Gerhardt Ronnebergers Autobiographie - Deckname "SAALE" - aus 1999 - ein Generaldirektor erzählt .....
Gerhardt Ronneberger, geboren im März 1934 in Saalfeld († 2013 ?) schreibt 1999 in seiner Autobiographie (1982–1999) auf etwa 370 Seiten, wie es wirklich zuging beim MfS, der Stasi und den Betrieben in der "Deutschen Republik". Da er nie in einem richtigen Ossi-Gefängnis eingesperrt war, fehlt diese Erfahrung völlig, dafür aber die Zustände in einem West-Gefängnis und wie es dazu kam und vor allem, was danach bis zur Wende im Dez 1989 kam. Der Einstieg beginnt hier und mein Resume über das Buch endet hier.
.
Kapitel 9
Wettlauf gegen die Zeit
.
Überrundet
Der Import technologischer Spezialausrustungen - TSA
Da die Mikroelektronik der DDR weit hinter dem Entwicklungsstand der führenden Produzenten im Weltmaßstab lag, war der Faktor Zeit auch für unsere Embargoimporte, besonders an Know-how, Produktionsausrüstungen und modernster Computertechnik, bestimmend. Denn Mikroelektronik ist ohne spezifische Meßtechnik und technologische Spezialausrustungen, von uns kurz TSA genannt undenkbar.
Von diesen unterlagen natürlich die meisten gleichfalls dem Embargo. Darauf mußten wir uns also von vornherein einstellen, um unser hochgestecktes strategisches Ziel zu erreichen: der Aufbau einer modernen und leistungsstarken Produktionsbasis für elektronische Bauelemente zur Entwicklung von Computertechnik einschließlich peripherer Geräte.
Dabei waren wir freilich nicht so naiv anzunehmen, den Weltmarkt aufrollen zu können. Vielmehr sahen wir unsere Perspektiven im Osten, im expansiven Export in die UdSSR und die anderen sozialistischen Länder. Der RGW war für uns ein großer Markt.
Der Maßstab waren die Erfordernisse von Robotron
Als Voraussetzung dafür mußten wir nicht nur neue Produktionsstätten errichten, sondern uns auf die Entwicklung und Herstellung elektronischer Bauelemente konzentrieren, die vor allem auf die Erfordernisse des Kombinats Robotron ausgerichtet war.
Schwerpunkte waren dabei hochintegrierte Schaltkreise und schnelle Mikroprozessoren als Herzstück eines jeden Computers.
Denn hochintegrierte Speicherschaltkreise wurden und werden vor allem in den USA und Japan entwickelt und hergestellt.
Bei Mikroprozessoren dominieren die USA, Marktführer ist die Firma Intel, die seit Anfang der siebziger Jahre ihre Entwicklung und Produktion maßgeblich bestimmt.
.
Gordon Moore berichtet ....
Über diesen Aufstieg gab Intel-Mitbegründer Gordon Moore folgendes zu Protokoll:
- „So hatten wir in den 19achtziger Jahren starke Befürchtungen, die japanische Industrie könnte in das Mikroprozessorgeschäft einsteigen, wie sie es ja bei Speicherchips getan hat. In jedem Bereich, indem wir unsere Fabrikation mit jener der führenden japanischen Firmen vergleichen konnten, zeigte sich, daß sie besser waren.
- Sie hatten eine höhere Ausbeute in den Fabrikationsprozessen, sie konnten mit weniger Personal produzieren ... Innerhalb von 10 Jahren konnten wir den Spieß umdrehen. Ich glaube, heute sind wir so effektiv wie jeder japanische Hersteller."
.
Über die Lebensdauer und die Innovationsgeschwindigkeit
Etwa drei Jahre lang bleibt der Prozessor-Typ aktuell, während dieser Zeit verkleinern die Designer die Schaltung weiter, dadurch steigt die Ausbeute an Chips pro Siliziumscheibe (pro Wafer), der Preis fällt. Was bis dahin zu den Mittelklassemodellen zählte, wird zum Wegwerfartikel und verschwindet schließlich ganz aus dem Sortiment. Die Optimierung der Schaltung bewirkt immer auch eine Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeiten.
In der Tat ist der Mikroprozessor das schnellebigste Bauelement eines Computers. Alle 18 Monate erfolgt im Prinzip eine Leistungsverdopplung. Mit jedem neuen Mikroprozessor entsteht eine neue Generation von Computern mit mehr Leistung, weniger Stromverbrauch und geringeren Produktionskosten.
