Aus der Funkschau 1979 Heft Nr. 04
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 33
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977
Eine Diamant-Nadel für 400 Rillen pro Zoll
Das Kunststoffmaterial spielte dabei die ausschlaggebende Rolle, denn Edison ging auf eine Rillendichte von 400 Rillen pro Zoll, das sind 16 Rillen pro mm; dazu gehörte dann ein Diamant, der nur halb so breit war wie der zum Abspielen unserer modernen Langspielplatten benützte.
Um bei dieser feinen Schrift, die nicht sehr tief eingeschnitten werden konnte, noch genügend Lautstärke zu erhalten, mußte die Nadel, der messerähnliche Diamant, mit mehr als 300 Gramm aufdrücken. (Der spezifische Druck betrug einige 100.000 kp/cm2, eigentlich unvorstellbar!)
,,Edison Record 40 Minute" - aber es waren auch nur 2 x 22 Minuten
Die 30cm Platte für 80 Umdrehungen in der Minute war beschriftet mit ,,Edison Record 40 Minute" (Bild 180). Die 40 Minuten bezogen sich auf beide Plattenseiten, eine Seite hatte 20 Minuten Spielzeit, immerhin l,6mal soviel wie Peter Goldmarks spätere LP. Eine Edison-Abspieltruhe mit auswechselbarer Dose für Normal- und Langspielplatten zeigt Bild 181.
Die auf dem Markt erhältlichen Platten waren mechanisch-akustische Umschnitte von Edisons Normalplatten, von der elektrischen Schneidetechnik hielt Edison nichts - merkwürdig für den Mann, der doch einmal von der elektromechanischen Aufzeichnung von Telegrafensignalen zur akustischmechanisch geschnittenen Walze gekommen war, und der neben Werner von Siemens der größte elektrotechnische Erfinder unseres Zeitalters war.
Weg von der Mechanik hin zur Elektrik
Nur mit Widerstreben ließ der alte Mann zu, daß sein Sohn Charles solche Schnitte versuchsweise machen ließ. In den Werkstätten in West Orange habe ich solche Schneid- apparaturen für Tiefenschrift gefunden [Bild 182). Sie sollen Platten von hervorragender Qualität ergeben haben, doch verkauft wurde keine mehr davon.
Edisons Langspielplatten waren nur wenige Jahre in der Produktion, das Publikum wollte sie nicht, es wollte nicht lange spielende Platten, sondern laute, und das begann die elektrische Abspielung der Berliner-Platten zu verwirklichen.
Der 82 Jahre alte Chef gab im November 1929, einen Monat nach dem ,,schwarzen Freitag", die Herstellung von Schallplatten und Plattenspielern auf. Das halbe Jahrhundert, in dem Phonographen, Walzen, Platten und Plattentruhen aus diesen Fabriken kamen, hat die Geschichte der Schallaufzeichnungstechnik mehr geprägt als alles, was später kam.
Edisons Zeit war vorbei, zwei Jahre später starb er. Denen, die nach ihm kamen, hatte er aber noch gezeigt, daß eine Langspielplatte mit größerer Rillendichte verwirklicht werden kann.
Erste Platten mit 33 1/3 Umdrehungen in der Minute
Es blieb jetzt noch übrig, die dritte Methode zur Erreichung einer längeren Spielzeit zu verwirklichen, d.h. die Herabsetzung der Umdrehungszahl, also die Herabsetzung der Abtastgeschwindigkeit, um mehr Spielzeit in einer Rille unterzubringen. Bei seinen Entwicklungsarbeiten für den elektromechanischen Plattenschnitt hatte Maxfield gefunden, daß man solche Platten gut zur musikalischen Untermalung von Stummfilmen verwenden konnte.
Es war vorgesehen, daß einer Filmrolle, die normalerweise 11 Minuten Spielzeit hatte, eine einzige Platte zugeordnet werden sollte. Der Schritt weiter, Platte und Film miteinander verkoppelt laufen zu lassen, um damit das uralte Tonfilmprinzip mit zum Film synchron laufender Platte neu aufleben zu lassen, war fast selbstverständlich. Die Qualität des Lichttones, der speziell in Deutschland für den Tonfilm in der Entwicklung war, konnte mit der der Schallplatte noch nicht konkurrieren.
Wie es wirklich zu den 33 1/3 U/min kam . . .
Um die Spielzeit von 11 Minuten auf eine Platte zu bekommen, und zwar mit einem wenig vom normalen Rillenabstand der 78er Platte abweichenden Rillenabstand und einem gerade noch gut herstellbaren Plattendurchmesser von 40cm, war die Umdrehungszahl auf etwas weniger als auf die Hälfte zu reduzieren.
