2012 - Rückblick auf die analoge Quadrophonie
Wenn man die alten Fachzeitschriften durchsucht und akribisch die Pressemitteilungen in allen nur möglichen Publikationen der Jahre 1968 bis 1976 sammelt und vergleicht, dann kommen da so manche "Wahrheiten" ans Licht.
Wenn man dazu auch noch die alten Veteranen und Entwickler der Hersteller, der Vertriebsabteilungen und der damaligen Hifi-Magazine befragt, dann passen die ganzen Mosaiksteinchen für dieses gefloppte Konzept auf einmal zusammen.
Es sollte billig sein und dennoch viel Gewinn abwerfen, also wurde die Schallplatte als Medium präferiert. Denn die war eingeführt und das verstanden die Konsumenten am Ehesten.
Die großen Bandgeräte mit 4 Kanälen waren zwar perfekt, aber viel zu teuer. Dazu waren die echten 4-Kanal Bänder rar. CC-Kassettengeräte mit 4 Spuren und 4 Kanälen waren für den Hifi-Gourmet qualitativ nicht gut genug. Und der Normalverbraucher hatte für diese "Spinnerei" sowieso keinen Draht und meist auch gar nicht so viel Geld.
.
Wie kam es dazu, daß diese Projekte weltweit so lange und mit so viel Geld vorangetrieben wurden ?
.
"Man" brauchte einfach ein oder mehrere Produkte - basta.
Den deutschen Herstellern stieg der Erfolg der Endsechziger Jahre zu Kopfe und den Amerikanern und Japanern auch. Gewaltige Produktions- und Verkaufs- kapazitäten waren aufgebaut worden und der Erfolg verstieg sich in ungeahnten Höhenflügen und dann brach der Markt ein, erst langsam und dann immer schneller. Auch bei den Amerikanern ging es nur noch "geradeaus" mit der deutlich sichtbaren Tendez "abwärts". Das war ein böses Zeichen. Dicke dunkle Wolken zeichneten sich am Hifi-Himmel ab.
Was kann man jetzt noch schnell herstellen und verkaufen ? Also hieß es : Bedürfnisse wecken und gleich dazu ein Produkt anreichen - mit Namen "Quadro", das könnte klappen.
Quadro muß her, also 4-kanalige Musik, das klang gut und das hatte vermeintlich keiner. Das Internet gab es noch nicht und twitter oder facebook schon gar nicht. So wurde quasi "heimlich" in den Labors an vielen Orten auf der ganzen Welt, vornehmlich in Japan und den USA, und vor allem GLEICHZEITIG, an "Quadro" geforscht und entwickelt.
Die Gretchen-Frage war:
Wie bekomme ich 4 Kanäle in die altbekannte Vinyl-Stereo-Rille rein ?
.
Etwas mehr über die Quadro Formate
Hier die wichtigsten Entwicklungen der Quadrophonie (oder auch quadraphony):
.
- CD-4 von der Japan Victor Company (JVC Nivico)
- SQ oder RM = "Regular Matrix" von CBS/Sony
- QS von Sansui
- QM von Toshiba
- QX-4 von Denon
- AFD von Matsushita
- QR von Kenwood
- UD-4 von Denon
- AFD von Matsushita
- EV-4 von Electro Voice
.
Am Ende gab es mehr als acht verschiedene Lösungen oder Methoden oder Entwicklungen, in der vorhandenen Tonträger-Technik der 33er Vinyl LPs "irgendwie" diese 4 Kanäle unterzubringen. Alle damals "irgendwie" technisch machbaren Tricks waren "erlaubt".
(Die Liste oben zeigt die ersten 9 Varianten und noch ein paar "noch" weniger bekannte Firmen waren dabei.)
.
Die "Hintermänner" von "Dreien" hatten das meiste Geld.
Unter "Hintermänner" verstehen wir natürlich die Geldgeber oder Investoren. Und nur deshalb haben sich diese 3 Quadro-Systeme QS, SQ und CD-4 herauskristallisiert - (Sony, Matsushita und RCA/Columbia). Ob diese Systeme wirklich die Besten waren, liegt seit Jahrzehnten im Dunklen. SQ und CD-4 hatten dann zwar das Rennen unter sich ausgemacht, aber beide haben am Ende dennoch verloren - mit gigantischen Verlusten haushoch verloren. Auch die damals in Zugzwang gebrachten Hardware-Hersteller hatten gigantische Abschreibungen vorzunehmen.
.
Hier ein paar interessante QUADRO-Artikel :
.
- Quadro 73 : Anmerkungen zur Lage : Umfrage bei den Schallplattenherstellern : Das Repertoire. - In: fonoforum (1973), August-Heft 8
- SQ contra CD-4. - In: fonoforum (1972), H. 6, S. 456-458
- UD-4 : Universelles Diskretes Vierkanal-System - ein Ausweg aus dem Quadrophonie-Dilemma? - In: HiFi-Stereophonie 15 (1976), H. 1, S. 74, 76-78
- Quadraphony : an anthology of articles on quadraphonic sound from the pages of the Journal of the Audio Engineering Society Vol. 17 - Vol. 23 (1969-1975). - New York : Audio Engineering Society, 1975
- Johannes Webers: Tonstudiotechnik. - München : Franzis, 4/1985. - S. 208-214
- J. G. Woodward: Quadraphony : a review. - In: Journal of the Audio Engineering Society 25 (1977), Nr. 10/11, S. 843-854 (mit ausführlicher Bibliographie)
.
