Transmissionline - in die Röhre geguckt !
F. Hausdorf - Herr Hausdorf ist technischer Leiter der Firma VISATON - erhalten von Professor Jens Hergesell -Stuttgart
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Einleitung - etwas über die Nachteile
Die Anhänger des Transmissionline-Prinzips ("TL") behaupten oft, nur mit Boxen nach dieser Bauweise lasse sich der ganz tiefe Baß perfekt abstrahlen. Die Impulsfestigkeit und Natürlichkeit der Bässe sei optimal - kurz : Sie schwören auf die Überlegenheit der "TL"-Boxen.
Andererseits werden diese Boxen heute immer seltener gebaut. Es muß also auch Nachteile geben. Ist es nur der relativ hohe Aufwand beim Gehäuse? Oder der sprichwörtlich geringe Wirkungsgrad?
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Erkenntnisse, Halbwahrheiten, Behauptungen
Es ist bereits recht viel über die Transmissionline geschrieben worden. Dabei wurden oft sehr widersprüchliche Aussagen veröffentlicht. Die Bandbreite reicht von gesicherten Erkenntnissen über Halbwahrheiten bis zu schlicht falschen Behauptungen.
Die Literatur ist so verwirrend, daß sich die Ergebnisse dieses Artikels ausschließlich auf eigene umfangreiche Messungen stützen mußten. Da jedoch alles meßtechnisch belegt werden sollte, war eine umfassende Behandlung der Transmissionline mit den unzähligen Bauformen und Varianten im Rahmen dieses Artikels völlig ausgeschlossen.
Dieser Artikel ist jedoch als Anregung zu einer unvoreingenommenen Beurteilung des TransmissionIine Prinzips zu werten, unabhängig davon, was dieser Bauweise an guten oder auch schlechten Eigenschaften nachgesagt wird.
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Das Dilemma bei Baßboxen
Bekanntlich besteht das Dilemma bei Baßboxen darin, daß man die Schallanteile auf beiden Membranseiten (vorn und hinten) voneinander trennen muß, da sie sich sonst ausgleichen würden (akustischer Kurzschluß) und in einiger Entfernung keine tiefen Töne mehr zu hören wären.
Die einfachste Lösung - die geschlossene Box - hat den Nachteil, daß durch das rückwärtige Volumen die Eigenresonanzfrequenz des eingebauten Lautsprechers zu stark ansteigt, wenn das Gehäuse nicht eine Mindestgröße hat.
Bei der Baßreflexbox legt die Membran auf ihrer Rückseite einen sogenannten Helmholtzresonator an, der - auf eine tiefe Frequenz abgestimmt - die Baßabstrahlung dort übernimmt, wo die geschlossenen Box dazu nicht mehr in der Lage ist.
Seit der Transmissionline handelt es sich ebenfalls um einen Resonator, der aber ganz anders arbeitet als eine Baßreflexbox. Hier wird in einem Rohr eine Luftsäule in Schwingung gebracht. Jedes Blasinstrument arbeitet nach diesem Prinzip. Insbesondere bei der Orgelpfeite liegt eine große Ähnlichkeit zur TL-Box vor.
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Eine Erklärung
Was geschieht, wenn man einen Lautsprecher wie in Bild 1 in ein Rohr einbaut ? Die rückwärtige Membranseite strahlt natürlich Schall in das Rohr ab, der sich zum Rohrende hin bewegt.
Merkwürdigerweise gelingt es aber dem Schall nicht bei jeder Frequenz gleichermaßen aus dem Rohr heraus zu kommen.
In Bild 2 wurde die Amplitude des Schalldrucks am Rohrende mit einem Mikrofon gemessen.
Während der verwendete Lautsprecher in einer geschlossenen Box von 3O Hz bis 1 kHz einen völlig gleichmäßigen Frequenzgang aufweist, kann man davon am Rohrende nicht mehr sprechen.
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Die Erklärung liegt darin, daß für den Schall, der durch das Rohr wandert, ein abrupes Ende eine starke Störung des Ausbreitungsvorgangs bedeutet, so daß ein großer Teil im offenen Ende reflektiert wird. Das kann man sich vieleicht nicht ohne weiteres vorstellen, aber mathematisch läßt sich das eindeutig nachvollziehen.
Wenn also der Schall reflektiert wird, treffen hin- und rücklaufende Schallanteile zusammen, überlagern sich und bilden die bekannten Resonanzen, wie sie auch als Raumresonanzen zwischen zwei parallelen Wänden gefürchtet sind.
