Aus der Funkschau 1978 Heft Nr. 08 kommt hier
"100 Jahre Ton- und Bildspeicherung"
Artikel Nr. 11
von Prof. Dr. hc. Walter Bruch in 1977
Die Weiterbearbeitung der Berliner Platte
Die aus Zinkblech bestehende Platte, an der Oberfläche fein poliert, wurde vor der Aufnahme in eine dünnflüssige Lösung von Wachs in Benzin getaucht, so daß nach dem Abtrocknen und Verdunsten des Lösungsmittels auf der Zinkoberfläche die gewünschte dünne Wachsschicht verblieb.
Im Aufnahmeapparat (Bild 56) war der Plattenteller mit einem geschlossenen Blechrand versehen, so einen flachen Becher bildend, der mit einer Flüssigkeit - Wasser und Alkohol - gefüllt wurde. Der Schneidstichel, eine Nadel mit Platiniridiumspitze (Füllhalterspitze) hätte in Luft das weggekratzte Wachs in Klümpchen vor sich hergeschoben und das Schneiden einer gleichmäßig breiten Spur verhindert.
Die sich drehende, ausreichend unter der Flüssigkeitsoberfläche liegende Platte bewegte die Lösung so, daß die Wachsteilchen von der Schneidstelle weggeschwemmt und sich, den Schneidvorgang nicht mehr behindernd, an der Flüssigkeitsoberfläche sammelten. Die fertig geschnittene Platte wurde in ein Ätzbad gegeben, eine 3%ige Chromsäurelösung. Nach zehn Minuten war eine Furche ausreichender Tiefe in die Metalloberfläche geätzt. Damit war die abspielbare Platte fertiggestellt.
Wer ist nun der Erfinder der Schallplatte?
In der rechten Bilderspalte gibt es einen kurzen Abriß der Entwicklung der Schallplatte bis hierher.
Doch das Abspielen macht Probleme
Abgespielt wurde mit einer verhältnismäßig dicken Nadel, an der Kuppe verrundet, damit die Rille nicht ausgeschliffen und nur langsam aufgerauht wurde. Es sei noch einmal betont: Noch lieferte jede Aufnahme nur eine einzige Platte. Während dieses Entwicklungsstandes lag es noch in Berliners Absicht, Zentralstellen einzurichten, an welchen jedermann seine Stimme aufnehmen konnte, um dann durch Übersenden der aufgenommenen Platte die fernweilenden Angehörigen im wahrsten Sinne „etwas von sich hören zu lassen".
Beim Abspielen verursachten diese Zinkplatten, deren Furchen sich schnell aufrauhten, im Vergleich zu den Wachswalzen ein sehr hohes Nebengeräusch. Abhilfe versprach eine Kopie auf einem glatteren Material, außerdem war es für die Einführung von Musikprogrammen unbedingt erforderlich, von einer Aufnahme über einen Kontaktkopierprozeß viele Kopien machen zu können.
Wie machte man Kopien ?
Schon in seinem ersten Patent hatte Berliner vorgeschlagen, von der „Master"platte galvanisch ein Kupfernegativ herzustellen und davon Abdrücke in erwärmtem Siegellack zu machen [35]. Das war natürlich nur eine Idee. Erste Kopien gelangen ihm in Zusammenarbeit mit J. W. Hyatt, einem der Miterfinder des Celluloids, in diesem Material. Auch eine solche Platte wird im Washington Museum aufbewahrt. Doch Celluloid, für Edisons Walzen sich durchaus bewährend, war für die Platte ungeeignet, beim Abspielen zeigte es sich als zu wenig widerstandsfähig gegen die verhältnismäßig starre Nadel.
Bald wurde dieses Vervielfältigungsverfahren wieder aufgegeben. Danach wandte sich Berliner Hartgummi zu, das sich angewärmt in die Matrize drücken ließ und dann erkaltet eine gewisse Härte versprach. 1895 war das Verfahren der Pressung in Hartgummi so weit gediehen, daß man diese Platten auf den Markt bringen wollte. Doch es gab so viele Ausfälle, daß man nach einem geeigneteren Material suchen mußte.
Eine mit Schellack gebundene Masse
Jetzt erinnerte sich Berliner an die mit Schellack gebundene Masse (Anmerkung: Die Schellackplatte bestand später zu über 60% aus gemahlenem Fels-Stein), die bei der Bell Gesellschaft schon seit Jahren für die Herstellung der Ohrmuscheln der Telefone verwendet wurde.
Eine dem Verwendungszweck angepaßte ähnliche Masse ließ sich unter hohem Druck gut zu Platten pressen. Der Schellack hatte den Vorteil, daß er beim Pressen an die Oberfläche trat und dort eine „lackierte" glatte Oberfläche erzeugte, über die die Nadel leicht glitt, ohne größere Geräusche zu machen. Damit konnte man ab 1897 gute Platten in Serie herstellen.