War es bei der Normung der Umdrehungszahl von 78,26 keine unbedingte Notwendigkeit, vom Wechselstromnetz auszugehen, so war diese Kopplung für den Tonfilm unbedingt erforderlich. Die Filmkamera sollte beweglich sein und mußte daher von der schweren Plattenschneidapparatur räumlich getrennt arbeiten.
Für den gleichlaufenden Betrieb von Aufnahmekamera und Schneidapparatur bot sich der Antrieb vom Wechselstromnetz mit Synchronmotor an. Von einem Synchronmotor mit 1.800 Umdrehungen pro Minute am 60Hz Netz ausgehend, wählte man eine Untersetzung von 54:1, die eine Drehzahl von 33,3333, also 33 1/3 U/min ergab.
Eine von dem Motor angetriebene Schnecke, die im Verlauf einer Umdrehung ein Zahnrad mit 54 Zähnen um einen Zahn weitertransportierte, realisierte diese Untersetzung störungsfrei. So entstand die so merkwürdig anmutende Drehzahl von 33 1/3 U/min, deren Herkunft sogar bei den Großfirmen der Schallplattenindustrie in Vergessenheit geraten ist [90].
Die Schneidetechnik der 78er Platte, aber von innen nach außen.
Bei der neuen Platte wurde vornehmlich von zwei Möglichkeiten zur Verlängerung der Spielzeit Gebrauch gemacht: von der Erniedrigung der Drehzahl und der Vergrößerung des Durchmessers.
Die kleinste aufzuschreibende Wellenlänge wurde gegenüber der 78er Platte durch entsprechende Vergrößerung des innersten Durchmessers nicht nennenswert verkürzt, daher konnte die 78er Schneidetechnik im wesentlichen beibehalten werden.
Geschnitten wurde von innen nach außen, so war der synchrone Start der Platte von einer Marke am neu anlaufenden Film weniger problematisch. Außerdem war im Falle einer auswechselbaren Stahlnadel diese erst weniger abgeschliffen, wenn innen die kleineren Wellenlängen abzutasten waren. (Gedanken zu seiner Technik hat Maxfield in einem Patent niedergelegt [91 ].
Auch die Schallfolien, mit denen der Rundfunk bis zur Einführung der Magnetband- Aufzeichnung Sendungen aufzeichnete, waren von innen nach außen beschrieben, und zwar derart, daß die nächste Platte schon startete, ehe die vorhergehende den Rand erreicht hatte. So wurde gesichert, daß nichts verloren ging.
Die brilliante Idee der beiden Warner Brüder (Warner Brothers)
Sensationell wirkten die ersten Vorführungen von Probe- aufnahmen dieser „Nadeltonfilme" Ende 1926 in New York in den Laboratorien der Bell Telephone Co., Tochtergesellschaft der mächtigen Western Electric Corporation. Während es die meisten amerikanischen Filmproduzenten als eine nette Spielerei abtaten - ähnlich wie die deutschen Produzenten den Tonfilm verschliefen, der doch als Lichttonfilm bei uns fertig entwickelt war -, begeisterten sich die Brüder Sam und Harry Warner, Chefs der Warner Brothers Pictures Corporation, kurz Warner Bros., dafür.
Mit dem Mut der Verzweiflung beschlossen sie, alles verfügbare Geld in diesen Tonfilm zu stecken, um damit ihr in einer kritischen Situation befindliches Unternehmen zu retten. Mit der Western Electric wurde das Unternehmen Vitaphone zur alleinigen Ausnutzung der Western Electric-Tonfilmpatente gegründet.
Es war immer ein kleines Stückchen Glück mit dabei
Sicher hätte die gute Technik allein dem Unternehmen nicht den gewünschten Erfolg gebracht, wenn man für die ersten Filme nicht den für die Einführung des Tonfilms am besten geeigneten Darsteller gefunden hätte.
Es war Joseph Rosenblatt [92], eine wahre Naturbegabung, der als Sänger in der Synagoge angefangen hatte, dann als Negerimitator AL Jolson das Publikum im Haarlemer Negerviertel mit Schlagern unterhielt.
Am 6. Oktober 1927 war Premiere - Tonfilm mit Langspielplatte.
Am 6. Oktober 1927 war Premiere in New York mit dem Tonfilm ,,The Jazz Singer", einer rührend sentimentalen Geschichte. Er wurde ein außergewöhnlicher Erfolg, Warner Bros, war gerettet. (Anmerkung: damals jedenfalls.)
