Aus der Funkschau 1979 Heft Nr. 05
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 34
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977
Peter Goldmark erzählt weiter über die LP Entwicklung
So erzählte er, wie er während des Krieges, noch für die CBS in England arbeitend und mit einem Kriegskameraden in einem Zimmer zusammenwohnend, dauernd dessen Grammophon mitanhören mußte.
„Es klang", so erzählte er, „unerträglich blechern, es knackte, zischte und rauschte". Das wollte er besser machen, und als ihm kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs, 1945, die CBS die Leitung einer kleinen Forschungsgruppe übertrug, widmete er sich mit dem Einverständnis seiner Firma zuerst dieser Aufgabe.
Ihn interessierte vornehmlich klassische Musik, und er fand heraus, daß 90% aller Symphonien auf einer Platte mit 45 Minuten Gesamtspielzeit untergebracht werden konnten. Seine „neue" Platte sollte daher bei hervorragender Qualität eine Spielzeit von 22 1/2 Minuten pro Seite haben, eine Zeit, die Edison schon einmal fast erreicht hatte.
Bei CBS offene Ohren gefunden
Mit Begeisterung ging Goldmark mit einigen wenigen Mitarbeitern an dieses Projekt heran. Aus dem Hause CBS konnte er die Aufzeichnung mit 33 1/3 Umdrehungen in der Minute übernehmen, denn mit dieser Technik wurden während des Krieges unzählige Rundfunksendungen auf Folien von 40cm Durchmesser mit einer Spieldauer von 15 Minuten geschnitten. Diese Platten, dazu bestimmt, die Sendungen lokal in den Teilen der Welt zu wiederholen, in denen amerikanische Soldaten sich im Einsatz befanden, waren Unikate.
Um auf die 22 1/2 Minuten bei nur 30cm Plattendurchmesser zu kommen, mußte die Tonschrift viel feiner ausgeführt werden, was leichter war, als damals bei Edison, denn die neue Platte war nur für elektrische Abtastung bestimmt.
Besseres Material und kleinere Schallschrift . . .
Daran hatte an sich schon lange vor Goldmark ein amerikanischer Erfinder gedacht. Mit einer Priorität vom 7. Mai 1923 hatte Frank Lewis Dyer das DRP 483 272 erteilt bekommen, in dem er sich schützen läßt, daß die Aufzeichnung in ihrer Amplitude so weit verkleinert wird, daß nur noch eine Wiedergabe nach Verstärkung auf elektrischem Wege möglich ist. Dyer wollte damit die 20fache Wiedergabezeit der Normalplatte erzielen.
So weit brauchte Goldmark aber nicht zu gehen, denn wie stark die Schallschrift verkleinert werden kann, bestimmt ausschließlich das Plattenmaterial. Hatte Edison sein Material vornehmlich nach seiner Widerstandsfähigkeit gegen den Auflagedruck der Nadel auswählen müssen - drückte seine Schalldose doch mit mehr als 300 Gramm auf die Platte -, so konnte der Auflagedruck des neuen elektrischen Tonabnehmers in der Zeit von Peter Goldmark etwa 100fach vermindert werden, heute sind es etwa 400fach (= also nur noch 0,75p).
Das Stein - Ruß - Schellack Gemisch war nie optimal für die Platten
Das Hauptaugenmerk konnte daher auf die Glätte der Oberfläche des Materials gelegt werden, denn davon werden der Signal/Rausch-Abstand und damit auch die Grenze der Verkleinerung der Tonschrift bestimmt.
Das Material ist nie vollkommen homogen, sondern hat eine gewisse körnige Struktur, die als Unebenheit in der Rille ein Geräusch verursacht, oft fälschlicherweise als Nadelgeräusch bezeichnet. Doch die Nadel verursacht kein Geräusch, im Gegenteil, ist sie abgeschliffen, kann sie das Geräusch sogar vermindern. Jedenfalls muß für einen guten Signal-Rausch-Abstand die Amplitude der Tonaufzeichnung genügend groß im Vergleich zu den Unebenheiten sein.