Die CD-4 Platte konnte "nie" funktionieren.
Die Vinyl-Schallplatte hatte schon mit den 18 kHz ihre Probleme. Im letzten analogen Vinyl-Schneidstudio Brüggemann in Frankfurt wurde ich im Jahr 2010 eingehend "aufgeklärt" (besser gesagt: ausführlich informiert oder richtig zutreffend "freundlich belehrt"), wo die wirklichen physikalischen Grenzen von Material und Physik denn lagen und auch im Jahr 2012 immer noch liegen und wie unglaublich niedrig (und wackelig) diese Grenzen wirklich sind.
.
30 Kilohertz in der Vinyl-Rille ? Geht das ?
Wenn nach dem 10ten Male Abspielen mit dem fast edelsten Abtaster jeder Zeit (einem Shure V15 Typ IV oder Typ V) die 18 kHz Signale einer Vinyl-Platte bereits weg "geschruppt" (oder weg gehobelt) sind, was passiert dann erst mit 30 kHz, 40 kHz oder 50 kHz Signalen ? Kann das der Diamant überhaupt aushalten und was ist mit den Rillen ?
.
Und der "dumme" Käufer - also der Laie - durfte auf keinen Fall verunsichert werden.
Solch komplizierte Technik war "Lieschen Müller" schon gar nicht - und aufgeklärten Hifi-Gurus erst recht nicht - zu verkaufen.
Und das mit den speziellen Quadro- "Nadeln" und den Shibata- "Schliffen" für teuerstes Geld, es war nahezu unverkäuflich, jedenfalls in den Mengen oder Stückzahlen, die sich die Marketingleute damals ausgedacht oder erträumt hatten.
Und für die relativ kleine Nische, wie sie heutzutage (in 2012) die 33er Stereo Vinylplatte noch (oder jetzt wieder) "genießt", war der ganze Aufwand für die Hersteller wiederum verlustbringend. Analoge Quadroplatten sind inzwischen gänzlich ausgestorben.
.
Und auch die SQ Platte hatte auch nie richtig funktioniert.
Es war ein "theoretischer" Traum, in die 2 Vinyl-Stereokanäle mit dem ganz normalen Abtaster im Frequenzband bis 20kHz per Phasenverschiebung weitere Kanäle auch nur ansatzweise unterzubringen. Ein Artikel aus 1974 beschreibt ausführlich die SQ Theorie und die beschränkte Machbarkeit, die der kritische Ingenieur sofort gesehen hatte.
Aber das Marketing war unerbittlich, die mußten ja etwas verkaufen. In mehreren Quadro-Tests kam raus, daß alleine die 4-Kanal Bandaufnahmen erfreuliche Qualitäten boten. Bei den SQ Vorführungenm mußte man schon sehr genau hinhören, was da von hinten kam. Von der Seite kam nämlich nichts, konnte ja technologisch auch gar nicht.
Von 10 Quadro Schallplatten waren 9 akustischer Müll und mit einer "nur" Stereotechnik überhaupt nicht anzuhören. Verbohrte Fans wollen das natürlich nicht gelten lassen, weil sie bei jeder Platte auf die Sekunde genau die Effekte heraushörten und benennen konnten und können. Nur der unvoreingenommene gespannt lauschende Laie - der sitzt staunend davor und hört fast gar nichts raus.
.
In vielen Herstellerlabors wurde lieblos entwickelt.
Die Laboringenieure der Entwicklungsabteilungen hatten recht schnell die Grenzen und Macken der (publizierten) Quadro-Systeme in Theorie und Praxis erkannt und diese Erkentnisse mit Sicherheit überdeutlich im übersetzten Klartext und vor allem schriftlich "nach oben" in die Chefetage gemeldet.
Von "oben" kam dann dennoch die Order: Macht weiter, wir brauchen auch solch einen oder solche Quadro-Receiver oder Quadro-Plattenspieler und / oder solche Decoder. "Alle Anderen" haben nämlich auch einen (angekündigt), also wir machen das auch. (Originalton von BRAUN)
Hätte man damals twitter gehabt, wäre das ganze analoge Quadro Schallplatten-System bereits nach 4 Wochen völlig in sich zusammen gebrochen. Die informierten und befähigten Spezialisten, die die analoge Quadro-Coder- und Decoder- Theorie bis in die mathematischen Formeln zerlegt hatten, hätten das sofort publiziert und damit diesen komplexen und vor allem absolut hilfsbedürftigen Sytemen den sofortigen Garaus gemacht.
Inzwischen wissen sogar Diejenigen, die noch nie Vinyl-Platten abgespielt haben, wie komplex und sensibel diese mechanische Musikwiedergabe war und ist und an welchen seidenen Fäden diese Mechanik hing bzw. hängt.
.