Aus der Funkschau 1977 Heft Nr. 26
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 03 (von 72)
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977
Die Kunde von der „Wunder-Sprechmaschine" geht um die Welt
Sensationell aufgemacht wurden zuerst die Amerikaner, dann aber auch die Europäer über die erste Maschine unterrichtet, die vorher hineingesprochene Worte beliebig oft wiederholen konnte. Schon am Morgen nach dem gelungenen Versuch hatte der immer auf Werbung bedachte Erfinder sein Gerät eingepackt und war damit nach New York in die Redaktion der Zeitschrift Scientific American gefahren.
Sein Auftritt dort wurde von dem Redakteur dieses Blattes, F.C. Beach, so geschildert [12]:
„Ich saß an jenem Morgen noch nicht sehr lange an meinem Schreibtisch, als man Mr. Edison meldete. Er trat ein, setzte ein Paket, das er sehr vorsichtig trug, auf meinen Schreibtisch. Als er es auspackte, fragte ich ihn, was los sei. „Nur noch eine Minute!", antwortete der junge Edison.
Mit einem „Da ist er!" schob er den wunderlichen Apparat zu mir herüber. Es war ein langer Stengel mit einem schweren Rad an einem und einer kleinen Kurbel am anderen Ende. Natürlich drehte ich an der Kurbel und zu meinem größten Erstaunen kamen aus einer Art Telephonmundstück unverkennbar die Worte „Guten Morgen! Wie denken Sie über den Phonographen?"
Erstaunen und Begeisterung
Erstauntsein ist ein viel zu schwacher Ausdruck für meinen ersten Eindruck, und Edison schien sich über den kleinen Scherz, den er sich mit mir geleistet hatte, mächtig zu freuen.
Wie ein Blitz ging die Kunde durch das Bureau, daß Edison einen Apparat konstruiert habe, der sprechen könne, und bald war mein Schreibtisch von einer Menge aufgeregter Leute umringt.
Wir sahen zu, wie der Erfinder einen kleinen Stanniolstreifen um den Zylinder wickelte (das war das Mittel zur Schallwellenwiedergabe der ersten Maschine), den Griffel einstellte, und gespannt folgten wir ihm, als er die Verse des Kinderliedes „Mary hatte ein kleines Lamm!"
- Mary had a little lamb, Its fleece was white as snow. And everywhere that Mary went, The lamb was shure to go.
- Mariechen hat ein kleines Schaf, sein Fell ist weiß wie Schnee. Mariechen singt: Wie ist es brav. Geht mit, wo ich auch geh.
in das Mundstück hineinsprach. Wir horchten genauso überrascht, als der Apparat gleich wieder begann und uns die wohlbekannten Worte entgegentönten. Nacheinander wurde der Apparat erst von mir und dann von meinen Kollegen gekurbelt. Alle versuchten ihn, und jeder mußte hineinsprechen und wieder abhören.
Die Kunde über diese noch nie dagewesene Vorführung verbreitete sich schnell, und in kurzer Zeit war das Bureau von aufgeregten Reportern überschwemmt, die in aller Eile von den verschiedenen Zeitungen ausgeschickt wurden, die Maschine zu prüfen und Zeugen der Versuche zu sein. Edison zeigte sie zwei bis drei Stunden lang, aber zuletzt wuchs die Menge derart, daß ich fürchtete, der Boden würde unter diesem Übergewicht einbrechen, und ich bat den Erfinder, aufzuhören".
Das Patent
Wichtiger als die Werbung war für den Erfinder ein Patent, denn nur damit konnte er sein Laboratorium weiterfinanzieren. Die Voraussetzung für die Erteilung eines Patentes ist die Prüfung auf absolute Neuheit; die angemeldete Technik darf nirgends veröffentlicht sein, auch nicht vom Erfinder.
Die amerikanische Patentschrift weist als Anmeldedatum den 24. Dezember 1877 aus. Schon nach neun Wochen wird das Patent erteilt, am 19. Februar 1878 [13]. Ein ungewöhnlich kurzer Termin, Beweis, daß das amerikanische Patentamt kein Gegenmaterial gefunden hat.
Man müßte vermuten, daß ein ausführlicher Artikel mit einer detaillierten technischen Beschreibung im Scientific American vom 22. Dezember 1877 [14] für die Erteilung hindernd im Wege gestanden hätte. Es dürfte aber mit dem amerikanischen Brauch zusammenhängen, wonach die Priorität auch mit einem Caveat gesichert werden kann.
Solche von Zeugen abgezeichnete Unterlagen scheinen aber schon am 7. Dezember fertig gewesen zu sein, denn in den Notizbüchern seines Mitarbeiters Charles Batchelor findet sich an diesem Tag vermerkt: „Haben Modell für das Patentamt gemacht!" [15]
Edison beim Präsidenten der USA
Als eine ganz große Auszeichnung empfand der Erfinder selbst es, daß er, der Selfmademan, der Autodidakt, der niemals ein Fachstudium absolviert hatte, von der Akademie der Wissenschaften in Washington zu einer Vorführung eingeladen wurde (Bild 18).
