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Aus der Funkschau 1978 Heft Nr. 16 kommt hier
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 19

von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977

Das Patent für die Seitenschrift

Bild 100. Aus dem Patent von J. W. Jonas

Dieses Patent schützt den Schnitt einer Platte aus weichem Wachs in Seitenschrift, den Überzug mit einem leitenden Material, ein Galvano als Preßmatrize und die Plattenpressung davon (Bild 100 zeigt das Blatt des Patentes mit den Zeichnungen).

Der clevere Eldridge Johnson verkaufte sein Patent für 25.000 Dollar an die American Graphophone Co., die ihn auch engagierte, jedenfalls machte das Patent so lange Schwierigkeiten, bis es zu Fall gebracht werden konnte.

Die Entwicklungsarbeiten bei Eldridge Johnson für die Herstellung von Preßmatrizen aus in Wachsplatten geschnittenen Aufnahmen waren etwa um 1900 abgeschlossen.

Da Edison das Patent für die Metallbedampfung von Wachs-„Mastern" hatte, mußte Johnson seine Wachsplatten für den galvanischen Prozeß durch Bestäubung mit feinem Graphitpulver leitend machen, eine Methode, die man in der Schallplattenindustrie viele Jahre beibehielt.

1902 - Das neue Produktionsverfahren kommt nach Europa

Fred Gaisberg brachte das Verfahren nach Europa. Wenn auch die allerersten Aufnahmen von Caruso noch mit dem Ätzverfahren gemacht wurden, so stammen die berühmten Aufnahmen, die Gaisberg von ihm 1902 in Mailand gemacht hat, schon von Wachsplatten. Umgespielt geben sie heute noch einen Eindruck von dem, was damals erreicht werden konnte. - Bei Umspielungen von so alten Aufnahmen auf Langspielplatten benützt man gerne moderne Abdrücke von den alten Originalmatrizen. Wo man auf alte Platten zurückgreifen muß, filtert man das Plattenrauschen im elektronischen Kanal soweit wie möglich aus.

Von der Wachsplatte her waren diese Aufnahmen mindestens so rauschfrei wie die Wachs-Walzenabspielungen. Öfter gespielte Platten brachten infolge ihrer aufgerauhten Oberfläche das Rauschen, das uns zusammen mit dem blechernen Klang der Trichter so sehr an das Klangbild des Grammophons der zwanziger ]ahre erinnert.

Von nun an nahm das Geschäft mit der Schallplatte einen unerhörten Aufschwung. Viele wollten daran teilhaben. Den Eigentümern der Grundpatente wollte man nicht das Vorrecht zugestehen, bestimmte Geräte allein zu fabrizieren, zumal die Erfinder selbst meist ihre Erfindungen weit unter Wert abgegeben hatten.

Findige Anwälte starten Klagen ohne Ende

Bild 101. Das für den Patentprozeß maßgebende Bild aus Emile Berliners zweiter Patentschrift

Man versuchte, die Patente nichtig zu klagen oder sie im Erfindungsumfang oder in der Laufdauer einzuschränken. Findige Anwälte fanden Ansätze für die Einleitung solcher Prozesse. Unverständlich ist heute, und die Gründe sind nicht mehr zu ermitteln, warum Berliner die Schutzzeit nicht eingehalten hat, die ihm sein Gaveat geboten hatte, das er 1888 für seine zweite Erfindung eingereicht hat. Einigen Ärger hätte er sich ersparen können. Erst am 30. Mai 1892 reichte er dafür eine formelle Patentanmeldung in Amerika ein; am 19. Februar 1895 wurde ihm das Patent erteilt.

Auf dem dritten Blatt (Bild 101) des Patentes findet sich eine detaillierte Zeichnung der Abspielapparatur. Der dazugehörige Schutzumfang war der Stein des Anstoßes. Nachdem schon mehr als zwei Jahre vor der Anmeldung die Erfindung vorgeführt wurde, hätte nach Ansicht der Kläger der Schutz des Caveats nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Doch damit kamen sie nicht durch, das Gericht entschied in diesem ersten Prozeß (in der veröffentlichten Entscheidung 140 Fed. Rep., 800), daß die damalige Vorführung im Franklin-Institut nicht als eine öffentliche angesehen werden kann, da sie vor einer geschlossenen Gesellschaft stattfand und kein Eintrittsgeld verlangt wurde, somit sei sie wie ein Experiment zu werten, das einer Patenterteilung nicht im Wege gestanden hätte.

