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Gerhardt Ronnebergers Autobiographie - Deckname "SAALE" - aus 1999 - ein Generaldirektor erzählt .....

Gerhardt Ronneberger, geboren im März 1934 in Saalfeld († 2013 ?) schreibt 1999 in seiner Autobiographie (1982–1999) auf etwa 370 Seiten, wie es wirklich zuging beim MfS, der Stasi und den Betrieben in der "Deutschen Republik". Da er nie in einem richtigen Ossi-Gefängnis eingesperrt war, fehlt diese Erfahrung völlig, dafür aber die Zustände in einem West-Gefängnis und wie es dazu kam und vor allem, was danach bis zur Wende im Dez 1989 kam. Der Einstieg beginnt hier und mein Resume über das Buch endet hier.

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Die Untersuchungsbehörden hatten lückenlos alle Unterlagen

Alle Vernehmungen, sowohl die als Zeuge als auch die als Beschuldigter, zeigten mir, daß die Untersuchungsbehörden der Bundesrepublik über lückenloses Material aus unseren eigenen Geschäftsunterlagen, den Archiven von KoKo und vor allem aus dem Fundus der Staatssicherheit verfügen.

Nichts wurde in der Zeit der Wende wirklich vernichtet oder ist abhanden gekommen, irgendwo fand sich immer noch eine Kopie, selbst oder besonders im MfS ging man mit Kopien großzügig um. Die Wahrheit ist auch heute noch aktenkundig.

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Im April 1996 wurde erneut gegen mich Anklage erhoben

Weil es eben diese „Aktenlage" scheinbar ermöglichte, wurde von der Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin am 25. April 1996 auch gegen mich Anklage erhoben. Angeklagt wurden neben mir gleich ein ganzes Ost-West-Kollektiv: die früheren DDR-Staatssekretäre Alexander Schalck-Golodkowski und Karl Nendel, mein ehemaliger Stellvertreter Dieter Kupfer, mein einstiger Kontordirektor Siegfried Schürer, der frühere Vorstandsvorsitzenden der Leybold AG, Dr. Alfred Hauff, der frühere Unternehmensbereichsleiter der Leybold AG, Dr. Gunter Samm und der damalige Leiter der Zweigniederlassung Berlin der Leybold AG, Dr. Heinz Grahmann.

Wir wurden beschuldigt, gegen das Militärratsgesetz MRG 53, sprich gegen das Embargo von CoCOM verstoßen zu haben. Die Anklage umfaßte 68 Bände Sachakten und 63 Kartons mit Beweismitteln, alles ein Beleg für Fleiß und Ordnungsliebe von Beamten - und deren Ausdauer. Schließlich wird seit 1990 ermittelt. Wohl auch deshalb stellte „Der Spiegel" 1996 fest: Immer teurer und aufwendiger wird die Suche nach Gerechtigkeit, besonders in komplizierten Wirtschaftsstrafverfahren."
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Die Hauptverhandlung am 11. Juni 1998

Gegen Schalck, Grahmann, Samm und Hauff wurde das Verfahren zwischenzeitlich abgetrennt, Schalck und Grahmann wegen Verhandlungsunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen.

Gegen den ehemaligen Staatssekretär Nendel, mich und meine Mitarbeiter Kupfer und Schürer führte die 5. Große Stra&ammer - Wirtschaftsstrafkammer - am 11. Juni 1998 die Hauptverhandlung durch.

In der Verhandlung trat der Vertreter der berüchtigten Staatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin, van Gemmeren, scharfmacherisch mit unangemessener Härte und großer Unsachlichkeit auf.

Er zeichnete sich durch Verfolgungseifer aus und wollte damit versuchen, das erfolglose Agieren dieser Staatsanwaltschaft in einigen anderen ähnlich gelagerten Prozessen zu korrigieren.

Er beschuldigte uns der Schaffung bandenmäßiger Strukturen und der Bildung einer besonders gefahrlichen kriminellen Vereinigung, der Durchführung geheimer Treffen, des Schmuggels von West nach Ost und der Fälschung von Vertragsunterlagen und Dokumenten. Die Roh-
Stoffe und Produktionsausrüstungen konnten nach Auffassung der Staatsanwaltschaft auch militärisch genutzt werden, wobei eine solche Nutzung aber nicht bewiesen werden konnte.