Mikroskopisch fein soll die Rille sein
Die Abtastnadel hat nämlich in Verbindung mit dem nachfolgenden elektronischen Prozeß die Funktion eines Mikroskops. Je kleiner die abzutastenden Wellenlängen sind, um so feiner muß auch die Nadel sein.
Bei der ebenfalls elektromechanisch abgetasteten TED-Bildplatte gehen die abzutastenden Wellen bis herab in den Bereich des langwelligen Lichtes. Die in elektrische Signale umgesetzte Oberflächen-Struktur, in geeigneter Weise auf einem Bildschirm sichtbar gemacht, erlaubt dort, diese Feinststruktur ähnlich wie mit einem hochauflösenden Elektronenrastermikroskop abzubilden.
Über das ,,Vinylite"
Goldmark und seine Mitarbeiter wählten als Plattenmaterial einen härtbaren Thermoplast, einen Kunststoff, der in Amerika unter dem Namen ,,Vinylite" hergestellt wird.
Die Familie der Polyvinylchloride, dh. der Kunststoffe, die heute als PVC bekannt sind, hatte ihren Ausgang mit dem Patent der I.G.Farben von 1913 in Deutschland genommen. Daher ist es nicht verwunderlich, daß auch die ersten Schallplatten aus solch plastisch verformbaren Massen in Deutschland entstanden.
„Vom Ringen mit Molekülen"
In seinem Lebensbericht „Vom Ringen mit Molekülen" schreibt Willy O. Hermann darüber: „Schon vor 1930 war die Möglichkeit gegeben, an Stelle der zerbrechlichen Schellackplatten nun fast oder ganz unzerbrechliche, nach ihrer Abnutzung sogar wieder umpreßbare Platten herzustellen. Diese Möglichkeiten erkannte Anfang der dreißiger Jahre der Großindustrielle Dr. Wolf G. Schleber in Berlin. Er pachtete eigens hierfür die stilliegende Tri-Ergon-Schallplattenfabrik in Berlin.
Hier wurden unter meiner Leitung (Walter Bruch spricht von sich selbst) Tausende von Musterplatten aller Variationen versuchsweise hergestellt. Doch gelang es trotz aller Bemühungen nicht, die gegnerischen Kräfte zu überspielen. Unsere verbesserte, mechanisch haltbarere Platte wurde zwar durchaus anerkannt, aber nicht verwendet. Sie erforderte gegenüber der Schellackplatte einen geringen Mehrpreis, der als nicht tragbar angesehen wurde. „Die zurückhaltende Einstellung gegenüber den in Deutschland entwickelten Kunststoffen hat dem Ausland damals einen bemerkenswerten Vorsprung verschafft."
Über die Mikrorille der LP (von Long Playing Record)
Im Gegensatz zur Schellackplatte mit ihrem groben Korn (Anmerkung: Die Schellackplatte besteht aus fast 65% gemahlenem Stein) ist die Oberflächenstruktur dieses Materials so fein, daß Peter Goldmark von einer Rillensteigung von 0,3 mm bei der Schellackplatte bei gutem Störabstand auf 0,1 mm bei seiner Platte und von einer Rillenbreite von 0,13 mm auf 0,07 mm herabgehen konnte.
Für diese feine Schrift führte er die Bezeichnung „Microgroove" ein (Mikrorille) und für seine Platte den Namen LP (von "Long Playing Record"), eine Bezeichnung, die bis heute erhalten geblieben ist. (Anmerkung : weil es sich so schön übersetzen ließ in "Langspielplatte".)
Für Peter Goldmark war es ein Triumph, als er Anfang 1948 seine Platten David Sarnoff, dem Präsidenten der RCA (RCA hatte das Plattenlabel Victor), der härtesten Konkurrenz von Columbia (der Name der Plattenabteilung von CBS) vorführen konnte [Bild 187).