Ein neuer Prozessor ermöglicht eine neue Software, die neue Software braucht einen neuen Prozessor, so daß sich die Computertechnik auf dieser Spirale zu immer neuen Rechenleistungen hin bewegt.
.
Ein paar Daten aus der Schaltkreisproduktion
Um einen Mikroprozessor herzustellen, sind etwa 250 Teilschritte nötig; zwanzig verschiedene Strukturen werden auf lichtempfindlichen Lack projiziert und durch Ätzprozesse und Aufbringen von metallischen oder isolierenden Schichten auf der Siliziumscheibe festgehalten.
Die Schaltkreisproduktion ist ein komplexes Wechselspiel von chemischen und physikalischen Prozessen mit höchster Präzision. Heute werden mit dieser Technologie Strukturen von einem Viertel Mikrometer gefertigt, Ende der 19achtziger Jahre rang die DDR-Mikroelektronik noch um den Anschluß an die Ein-Mikrometer-Technologie. Was sowohl die DDR als auch die Sowjetunion damals an Ausrüstungen zur Schaltkreisherstellung produzierte, war fernab moderner Spitzentechnologien. Uns blieb nur der Import aus dem Westen unter Embargobedingungen.
„Nur wer vorn ist, überlebt", in: Der Spiegel 42/1996, S. 221 ff.
Ein Interview zur Entwicklung des 1-MBit-Chips
Wolfgang Biermann, der ehemalige Generaldirektor des Kombinats Carl Zeiss Jena, sagte 1990 in einem Interview zur Entwicklung des 1-MBit-Chips durch das Forschungszentrum Mikroelektronik:
- „Daß wir die CoCOM-Listen mit unseren Eigenentwicklungen hintergangen haben, ist ein Tatsache. Ein bundesdeutsches Magazin schrieb damals, irgendwelche Leute hätten diese Schaltkreise organisiert, und die wären dann dem Staatsratsvorsitzenden untergeschoben worden. Das ist ja nun inzwischen widerlegt. Mir kann man vorwerfen, ich hätte gelogen, als ich sagte, es sei alles auf eigenen und sowjetischen Maschinen gemacht worden. Aber unter CoCom -Bedingungen konnte ich damals nichts anderes sagen, das ist wohl verständlich.
- Wir wußten, welche Chips wir herstellen wollten und was man dafür brauchte, schnelle Rechner für die Entwerfer beispielsweise, bestimmte technologische Ausrüstungen. Da gab es Anlagen, die für uns erreichbar waren, weil wir sie selbst hatten oder aus der Sowjetunion beziehen konnten. Und es gab Maschinen, die kannten wir nur den Namen nach. Für diese Zwecke gab es den Außenhandelsbetrieb Elektrotechnik/Elektronik (gemeint ist der Handelsbereich 4 - G. R.), dem übergaben wir unsere Bestellungen. Er beschaffte die Maschinen, die dann auch von den Monteuren der Lieferanten aufgestellt wurden. Natürlich haben wir nicht immer alles bekommen. Manches klappte, manches nicht, vieles mußte improvisiert werden."
.
„Es war ein Leben umsonst"
Auf die Frage:
„Wieviel dieser Technik verdanken Sie Schalck-LGolodkowski ?"
antwortete Biermann weiter:
„Ich habe mit den Leuten nie verhandelt, es war eine ausdrückliche Vorbedingung, daß die Außenhändler so etwas selbst machten. Aber ich möchte nicht in Abrede stellen, daß der Bereich von Dr. Schalck-Golodkowski in diese Beschaffungsaktionen einbezogen war. Die Maschinen wurden von den Lieferanten neutral, das heißt ohne Firmenzeichen, geschickt Wie das alles praktisch organisiert wurde, hat mich nicht interessiert. Für mich war von Bedeutung, daß wir unsere Termin einhalten konnten. Da hatten wir genug zu tun."
„Es war ein Leben umsonst", in: Neues Deutschland, 7. Mai 1990, S. 6.
.
Wir mußten wirklich fast alles importieren
Auch wenn Biermann einige Erinnerungslücken hat, was sein Beisein zu Verhandlungen betrifft, so hat er schon recht, daß wir für ihn so einiges beschafften. Für hochintegrierte Schaltkreise und schnelle Mikroprozessoren mußte wirklich fast alles importiert werden: Das begann mit der Entwurfstechnik für die Schaltkreise, bestehend aus Computern von DEC (USA) und der Software für den Schaltkreisentwurf, reichte über Kristallzieh-, Sputter-, Diffusions-, Justier- und Belichtungsanlagen, Ätzer, Maskeninspektionsgeräte (chip-check-Systeme), Laser-Repair-Stationen, Mittel- und Hochstromimplanter, Speichertester sowie Laserscannmikroskope bis zu bestimmten Fotolacken, Ätzgasen und Keramikgehäusen, um nur einige Positionen zu nennen.