Insgesamt waren es fünf Prozesse

In einem weiteren von den fünf Prozessen wollte man erreichen, daß die Laufdauer des amerikanischen Patentes um ein Jahr verkürzt wird, da Berliner schon am 11. Februar 1893 ein kanadisches Patent bekommen habe und mit diesem das amerikanische erlöschen müsse. Auch das lehnte das Gericht ab (146 Fed. Rep., 147).

In einem anderen Prozeß wieder wollte man beweisen
, daß das kanadische Patent die alleinige Führung der Schalldose in der Schallrille schon vorweg genommen habe. Hierzu entschied das Gericht unter Zitierung der entscheidenden Stelle in den Ansprüchen (150 Fed. Rep., 147), daß es sich diesbezüglich bei dem kanadischen Patent um eine ganz andere Erfindung handle. Zur Erläuterung seien die beiden Stellen im englischen Originaltext zitiert:

Im kanadischen Patent heißt es:
"A rotating record tablet, a reproducing Stylus mounted to have a free movement over the record tablet."

Im amerikanischen Patent steht dagegen:
"The method of reproducing sound from a record which consists in vibrating a Stylus and propelling the same along the record by and in aecordance with the said record."

Emile Berliner hatte eine Goldmine gefunden

Bild 102. Werbung von Columbia für die doppelseitig bespielte Platte - Columbia durfte das nicht und mußte die Produktion wieder einstellen.
Bild 103. Anspruch von Odeon auf das alleinige Recht zur Herstellung doppelseitig bespielter Schallplatten

Aus diesen Prozessen - und es waren noch zwei mehr um dieses eine Patent - ersieht man, auf was für eine Goldmine Emile Berliner gestoßen war, sonst hätte man nicht um eine Verkürzung der Patentlaufdauer in Amerika um ein Jahr gekämpft. Der unterschiedliche Schutz der beiden Patente zeigt aber wieder, wie wichtig die richtige Formulierung des Erfindungsumfanges bei einer Patentanmeldung sein kann.

In Deutschland waren einige der Grundpatente der Amerikaner nicht angemeldet
oder auch nicht erteilt worden. Das begünstigte das Entstehen vieler kleiner Fabriken. Dafür kamen jetzt aus Deutschland laufend eigene Erfindungen dazu. Das „große Geld", das mit Sprechmaschinen, vor allem aber mit Schallplatten zu verdienen war, gab natürlich auch den Anlaß für viele Patentprozesse. So entstand beispielsweise ein Streit um den erhöhten Plattenrand, der das Abrutschen der Nadel verhinderte, wenn sie zu nahe am Rand aufgesetzt wurde.

1904 - „Odeon" war das Label mit ersten doppelseitigen Platten

Viel bedeutender war eine scheinbar ganz kleine, weil naheliegende Erfindung, die der Firma, welche die Rechte besaß, einen entscheidenden Vorteil brachte, wenn man den Konkurrenten ihre Benutzung untersagen konnte: Von der „International Talking Machine Company" war in Berlin-Weißensee eine Fabrik für Plattenabspielgeräte und für Platten gegründet worden, für die man als Markenzeichen den Namen eines bekannten Theaters in Paris gewählt hatte: „Odeon".

Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1904 wurden von Odeon erstmalig doppelseitig bespielte Platten vorgestellt. Das war eine Sensation, ein Fortschritt, den alle nutzen wollten.

Als auch Columbia 1904 solche Platten mit einer guten Werbung (Bild 102) herausbrachte, mußte diese Produktion eingestellt werden, wegen der Patente und Gebrauchsmuster von Odeon (Bild 103). Deshalb mußte die doppelseitige Platte bei vielen Produzenten noch Jahre auf sich warten lassen. Als letzte Firma ging meines Wissens die englische EMI erst 1912 dazu über.

(Fortsetzung folgt)
.

Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39

finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.

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