RCA (also David Sarnoff) ist begeistert, leht aber dennoch ab
Sarnoff und seine Ingenieure zeigten sich begeistert, doch von ihnen beraten lehnte Sarnoff das Angebot des Präsidenten der CBS ab, gemeinsam durch beide Firmen diese Platte weltweit einzuführen. Columbia brachte daher allein noch im selben Jahr die LP auf den Markt, unterstützt von der Firma Philco, die die dafür erforderlichen Spieler lieferte. Es wurde nach den Worten von Goldmark für die CBS im Laufe der Jahre ein Billionen-Dollar-Geschäft.
Die technischen Bausteine hatte Goldmark schon alle vorgefunden, aber sie in einem optimalen Kompromiß zur LP zusammengesetzt und mit Elan propagiert zu haben, das ist Goldmarks Verdienst.
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- Anmerkung : Diese Geschichte ist sehr ähnlich zu der des PAL Farbfernsehsystems, dessen "Erfindung" vom Telefunken Marketing dem Walter Bruch zugeschrieben wurde. Auch hier waren die Bausteine für PAL schon 6 oder mehr Jahre vorher bekannt, doch erst Walter Bruch setzte das mit Elan und Akribie durch.
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Die 45er-Platte und der „Krieg der Geschwindigkeiten"
Als David Sarnoff mit seinen Ingenieuren die Columbia-Vorführung besuchte, lief bei der RCA schon seit 1942 geheim unter dem Tarnnamen ,,Madame X" eine Entwicklung für ein neues ,,Plattensystem".
Die RCA hatte aus dem Fiasko eines ersten Versuchs im Jahre 1931 mit einer (Schellack-) Langspielplatte mit 33 1/3 U/min gelernt, diese mußte damals aufgegeben werden weil RCA es unterlassen (oder versäumt) hatte, gleichzeitig dafür ein billiges Abspielgerät auf den Markt zu bringen. Deshalb sollte ,,Madame X" ein System aus Spieler und Platten werden.
Man hatte bei der RCA eine ganz andere Arbeitsphilosophie als die Goldmarksche; es sollten billige, handliche Platten werden, und die lange Spielzeit sollte sich mit mehreren Platten mit Hilfe eines sehr schnellen Wechslers erreichen lassen.
Eigentlich brauchte man nur 5 1/3 Minuten pro Seite
Aus einer Analyse aller bei RCA-Victor gemachten Aufnahmen hatte man nämlich die Erkenntnis gewonnen, daß man fast jedes Musikstück in 5 Minuten Abschnitte unterteilen kann.
Deshalb wählte man für die neue Platte eine Spielzeit von 5 1/3 Minuten pro Plattenseite, so daß sich auch alles, das bisher auf einer Seite einer 30cm Schellackplatte untergebracht worden war, gut für die neue Platte eignete [95].
Als Plattenmaterial bot sich auch für diese Platte Vinyle an. Der im Vergleich zur Schellackplatte höhere Materialpreis sollte durch sehr viel geringeres Materialvolumen mehr als aufgehoben werden.
Diese Vorgaben führten zu einer 7-Zoll-Platte (17,78 cm), wobei der kleine Durchmesser ein sehr schnelles Ein-und Ausschwenken des Tonarmes beim Wechselvorgang sichern sollte. Ein sehr großes Zentrierloch von 1,504 Zoll (3,82 cm) Durchmesser sollte mit einer zusätzlichen Verstärkung des unbeschriebenen Innenteils der Platte eine bessere Stapelung der Platten für den Wechselvorgang und einen einfacheren Wechselmechanismus ermöglichen [Bild 188).
Und das mit den 45 U/min - wo kam das her ??
Wurde eine ähnliche Mikrorille wie bei Goldmark gewählt, so war die vorgegebene Spielzeit nur mit einer Umdrehungszahl einzuhalten, die zwischen 78 und 33 U/min lag.
Wieder war es das amerikanische 60Hz Wechselstromnetz, das die exakte Drehzahl bestimmte. Man wählte 45 U/min, weil das eine ganzzahlige Untersetzung von 40:1 von einem Synchronmotor mit 1.800 U/min ergab.