Dazu gehörten auch Baugruppen, mit denen die aus der UdSSR importierten Produktionsausrüstungen, beispielsweise Alu-Ätzer, umgebaut und damit leistungsfähiger gemacht wurden.
Wenn wir schließlich nicht die Software für den Schaltkreisentwurf und die dazugehörige Entwurfstechnik besorgt hätten, wäre die Entwicklung des 1-MBit-Schaltkreises um Jahre verzögert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht worden.
.
Und dann sollten wir uns von westlicher Technik abnabeln
Im Mikroelektronikprogramm wurde uns auch die Aufgabe gestellt, die Importe zu reduzieren und uns zumindest auf einigen Teilgebieten vom westlichen Embargo abzunabeln.
Mit anderen Worten - die DDR sollte moderne technologische Spezialausrüstungen selbst entwickeln und produzieren. Dafür war in erster Linie das Kombinat Zeiss verantwortlich.
Und dort leistete man durchaus Beachtliches: So entstanden neue Generationen fotolithografischer Ausrüstungen, Elektronenstrahlbelichtungsanlagen, automatische Überdeckungsrepeater, Defektkontroll- und Schablonenvergleichsgeräte.
Bei allem Stolz auf diese Eigenentwicklungen blieb allerdings zu konstatieren, daß sie nicht dem Spitzenniveau der Höchstintegration moderner Schaltkreise und schneller Mikroprozessoren entsprachen.
Hinzu kam eine generelle Schwierigkeit, vor der auch westliche Länder und Großunternehmen standen: Die Kosten, beginnend in der Forschung und Entwicklung, waren so enorm, daß sie das Leistungsvermögen der DDR-Volkswirtschaft überforderten.
.
Wir wußten über die Kostensteigerungen bescheid
Unmittelbar nach der Wende schätzte der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts für Marktforschung in Ostberlin, Hans-Jürgen Wunderlich, ein:
„Ein Problem bei der Fertigung von Mikroprozessoren und Speicherbausteinen sind die notwendigen Investitionen in Produktionsanlagen sowie Forschung und Entwicklung. Bei Speicherbausteinen steigen diese Kosten von Generation zu Generation stark an. Pro Unternehmen lagen bzw. liegen die Kosten für Forschung und Entwicklung bei:
220 Mio. DM (64 KBit)
510 Mio. DM (256 KBit)
750 Mio. DM (1 MBit)
Die Anforderungen überstiegen zunehmend des wirtschaftlich Potential der DDR. Selbst führende internationale Konzerne sind heute von dieser Entwicklung bedroht."
„Knock-out durch den Markt", in: Elektronik, 19. August 1990, S. 46.
.
Wolfgang Biermann ergänzte diese Einschätzung:
„Es ist heute doch bekannt, was das alles gekostet hat. 14 Milliarden etwa bis Ende 1989. Zeiss hat davon rund 7 Milliarden bekommen, von den 3 Milliarden Valutamitteln ungefähr 600 Mio. Bei Philips oder Siemens ist das alles nicht viel billiger gewesen."
„Es war ein Leben umsonst", in: Neues Deutschland, 7. Mai 1990, S. 6.
.
Arbeitsteilung auf mehrere Kombinate
Bei der Entwicklung der Bauelemente gingen wir arbeitsteilig vor: Die Mikroprozessoren wurden im Forschungszentrum des Kombinats Mikroelektronik in Erfurt gebaut, wobei man sich an Intel „orientierte"; die Speicherschaltkreise hingegen wurden nach dem Vorbild Toshiba im Forschungsszentrum Mikroelektronik des Kombinats Zeiss in Dresden hergestellt.
Sowohl die relativ kurzfristige „Eigenentwicklung" des 1-MBit-Schaltkreises als auch das 1989 vorgelegte erste funktionsfähige Muster eines 32-Bit-Mikroprozessorensystems stellten eine strategisch wichtige Leistung dar.
Beide Kombinate hatten an neuralgischen Stellen das westliche Embargo durchbrochen, um die DDR auf diesem Gebiet künftig unabhängig zu machen.
