Aus der Funkschau 1978 Heft Nr. 22 kommt hier
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 25
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977
Und noch zwei Patente sind aufgetaucht :
Einige der in Deutschland auf die elektrische Aufnahmetechnik übergegangenen Schallplattenhersteller bekamen überraschend Schwierigkeiten mit den Inhabern von zwei älteren Patenten, die ihren Inhabern eine Monopolstellung versprachen.
Das eine Patent, das sogeannte „Vorbeck-Patent", angemeldet schon 1913, schützte generell die Einschaltung eines Verstärkers zwischen Mikrophon und Schreiber [75], obwohl, wie aus der Patentzeichnung zu ersehen ist (Bild 139), der Erfinder noch gar nicht an einen Röhrenverstärker gedacht hatte, sondern an einen sogenannten Mikrophonverstärker.
Das zweite, die Aufnahmetechnik störende Patent, das sogenannte „Sykes-Patent" [76], angemeldet erst 1920 und daher mit einer noch langen Laufdauer besonders unangenehm, schützt die Frequenzlinearität des Aufzeichnungszuges und ihre Erreichung durch Kompensationsmittel im Verstärker.
An sich wäre das eine triviale Selbstverständlichkeit. Gerade um das letzte Patent wurden eine Reihe von Rechtsstreitigkeiten ausgetragen, einer von der Deutschen Grammophon A.G. ging sogar bis zum Reichsgericht.
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Prof. Dr. Heinrich Barkhausen schreibt in seinem Gutachten
Der weltbekannte Prof. Dr. Heinrich Barkhausen, der Verstärker-„Papst", hatte neben anderen Experten für diesen Prozeß ein Gutachten erstellt, das zu beiden Patenten und zur Rechtssituation aus der Sicht eines Ingenieurs eingehend Stellung nahm.
Wir können die Situation nicht besser erläutern als durch einige Zitate aus diesem umfangreichen Gutachten. U. a. schrieb Barkhausen am 11.10.1933 für das Reichsgericht (bisher unveröffentlicht):
Für die Bewertung eines Patentes kann man drei verschiedene Grundsätze aufstellen:
- 1. die geistige und materielle Leistung, die der Erfinder aufgewandt hat,
- 2. der Nutzen, den das Patent der Industrie oder der Allgemeinheit gebracht hat,
- 3. der Schaden, den der Besitzer des Patents der Industrie oder der Allgemeinheit zufügen kann.
Nach einem persönlichen Empfinden dürften für die Bewertung nur der erste und der zweite Grundsatz maßgebend sein, während der dritte Grundsatz, der die Umgehungsmöglichkeit in sich schließt, nur als juristische Handhabe bewertet werden dürfte. Ich bin aber objektiv genug, um zu wissen, daß ich in dieser Hinsicht bisher fast allein dastehe, daß in den letzten zwanzig Jahren, teils bewußt, teils unbewußt, in immer stärkerem Maße in der Rechtsprechung und besonders im Geschäftsgebahren der Industrie die alleinige Bewertung nach dem dritten Grundsatz an Geltung gewonnen hat. Dieser Grundsatz ist geradezu ein Gewohnheitsrecht geworden, mit dem auch jeder anständige Geschäftsmann zur Zeit noch rechnen muß.
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Über das Vorbeck-Patente schreibt er
Das schlagendste Beispiel für diese meine Behauptung ist der Fall des Vorbeck-Patentes. Die geistige Leistung, die in diesem Patent enthalten ist, ist äußerst gering; die materielle Leistung des Erfinders besteht ausschließlich in den Kosten für die Anmeldung und Aufrechterhaltung des Patents.
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- Nach dem Grundsatz 1 wäre der Wert des Patentes mit RM 1000.- sehr reichlich bezahlt.
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- Nach dem Grundsatz 2 wäre das Patent überhaupt völlig wertlos, denn die Verwendung elektrischer Verstärker war für die elektrische Schallaufzeichnung eine absolute Selbstverständlichkeit, sobald einmal brauchbare Verstärker entwickelt worden waren.
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- Nach dem Grundsatz 3 war das Patent bis etwa 1919 auch völlig wertlos, weil es bis dahin mangels brauchbarer Verstärker gar nicht ausführbar war. Es bedurfte erst der ungeheuren, langjährigen, geistigen und materiellen Leistung zahlloser Erfinder, die zu vielen Hunderten von Patenten führte, um die Verstärker und damit die elektrische Schallaufzeichnung auf einen solchen Grad der Vollkommenheit zu bringen, daß die alte, reine mechanische Schallaufzeichnung dadurch an Güte so weit übertroffen wurde, daß sie jetzt technisch unmöglich geworden ist.