Wir hätten aus Eigennutz und zum persönlichen Vorteil gehandelt. Für mich konstatierte er eine besonders große kriminelle Energie. Er forderte Freiheitsstrafen auf Bewährung, für mich immerhin 2 Jahre.
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Das Gericht sah das aber anders als der Staatsanwalt

Dem forschen Vorgehen des Staatsanwaltes konnte das Gericht nicht folgen. Die Prozeßführung erfolgte mit großer Sachlichkeit. Wir haben uns als Angeklagte zu den Embargohandlungen bekannt und somit nach Auffassung des Gerichtes durch unsere Geständnisse in der Hauptverhandlung maßgeblich zu einem prozeßökonomischen Verlauf des Verfahrens beigetragen.

Das Gericht stellte fest:

  • „Schon in den einzelnen Taten, aber auch in ihrer Gesamtheit liegen besondere Umstände, die sich aus der bereits dargelegten einmaligen historischen Situation des Kalten Krieges und der deutsch-deutschen Beziehungen ergibt ...
  • Von keinem der Angeklagten hatte die Kammer zudem den Eindruck, daß sie etwa mit besonderem Eifer die militärische Rüstung der DDR vorantreiben wollten. Zwar war ihnen als ausgwiesenen Fachleuten auf ihrem Spezialgebiet die militärische Nutzbarkeit der Mikroelektronik bewußt, die Kammer geht jedoch nicht davon aus, daß die Hochrüstung der DDR ihre Motivation für die Embargoeinkäufe darstellte...
  • Anlaß und Motivation für die von den Angeklagten begangenen Taten stehen im engen Zusammenhang mit den politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten des Kalten Krieges und der Teilung Deutschlands. Ohne durch die dadurch bedingte Abschottung der ehemaligen DDR von den Weltmärkten, ohne aber auch durch die besondere Nähe zur Bundesrepublik Deutschland mit ihren an einem Osthandel interessierten Lieferfirmen hätte sich für die Angeklagten die Betätigung im Embargohandel gar nicht ergeben."


Dem ist nichts hinzuzusetzen.
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Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt

Bei der Gesamtstrafenbildung hat das Gericht das lange Zurückliegen der Taten und die lange Verfahrensdauer seit der Anklageerhebung im April 1996 berücksichtigt und Geldstrafen in Höhe zwischen 50 und 150 Tagessätzen in Höhe zwischen 80 und 440 DM ausgesprochen.

Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. In der Verhandlung am 21. April 1999 wurde der Revisionsantrag durch den 5. Strafsenat des BGH verworfen.
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Schalck-Golodkowski - nicht verhandlungsfähig - war ruck zuck gesund

An der Verhandlung nahm als Beobachter auch Frau Rechtsanwältin Müller von der Danckert-Kanzlei teil, die Schalck-Golodkowski vertritt. Ihr hat der Prozeßverlauf und das Urteil offensichtlich sehr gut gefallen. Noch zu Prozeßbeginn war Schalck aus gesundheitlichen Gründen nicht verhandlungsfähig. Das hatte sich jetzt schnell geändert, man wollte die Gunst der Stunde nutzen und ein gleich mildes Urteil erreichen. Er hat sich dem Verfahren freiwillig gestellt, um angeblich einen Schlußstrich unter das seit Jahren schwebende Verfahren zu ziehen.

Mit dem Ausgang seiner Hauptverhandlung war Schalck jedoch nicht ganz zufrieden. Er erhielt keine Geldstrafe, sondern wurde unter Einbeziehung seiner früheren Verurteilung wegen illegalen Waffenhandels zu einer Haftstrafe von 16 Monaten mit Bewährung verurteilt.

Hinter vorgehaltener Hand wir nun davon gesprochen, daß man Samm und Hauff als die großen Leybold-Bosse wieder ohne Strafverfahren ungeschoren davonkommen lassen will.