Von diesem Gelingen berauscht, verkündete Günter Mittag Ende August 1989 auf einer internen Beratung mit den Generaldirektoren der Kombinate in Leipzig:
„Es werden die Voraussetzungen geschaffen, um mit diesen 32-Bit-Mikroprozessoren die moderne hochleistungsfähige Rechentechnik in Gestalt von 32-Bit-Ingenieurarbeitsstationen wesentlich ökonomischer, mit besseren Gebrauchseigenschaften und in größeren Stückzahlen herzustellen ...
Das 32-Bit-Mikroprozessorsystejn findet zusammen mit dem 1-Megabit-Schaltkreis Einsatz für diese neuen Rechner. Damit führt der erreichte Entwicklungsstand auf dem Gebiet der Mikroelektronik in wesentlich breiterem Maße als bisher zu ökonomischen Auswirkungen in der Volkswirtschaft."
47 Referat von Günter Mittag, Mitglied des Politbüros und SekreULr des ZK der SED, auf der Kontrollberatung des ZK der SED mit den Generaldirektoren der Kombinate und den Parteiorganisatoren des ZK am 31. August 1989 in Leipzig - Parteiinternes Material, S. 46 f.
.
Wir produzierten bereits Schaltkreise bis 256 KBit
Auch wenn der SED-Wirtschaftslenker maßlos übertrieb, war nicht alles bloße Erfolgspropaganda. Praktisch wurden Speicherschaltkreise und Mikroprozessoren in Dresden und Erfurt entwickelt, ihre Fertigung erfolgte im Kombinat Mikroelektronik in Erfurt Südost (ESO).
Diesen Schwerpunkten entsprechend, konzentrierten wir auch unsere Importe auf die Forschungszentren von Zeiss in Dresden und des Kombinats Mikroelektronik in Erfurt sowie auf den Bau neuer Chipfabriken in Erfurt Südost.
Dieser erfolgte in vier Ausbaustufen. ESO I bis III waren bis 1988 abgeschlossen, hier wurden Schaltkreise bis 256 KBit produziert. ESO IV befand sich noch in der Planungsphase und sollte die Produktionsstätte für den 1-MBit-Schaltkreis und das 32-Bit-Mikroprossorsystem werden. Für die Fabrik, die im Juli 1991 den Probebetrieb aufnehmen sollte, waren Gesamtinvestitionen in Höhe von 1.450 Mio. DDR-Mark veranschlagt. Parallel dazu war außerdem der Bau eines neuen Forschungszentrums in Erfurt geplant.
Mit den elektronischen Bauelementen ging es voran
Bereits in der Anfangsphase waren wir in all diese Plan- und Vorbereitungsspiele einbezogen. So konzentrierten wir die Importe bei passiven Bauelementen auf die Erweiterung und Modernisierung der Leiterplattenproduktion im Kombinat Elektronische Bauelement Teltow, auf den Neubau moderner Leiterplattenfabriken in Dresden für das Kombinat Robotron und für das Kombinat Automatisierungsanlagen in Berlin.
Allein für Robotron beschafften wir umfangreiche Produktionskapazitäten für Computer und periphere Geräte, beispielsweise automatisierte Linien für die Bestückung von Leiterplatten, Blechbearbeitungszentren für das Gefäßsystem für PCs und Großrechner sowie moderne Meß- und Prüftechnik.
.
Alles andere wurde völlig vernachlässigt
Aber was die Volkswirtschaft der DDR insgesamt betraf, charakterisierte auch die Importtätigkeit: Durch die Konzentration auf die Mikroelektronik wurden andere Bereiche der Elektronik völlig vernachlässigt. Sie fielen in ihrer Leistungsfähigkeit weit zurück, unser Abstand zum internationalen Niveau vergrößerte sich ständig.
Ein markantes Beispiel dafür war die Nachrichtenelektronik, was nicht nur im desolaten DDR-Telefonnetz sichtbar wurde.
Insgesamt konnte die Bilanz einer ineffektiven Wirtschaft nicht durch ein modernes Teilsegment verbessert werden.
Und trotz aller politischen Prioritäten, gigantischen Investitionen und aufwendigen Importe gelang es nicht, die Mikroelektronik der DDR ans internationale Spitzenniveau heranzuführen.
Im Gegenteil: Bei Speicherschaltkreisen lagen wir etwa fünf Jahre zurück, bei Mikroprozessoren war der Abstand noch größer. Wir fuhren zwar im höchsten Gang, und der Motor war schon heißgelaufen, doch wir waren längst überrundet.
.
Schauvorführung für Günter Mittag (GM)
.