Aus was besteht die Schellack Pressmasse ?
Noch etwas mehr zu dieser Preßmasse, die mit Abwandlungen bis vor etwa 20 Jahren (wir schreiben jetzt 1977) verwendet wurde. Sie bestand aus einer Komposition von feingemahlenen Mineralien, wie Schwerspat und Schiefermehl, der Ruß für die Schwärzung und Schellack als Bindemittel zugegeben war. Die Feinheiten der Zusammensetzung waren ein streng gehütetes Geheimnis jedes Herstellers. Ohne Ruß wären die Scheiben scheckig und unansehnlich geworden und hätten sich nicht so gut verkaufen lassen.
Aus Schellack wurden vor der Kunststoffzeit die meisten Lacke hergestellt; er kam aus Indien, gefunden als Produkt eines Insektenstiches auf den Zweigen, wie bei uns die Galläpfel auf den Eichenblättern. Die Konsistenz der erwärmten Preßmasse hatte so zu sein, daß in ihr sich die feinsten Rillen von der Negativmatrize eindrücken ließen.
Schellackplatten sind zerbrechlich
Sauber mußte sich die Matrize abheben lassen, auch nicht das feinste Teilchen durfte in den Rillen zurückbleiben. Von der erkalteten fertigen Platte wurde größtmögliche Härte verlangt, damit sie sich nicht so schnell abnutzte, dabei hatte die Oberfläche so glatt wie möglich zu sein, damit die Nadel ohne Reibung in der Rille gleiten konnte. Die Schellackplatte war im Gegensatz zu unserer heutigen Kunststoffschallplatte (der Vinyplatte) zerbrechlich. - Unangenehm wurde ich (Walter Bruch) wieder daran erinnert, als mir auf dem Flohmarkt eine eben erworbene seltene Platte im Gewühl zerdrückt wurde.
Die ersten „Plättchen" hatten 5 Zoll Durchmesser, also etwa 12,5cm und waren einseitig bespielt.
Jetzt hatte man brauchbare Platten, aber der Spieler war ein vornehmeres Spielzeug. Solange man Musik wollte, mußte man drehen und das nach Vorschrift so, daß die Platte ziemlich genau 70 Umdrehungen in der Minute machte.
Eldridge R. Johnson und der Zufall
Von der ganzen Ausbildung fehlte Berliner das Rüstzeug zum Konstrukteur, wie z. B. Tainter einer war. Für die Durchentwicklung seiner Spieler mußte er sich nach einer geeigneten Werkstatt mit einem begabten Meister umsehen. Der Zufall führte ihn zu Eldridge R. Johnson, Besitzer einer kleinen Werkstatt in Camden. Das war eine Sternstunde in der Geschichte des Grammophons. Zunächst baute und entwickelte Johnson einen Federwerksmotor für Berliners Geräte, genügend klein und genügend leise.
1896 kann man schon 20 Geräte mit Federwerk ausliefern. Johnson, der alles hat, was Berliner fehlt, Konstruktionserfahrung und Geschäftstüchtigkeit, nimmt sich der Schallplatte an. Er beginnt etwa 1898 mit eigenen Entwicklungen.
Das Rauschen war schon ein Problem
Ihm ist ganz klar, daß das Rauschen, von der Zinkplatte als Master kommend, weg muß. Deshalb ließ er für die Transversalschrift auch das Schneiden in Wachs entwickeln, und von Edison lernt man, wie man aus einem Wachsmaster ein Metallnegativ machen kann. Etwa ab 1902 werden die Platten in Wachs geschnitten.
Als Berliner mit seiner ersten Firma am Ende ist, gründet Johnson 1900 eine eigene, die am 3. Oktober 1901 in "Victor Talking Machine Company" *) umfirmiert wird und, nachdem sie an die RCA angeschlossen wurde, heute RCA-Victor heißt. Johnson hatte von Anfang an Erfolg, er verschaffte in Amerika der Schallplatte den Durchbruch.
*) Berliner operiert mit seinen Patenten in Amerika nicht günstig, ihm fehlen die Mittel, aber auch kaufmännische Erfahrungen. Es kommt ein Tag, an dem er seine eigenen Geräte nicht mehr bauen darf. Auf solche Aspekte einzugehen, muß sich der Verfasser versagen. Nur europäische Firmen werden gelegentlich genannt, wenn ohne sie der technische Fortschritt anders verlaufen wäre. Zu einem merkwürdigen Patent über das Schneiden der Berlinerplatten in Wachs wird noch Stellung genommen werden.
(Fortsetzung folgt)
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Das Literaturverzeichnis (die Quellen) zu den Artikeln 1 bis 39
finden Sie am Ende dieser ersten Artikelserie auf einer eigenen Literatur-Seite. Die dann folgenden nächsten 32 Artikel über die Magnetband/Tonbandaufzeichnung finden Sie hier in unserem Magentbandmuseum.