Auf einmal suchten alle nach der "Wahrheit"

Nach der Wiedervereinigung wurden allerdings nicht nur die deutsche Exekutive und Legislative gegen uns Embargoschmuggler aktiv. Auch die Konzerne versuchten, nachträglich die Lücken aufzuspüren, durch die einst ihre Erzeugnisse schlüpfen konnten, um dann von Händlern in den Osten geliefert zu werden.

So erhielt ich eines Tages zu Hause einen Anruf von einem Herrn Pauleit. Er stellte sich als Mitarbeiter von Siemens vor. Er riefe im Auftrag der Geschäftsleitung an und bitte mich um einem Treffen mit Jürgen Richter von der Siemens-Zentrale in München. Dieser wolle nämlich etwas über meine frühere Tätigkeit wissen. Ich sah keinen Grund, dem auszuweichen, konnte ich doch dadurch feststellen, was Siemens eigentlich will.

Vorher konnte ich jedoch über einige ehemalige Mitarbeiter, die noch im HdE tätig waren, Überraschendes über den Anrufer erfahren: Wolfgang Pauleit war Mitarbeiter im Bereich Zentrale Dienste München Sicherheit (ZDMSi) der Siemens-Zentrale, saß im HdE und agierte für die Siemens-Niederlassungen in den neuen Bundesländern als Berater für Werkschutz, Objektsicherheit, Sicherungsanlagen und Zugangskontrollsystemen.

Vor der Wende war der Mann Oberst der Volkspolizei und Leiter der Abteilung V in der Kripo Berlin, die eng mit der Stasi kooperierte. Wie er bei Siemens zu dem neuen Job kam, entzieht sich leider meiner Kenntnis, darüber wurde in der Presse schon genügend spekuliert.
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Ein SIEMENS-Treffen im Ostberliner Palast-Hotel

Jedenfalls war der ehemalige Genosse Pauleit mit von der Partie, als ich mich mit Jürgen Richter, dem Leiter Know-how-Schutz der Zentralen Dienste Sicherheit, im Ostberliner Palast-Hotel traf.

Man unterrichtete mich, daß Siemens davon ausgehen müsse, daß dem Unternehmen durch den Verrat eines leitenden Mitarbeiters das Know-how des 1-MBit-Schaltkreises mit allen Dokumentationen gestohlen wurde und anschließend in der DDR gelandet sei.

Die Übergabe sei offensichtlich auf einer Fachtagung in München an einen DDR-Experten erfolgt, mit dem man uns offensichtlich in Verbindung brachte. Von mir wollte man nun Hinweise haben, wer der Spion in der eigenen Forschungsabteilung sein könne.

Ich mußte die beiden Herren enttäuschen. Erstens wußte und weiß ich es wirklich nicht, und zweitens glaube ich bis heute nicht an den Diebstahl des Know-how.
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Unseren 1-MBit-Schaltkreis hatten wir selbst entwickelt

Dagegen bin ich von der Eigenentwicklung des 1-MBit-Schaltkreises durch unsere Fachleute überzeugt, wenngleich diese vielleicht für bestimmte Teilergebnisse Dokumentation benutzt haben, die womöglich aus dunklen Kanälen der MfS-Kundschafter (SWT) stammten.

Und schließlich besaß ich vor der Wende schon seit Jahren keinerlei Beziehungen zu Siemens und seinen Mitarbeitern. Ich konnte also Herrn Richter und Herrn Pauleit leider nicht helfen.

Siemens hatte das „Arbeitsessen" für mich umsonst spendiert
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Dann kam die Sicherheitschefin der Europazentrale von DEC

Überrascht war ich allerdings, als ich wenige Wochen später erneut angerufen wurde. Aber diesmal meldete sich am anderen Ende der Telefonleitung DEC, der Hersteller der bei uns in der DDR so geliebten VAX-Computer.

Georg Freundorfer, der Security-Manager der DEC-Hauptverwaltung, hätte meine Telefonnummer von Siemens erhalten. Auch er bat um ein Gespräch „über die Vergangenheit". In mein Büro kam dann neben Freundorfer noch Georg Brothers, angeblich Sicherheitschefin der Europazentrale von DEC.

