Aus der Funkschau 1978 Heft Nr. 23 kommt hier
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 26
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977
Über Tri-Ergon - die Pioniere der Tonfilmtechnik
Die weltbekannten deutschen Pioniere der Tonfilmtechnik, Hans Vogt, Dr. Jo Engl und Joseph Masolle, hatten die bei der Entwicklung des Lichttonfilms gesammelten Erfahrungen auf den Schnitt von Schallplatten angewendet (Bild 141).
Der Ton wurde zunächst nach dem Lichttonverfahren auf einem Filmband festgehalten, dann in Form einer Zeitlupe, das heißt im wesentlich verlangsamten Zeitmaß, auf die Wachsplatte übertragen. Die um einen Faktor 20 ... 100 herabgesetzten Tonfrequenzen lagen dann unterhalb etwaiger Resonanzen des Schneidesystems, — das Sykes Patent wurde umgangen -, und auch jene feinsten Schwingungen wurden erfaßt, die bei der gewöhnlichen Methode oft unberücksichtigt blieben.
Leider steckte die Tonaufzeichnung auf Film noch in den Kinderschuhen, die erreichbare Qualität war für die Übertragung auf eine Schallplatte der Spitzenklasse unzureichend, das konnte auch durch die verbesserte Schneidetechnik nicht aufgeholt werden.
Lichttonfilme aus jener Zeit lassen, wenn sie heute im Fernsehen gebracht werden, erkennen, wie bescheiden ihre Tonqualität im Vergleich zu der der damaligen Schallplatte war. Einem 1929 in Amerika mit dem berühmtesten deutschsprachigen Schauspieler jener Jahre, Alexander Moissi (1880-1935) aufgenommenen Tonfilm blieb der Erfolg versagt.
Die klangvolle weiche Stimme Moissis klang wie die eines Durchschnittssprechers, der Tonfilm vermochte mit seiner damaligen Tontechnik der nuancenreichen Sprachmelodik Moissis nicht zu genügen.
Musik-Schnit mit dem Filmband
Die Tri-Ergon-Erfinder hatten zwei neue Prinzipien in die Technik eingeführt: Sie benutzten bei der Schallplattenherstellung erstmalig einen Zwischenträger, das Filmband das vor dem Plattenschnitt programmgerecht bearbeitet werden konnte. - Heute wird fast jede Platte vom Magnetband als Zwischenträger her geschnitten -.
Das zweite von ihnen neu eingeführte Verfahren des verlangsamten Schnittes wurde für den Schnitt der ersten Bildplatten ein halbes Jahrhundert später wieder aufgegriffen.
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Verhältnismäßig primitiv waren die Mikrofone noch für die ersten elektro-mechanischen Schallplattenaufnahmen, sogar Kohlemikrofone wurden noch benutzt (Bild 142).
So mancher Künstler, dessen Stimme der Trichter durch seinen begrenzten Frequenzumfang „geschmeichelt" hatte, enttäuschte über das Mikrofon und verschwand aus dem Schallplattenrepertoire, so wie man Moissi für Tonfilmaufnahmen keine Angebote mehr machte.
Elektrische Filter und die anderen Methoden, mit denen man heute eine Stimme „bearbeiten" kann, setzte man damals noch nicht ein.
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Kleine Künstler - mit dem Mikrofon ganz groß.
Es gab aber auch Künstler, die erst über das Mikrofon zum Star wurden, - wie heute auch -.
Das Musterbeispiel dafür war Joseph Schmidt, ein Sänger klein an Gestalt mit kleiner Stimme. Nie hätte er auf der Bühne eine Chance gehabt.
Über das Mikrofon nach entsprechender Verstärkung auf Platte geschnitten, klang seine Stimme bei der Wiedergabe wie die eines ganz großen Sängers, über den Trichter aufgenommen.
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Über Nacht wurde aus ihm ein Star. Seine ersten Aufnahmen wurden 1929 gemacht mit dem neuen Kondensatormikrofon, (intern genannt die Neumann Flasche) das von Georg Neumann (Berlin) für Telefunken gebaut wurde. Es hat sich von da an die Welt des Rundfunks und der Schallplatte erobert.
Bis zur Mitte der fünfziger Jahre wurden die Schallplatten damit aufgenommen, Beispiele in Bild 143 und Bild 144.