Danach durfte er den Präsidenten im Weißen Haus besuchen. Stolz ließ er sich nach diesem Besuch am 18. April 1878 mit dem Vorführgerät fotografieren (Bild 19).
Bild 19 rechts : Stolz läßt sich der Erfinder im April 1878 nach seinem Besuch bei Präsident B. Hayes im Weißen Haus mit seinem Zinnfolien-Phonografen fotografieren.
Vorführung in Paris
Aber auch von der Akademie in Paris, bei der Charles Cros seine Idee hinterlegt hatte, kam eine Einladung. Da er selbst nicht abkömmlich war, schickte er einen Vertreter nach Paris mit einem Gerät. Über diese Vorführung habe ich einen Bericht vom „Journal des Debates", geschrieben 1878, gefunden [16]:
„Der Apparat war vor dem Bureau der Akademie auf einem kleinen Tisch aufgestellt. ... Ein Gehilfe Edisons setzte sich auf Wunsch des Herrn du Moncel vor den Tisch und sprach laut durch ein am Apparat befindliches kleines Sprachrohr mit sehr deutlicher Aussprache die Worte: „Der Phonograf fühlt sich sehr geehrt, der Akademie der Wissenschaften vorgeführt zu werden". Man bat um Stille. Der Gehilfe steckte in das Sprachrohr ein großes Höhrrohr aus Pappe. Er setzte den Apparat in Tätigkeit und sofort hörte man zum großen Erstaunen der Versammlung den Phonografen mit sehr deutlicher, etwas näselnder Stimme, aber bestimmt wiederholen: „Der Phonograf fühlt sich geehrt, der Akademie der Wissenschaften vorgeführt zu werden".
Lauter Beifall erschallte im ganzen Saale. Edison's Gehilfe ist Amerikaner, er spricht vollkommen französisch, aber mit einem etwas fremdartigen Accent. Der Apparat gab diesen Accent mit überraschender Treue wieder. Die Ähnlichkeit war so groß, daß ein noch ungläubiges Mitglied der Akademie sich nicht enthalten konnte, mit gedämpfter Stimme zu sagen: „Das ist ganz unmöglich, der Apparat ist nur zum Schein aufgestellt, es ist hier ein Bauchredner".
Anschließend sprach du Moncel selbst, zunächst mit seiner normalen etwas leisen Stimme, von der Wiedergabe hörte das Auditorium fast nichts. Wieder vermutete ein kritisches Akademiemitglied, ein Bauchredner spreche statt der Maschine. Doch nach einer weiteren Aufnahme kam auch die Stimme von du Moncel einwandfrei mit all ihren Nuancen.
Das Patent auch für die Schallplatte
Mit der Anerkennung auch in der Heimat von Charles Cros war die Sprechmaschine als große selbständige Erfindungsleistung auch in ganz Europa anerkannt. Im selben Jahr wurde dann auch ein englisches Patent erteilt, in dem eine Fülle von Neuheiten, aus den Notizbüchern von 1877 zusammengestellt, auch die Erfindung der Schallplatte vorwegnimmt.
Dieses Britische Patent Nr. 1644 ist am 24. April 1877 angemeldet und am 6. August 1877 erteilt [l7], also auch in nur drei Monaten. Es bezieht sich nur auf Verbesserungen und beinhaltet nicht grundsätzlich die Aufzeichnung und Wiedergabe: (Improvements in Means for Recording Sounds, and in Reproducing such Sounds from such Record").
In vielen Arbeiten findet sich der Hinweis, daß das britische Patent von 1877 stamme und einer Neuanmeldung entgegengestanden hätte. Gemeint ist das Britische Patent Nr. 2909 vom 30. Juli 1877, das ein lautsprechendes Telefon beschreibt und in dem ganz nebenbei vermerkt ist, daß man damit auch Schallwellen aufzeichnen kann. Edison hätte gerne die Priorität für den Phonografen bis dahin ausgedehnt, das ist aber offensichtlich nicht gelungen. Ein äquivalentes amerikanisches Patent habe ich nicht gefunden, so ist demnach die Schallplatte von ihm nur in England offenbart.
Phonograph, Phonet und Phonogramm verändern die Welt
Er bezeichnet dort den Aufnahmeapparat als Phonograph, den Wiedergabeapparat als Phonet und die Aufzeichnung als Phonogramm. Die Trennung von Aufnahme und Wiedergabe ist notwendig, weil auch von einer Kupferfolie für die Aufnahme gesprochen wird, die für die Wiedergabe elektrolytisch mit einem harten oder härtbaren Material überzogen wird.