Wenn man manchmal liest, 45 sei aus 78 minus 33 entstanden, so kann das natürlich nur als Scherz in Unkenntnis gewertet werden.
Und das dicke Innenloch ??
Vergleicht man in der Tabelle 1 die Grenzwellenlängen in den innersten Rillen, so sieht man, daß sie bei beiden Mikrorillenplatten etwa gleich sind. Für beide kann daher derselbe Abtaster verwendet werden.
Übringes, das große Innenloch war nicht neu. Für ein Spielzeuggrammophon hatte man um die Jahrhundertwende in Amerika kleine Wachsplatten, 12,5mm dick und 8,cm Durchmesser, hergestellt, die ein Mittelloch von 2,2cm Durchmesser hatten.
Sehr ähnlich waren die Platten aus Schokolade, die von der Schokoladen- automatenfabrik Stollwerck ab 1902 mit einem eigenen Spieler für Kinder verkauft wurden [Bild 189).
Die Schallaufzeichnung in Tiefenschrift befand sich natürlich nicht auf der weichen Schokolade, sondern auf einer auf der Schokolade liegenden runden Scheibe aus Metallfolie *).
Ende 1948, Columbia hatte schon mehr als 1 Million LPs verkauft, brachte die RCA ihr neues Plattensystem auf den Markt, und es begann ein Zweikampf zwischen den beiden Konkurrenten, der in der Presse als „Battle of Speed" (Kampf der Geschwindigkeiten) ausgetragen wurde.
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Den Spieler verschenken, die Platten verkaufen - super Idee.
Mit 5 Millionen Dollar Werbeaufwand versuchte die RCA ihr System durchzusetzen. Man gab Plattenalben heraus, die, so sagte man, wie ein Buch in das Bücherregal gestellt werden konnten. Dazu wurde der Wechsler mit dem Werbeslogan ,,der billigste und zugleich der schnellste Wechsler der Welt" angekündigt, sehr billig, denn die RCA soll ihn zur besseren Einführung ihrer Platten sogar verschenkt haben.
In der Praxis zeigte sich jedoch bald, daß der schnelle Wechsler eben doch nicht so schnell war, daß man klassische Musikstücke auch nicht ohne merkbare Unterbrechungen spielen konnte; das machte die LP mit meist nur einer Unterbrechung viel besser.
Die Auseinandersetzungen beider Firmen, der ,,Krieg der Geschwindigkeiten", mit großem Reklameaufwand in der Presse geführt, veranlaßte die Käufer zur Zurückhaltung. Sogar der anfänglich sehr gute Absatz der LP ging etwas zurück.
Der Krieg der Systeme war nicht zu gewinnen . . .
Als sich jedoch immer mehr Schallplattenproduzenten dem Columbia Konzept angeschlossen hatten, konnte auch die RCA nicht mehr außerhalb bleiben.
Schweren Herzens mußte Sarnoff seine Zustimmung zur Aufnahme der (eigenen) LP-Produktion (beim RCA Label Victor) geben. Am 4. Januar 1950 kündigte die RCA-Victor ihre ersten 33er Vinyl-Platten an. Sarnoff entließ daraufhin einige der Mitarbeiter, die ihn zu (der überaus kostspieligen und überflüssigen) Auseinandersetzung mit der CBS "ermutigt" hatten.
Den letzten Anstoß für die Übernahme der LP durch RCA-Victor soll übrigens nach Peter Goldmark der Dirigent Arturo Toscanini gegeben haben. Toscanini hatte bei Columbia einer Aufnahme seines Kollegen Bruno Walter beigewohnt. Er war begeistert, als er sah, daß dieser für die Aufnahme einer LP eine Symphonie nur einmal unterbrechen mußte, während bei der RCA eine Unterteilung in ,,5-Minuten-Portionen" nötig war.
(Fortsetzung folgt)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39
finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.