Die Entwicklung und Produktion moderner Rechentechnik und Software
Der versuchten Abschottung vom Weltmarkt durch die CoCoM-Staaten setzten die sozialistischen Länder die Zusammenarbeit im RGW entgegen.
So wurde auf dem Gebiet der Datentechnik das sogenannte System Einheitlicher Rechentechnik entwickelt, kurz ESER genannt. ESER wurde durch den Rat der Chefkonstrukteure geleitet, in dem ein Vertreter jedes RGW-Mitgliedslandes einen Sitz hatte. Der Rat der Chefkonstrukteure plante und koordinierte die Entwicklung und Produktion der Computer und Computerperipherie der beteiligten Länder.
Das System einheitlicher Rechentechnik nahm sich die Computerfamilien von IBM zum Vorbild und „organisierte" eine Nachentwicklung, die allerdings den enormen Rückstand zum internationale Niveau nie wettmachen konnte.
Echte Eigenentwicklungen waren spärlich, wobei sich Robotron unter den EDV-Produzenten des RGW noch eine beachtenswerte Position erarbeitete. Dies wurde sogar von westlichen Beobachtern anerkannt.
Jay Tuck schrieb in seinem Buch 1984
So schrieb Jay Tuck in seinem bereits 1984 erschienenen Buch „Die Computer-Spione":
„Dort nämlich waren Forschungs- und Entwicklungsteams seit Jahren dabei, den IBM-360-Rechner nachzubauen. Den deutschen Design-Dieben des VEB Kombinat Robotron war schon mal eine passable Kopie des IBM-1401-Rechners gelungen, und die Erfolgsaussichten standen auch diesmal erheblich besser, als bei dem gescheiterten sowjetischen Versuch in Sewerodonetsk. Pläne für das neue DDR-Modell R-40 sahen einen völlig IBM-kompatiblen Computer vor: von der Bedienung, über Zusatzgeräte und Software, bis hin zu dem IBM-Betriebssystem DOS. In das Elektronengehirn pflanzten sie Kopien der Texas Instrument Chips (Serie TI-7400). Unter westlichen Sicherheitsexperten besteht inzwischen kein Zweifel, daß die Muster für die Robotron-"Raubkopien" (Anmerkung : solch ein Unsinn) illegal aus Westeuropa besorgt wurden...
Im Mai 1972, als die ersten Robotron-Computer auf den Markt kamen, waren die Minsker Maschinen bereits wegen "Anpassungsarbeiten" ans Werk wieder zurückgeschickt worden. Die Sowjets waren ein zweites Mal gescheitert.
Im nächsten Jahr rollten Robotron-Rechner mit einer Jahresproduktion von etwa 100 Einheiten vom Band. Die DDR war nicht gerade dabei, die Entwicklung bei IBM zu überholen, dennoch war die Produktion dieser Computer ein beachtlicher Erfolg, und das ostdeutsche R40-Modell avancierte schnell zur Schlüsselmaschine der RYAD-Reihe und erhielt die sowjetische Bezeichnung ES-1040.
.
Spionage jetzt mal ungekehrt
Dem amerikanischen Computeruntemehmen Controll Data gelang es, ein Exemplar der R-40 zu kaufen und zu Labortests in seine US-Zentrale zu bringen. Der RYAD-Rechner - so das US-Testresultat - war eine vollkompatible Kopie des IBM-Modells S/260/50. Mit der Ausführung hatten die DDR-Ingenieure allerdings einige Probleme gehabt. So war der Stromverbrauch des Speichers etwa doppelt so hoch wie bei IBM, was zur Folge hatte, daß der Computer weit unter Kapazität gefahren werden mußte, um Überhitzungen zu vermeiden. Speicher und die Qualität des Zubehörs waren auch weit unter westlichem Normen.
Trotz seiner sämtlichen Schwächen wurde Ryad-1 im Ostblock mit Begeisterung aufgenommen. Die Produktion lief bald auf Hochtouren, und 1974 gingen Dutzende von Anlagen ans Netz."
Im RGW gab es einen unersättlichen Markt
Für die Robotron-Erzeugnisse war im RGW ein unersättlicher Markt vorhanden, obwohl die Geräte dem Weltniveau hinterherhinkten und sogar in den „Bruderländern" mitunter nur noch widerwillig eingesetzt wurden.
Besonders in den Abkommen mit der UdSSR nahmen sie eine strategisch wichtige Position ein, gab es doch für diese Computer und die Peripherie von den Sowjets wichtige Rohstoffe als Gegenleistung. Insgesamt konnte weder im RGW noch in der DDR der Bedarf gedeckt werden. Somit reichte es nicht mehr aus, lediglich mehr Computer zu bauen und die Produktionskapazitäten zu erweitern. Vielmehr wurden neue Rechnergenerationen und neue Software benötigt.