Die Amerikaner interessierten sich gleichfalls für die DEC-Mitarbeiter, die uns angeblich bei der Durchbrechung des Embargos geholfen hatten. Völlig rätselhaft blieb ihnen, wie wir zu den Platinen in großen Stückzahlen gekommen sind, die wir für den Nachbau der Prototypen des DEC-Computers bei Robotron benötigten.

Auch hier stießen die Rechercheure bei mir ins Leere. Meine Liefefanten nannte ich nicht. Ich konnte nur versichern, daß wir bei DEC in Deutschland keine Helfer hatten. Die Löcher muß es wohl in den USA gegeben haben. Gefunden hat sie DEC sicherlich nicht.
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Die KoKo-Story in den Medien

Neben den deutschen Justiz- und Ermittlungsbehörden sowie den jn- und ausländischen Konzernen gab es noch eine dritte Kraft, die
an mir und meinen ehemaligen Mitstreitern interessiert war: die Medien, vielfach auch als „vierte Gewalt" im Staat "gelobt".

Gewiß, ich sah das auf mich zukommen. Ich konnte und wollte auch nicht verhindern, daß unser Handelsbereich zum Gegenstand der Berichterstattung auserkoren wurde. Spätestens seit Schalck nach der Wende ins Licht der Öffentlichkeit rückte, gab und gibt es ein berechtigtes Interesse an der Aufklärung um den ehemaligen Bereich Kommerzielle Koordinierung.

Die KoKo-Story ließ sich allemal gut verkaufen, und mancher Journalist lebte dabei seine Profilierungsneurose aus. So blieben Spekulationen nicht aus, wurde mit einer Mixtour aus Wahrheit, Halbwahrheiten und Lügen hantiert, oftmals blieben Sachlichkeit und Realitätssinn auf der Strecke.
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Der sogenannte Warnemünder Kreis

Besonders aktiv war eine „Hauptstadtzeitung". In ganzen Artikelserien versuchte sie, Licht in das Dunkel um KoKo zu bringen, vernebelte das Ganze aber um so mehr. Höhe- oder besser Tiefpunkt dieser „Aufklärungskampagne" war das Unterfangen, einen Zusammenhang zwischen der Barschel-Affäre und KoKO zu konstruieren.
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Dazu erfand man einen sogenannten Warnemünder Kreis und stellte ihn als Ring hochkarätiger Stasi-Agenten und Embargohändler dar. Diese Gruppe hätte ihr Insiderwissen genutzt, um westliche Geschäftspartner zu erpressen. Kopf der eingeschworenen Truppe soll Oberst Artur Wenzel, gewesen sein.

Zum illustren Kreis hätten weiterhin der Generaldirektor des AHB Elektrotechnik Roland Winckler, Günther Forgber, der schwedische Staatsbürger und Embargohändler Hans Jochheim, der bei KoKo für den Waffenhandel zuständige Mitarbeiter Dieter Uhlig, der Leiter des Zeiss-Büros Peer Ikier, mein Stellvertreter Dietrich Kupfer und natürlich ich selbst gehört.

Nun, ich habe in den vergangenen Jahrzehnten viel erlebt und viel mitgemacht. Dem einen oder anderen der Genannten traue ich auch einiges zu, insbesondere meinem einstigen Führungsoffizier Artur Wenzel. Aber einen „Warnemünder Kreis" hat es niemals gegeben.

Tollkühne Behauptungen der Berliner Zeitung

Es ist eine willkürliche Aneinanderreihung von Namen, die dem Journalisten als Beteiligte an den Embargogeschäften auf dem Gebiet der Elektrotechnik/Elektronik aus ihm zugänglichen Quellen längst bekannt waren.

Ebenso tollkühn ist die Behauptung des Blattes, der „Warnemünder Kreis" hätte brisante Informationen über westliche Politiker und Geschäftspartner gesammelt und diese dann erpreßt.