Auch der Diamantstift wird schon erwähnt. Wichtig ist, daß dieses Patent Platte und Walze gleichberechtigt nebeneinander enthält. Einige Bilder aus der Patentschrift mögen dies verdeutlichen (Bild 20).
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Auch die Vervielfältigung von Platten durch Pressen in eine Matrize wird vorgeschlagen. Die Platten waren quadratisch, an den Ecken wurden sie zur Sicherung der Mitnahme mit dem Plattenteller verbunden. Man kann erkennen, daß bei dem Eindrückverfahren die weiche Platte leicht deformiert wurde, das war mit der fest um die Walze gespannten Folie nicht zu befürchten.
Von dieser Aufnahmetechnik her gesehen war der Vorschlag, als Tonspeicher eine Platte zu nehmen, nicht sehr vorteilhaft. Du Moncel soll von Edison 1878 einen Sprechapparat (Bild 21) mit Platten gehabt haben, bei dem der Plattenteller mit einem Federmotor angetrieben wurde [18]. Der Federwerksmotor mit Regulator findet sich ebenfalls in dem englischen Patent.
Charles Cros ist der Erste, aber Edison ist der Erfinder
Wieder kommen wir zu einer Aussage über die Erfindung der Schallplatte, die ähnlich ist wie die von den internationalen Experten bezüglich Charles Cros und der subtraktiven Farbenfotografie gemachten: Charles Cros ist der Erste, der die Idee der Schallplatte niedergeschrieben hat, aber Edison ist ihr Erfinder!
Einige Hundert Zinnfoliensprechmaschinen wurden hergestellt. Auf Jahrmärkten waren sie sensationelles Demonstrationsobjekt. Die Menschen strömten in Sonderzügen nach Menlo Park, um sie sich von dem Erfinder vorführen zu lassen.
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Doch der wandte sich bald einer anderen Erfindung zu: Die Verwirklichung der Glühlampen- beleuchtung nahm ihn für Jahre in Anspruch. Doch überall im Lande sprach man vom „Zauberer von Menlo Park", doch der hatte von dem Zauber erst einmal genug. Inzwischen war auch Kritik an der Unvollkommenheit des Zinnfolien-Phonografen aufgekommen, der doch mehr oder minder ein wissenschaftliches Demonstrations- und kein Gebrauchsgerät war.
1879 noch lange nicht fertig
Auch dazu wieder eine zeitgenössische Stimme [19]:
- „In seiner gegenwärtigen Gestalt ist der Phonograph kaum mehr als ein interessanter Versuch", schrieb im August 1878 die „Leipziger Illustrierte Zeitung"; „und wenn er auch vorerst noch vieler Vervollkommnung fähig erscheint, so doch vorläufig kaum einer praktischen Verwendung. Vor allen Dingen ist die Wiedergabe der einzelnen Sprachlaute eine sehr ungleiche. Während einzelne mit großer Deutlichkeit erscheinen, klingen andere so dumpf und undeutlich, daß sie kaum zu verstehen sind."
Bei der Wiedergabe musikalischer Töne macht sich außerdem jede Unregelmäßigkeit bei der Drehung der Walze, die je durch Handbetrieb erfolgt, unangenehm bemerkbar; der Phonograph singt dann falsch. „Von einem ewigen Konservieren der Stimmen einer Lucca oder Patti ist also gar keine Rede. Mit voller Kraft der Lungen gesprochene Sätze lauten etwa wie die Sprache eines heiseren Menschen. Und die Wiedergabe längerer Reden ist wohl auch nur ein frommer Wunsch ... Somit dürfen zunächst alle die weitgehenden Hoffnungen und überschwenglichen Pläne sich noch als ins Gebiet der Luftschlösser gehörig erachten lassen."
Wenige Originale sind erhalten
Es ist bedauerlich, daß die Aufnahmen aus jener Zeit heute nicht mehr abspielbar sind. Zinn ist nicht beständig, alte Folien lassen sich nicht mehr aufspannen. Die Stimme Edisons vom Stanniolfolien-Phonograf, gelegentlich auf Schallplatten reproduziert, ist 50 Jahre später anläßlich einer Tonfilmaufnahme auf dem alten Gerät aufgenommen und davon umgespielt auf Tonfilm und von dem wieder auf Schallplatte weitere 50 Jahre aufgehoben worden.
Von 1888 an sind jedoch Originalstimmen vorhanden aufgezeichnet auf einem neuen haltbaren Tonträger. Denn nach zehnjähriger Unterbrechung hatte Edison, gefordert von zwei Konkurrenten, die Entwicklungsarbeiten wieder aufgenommen und den Sprach- und Musikspeicher unserer Großeltern geschaffen, so wie er bis zum Anfang der 20er Jahre existierte.
(Fortsetzung folgt)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39
finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.