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Aufnahmen auf Wachsmatrizen bis 1945
Bis 1945 wurden die für die Massenproduktion bestimmten Platten vornehmlich wie einst in Wachs geschnitten, aber schon mit aufgeheiztem Stichel 1*) (Bild 145 und 146), während die zum baldigen Abspielen bestimmten Platten für Archivzwecke des Rundfunks oder politische Zwecke schon vornehmlich in Folie geschnitten wurden, - wie wir noch lesen werden -.
1*) Der elektrisch geheizte Schneidstichel wurde erstmalig 1892 von W. Brüning benutzt, beim Schnitt der Wachsmaster für die Schallplatte beschränkte man sich lange auf das Anwärmen der Wachsmasse.
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Sauber plangedreht wurden die dicken Wachsplatten kurz vor dem Schnitt, für den das Wachs dann auch noch erwärmt wurde
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Rückblick auf die wirtschaftliche Situation in den zwanziger und dreißiger Jahren
Erlauben Sie mir nun eine kurze Abschweifung von der Technik auf die wirtschaftliche Situation in den zwanziger und dreißiger Jahren, denn durch sie wurden eine Verlagerung nicht nur der Entwicklung der Schallplattentechnik, sondern auch der Schallplattenproduktion auf die Elektroindustrie bewirkt.
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Die Schallplattenindustrie wurde nämlich nach einem ungeheueren Aufschwung auf dem Höhepunkt des Plattenabsatzes mit 30 Millionen Stück im Jahr 1929 von der einsetzenden Weltwirtschaftskrise in ganz besonderen Maße betroffen.
Wie stark, das möge ein Schaubild des Börsenkurses der Aktien des riesigen Deutschen Carl Lindströmkonzerns veranschaulichen (Bild 147).
Die Weltwirtschaft krachte 1929
Diese Aktien erlebten einen solchen Kursverfall, daß ihre Notierung an der Berliner Börse am 13. Mai 1935 eingestellt wurde. Die Krise war weltweit, so sank der Umsatz an Platten in den USA von 110 Millionen am Ende der zwanziger Jahre auf unter 10 Millionen im Jahre 1934. Ganz besonders traf die Depression den unterkapitalisierten Küchenmeisterkonzern, der 1931 zusammenbrach.
Zu ihm gehörte eine große Schallplattenfirma in Deutschland, die Deutsche Ultraphon. Aus deren Liquidation übernahm die dafür neugegründete Telefunken Platte GmbH das umfangreiche Matrizenlager der Marken „Ultraphon" und „Musica Sacra".
Die Deutsche Grammophon kommt 1937 bei Telefunken unter
Als dann 1937 auch die Deutsche Grammophon zu Telefunken gekommen war, hatte sich ein bedeutender Teil der deutschen Schallplattenindustrie zur Elektroindustrie hin verlagert, zur AEG und Siemens, den Eltern von Telefunken. Bei deren „Scheidung" im Jahre 1941 blieb die Telefunkenplatte bei Telefunken und die Deutsche Grammophon kam zu Siemens.
Die eigenen Schallplatteninteressen waren Anlaß für Telefunken, nun auch in die Forschung einzusteigen. So entstanden bei Telefunken, bzw. bei der AEG erste elektrische Tonabnehmer. Aber auch hierzu war die Vorarbeit, wie für den Plattenschnitt, in Amerika geleistet worden, wie wir noch sehen werden.
In USA entstand die RCA-Victor Corp.
Ähnlich wie in Deutschland kam auch in den USA der wichtigste Teil der Schallplattenindustrie in den dreißiger Jahren zur Elektroindustrie. Der alt gewordene Pionier Eldridge Johnson zog sich von seiner Firma zurück, die von der Radio Corporation of America (RCA) übernommen wurde, mit dem Namen RCA-Victor Corp.
In England war der Weg umgekehrt, nicht die mächtig aufblühende Radioindustrie übernahm den notleidenden Bruder Schallplatte; vielmehr ergänzte die Grammophone Co. den Scope ihres Arbeitsgebietes durch den Zusammenschluß mit elektrotechnischen Firmen auf Radiogeräte, Kühlschränke usw.
EMI bedeutet "Electrical und Musical Industries"
Das Unternehmen mit dem neuen Namen "Electrical und Musical Industries" (EMI) nunmehr nicht nur bedeutendster Schallplattenhersteller Englands, sondern auch weltbekannte Firma für Funkanlagen, entwickelte 1936 unter Leitung von Isaac Shoenberg, später Sir Isaac, das erste vollelektronische Fernsehstudio in England. Also auch dort eine enge Verbindung der Schallplatten- und Elektroindustrie!
(Fortsetzung folgt)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39
finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.