So wurde über Uwe Barschel spekuliert, ob er „etwa durch Vermittlung von Geschäften zwischen KoKo und der Werft HWD in Hamburg, in den Warnemünder Kreis geraten sei.

„Entstand auf diese Weise bei Artur Wenzel auch ein Dossier über den schleswig- holsteinischen Ministerpräsidenten, das brisante Fakten über Verbindungen des CDU-Politikers in den Embargohandel enthält? Wenzel, so wird erzählt, sei 1987 sehr betroffen gewesen, als er vom Tod Barschels erfuhr. Er müsse jetzt sehr vorsichtig sein, soll er gesagt haben."

Man nennt es "Journalistische Vorstellungskraft"

Journalistische Vorstellungskraft kann wohl mitunter beflügeln, aber leider exakte Kenntnisse nicht ersetzen. Es dürfte vermutlich auch für Uneingeweihte verständlich sein, daß es die notwendige Konspiration in der Arbeit der Staatssicherheit nicht zuließ, daß mehrere IM an einem Punkt und dazu noch in der Öffentlichkeit eines Hotels Neptun zusammentrafen.

Offiziell wußten wir gar nicht, wer von uns IM war, wir konnten es nur vermuten. Wir haben uns in dieser Zusammensetzung auch niemals in Warnemünde oder an einem anderen Ort getroffen. Ich persönlich habe nur ein einziges Mal privat mit meiner Frau das Hotel Neptun in Warnemünde betreten und damals auch nicht über die KoKo-Zentrale in der Wallstraße gebucht.
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Die Phantasie der investigativen Journalisten

Aber wenn die Phantasie bei einem investigativen Journalisten einmal durchgeht, kann man auch noch wagemutig bekanntgegeben, daß ich nach der Wende mit dem Schweden Hans Jochheim eine neue Elektronik-Handelsfirma aufgebaut hätte.

Die Zeitungsente wird durch die Wahrheit bedauerlicherweise nicht schmackhafter. Denn ich kenne zwar Jochheim persönlich, habe aber weder vor der Wende mit Jochheim als Geschäftspartner zusammengearbeitet noch gab es nach der Wende Kontakte zu ihm, geschweige denn eine gemeinsame Firma.

Natürlich ist schwer, mit solchen Unwahrheiten und Spekulationen zu leben. Aber man kann sich daran gewöhnen. Und wenn ich oben von Medien und Journalisten im Plural sprach, mögen mir jene verzeihen, die ich trotz ihres Erfindungsreichtums nicht zitieren konnte. Das wird vielleicht den Platz eines nächsten Buches beanspruchen.
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Kapitel 11
Sieger und Verlierer

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Rückblick - Ich gehöre zu den Verlierern.

Während ich an diesem Lebensbericht schrieb, las ich im Spiegel die Ankündigung des Buches „Staatsfeind" von Till Meyer. Sie stand unter der Überschrift : "Bekanntlich schreiben die Sieger die Geschichte. Ich gehöre zu den Verlierern." Ein Ausspruch, der mich immer noch sehr beschäftigt.
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Ein Weltgeschichte ging zu Ende

Mit dem Zusammenbruch der DDR ging eine Periode der deutschen und der Weltgeschichte zu Ende, die Zeit der deutschen Spaltung und des Kalten Krieges zwischen Ost und West.

Am Ende dieser Systemauseinandersetzung, die jahrzehntelang auf politischer, wirtschaftlicher, geistiger und militärischer Ebene geführt wurde, gab es auf der einen Seite die Sieger und auf der anderen die Verlierer.

Ich gehöre zu den Verlierern. Ich stand auf der anderen Barrikadenseite im Kalten Krieg, auf der östlichen Seite, in der DDR. Die DDR war mein Staat. Aus tiefer innerer Überzeugung hatte ich mich ihm mit Haut und Haaren verschrieben.
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Die Alternative zu dem „Tausendjährigen Reich"

Der „erste sozialistische Staat auf deutschem Boden" war für mich die Alternative zu dem „Tausendjährigen Reich" mit seiner faschistischen Diktatur und dem mörderischen Krieg, den ich als Kind noch miterleben mußte.

