Aus der Funkschau 1979 Heft Nr. 01
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 30
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977
Über die 78er Schellackplatte
Bei den verwendeten 84, 96 oder 106 Rillen pro Zoll kommt man auf einen mittleren Schallrillenabstand von etwa 0,25mm und dem entsprechen bei der 25- und 30cm Platte etwa 3...5 Minuten Spielzeit. Da statistisch festgestellt ist, daß die größte Schalleistung bei Musik und Sprache zwischen 400 und 1000 Hz auftritt, wählte man bei der Frequenz 800 Hz die maximal aufgezeichnete Schnelle zu etwa 30cm/s.
Das entspricht einer Sinus-Amplitude von 60um und einer Steilheit der Schallrille von etwa 40°. Unterhalb 300 Hz verzichtete man auf konstante Schnelle und wählte dann eine konstante Amplitude für den Frequenzgang; damit vermied man die extremen Auslenkungen bei tiefen Frequenzen. Eine solche Festlegung der Schneidkennlinie erforderte aber auch eine geeignete Meßtechnik.
Die ,,Meyer-Breite"
Dazu eignete sich ein optisches Verfahren, das der Mitarbeiter von Prof. E. Meyer., ein Herr G. Buchmann, 1930 entdeckt hatte.
Läßt man auf eine beschriebene Schallplatte nahezu streifend ein paralleles Lichtbündel fallen und beobachtet man dann die Platte von der Richtung der Lichtquelle her, so nimmt man ein leuchtendes Band wahr (die sogenannte ,,Meyer-Breite").
Die Breite dieses Bandes ist dann ein unmittelbares Maß für die Schnelle der auf der Platte aufgezeichneten Kurvenschrift. DIN 6151 schrieb diese Meßtechnik vor.
Mit Hilfe dieser Meßtechnik ließen sich einwandfreie Frequenzmeßplatten herstellen.
Vorher benutzte man elektromechanische Schwingungsgeber, um Tonabnehmer für Meßzwecke an der Nadel mechanisch zu erregen (Bild 164).
Bild 164 rechts. Ehe man Frequenzmeßplatten (mit der Buchmann-Meyer-Methode gemessen) genau herstellen konnte, wurden elektromechanische Schwingungsgeber benutzt, um Tonabnehmer für Meßzwecke an der Nadel mechanisch zu erregen (Charly Hirsch. 1930)
Der Nachkriegsentwicklung vorgreifend: Für die Langspielplatten hat man die Schneidkennlinie neu festgelegt.
Die DIN 45541
Nach DIN 45 541 setzt sie sich aus drei Teilkurven zusammen (Bild 165). Unterhalb 500 Hz läßt man die Schnelle mit einer Steilheit von 6dB/Oktave bis 50 Hz abfallen, dann hebt man sie wieder an. Ab 2.120 Hz läßt man die Schnelle wieder mit 6dB/Oktave ansteigen. Der Wiedergabeverstärker muß eine gegenläufige Frequenzkurve haben.
Die Absenkung in der Wiedergabekennlinie bei den Höhen reduziert das Plattenrauschen, die Absenkung bei den tiefsten Frequenzen verringert die Wiedergabe des Rumpeins des Plattenspielers. Für alle diese Überlegungen waren die Vorarbeiten in den dreißiger Jahren, damals noch für die 78er Schellackplatte, eine wertvolle Hilfe.
Die Tonabnehmer und die Aufzeichnung der zweiten Generation - Auf dem Weg zur High-Fidelity.
Mit 120 Gramm drückten die Tonabnehmer der ersten Generation (Bild 166) auf die Platte, dabei Nadel und Platte schnell abschleifend *).