Im Gegensatz dazu haben wir aber hier auf der einen Seite ein geschlossenes und auf der anderen Seite ein offenes Rohrende. Es bilden sich immer dann Resonanzen, wenn die Bewegung der Luftteilchen (Schallschnelle) auf der geschlossenen Seite gleich null und am offenen Ende maximal ist (Bild 3a).
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Man kann solche Fälle berechnen
In Bild 3b sind einige dieser Fälle dargestellt. Bei der Grundresonanz (1) paßt gerade 1/4 der gesamten Wellenlänge I in das Rohr. Bei der 2. Resonanz ist die Frequenz höher, so daß schon 3/4 I hineinpaßt usw. Wenn man weiß, daß die Rohrlänge in Bild 2 genau 2m beträgt, kann man mit folgender Gleichung diese Zusammenhänge überprüfen:
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Formel
fr = Resonanzfrequenz (Hz)
c = Schallgeschwindigkeit in Luft (344 m/s]
I = Länge des einseitig offenen Rohres (m)
Man erhält 43 Hz, 129 Hz, 215 Hz usw. Es fällt bei einem Vergleich mit Bild 2 auf, daß die Grundresonanz im Meßergebnis etwas höher als 43 Hz liegt, während die höheren Resonanzen besser mit dem errechneten Wert übereinstimmen.
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Das hat folgenden Grund: Bild 4a zeigt, wie die Verhältnisse in der Realität sind. Mit einem Sondenmikrofon (Druckkapsel) wurde der Schalldruckverlauf bei der Grundresonanz in einem geraden Rohr (I = 2m) gemessen. Man kann erkennen, daß in einiger Entfernung vom Lautsprecher-Chassis der Schalldruck leicht ansteigt, um dann zum Rohrende hin stark abzufallen.
In der Theorie geht man von einem optimal geschlossenen Ende aus. Da aber die Membranmasse nicht groß genug ist, um diese Forderung zu erfüllen, bewegt sich die Membran bei der Resonanz etwas, und wir haben auf dieser Seite keine vollständige Reflexion.
Wenn wir uns die Schallschnelle ansehen (Bild 4b), die ja entgegengesetzt zum Schalldruck verläuft, sehen wir, daß der Lautsprecher abweichend von der Theorie bei der Resonanz eine Bewegung ausführt. Höhere Frequenzen werden besser reflektiert.
Dadurch stimmen die Meßergebnisse genauer mit der Berechnung überein. Tatsächlich haben Versuche mit extrem leichten Membranen gezeigt, daß die Grundresonanz bei gleicher Rohrlänge höher liegt und flacher verläuft. Daraus kann man schon die Regel ableiten, daß Lautsprecher-Chassis mit relativ schweren Membranen für Transmissionline-Boxen vorteilhaft sind.
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So weit - so gut! "Was soll das Ganze?"
So weit - so gut! "Was soll das Ganze?", mag man sich fragen. Es gibt den glücklichen Umstand, daß bei den Resonanzen außer der Überhöhung der Amplitude auch noch eine Phasenverschiebung zu verzeichnen ist.
Mit anderen Worten: der Schall, der aus der Öffnung kommt, ist durch die Resonanzerscheinung so weit verzögert, daß in Zusammenwirkung mit dem Schall von der Membranvorderseite keine Auslöschung eintritt. Im Gegenteil: es gibt eine Verstärkung, was der Sache einen Sinn gibt.
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Betrachten wir Bild 5
Bild 5 läßt schon ahnen, welche Probleme noch auf uns zukommen. Hier ist nämlich das Ausschwingverhalten eines einmal gefalteten Rohres mit 2,7m Länge und 15cm Durchmesser gemessen worden. (Die Faltung hat auch ohne Umlenkungsbretter am Knick keine negativen Auswirkungen gegenüber einem gestreckten Rohr ergeben.)
Auf der vorderen Achse ist im linearen Maßstab die Frequenz aufgetragen, die Zeit läuft von hinten nach vorn und die Amplitude kann man senkrecht im logarithmischen Maßstab ablesen. Diese dreidimensionale Darstellung (3D-Zerfallspektrum) ist nichts weiter als eine Ansammlung der üblichen Frequenzgänge, allerdings kurz hintereinander gemessen.