Dauerhafter Frieden und Wohlstand für alle, nicht nur für die Reichen, waren Ziele, die ich schon als Jugendlicher für erstrebenswert hielt. Die Ideale des Sozialismus wurden auch meine Weltanschauung.

Um Karl Marx und Heinrich Heines „Himmelreich auf Erden" Wirklichkeit werden zu lassen, wurde ich Kommunist, Mitglied der „Partei der Arbeiterklasse".

Vierzig Jahre meines Lebens habe ich in der DDR gelebt und für diesen Staat gearbeitet, hart gearbeitet. Dabei bin fast durch die ganze Welt gekommen. Ich verfolgte die zähen, dennoch sichtbaren Fortschritte in den sozialistischen „Bruderländern", sah die Armut in der Dritten Welt und den unermeßlichen Reichtum in den kapitalistischen Industrieländern.

Natürlich erlebte ich auch den unbeschreiblichen Luxus in den Führungsetagen westlicher Konzerne und verglich ihn mit unserem.

Nein, Neid kam niemals auf, ich wollte nicht zu jenen gehören, die sich vom fetten Kuchen die besten und größten Stücke abschneiden und für die teilen ein Fremdwort ist.
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Das im Westen Gesehene und Erlebte

Im Gegenteil: Gerade das im Westen Gesehene und Erlebte motivierte mich ständig neu, für unsere Ideale einzutreten. Die Richtigkeit unserer Prinzipien schien sich für mich immer wieder zu bestätigen.

Ich fühlte mich weder eingeschränkt oder gar unfrei noch kamen mir jemals Bedenken, auf der verkehrten Seite zu stehen oder sich für eine falsche „Sache" zu engagieren.
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Viel zu stark mit meinem Land identifiziert

So kann und will ich nicht für mich beanspruchen, bereits „viel früher" alles anders gesehen, Bedenken und Widerspruch angemeldet oder gar Widerstand geleistet zu haben. Ich hatte mich viel zu stark mit meinem Land identifiziert, als daß mir Zweifel an den Grundsätzen der Politik der Partei- und Staatsrührung gekommen wären.
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Ich war nicht blind

Sicher, ich war nicht blind und übersah nicht die bei uns bestehenden Probleme und Schwierigkeiten, aber an den Grundfesten zu rütteln, kam mir nie in den Sinn.

Gewiß, zu einzelnen Fragen der Wirtschaftspolitik, beispielsweise zum sozialistischen Außenhandelsmonopol, hatte ich durchaus eigene Auffassungen, aber fundamentale Bedenken wies ich weit von mir.
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fast nur von Gleichgesinnten umgeben

Hinzu kam, daß ich die meiste Zeit, vor allem in meiner Arbeit, fast nur von Gleichgesinnten umgeben war, für die das eben Festgestellte gleichermaßen zutraf. So bemerkte ich kaum, daß es in der DDR auch viele andere Menschen gab, die andere Ideale und eine andere Haltung zu diesem Staat hatten, die Widerspruch artikulierten, Widerstreit auslösten und die Zivilcourage besaßen, sich zu widersetzen. Ich dagegen hielt mich an den Gesellschaftskanon, an die Staatsräson und die Parteidisziplin.
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Meine Arbeit war mein Lebensinhalt

Trotz vieler Fragen und mancher Skepsis lebte ich nicht als gespaltene Persönlichkeit - hier Mensch und da Genosse, hier Freund und da Stasi-IM, hier Außenhändler und da Embargoschmuggler.

Meine Arbeit war mein Lebensinhalt. Ich konnte und wollte nicht trennen zwischen meiner Tätigkeit als führender Wirtschaftsfunktionär und Parteiarbeiter. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit betrachtete ich schließlich meine Arbeit für die Staatssicherheit. Sie gehörte ganz einfach zu meinem fachlichen Metier, war meine Pflicht gegenüber Staat und Partei - und auch mein Recht.
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Kalter Krieg, Rüstungswettlauf, Embargo usw.

