Aus der Funkschau 1978 Heft Nr. 18 kommt hier
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 21
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977
Das Trichtergrammophon
Der Trichter des Grammophons, Metall, glänzend poliert oder lackiert mit Ornamenten verziert, gehörte zum Wohnzimmer unserer Großeltern wie der Fernsehempfänger zu unserem.
Tontechniker und Konstrukteure hatten Form und Ausführung für optimale Schall wiedergäbe entwickelt, gestaltende Künstler ihm das Gesicht für die Jugendstilepoche gegeben.
Nicht das Hörrohr, das zum anspruchslosen Schallsammler der Aufnahmeseite führte, war für ihn Vorbild, sein Ursprung läßt sich auf das jahrtausendealte Sprachrohr zurückführen.
Ein Reim zum Grammophon
Der Teufel kam hinauf zu Gott und brachte ihm sein Grammophon und sprach zu ihm, nicht ohne Spott, hier bring ich dir der Sphären Ton.
Der Herr behorchte das Gequiek und schien im Augenblick erbaut: Es ward fürwahr die Welt-Musik vor seinem Ohr gespenstisch laut.
Doch kaum er dreimal es gehört, da war sie ihm zum Ekel schon -und höllwärts warf er, tiefempört, den Satan samt dem Grammophon.
(Christian Morgenstern)
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Dieses Sprachrohr, aus dem sich der Grammophontrichter entwickelt hat, ist schon uralt. Ältestes Zeugnis gibt eine Relieftafel vom Palast von Ninive aus dem 9. Jahrhundert v. Chr., heute im „Britischen Museum" in London zu besichtigen.
Eine Nachzeichnung von Layard, dem Ausgräber, schon an der Fundstelle gemacht, zeigt deutlich, was an dem beim Brand des Palastes stark angekohlten Original nicht mehr so gut erkennbar ist, wie mit dem Sprachrohr der Transport von riesigen Steinblökken dirigiert wurde (Bild 110, [59]).
Einer größeren Menschenmenge hörbar zu machen, was sonst in der Nähe verklungen wäre, das war die Aufgabe dieses Schalltrichters.
Ein weiteres Bild möge die vielseitige Anwendung solcher Schalltrichter auch im Mittelalter veranschaulichen (Bild 111). Es stammt aus dem großen Werk über Akustik „Misurgia Universalis", erschienen 1650, des aus Fulda stammenden Jesuitenpaters Athanasius Kircher (1601 - 1680).
Wie man einen solchen Schalltrichter dimensionieren muß, davon hatte Emile Berliner ebensowenig eine Ahnung, als er ihn für sein Grammophon einsetzte, wie seine Vorgänger Edison und Bell-Tainter, als diese ihn für ihre Sprechmaschinen wählten. Irgendwie war ihnen die Trompete Vorbild.
Die Sprech-Trompete
Kein Wunder, denn schon 1671 war eine Veröffentlichung über das Sprachrohr erschienen, in der es „Sprech-Trompete" genannt wurde [60]. So ist es verständlich, daß die ersten Grammophone Trichter hatten, für die eine Bezeichnung wie „sprechende" oder „singende Trompete" durchaus angebracht war.
Von der Physik der Vorgänge in solch einem Trichter hatten die Erfinder wenig Ahnung, sie wußten nur, daß man den Trichter möglichst lang im Vergleich zu seinem Enddurchmesser machen sollte, um einen guten Wirkungsgrad zu erhalten. Keine allzu neue Erkenntnis, fand sich doch nach Feldhaus, in der Nürnberger Burg aufbewahrt, ein Sprachrohr aus Blech von der stattlichen 5,5m Länge.
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Bei ausbrechendem Feuer wurden damit im 18. Jahrhundert die Feuerwehrleute an die Brandstelle dirigiert. Das Foto (Bild 112) eines Monstrums von Schalltrichter fand ich in Edisons Bildarchiv, 35,5m war dieser Trichter lang. Es scheint, daß man damit eine Kapelle im Freien aufnehmen wollte!
Untersuchungen von Johann Heinrich Lambert
Der physikalische Grund für die langsame Zunahme des Querschnitts beim linear steigenden Trichterdurchmesser war die Vermeidung von Schallreflexionen in seinem Inneren. Bei jeder sprunghaften Änderung des Querschnitts treten dort Reflexionen auf, ein Teil der Schallenergie läuft zur Membran zurück.