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Das klingt zwar einfach, ist aber nur mit einem äußerst komplizierten Meßverfahren zu verwirklichen. Es werden in Bild 5 nur die ersten vier Resonanzen erfaßt (während in Bild 6a die ersten zehn Resonanzen im logarithmischen Maßstab dargestellt sind), wobei der Ausschwingvorgang der 2., 3. und 4. Resonanz augenscheinlich sehr viel länger dauert als bei der ersten, nämlich ca. 1 s(!) bis sie unhörbar (auf -60 dB) abgeklungen sind.
So interessant das alles aussieht, so scheußlich klingt es ! Man wird eher an ein unterirdisches Kanalsystem erinnert als an eine Hi-Fi-Box. Um das zu vermeiden, muß man das Kunststück vollbringen, die oberen Resonanzen durch Bedämpfung zu unterdrücken und dabei die 1. Resonanz so wenig wie möglich zu schwächen.
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Die Wirkung von Dämpfungsmaterial
Was passiert, wenn man einfach etwas Dämpfungsmaterial (Polyesterwolle oder langfaserige Schafwolle) in das offene Rohrende stopft. zeigt Bild 6b im Vergleich mit Bild 6a.
Die erwünschte Grundresonanz bei ca. 35 Hz ist verschwunden. Die anderen sind zwar geschwächt, aber immer noch deutlich vorhanden. Offensichtlich ist das Rohrende
die falsche Stelle, um das Problem zu lösen.
Ein dicker Pfropfen Dämpfungswolle hinter dem Lautsprecher am Rohranfang zeigt, daß man auf dem richtigen Wege ist (Bild 6c). Die Grundresonanz ist nur um 2dB gegenüber Bild 6a geschwächt, während die anderen Resonanzen deutlich im Pegel niedriger liegen.
Woran das liegt, macht man sich am besten an Bild 3 klar. Resonanzen kann man nur da effektiv dämpfen, wo die Luftteilchen sich am stärksten bewegen, also im Schnellebauch.
Am Rohrende hat die Grundresonanz ihr einziges Schnellemaximum. Deshalb wird sie am stärksten gedämpft, wenn man hier Wolle anbringt (Bild 6b). Am Anfang bis zirka zur Mitte haben die oberen Resonanzen alle einen Schnellebauch, so daß man sie hier wirkungsvoll bekämpfen kann, ohne die Grundschwingung allzu sehr zu schwächen (Bild 6d).
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Im Ausschwingverhalten zeigt sich auch der Erfolg. Im Vergleich zu Bild 5 sind die Ausschwingzeiten der unerwünschten Resonanzen in Bild 7 deutlich geringer geworden.
Bild 8 zeigt dasselbe wie Bild 7, nur in höherer Zeitauflösung. Man sieht, daß es gelungen ist, die 2. und 4. Resonanz völlig zu unterdrücken. Die dritte ist jedoch noch vorhanden. Man kann sogar gezielt eine bestimmte Resonanz bedämpfen, indem man sich ausrechnet, wo sich ihr erster Schnellebauch vom Lautsprecher aus gesehen befindet und dort einen dicken Pfropfen Dämpfungswolle plaziert, gewissermaßen einen Kloß, an dem die unerwünschte Resonanz ersticken soll.
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Die unerwünschten Nebeneffekte
So wirkungsvoll die oberen Resonanzen sich auch beeinflussen lassen, eine Enttäuschung haben aber die Messungen in Bild 6 parat. Es wird oft von einer Reduzierung der Schallgeschwindigkeit im Rohr als erwünschtem Nebeneffekt der Bedämpfung gesprochen.
Dabei werden manchmal abenteuerlich niedrige Werte (bis 200m/s) genannt. Auf diese Weise soll auch die Grundresonanzfrequenz entsprechend niedrigere Werte annehmen (siehe Berechnungsformel).
Leider wird das durch die Messungen in den Bildern 6a und 6d nicht bestätigt. Dabei ist die erste Hälfte des Rohres dicht mit Wolle aufgefüllt worden. Die Grundresonanz hat sich aber nicht verändert. Nur die oberen Resonanzen haben sich geringfügig nach unten verschoben. Das nützt aber nichts, da sie sowieso weggedämpft werden müssen.
Um die Grundresonanz doch noch zu verschieben, darf man die zweite Haltte des Rohres auf keinen Fall so stark dämpfen wie den ersten Teil, weil sonst von der baßverstärkenden Wirkung nichts mehr übrig bleiben würde.
Die Phasendrehung durch die Transmissionline
Die vorangegangenen Untersuchungen wurden hauptsächlich gemacht, um zu verstehen, wie die grundsätzlichen Zusammenhänge bei der Transmissionline sind. In der Praxis mischt sich aber immer der Primärschall der Membranvorderseite mit dem Schall, der vom Rohr abgestrahlt wird.