Wie gesagt, ich lebte nicht unter einer Käseglocke. Ich erlebte hautnah mit, verspürte am eigenen Leib, daß uns der „Klassengegner" von der westlichen Seite allein auf wirtschaftlichem Gebiet nicht mit Streicheleinheiten verwöhnte und keine Wattebällchen warf.

Will sagen: Die Entwicklung der DDR war maßgeblich durch äußere Faktoren bestimmt, und die hießen eben Kalter Krieg, Rüstungswettlauf, Embargo und wirtschaftliche Diskriminierung. Das sollten wir uns widerstandslos gefallen lassen, brav die andere Wange hinhalten?

Die Sprüche vom Marsch der Bundeswehr durchs Brandenburger Tor oder vom Wettrüsten, das den Russen die Butter vom Brot wegnimmt, wurden nicht in der Propagandaküche des Kreml oder des ZK der SED erfunden.
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Der Kampf an der „unsichtbare Front"

Dagegen wollte ich meinen Staat und den Sozialismus schützen. Deshalb arbeitete ich mit der Stasi zusammen. Einem staatlichen Organ, das sich übrigens auch den Schutz der Wirtschaft des Staates auf seine Fahnen geschrieben hatte.

Und dazu zählte für mich nicht zuletzt die Durchbrechung des westlichen Embargos. Ich war also in den Kalten Krieg verstrickt, und das hat meine Biographie wesentlich geprägt.

Ich nahm am Schlagabtausch zwischen den beiden Systemen teil, und zwar an einer Stelle, die gern die „unsichtbare Front" genannt wird. Wer nicht Zeitgenosse war oder Außenstehender ist, dem mag unsere Arbeit oft absurd und unser Treiben sogar unmoralisch erscheinen. Aber es ging um das wirtschaftliche Überleben der DDR, eine Alternative sahen wir nicht.
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Mein Mittun war nichts „Kriminelles" ....

Inzwischen sieht die Welt freilich ganz anders aus. Während der unterlegenen Seite der Verdunklungsvorhang weggerissen wurde, legt die Siegerseite neue Nebelbomben aus, um ihre eigene Verstrickung zu verschleiern.

Schon deshalb will es mir heute immer noch nicht gelingen, in meinem Mittun etwas „Kriminelles" und „Verbrecherisches" zu sehen.

Zehn Jahre sind viel Zeit zum Nachdenken ....

Das heißt aber noch lange nicht, daß ich als unverbesserlicher „Betonkopf' frei von Besinnung wäre. Die zehn Jahre, die seitdem fast vergangen sind, boten viel Zeit zum Nachdenken, zum Verarbeiten von Enttäuschungen, zum Verkraften einer Niederlage, die auch meine persönliche ist.

Aber auch die Chance für den Neubeginn und das Weiterleben. Denn Enttäuschungen sind unvermeidlich bei der Wahrheitsfindung, auch wenn sie schmerzen und man sich mitunter dagegen wehren will.

So ist es für mich eine bittere Erkenntnis, daß unser Wirtschaftssystem zu keiner Zeit den objektiven Herausforderungen gewachsen und dagegen den fortgeschrittenen westlichen Industrieländern in der ökonomischen Effizienz weit unterlegen war.

Daran konnten auch die Feuerwehreinsätze unseres Handelsbereichs, von KoKo und der Staatssicherheit nichts ändern. Lenins Lehrsatz, daß die Arbeitsproduktivität in letzter Instanz das entscheidende Kriterium für die Überlegenheit einer Gesellschaftsordnung ist, bewahrheitete sich auf quälende Weise.
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Gerhard Schürer resümierte

Und meines Erachtens hat Gerhard Schürer - ehemaliges Politbüromitglied und Vorsitzender der Staatlichen Plankommission der DDR, recht, als er resümierte:

  • „Langfristig und historisch gesehen, ist in einem Großversuch der Beweis erbracht worden, daß der Sozialismus, so wie er angegangen wurde, keine höhere Produktivität hervorbringt als die entwickelten Länder mit Marktwirtschaft. Die Grudidee bei Marx, die Enteignung der Enteigner, hat zu einem staatlichen und Gruppeneigentum geführt, das für die Menschen nicht begreifabr ist.
  • Dieses letzten Endes anonyme Eigentum legt die Triebkräfte nicht frei. Das persönliche, das private Eigentum dagegen ist den Menschen verständlich, es schafft Innovationskraft, Risikobereitschaft und Verantwortlichkeit.
  • Das klingt von einem Sozialisten ausgesprochen schlimm. Aber die Erfahrungen drängen zu solchen Schlußfolgerungen."