*Entsprechend der Gepflogenheit in jener Zeit wird das Auflagegewicht angegeben, nicht wie später üblich und richtig die Gewichtskraft, die eng mit der Fallbeschleunigung verknüpft ist. Als Maßeinheit für sie wurde 1901 im technischen Maßsystem das Kilopond (kp) festgelegt. Entsprechend findet sich in der Tonabnehmerliteratur bis vor kurzem die Angabe der aufdrückenden Kraft p in Gramm.
Neuerdings muß man das seit 1. Jan. 1977 für Deutschland gesetzlich vorgeschriebene Internationale-Einheitensystem (IS) benutzen, in dem als Einheit für die Kraft das Newton festgelegt ist.
Ein Newton ist die Kraft, die einem Körper der Masse 1 kg auf der Erde die Beschleunigung 1 m/s2 erteilt. Daraus berechnet man : 1 kp = 1 kg • 9,806 m/s2 = 9,806 N und 1 N = 0,102 kp. Für unseren Gebrauch abgerundet ist dann 1 p = 10 mN (Millinewton) und 1 mN = 0,1 p.
1932 wurde dieses Auflagegewicht durch eine Entlastungsfeder am Tonarm auf 100 g vermindert.
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Für den Rundfunk nicht gut genug
Dem Rundfunk, der nun Schallplatten für seine Sendungen verwendete, genügte jedoch die Qualität der ersten Tonabnehmer mit einem Frequenzumfang von nur 100 bis 5.000 Hz nicht, vor allem, weil sie bei den nutzbaren hohen und tiefen Frequenzen erhebliche lineare Verzerrungen aufwiesen, wie Bild 167 zeigt [84]. Die Überhöhung bei den hohen Frequenzen war durch die Eigenresonanz des Ankersystems mit Nadel gegeben, die mit Gummi zwar wegzudämpfen war, das System dann aber zu steif und plattenzerstörend machte.
Die Überhöhung bei den tiefen Frequenzen, die ,,Schüttelresonanz", war darauf zurückzuführen, daß die zur Massenbeschleunigung des ganzen Tonarms erforderliche Kraft in die Größenordnung der Auslenkkraft des schwingenden Systems kam.
Elektrische Abtastung und ein Saphir als Dauernadel
Die Telefunken-Ingenieure hatten sich Anfang der dreißiger Jahre die Aufgabe gestellt, einen Tonabnehmer mit Dauernadel für einen Frequenzbereich von 40 bis 10.000 Hz zu schaffen [85]. Damit ein Saphir als Dauernadel eingesetzt werden konnte, mußte das Gewicht des Systems erheblich gegenüber dem der bis dahin üblichen Tonabnehmer herabgesetzt werden, entsprechend waren auch die Rückstellkräfte des Systems zu vermindern.
Man kam bei dem ersten Modell, dem TO 1000, zu einer Auflagekraft von 30g und dann endlich 1937 zu dem endgültigen Modell TO 1001. Seine Schüttelresonanz lag bei 25 Hz und seine Ankerresonanz auf der Platte im Betrieb bei 14.000 Hz, also in beiden Fällen außerhalb des damals vorgesehenen Frequenzbereichs.
Bei einer Auflagekraft von 30g war die Ankerrückstellkraft nur 7g bei einem Ausschlag von 0,06mm. Dies bedeutete Plattenschonung und ermöglichte erstmalig die Anwendung eines Saphirstiftes als echte Dauernadel ohne nennenswerten Abschliff.
Ein Saphir habe eine "50.000fach" längere Lebensdauer
als eine (Einmal-) Stahlnadel . . .
Die Abspiellebensdauer einer Platte wurde verzehnfacht und die Saphiernadel erhielt eine - wie man sagte - "50.000fach" längere Lebensdauer als eine Stahlnadel. Man beachte die Frequenzkurven, ermittelt mit einer Schellack- Frequenzschallplatte, gemessen beim erstmaligen Abspielen und bei der Abspielung 2.000 (Bild 168).
(Anmerkung : Das war natürlich Marketing-"Gewäsch", denn der Saphir hielt maximal 100 mal so lange wie die Stahlnadel - aber immerhin.)