Man schrieb: Die Prominenz der Weltstadt klatschte, trampelte, schrie und gebärdete sich wie im Taumel. Eine halbe Stunde dauerte dieser Orkan...
Der nächste Tonfilm, wieder mit AL Jolson, hatte einen noch größeren Erfolg; wieder war es eine rührselige Geschichte: ,,The Singing FOOL".
Auch in Europa ging es nur ums Geld
In Deutschland verhinderte die Telefunken-Gesellschaft mit ihren Patenten die Aufführung dieser Tonfilme, sie gab damit der deutschen Filmindustrie Zeit aufzuholen.
Den ,,Jazzsänger" konnte man nur stumm sehen. Erst am 3. Juni 1929 wurde die Einstweilige Verfügung aufgehoben, die Telefunken gegen die Vorführung des Tonfilms ,,Der singende Narr" erwirkt hatte [Bild 183).
Die Premiere im Gloria Palast in Berlin wurde ein ebensolcher Erfolg wie die in Amerika, etwa 300.000 Berliner sahen den Film.
Das Lied vom ,,Sonny Boy", gesungen von AL Jolson (Bild 184), ,,dem Sänger mit dem Schmalz zwischen Lachen und Weinen", wurde in riesigen Mengen in Platten gepreßt, es wurde zum ersten „Tonfilmschlager".
Im Gloria Palast (in Berlin) standen noch amerikanische Techniker an der geheimgehaltenen Apparatur, doch die deutsche Industrie kam schnell mit Apparaturen nach [Bild 185).
Die Filmvorführer brauchten nun zwei Assistenten, einen im Saal, der an einem Saalregler die Lautstärke regelte, und einen Gehilfen im Projektionsraum, der alle 11 Minuten eine neue Platte vorbereitete für den synchronen Start beim Anlauf der nächsten Filmrolle.
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Walter Bruch als Tonvorführer
Als Student habe ich mir in einem Provinzkino pro Tag eine Mark mit dieser Tätigkeit verdient; ein kleines Stückchen Schallplatten- geschichte, das ich aktiv miterlebt habe.
- Anmerkung: eine verklärte Version der Selbstdarstellung : Walter Bruch war zu der Zeit um 1930 auf der Technikerschule in Mittweida, es war eine Art Lehrlingsausbildung, es war kein Studium.
Im selben Jahr kam dann der erste deutsche Lichtton-Spielfilm. Immerhin gab es 1930 in 830 deutschen Tonfilmtheatern noch 42% Apparaturen nur für Nadelton, 26,5% für Licht- und Nadelton und erst 32,3% reine Lichttonmaschinen [93].
Schnell ging man in Deutschland ganz zum Lichtton über, obwohl er noch keineswegs die Qualität des Nadeltones hatte. Immerhin: Die erste 33er Langspielplatte war es, die dem Tonfilm seinen Massenstart ermöglichte!
Peter Goldmark und seine (moderne 33er Vinyl-LP)
Für die Schallplattenaufnahme- und Wiedergabetechnik war er ein Anfänger, dieser Peter Goldmark (1906-1977), der nach dem Zweiten Weltkrieg der Langspielplatte für den Heimgebrauch zum Durchbruch verhalf. Unbekümmert nahm der Neuling sich des Projektes Langspielplatte an, unbelastet von traditionellen Anschauungen.
Der geborene Ungar war zu dieser Zeit schon ein bewährter Forscher und Ingenieur auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik. Nach einem Studium an der Technischen Hochschule in Berlin (übrigens zusammen mit einem anderen berühmten Ungarn, dem Nobelpreisträger Dennis Gabor), Promotion in Wien, Beschäftigung bei Pye in England, und Auswanderung nach Amerika kam er dort 1936 als Entwicklungsingenieur zur CBS (Columbia Broadcasting System), bei der er mehrfach zum Initiator neuer Techniken wurde (neben der LP z. B. Farbfernsehen und EVR).
Mit dem charmanten Erfinder [Bild 186), mit dem mich gemeinsame ungarische Bekannte in Berlin, die Aktivitäten am Farbfernsehen und unsere David-Sarnoff- Goldmedaille verbanden, habe ich mich oft über die Entstehung der LP unterhalten.
In seinem Buch „Maverick Inventor - My Turbulent Years at CBS" [94], geschrieben zusammen mit Lee Edson, zeichnet er sich selbst als den Einzelgänger, der, wenn er glaubte, er müsse so sein, mit dem Kopf durch die Wand rannte.
(Fortsetzung folgt)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39
finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.