bit-Codierung. Wenn jetzt die höchste Qualität noch nicht angestrebt wird, passiert ähnliches wie mit der MusiCassette, die im Laufe der Jahre mit verschiedenen Bandsorten und unterschiedlichen Geräteeinstellungen auf HiFi gequält wurde. Der Aufwand ist beträchtlich, und welche Cassette welche Einstellung von Entzerrung und Vormagnetisierung benötigt, wissen die wenigsten.
- Anmerkung: Der Autor Guido J. Wasser hat damals 1979 schon erkannt, daß man sich auch bei der Philips CC Magnetband-Kassette am Rand des physikalisch Machbaren bewegte.
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Es kann sich noch viel ändern
(tat es auch)
Aber Philips hat sich beim elektrischen System noch nicht festgelegt. Bei der Vorführung spielte zwar der kleine Plattenspieler, aber seine Elektronik war in großen Kisten unter dem Tisch versteckt. Um die komplizierten Schaltungen klein zu halten, müssen erst die ICs dafür gebaut werden und die sind noch nicht einmal geplant.
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Über die Präsentation vom April 1979
Die Laserplatte, die vorgeführt wurde, war in konventioneller Technik mit Tonband und Mischpult aufgenommen worden. Rauschen und Verzerrungen stammten also daher. Für die Compact-Disc müssen aber alle Produktionen mit digitalen (PCM-)Maschinen aufgenommen und über digitale Mischpulte verarbeitet werden. Sonst kann das neue Medium nicht annähernd ausgenutzt werden.
Im Studiobereich werden Verhandlungen über ein einheitliches System durch die amerikanischen Anti-Thrust-Gesetze behindert. Jetzt hat man in Tokyo ein Kontaktbüro zur Normung eingerichtet.
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Momentan laufen zwar bei Musikproduktionen PCM-Maschinen mit, aber man spricht noch nicht ernsthaft von diesen Aufzeichnungen. Teilweise verzerren sie auch noch kräftig, da die Aussteuerungsmesser der Studios mit 10 ms Einschwingzeit auf die gutmütig reagierenden Bandmaschinen ausgelegt sind. Digitale Aufzeichnungen verzerren bei Übersteuerungen sofort kräftig, was das schnelle Ohr erkennt.
- Anmerkung: Per Definition kann ein digitals System keine Pegel über 0dB verarbeiten, darum hat man ja auch die 85dB mit solch großen Reserven.
Also wird die digitale Platte noch einige Jahre auf sich warten lassen, da es weder eine Normung für sie, noch für die Studios gibt.
Die Chancen für das Philips-System stehen gut
Das Philips-System wird sich voraussichtlich durchsetzen, da dieser Konzern mit der Deutschen Grammophon Gesellschaft, Phonogramm und Polygramm über mehr Plattenproduktion und -verkauf als die Japaner verfügt.
- Anmerkung : Philips hatte die Deutsche Grammophon GmbH von der damaligen Mutterfirma Siemens erworben / übernommen.
Die riesige Dynamik von ca. 85dB kann in normalen Wohnzimmern kaum ausgenutzt werden, doch dürften praktische Vorteile wie Unempfindlichkeit gegen mechanische Beschädigung und Kompaktheit wichtiger sein.
Mitte der 80er Jahre wird ein kleines Programm an Platten und Abspielgeräten verfügbar sein, aber bis das Repertoire die LP überflügelt hat, werden sicher 20 Jahre vergehen.
Der konventionelle Plattenspieler wird noch länger neben dem Lasergerät an der HiFi-Anlage angeschlossen bleiben. Wo soll man sonst seine LPs abspielen?
Den Artikel hatte Guido J. Wasser im Mai 1979 geschrieben.
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Unser Kommentar
Wie ganz oben gesagt, wissen wir heute alles besser. Guido J. Wasser vom fonforum war anscheinend dieser neuen Technologie gegenüber sehr skeptisch eingestellt - im Gegensatz zu Karl Breh, dem Chefredakteur der konkurrierenden Hifi-Stereophonie, der als Diplomphysiker die Tragweite dieser Entwicklung ganz anders eingeschätzt hatte und von Anfang an begeistert war.
Heute wissen wir, es war ein gigantischer Umbruch im Speichern von Musik und Daten, auch wenn er (in dieser Form) in 2012 nahezu wieder vorbei ist.
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