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Nach dem Grundsatz 3 muß jetzt das Patent einen ungeheuren, gar nicht abzuschätzenden Wert besitzen, sein Besitzer hatte ja die ganze Schallplattenindustrie und bei geschickter Auslegung vielleicht auch noch die ganze Tonfilmindustrie vollständig in der Hand. Nach dem jetzigen Stand der Technik kommt eine Schallaufzeichnung ohne elektrische Übertragung und die letztere ohne Verwendung von Verstärkern überhaupt nicht mehr in Betracht.
Der Besitzer des Vorbeck-Patentes konnte jeden ihm nicht willfährigen Schallplattenfabrikanten den Betrieb sperren und von jedem willfährigen mühelos beliebig hohe Lizenzen erpressen und hat das ja auch offenbar mit Unterstützung der Gerichte ausgiebig getan. Das Patent, das 1917 noch für RM 1000.- seinen Besitzer gewechselt hatte, war 1927 ein Millionenobjekt geworden, weil sein Wert ausschließlich nach dem Grundsatz 3 abgeschätzt wurde.
Über das Sykes-Patent schreibt er :
Bei dem strittigen Sykes-Patent liegen die Verhältnisse wesentlich anders.
1. Grundsatz (Sykes-Patent)
Stellt man sich auf den wahrscheinlich zutreffenden Standpunkt, daß Sykes alle die heute aufgefundenen Veröffentlichungen, insbesondere den Rheographen von Abraham nicht gekannt hat, so muß man die geistige erfinderische Leistung unvergleichlich viel höher bewerten, als die von Vorbeck. Es gehört dann schon ein großes Maß von Scharfsinn und erfinderischer Kombinationstätigkeit dazu, um auf den Gedanken zu kommen, daß ein an sich sehr ungünstig arbeitender Apparat mit sehr tiefer Abstimmung durch die Anwendung von Verstärkern und einer einfachen elektrischen Entzerrung vom theoretischen Standpunkt aus besonders günstig, verzerrungsfrei arbeitet.
Denn schon das Prinzip der elektrischen Entzerrung, wie es am klarsten von Abraham bei seinem Rheographen ausgesprochen ist, die Tatsache, daß man Fehler in der mechanischen Apparatur nicht nur angenähert, sondern sogar mathematisch exakt durch geeignete Maßnahmen in der elektrischen Leitung wieder aufheben kann, ist auch heute noch für jeden Ingenieur eine überraschende Erscheinung. Es handelt sich bei dem wertvollen Teil der Sykesschen Überlegungen um ziemlich abstrakte wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich patentrechtlich nur schwer erfassen lassen.
Der Erfinder hat sich vier Jahre lang mit dem Reichspatentamt herumgestritten, um seinen Gedanken eine patentfähige Form zu geben. Leider ist auch die so nach langem Kampf entstandene Form eine wenig glückliche, die leicht eine mißverständliche Deutung zuläßt.
Stellt man sich dagegen auf den wahrscheinlich nicht zutreffenden Standpunkt, daß Sykes alle Vorveröffentlichungen ... gekannt hätte, so blieb kaum etwas von wertvoller erfinderischer Leistung übrig.
Ob der Erfinder außer den Kosten für die Anmeldung noch weitere Kosten aufgewandt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Nicht nur der ganze theoretische erste Teil der Anmeldung, sondern auch die Art der späteren konstruktiven Vorschläge macht mehr den Eindruck, als ob die Erfindung am Schreibtisch entstanden sei und nicht im Laboratorium oder in der Werkstatt.
2. Grundsatz (Sykes-Patent)
Den Nutzen und die technische Anregung, der die deutsche Industrie durch das Sykes-Patent erhalten hat, schätze ich nicht hoch ein. Das Patent ist erst 1924 bekannt gemacht und ist so wenig klar abgegrenzt, daß es auch heute noch, wie die verschiedenen Gutachten zeigen, selbst hervorragenden Fachleuten große Schwierigkeiten macht, das erfinderische Neue praktisch zu erfassen.