.
Völlig utopische Vorstellungen von der Machbarkeit
Einmal mehr lag es also in der Logik der Sache, daß die DDR auf die Entwicklung moderner Schaltkreise orientierte. Es ging namentlich darum, Robotron in die Lage zu versetzten, moderne 16-Bit-Personalcomputer und leistungsfähige 32-Bit-Rechner in großen Stückzahlen und mit hoher Effektivität zu produzieren.
Das volkswirtschaftliche Konzept sah vor allem einen Einsatz als CAD/CAM-Arbeitsstationen und in der Prozeßautomatisierung vor, um in der Arbeitsproduktivität den notwendigen Schub nach vorn zu erreichen.
Mitte der 19achtziger Jahre war die SED-Parteiführung von dem Ehrgeiz besessen, in allen Industrie- und Baukombinaten der DDR CAD/CAM-Systeme einzuführen. Wie utopisch diese Vorstellungen waren, zeigt allein die Tatsache, daß die dafür benötigten Rechner und die Software in der Anfangsphase von uns aus dem Westen importiert werden mußten, zu einem Zeitpunkt, an dem bereits jede Valutamark in DDR-Volkswirtschaft fehlte.
.
Honecker, Mittag & Co. und der XI. Parteitag
Aber schließlich stand der XI. Parteitag vor der Tür, und von den im Vorfeld verkündeten CAD/CAM-Plänen wollten Honecker, Mittag & Co. nicht mehr abrücken. Also wurde der Bereich Kommerzielle Koordinierung anewiesen, 600 Mio. DM für den Import moderner Rechentechnik und der zugehörigen Software zur Verfügung zu stellen.
Um gleichzeitig die Produktionskapazitäten bei Robotron zu erweitern, mußten auch Bauelemente, Baugruppen und peripher Geräte wie Monitore, Drucker und Plotter aus dem Westen herangeschafft werden.
Doch auf unserer Einkaufsliste stand noch weit mehr: beispielsweise über 1.000 16-Bit-Computer von IBM, selbstredend Embargogeräte, und weit über 100 Rechnersysteme hoher Leistungsfähigkeit der VAX-Reihe von DEC und einige Großrechner wie die Convex.
.
Genauso wichtig war die Software
Zudem besorgten wir sowohl die Softwarepakete CADIS 2-D und 3-D für die Konstruktion in Bearteitungszentren mit NC-gesteuerten Werkzeugmaschinen als auch die für den Schaltkreis- und Leiterplattenentwurf und die mechanische Konstruktion mittels der 32-Bit-Rechner VAX von DEC.
Dabei ging es nicht nur schlechthin um Raubkopien der Software, sondern auch um die sogenannten Quellcodes dieser Softwarepakete.
Wir brauchten sie, um die illegal beschaffte Software an die bei uns eingesetzte Hardware anzupassen und weiterentwickeln zu können. Um ihre Produkte zu schützen, werden genau diese Quellecodes von den Herstellern nicht mitgeliefert, noch nicht einmal an renommierte Anwender im eigenen Lager.
Aber wir "besorgten" sie trotzdem.
Eine Schauvorführung für Günter Mittag
Mit Hilfe von KoKo wurden räumliche, rechentechnische und ausrüstungsseitige Voraussetzungen geschaffen, so daß die Experten des ZKE der Akademie der Wissenschaften der DDR gemeinsam mit Partnern der späteren Anwenderkombinate die illegale Software ungestört neutralisieren, angepassen und vervielfältigen und Anwenderschulungen durchführen konnten.
Die so präparierte Software wurde an die Anwenderkombinate der importierten 32-Bit-Rechentechnik verkauft und gleichfalls für die von Robotron produzierten Rechner genutzt. Eigene Entwicklungskapazität für Software und Kosten in Millionenhöhe konnten gespart werden.
Unmittelbar vor dem XI. SED-Parteitag im April 1986 organisierte Schalck-Golodkowski in den Räumlichkeiten von KoKo in der Wallstraße in Berlins historischer Mitte eine kleine interne Ausstellung mit den von uns beschafften Geräten und Programmen. Sinn und Zweck der Übung: eine Schauvorführung für Günter Mittag.
So demonstrierte Günther Gath, unser Kontordirektor, der auch Computerspezialist war, eindrucksvoll, wie auf einem IBM-Computer CAD-Technik für ein Architekturbüro oder für Montagepläne von Rohrleitungen im Chemieanlagenbau angewendet werden kann. GM war begeistert.