In Bild 169 (1 bis 9 weiter unten) sind einige Details dieses interessanten Telefunken Tonabnehmers dargestellt.
Als eine der sensationellen Entwicklungen Deutschlands war dieser Tonabnehmer zusammen mit einer Abspielanlage in Paris auf der Weltausstellung 1937 ausgestellt.
Bild 170 (rechts). Programm eines der Schallplattenkonzerte auf der Weltausstellung Paris 1937; die Platten wurden mit einem TO 1001 abgetastet.
Der Leichttonabnehmer TO1001 (Telefunken, 1937). Er enthält schon fast alle Merkmale eines modernen, monophonen Tonabnehmers - Die Texte zu den Bildern 169-1 bis 169-9 :
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- Bild 169 - 1) System geöffnet
- Bild 169 - 2) Der zerbrechliche Saphir wird bei hartem Autsetzen auf die Platte durch eine Gummirolle geschützt. Die rotierende Platte beseitigt den Schutz, die Nadel senkt sich in die Rille
- Bild 169 - 3) Ein kräftiger Magnet erlaubte große Luftspalte, die einen linearen Wandlungsprozeß sicherten
- Bild 169 - 4) Nadel und Anker sind auf einer Torsionsfeder befestigt, eine zusätzliche Gummidämpfung ist nicht mehr notwendig. Beim TO1001 ist das schwingende System komplett mit der Nadel auswechselbar (wie bei den heutigen Systemen)
- Bild 169 - 5) Der Tonarm ist in beiden Bewegungsrichtungen in Spitzen gelagert
- Bild 169 - 6) Eine Entlastungsfeder hebt einen Teil des Tonarmgewichtes auf. Sie liegt auf einer rollenden Kugel, um die Reibung bei der Bewegung in horizontaler Richtung zu verringern
- Bild 169 - 7) Ein Gewicht von 25 g (durch die Entlastungsfeder teilweise aufgehoben) verlegt die Schüttelresonanz (Baßresonanz) so weit nach unten, daß sie unterhalb des Übertragungsbereichs bleibt
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Weitere Verbesserungen mit Wachsplatten
Anfang der dreißiger Jahre war vom Rundfunk ein Instrument zur Überbrückung der Zeit verlangt worden, man wollte Sendungen vorher aufnehmen oder aktuelle Konzerte und Reden speichern. Das wurde besonders dringend gefordert nach 1933 (Machtübernahme der Nationalsozialisten).
Die Magnetbandaufzeichnung war 1934 im absoluten Anfangsstadium und erfüllte damals noch nicht die Qualitätsanforderungen, zumal in den ersten Jahren nur das Stahlband und später noch nicht die Hochfrequenzvormagnetisierung zur Verfügung standen. So mußte man die Schallplattenaufnahme heranziehen.
Doch die Zeit von der Wachsaufnahme bis zur fertiggestellten, gepreßten Schallplatte war zu lang und der ganze Prozeß viel zu teuer. Deshalb wagte man sich an das direkte Abspielen von Wachsplatten, etwas, was Edison mit seinen Wachswalzen schon lange vorher gemacht hatte, allerdings ohne die Qualitätsforderungen des Rundfunks zu erfüllen.
Eine Aufgabe für Telefunken
Es war ein kühnes Vorhaben, die wegen ihrer leichten Formbarkeit für Aufnahmezwecke gut geeignete Wachsplatte so mit einem Tonabnehmer abzutasten, daß sie nach der Sendung im Archiv aufbewahrt und später ohne Qualitätseinbuße noch oft abgetastet werden konnte. Dafür mußte ein spezieller Tonabnehmer entwickelt werden, und auch die Schneidetechnik war zu vereinfachen. Diese Arbeiten wurden wieder im Telefunken-Laboratorium durchgeführt [84].
(Fortsetzung folgt)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39
finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.