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Woran ist der Sozialismus gescheitert ?

Gescheitert ist der Sozialismus nicht nur an seiner Wirtschaft, sondern an seinem gesamten verkrusteten System. Obwohl ich es lange Zeit nicht wahrhaben wollte - das Leben und die Politik in der DDR wurden vom Politbüro der SED im Alleingang bestimmt.

Marx' Traum vom "Reich der Freiheit und Gleichheit" wurde von Männern, die sich Kommunisten nannten, zu einer Diktatur einer Kaste der Partei degradiert
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Die greisen Männer - eine Kaste der Partei

Sie saßen an den Schalthebeln der Macht, hantierten mal mit Zuckerbrot, mal mit Peitsche, schufen ein Regime der abgestuften Privilegien und der abgestuften Verantwortungslosigkeit.

Sie ritten die Schindmähre „Diktatur des Proletariats", um ihre Alleinherrschaft gegenüber Andersdenkenden durchzusetzen und aufrechtzuerhalten.

Und zu diesem Zweck verstümmelten sie ihr „Schild und Schwert", die Staatssicherheit. Der praktizierter Stalinismus wurde zur Staatsdoktrin.
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Und jetzt erst kommen Fragen über Fragen .....

Doch der Seite der Obrigkeit stand die der „Regierten" gegenüber, die zum Großteil mitmachten oder es geschehen ließen. Und so frage ich mich natürlich heute, erst nach dem Ende der DDR, warum ich mich nicht weigerte, die von Biermann geforderte „Schönung" der Berichte vorzunehmen, wieso ich damals nie in einer Belegschaftsversammlung dagegen aufgetreten bin, die „Gewerkschaft als Transmissionsriemen der Partei" zu betrachten, warum ich bei Kommunal- oder Volkskammerwahlen nie von meinem Recht Gebrauch machte, offensichtlich unfähige Kandidaten vom Stimmzettel zu streichen oder weshalb ich auf Delegiertenkonferenzen der SED die peinlichen und abgekarteten Demokratiespielchen mitmachte.
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... und das ewige Mißtrauen unter den Stasi- Leuten ....

Oder weswegen kümmerte ich mich nicht um das Mißtrauen, das die Stasi unter den Leuten gesät hatte, um die offensichtlichen Spitzeleien, warum wollte ich es nicht wahrhaben, daß Menschen — auch ich — zum Spielball von Interessen gemacht wurden?

Solche bohrenden Fragen ließen sich noch endlos fortsetzen. Ich will damit nur andeuten, daß ich nicht wie andere die Schuld am Versagen nur auf Honecker und Mittag abwälzen kann. Auch ich trug Verantwortung, und sei es nur dafür, bunte Girlanden vor ein rostiges Schiff zu hängen.
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Daraus gelernt oder weiter so ?

Diese Erfahrung des Scheiterns ist für mich eine produktive. Zum einen weiß ich nun, wie schnell ein System, das sich für das beste und fehlerfrei hält und „Weiter so!" als Marschlosung ausgibt, zusammenbrechen kann.

Zum anderen bin ich zugleich davon überzeugt, daß eine Gesellschaft, in der nur Gewinn, Erfolg und Effizienz der Maßstab sind, noch nicht das letzte Wort der Menschheit ist.

Nein, es wird kein Zurück zu dem ersten sozialistischen Versuch geben, die DDR läßt sich nicht mehr wiederbeleben. Doch die Utopie, die Idee ist nicht tot, Menschlichkeit kann und muß durch Menschen gelebt werden. Und so stimmt es mich froh und zuversichtlich, daß ich Enkel habe, die die Zukunft mitgestalten werden ...
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