.
Ablösung der Westimporte wurde Chefsache
Großzügig bestätigte er auch das Konzept zur kurzfristigen Ablösung der Westimporte durch eigene Entwicklung und Produktion in ausreichender Stückzahl im Kombinat Robotron, das Staatssekretär Nendel vorgetragen hatte. Dieses Konzept machte Mittag in der Folge zu seiner Chefsache, es wurde Teil der Wirtschaftsstrategie der SED.
Das war für das MEE und vor allem für Robotron alles andere als einfach, denn dies war eine grundsätzlich neue Entwicklungsphilosophie: die sich bei Großrechnern nicht mehr an IBM anlehnte, sondern an die Produktion von DEC (USA).
Wir hatten zwar noch Personalcomputer von IBM importiert, aber sonst bereits ausschließlich die modernen Rechnergenerationen von DEC beschafft, die als „Vorbild" für die Neuentwicklungen von Robotron dienten.
.
Robotron hatte 70.000 Mitarbeiter
Robotron war mit seinen 70.000 Mitarbeitern in 20 Betrieben eines der größten und leistungsfähigsten Kombinate der DDR. Aus diesem Potential führte Dieter Walter, der stellvertretende Generaldirektor, die fähigsten Wissenschaftler und Technologen in einem Entwicklungskollektiv zusammen, das eng mit der Akademie der Wissenschaften der DDR und der Technischen Universität Dresden kooperierte.
Es wurde außerdem von einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Staatssekretär Nendel unterstützt, in der neben Robotron auch je ein Vertreter der Kombinate Mikroelektronik und elektronische Bauelemente und ich als Leiter des Importbereichs von KoKo saßen.
Hier konnten alle notwendigen Maßnahmen beraten und sofort am Tisch, ohne bürokratische Umwege entschieden werden. Weiterhin wurden mit den Robotron-Leuten lukrative, an den Erfolg gebundene Sonderentlohnungs- und Prämiensysteme vereinbart.
Doch die Truppe war nicht nur durch den finanziellen Anreiz hochmotiviert, sondern wurde durch Dieter Walter förmlich mitgerissen, der das Konzept wesentlich mitgestaltet hatte, ja, davon besessen war.
Somit wurde unter materiellen und geistigen Bedingungen und in einer Atmosphäre gearbeitet, die wohl mehr für eine dynamische Marktwirtschaft, nicht aber für eine verkrustete Planwirtschaft typisch sind.
.
Dieter Walter und seine Mannschaft
Dr. Walter hat nach dem erfolgreichen Abschluß der Arbeit gesagt:
„Als wir die Entwicklung des 32-Bit-Rechners beschlossen, haben viele Leute gesagt, der Walter läuft nicht mehr ganz rund. Aber es hat auch viele andere gegeben, die gesagt haben, Mensch, wenn der das ernst meint, dann sind wir bereit, mehr als acht Stunden am Tag über die Umsetzung dieser Idee nachzudenken."
Als Mitglied der Arbeitsgruppe Nendel hatte ich selbst sehr viel mit Dieter Walter und seiner Mannschaft zu tun. Ich kümmerte mich persönlich um die Umsetzung der Aufgaben, die unserem Bereich zukamen. Zwischen mir und Dieter Walter entstand nicht nur ein enger Arbeitskontakt, sondern eine echte Freundschaft.
.
Meine persönliche realistische Einschätzung
Mit der erfolgreichen Entwicklung eines 16-Bit-Personalcomputers und des 32-Bit-Rechners war ein Durchbruch gelungen, der zu diesem Zeitpunkt in den anderen sozialistischen Ländern große Beachtung fand, aber international gesehen ein recht bescheidener Erfolg war.
Die Entwicklung des ersten 32-Bit-Rechners durch Robotron, mit der das West-Embargo durchbrochen wurde, würdigte auch Günter Mittag
Auf dem „Seminar des ZK der SED mit den Generaldinskor der Kombinate und den Parteiorganisatoren des ZK" im März 1988, wie seine Lieblingsveranstaltung offiziell genannt wurde, auf der er regelmäßig während der Leipziger Messen Befehle, Tadel und Streicheleinheiten verteilte, war seine Brust vor Stolz geschwellt.
Und die Partei- und Staatsführung ließ sich den Triumph etwas kosten: Die an dieser Arbeit beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure von Robotron wurden mit dem Nationalpreis für Wissenschaft und Technik geehrt, ich erhielt zum zweiten Mal den Orden Banner der Arbeit (Stufe I).