Auch wenn man annimmt, daß der Rheograph von Abraham 1920 allgemein in Vergessenheit geraten sei, so waren doch ähnliche Gedankengänge im Zusammenhang mit der allgemeinen gewaltigen Entwicklung, die die Elektroakustik durch die Erfindung der Elektronenröhren erhalten hatte, wie auch die verschiedenen Vorveröffentlichungen zeigen, durchaus nicht mehr fernliegend.
Es war 1920 noch sehr schwierig und ist auch heute noch nicht einfach, einen Verstärker mit so hohem Verstärkungsgrad herzustellen, der im ganzen Hörbereich einen konstanten Frequenzgang besitzt und betriebsmäßig bereithält.
Nicht die theoretischen Überlegungen von Sykes, sondern die experimentelle Forschertätigkeit zahlreicher Ingenieure hat die Herstellung hochwertiger Verstärker in einem den Eigenheiten der jeweilig verwandten Mikrophone und Lautsprecher angepaßten Frequenzgang geschaffen, wie er für eine verzerrungsfreie Aufzeichnung erforderlich ist. Es besteht für mich kein Zweifel, daß die technische Entwicklung sich in der gleichen Zeit zu dem gleichen Stand von heute entwickelt hätte, wenn Sykes nicht gelebt hätte.
3. Grundsatz (Sykes-Patent)
Nach diesem richtet sich der Wert des Patentes danach, wieweit es sich bei der nach dem heutigen Stand der Technik unbedingt erforderlichen elektrischen Schallaufzeichnung umgehen läßt. Die Möglichkeit der Umgehung hängt aber vollständig von der Art der Auslegung ab.
Der Sachverständige Prof. Dr. Erwin Meyer macht es der Grammophon-Industrie zum Vorwurf, daß sie „ein ganz abgeschlossenes Dasein geführt habe" und sich lange Zeit „in dem Stadium einer ängstlich abgeschlossenen Probiertechnik" befunden habe (Gutachten vom 12.4.1932). Aus meinen persönlichen Erfahrungen habe ich genau denselben Eindruck gewonnen.
Es ist mir trotz mehrfacher Bemühungen auch in früheren Jahren niemals gelungen, irgend etwas über die an sich hoch interessanten Probleme und Methoden der Grammophonindustrie zu erfahren, obwohl ich mich im Interesse meines Lehrberufes dazu verpflichtet fühlte.
Obwohl die deutsche Grammophonindustrie jahrelang ungeheure Gewinne eingenommen hat, hat sie meines Wissens nichts getan, um die wissenschaftlichen Grundlagen ihres Verfahrens zu klären und die technischen Hilfsmittel zu verbessern.
Die ungeheure Entwicklungsarbeit, die seit der Erfindung der Elektronenröhre auf dem Gebiet der Schalltechnik geleistet worden ist, die nicht nur die Grammophontechnik völlig umgestaltet hat, sondern auch die klangreine Lautsprecherübertragung, den Rundfunk und den Tonfilm geschaffen hat, ist meines Wissens ausschließlich von den elektrotechnischen Firmen geleistet worden, die dazu große Laboratorien mit einem zahlreichen Stab von hervorragenden Ingenieuren gebildet und unterhalten haben.
Ein hartes Urteil von Prof. Barkhausen.
Doch ob mit Zahlung von Lizenzen oder ohne, kein Schallplattenproduzent ging am elektrischen Aufnahme- verfahren vorbei (Bild 140).
Bald wollte man nur noch auf diese Weise aufgenommene Platten kaufen. Der Hinweis „elektrisch aufgenommen" auf dem Etikett oder gar im Namen der Marke selbst, wie Elektrola*) oder „Elektro-Vox", eine Marke der damals sehr bekannten Vox Schallplattengesellschaft, Mitbegründer der Berliner Funkstunde GmbH, dem ersten deutschen Rundfunksender, sollte die neue Technik anzeigen.
*) Das war die neueste Marke für Deutschland der englischen Gramophone Gesellschaft, die nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland die „Hundemarke" nicht mehr benutzen durfte.
Dazu gesellte sich dann noch eine neue Schall- plattenmarke, die Tri-Ergon-Platte, auf der zu lesen war „photoelektrisch aufgenommen". Dieser Platte der Tri-Ergon Musik AG müssen wir in der Geschichte der Schallplattenaufnahme einige Zeilen widmen, obwohl der Gesellschaft kein Glück beschieden war. Jedes Jahr schloß mit einem Verlust ab, so daß die Herstellung der Platten nach einigen Jahren eingestellt wurde.
(Fortsetzung folgt)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39
finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.