Bei geringer Querschnittsänderung, also langsamen Anstieg, sind diese Störungen am geringsten; also langer Trichter. Hätten die Sprechmaschinenerfinder die Untersuchungen von Johann Heinrich Lambert (1728-1777) über den Schalltrichter gekannt, so wären sie sicher viel früher zu dem Trichter mit exponentiell zunehmendem Querschnittsverlauf gekommen, der eine optimale Abstrahlung bei wesentlich geringerer Länge hat, als ein vergleichbarer Trichter mit gleichem Enddurchmesser und linear zunehmendem Querschnitt.
Dieses berühmte Mitglied der Akademie Friedrich des Großen hatte schon 1863 den Schalltrichter theoretisch untersucht und gefunden, daß man innere Reflexionen vermeiden kann, wenn man den Trichterquerschnitt nach seinem Ende hin stärker als linear ansteigen läßt. So mußten einige Jahre vergehen, bis man gelernt hatte, den Grammophontrichter zu optimieren.
. . . und natürlich gab es auch Regeln dafür . . .
Man fand eine Regel, die später auch von den ersten Lautsprechertrichtern der zwanziger Jahre übernommen wurde. Wie bei einer konzentrischen elektrischen Leitung wachsenden Wellenwiderstandes wird Reflexion vermieden, wenn die kontinuierlich aufeinander folgenden Querschnitts-„elemente" exponentiell ansteigend aufeinander folgen. Optimale Abstrahlung wird dann erreicht, wenn am Ausgang die Trichterwand 45° zur Achse geneigt ist.
Walter Burstyn beschreibt die Schallwand
Anschaulich konnte Walter Burstyn 1915 mit der Erfindung der „Schallwand" [61] zeigen, wie auch beim Trichter die untere Grenzfrequenz der Abstrahlung vom Trichterdurchmesser bestimmt wird.
Burstyn hatte zunächst mit einer Stimmgabel, die er in einem sie gerade umschließenden Ausschnitt in der Mitte einer Schallwand schwingen ließ, demonstriert, daß man auf diese Weise eine Schallverstärkung erreichen konnte.
Diese Schallwand, die dann 1924 der Amerikaner Rice für die Erweiterung des Abstrahlbereiches seiner Konusmembran (dynamischer Lautsprecher) einführte, war von Burstyn am 17. Juni 1921 bei einer Vorführung vor den Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für technische Physik populär gemacht worden.
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Burstyn gab dort ihre physikalische Erklärung in Analogie zum Grammophontrichter etwa folgendermaßen: Wenn die Wellenlänge des abzustrahlenden Schalles in eine Größenordnung kommt, bei der die Schallwelle um die Wand „herumfließen" kann, dann kompensieren sich die Schwingungen, die von der Vorderseite der Membran kommen und die von entgegengesetzter Polarität, die von ihrer Rückseite kommen. Eine Schallabstrahlung findet nicht mehr statt.
Will man noch etwa 75% Schallabstrahlung, verglichen mit den hohen Frequenzen, haben, dann hat sich als Näherungsregel herausgebildet, daß der Weg von der Vorderseite der Membran zu ihrer Rückseite mindestens so weit sein soll wie ein Drittel der Wellenlänge. Für eine untere Grenzfrequenz von 50 Hz bedeutet das (bei einer Ausbreitung der Welle in Luft mit einer Wellenlänge von 6,6m) dann einen Mindestdurchmesser von 2,2m; für 100Hz Grenzfrequenz also ca. 1 m Durchmesser.
Der Schallverstärker
Mit diesen Erkenntnissen deutete Burstyn auch die Schallabstrahlung vom Grammophontrichter. Klar hatte er erkannt, daß der Trichter neben seiner Richtwirkung eindeutig als Schallverstärker wirkt, „da er die nützliche Dämpfung der Membran erhöht".
Diese Leistungsverstärkung ist verständlich, wenn man berücksichtigt, daß der Hub der Membran ausschließlich von der Auslenkung der Schallrille bestimmt wird, eine steife Nadel vorausgesetzt. Bei größerer Belastung durch die Membran muß die zusätzliche Leistung vom Antrieb aufgebracht werden. Ohne Trichter wird die kleine Membran nur mit einem kleinen Strahlungswiderstand pro Flächeneinheit belastet, über den Trichter transformiert wird er viel größer; bei gleicher Membranschnelle ist die abgestrahlte Leistung mit vorgesetztem Trichter um ein Vielfaches größer.
Das sieht man gut am Trichterlautsprecher, dessen Membran bei Betrieb mit einer bestimmten Leistung mit Trichter eine bestimmte Amplitude macht; sie kann bei Entfernung des Trichters, und damit erheblicher Verringerung der Belastung, so groß werden, daß die Membran zerstört wird.
(Fortsetzung folgt)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39
finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.