Bereits vorher waren wir auf diese Weise angespornt worden: Im Mai 1986 wurde ich mit der Verdienstmedaille der DDR ausgezeichnet, und am 7. Oktober des gleichen Jahres gemeinsam mit meinem Stellvertreter, Dietrich Kupfer und dem Direktor des zuständigen Kontors, Günther Gath, mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze.
.
Wir alle hatten uns wirklich sehr angestrengt
Weder ich noch die anderen fanden diese Ehrungen ungerechtfertigt.
Als nämlich 1986 zusätzlich zum Plan in Sömmerda 10.000 8-Bit-Personalcomputer und 1987 in Dresden 10.000 16-Bit-Arbeitsplatzcomputer hergestellt wurden, war dies nur möglich, indem KoKo dafür die Valutamittel bereitstellte und wir die notwendigen zusätzlichen Baugruppen und Bauelemente aus dem Westen "besorgten". Gemeinsam war es uns innerhalb von nicht einmal zwei Jahren gelungen, den Schritt von der 8-Bit- direkt zur 32-Bit- Rechentechnik zu gehen, und zwar auf einem Niveau, das mit dem früherer Großrechner vergleichbar war.
Mit den entwickelten 16- und 32-Bit-Mikroprozessoren, Speicherschaltkreisen mit 256 KBit und 1 MBit oder den flexiblen Leiterplatten konnten nunmehr Rechner auf der Grundlage eigener Baugruppen und Bauelemente produziert werden.
.
Wirtschaftsoberguru Mittag
Hatte Wirtschaftsoberguru Mittag noch im März 1988 kritisiert, daß die Anwendung der modernen Rechentechnik hinter den sich entwickelnden Möglichkeiten in der DDR zurückbliebe und daß sich insbesondere die moderne CAD/CAM-Technik noch ungenügend auf die Effektivität des gesamten Reproduktionsprozesses auswirken würde, so sah die Bilanz anderthalb Jahre später schon etwas anders aus.
Ende August 1989 verkündete GM vor „seinen Generälen" selbstüberzeugt:
„In der DDR ist seit 1986, dem Jahr des XI. Parteitages, eine leistungsfähige Basis der modernen Rechentechnik geschaffen worden; bei Personal- und Arbeitsplatzcomputern wurde die Kapazität verdoppelt. Zugleich sind neue Generationen von Rechnern in die Produktion gegangen. Das betrifft 16-Bit-Personalcomputer und 32-Bit-Rechner für Ingenieurarbeitsstationen. Der Einsatz von über 82.000 CAD/CAM-Arbeitsstationen in der Volkswirtschaft mit dem Stand 1. Halbjahr 1989 bedeutet, daß jetzt auf je 1.000 Beschäftigte in der Industrie 15,9 CAD/CAM-Arbeitsstationen kommen. Im Vergleich zu 1986 ist in der Volkswirtschaft, bezogen auf je 1.000 Beschäftigte, nahezu das 3fache an CAD/CAM-Arbeitsstationen im Einsatz."
.
Doch Günter Mittag war vergeßlich ..... über 2,5 Milliarden DM von KoKO
Doch „vergaß" Günter Mittag ein Vierteljahr vor der Implosion der DDR, etwas Wesentliches aufzuführen. Ohne KoKO wäre Robotrons Meisterstück schlichtweg unmöglich gewesen.
Immerhin wurden von 1986 bis 1990 für den Import von Ausrüstungen, Bauelementen und Computertechnik, die zum Großteil dem Embargo unterlagen, fast 2 Milliarden DM ausgegeben.
Rechnet man die jährlichen Bauelementeimporte zwischen 100 und 150 Mio. DM hinzu, die aus den offiziellen Planmitteln der Staatlichen Plankommission finanziert wurden und für deren Realisierung unser Importbereich die Verantwortung trug, so verschlang die Mikroelektronik in diesem Zeitraum sogar über 2,5 Milliarden DM.
Das waren Valutamittel, mit denen die DDR nie reichlich gesegnet war und die natürlich an anderen Stellen fehlten. Das war viel Geld für die lädierte Volkswirtschaft eines Landes, das in eine politische Krise taumelte.
Teuer erkauft, hatten wir in der Mikroelektronik zwar den Rückstand zum internationalen Spitzenniveau in bescheidenem Maße reduziert, aber keinesfalls aufgeholt. Doch - das war die Hauptsache - dem Prestigestreben der SED-Führung war Genüge getan.
.