Es muß also die Summe (nach Betrag und Phase) gebildet werden. In aller Regel kann man davon ausgehen, daß Membranvorderseite und Rohröffnung nahe zusammen liegen im Vergleich zu den großen Wellenlängen der tiefen Frequenzen (30Hz = 11,4m).
Es spielt deshalb bei der Summenbildung kaum eine Rolle, wo sich die "TL"-Öffnung befindet. Nicht vernachlässigen darf man allerdings die Phasendrehung, die durch die Transmissionline selbst verursacht wird.
In Bild 9 ist die Phasenverschiebung zwischen Membranvorderseite und Rohrende der stark bedämpften TL (entsprechend Bild 6d) aufgetragen. Daraus geht hervor, daß im Bereich um die Grundresonanz, also bei 40 Hz, der rückwärtige Schall durch das Rohr so stark verzögert wird, daß er gleichphasig abgestrahlt wird und den Baßbereich verstärkt.
Bild 10 zeigt nun, ob sich der Aufwand eigentlich gelohnt hat. Strahlt der Lautsprecher in der TL-Box mehr Baß ab als eine vergleichbare geschlossene Box?
Um diese Frage zu beantworten, wurde die Rohröffnung fest verschlossen und das auf der gesamten Länge bedämpfte Rohr als geschlossene Box aufgefaßt und gemessen (Bild 10a).
Dann wurde Dämpfungswolle aus der 2. Hälfte entfernt und wieder eine Messung gemacht (Bild 10b). Die Mikrofonposition wurde nicht verändert. Es zeigt sich ein beachtlicher Gewinn von 4 dB bei 40 Hz. Allerdings zeigt sich auch, daß die oberen Resonanzen noch als Welligkeit im Frequenzgang durchschlagen.
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Tauschen wir das Chassis gegen ein leichtes Chassis aus
Auch in Bild 11 und Bild 12 sieht man Unterschiede. Den stärkeren Baß erkauft man sich bei der TL-Box durch längere Ausschwingzeiten bei 30 bis 40 Hz, und die Welligkeil bei 150 Hz wirkt sich auch im Ausschwingverhalten ungünstig aus.
Man müßte also die oberen Resonanzen noch stärker bedampfen, was aber mit einer Schwächung der Baßwiedergabe einhergehen würde. Hinzu kommt noch ein weiteres Problem. Diese Art von Transmissionline funktioniert nur mit Lautsprechern, die eine große Membranmasse besitzen.
Bisher wurde für alle Versuche ein 17cm-Chassis verwendet, das durch eine Membranbeschichtung mit erheblicher Masse modifiziert wurde.
f5 = 28Hz
QTS = 0,63
Mmd = 40g
VAS = 22L
Bxl = 6,9 Tm
Obwohl ein starker Antrieb vorhanden ist, bleibt wegen der hohen Masse von 40g nur dir Schalldruck von etwas übe 80dB/W/m übrig. Das ist natürlich lächerlich wenig! Deshalb liegt der Versuch nahe, einfach einen normalen Lautsprecher mit leichter Membran und gutem Wirkungsgrad in das Rohr einzusetzen.
fs = 30Hz
QTS = 0,32
Mmd = 8.5g
VAS = 85 I
Bxl = 5,0 Tm
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Bild 13 zeigt, daß dieser Lautsprecher für diese TL völlig ungeeignet ist. Einmal fällt der Baß viel zu früh ab, andererseits geht auch im Mitteltonbereich Wirkungsgrad verloren.
Ein Treiber mit höherem Q-Faktor (bei gleicher Membranmasse und gleicher Resonanzfrequenz bedeutet das einen schwächeren Antrieb!) hätte wieder einen drastischen Wirkungsgradverlust zur Folge.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: ein akzeptabler Wirkungsggrad bei gleichzeitig tiefer Grenzfrequenz und ausreichender Bedämpfung der oberen Resonanzen ist mit dieser Transmissionline nicht zu machen.
Das gleiche Ergebnis läßt sich übrigens viel einfacher erreichen, wenn man den Treiber mit der schweren Membran in eine geschlossene Box mit gleichem Volumen (ca. 50 L) einbaut. Der -3dB-Punkt liegt dann auch bei ungefähr 30 Hz und außerdem kann die Welligkeit im Mitteltonbereich gar nicht erst entstehen.
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Ein Test mit "Reise ohne Wiederkehr"
Eine weitere Möglichkeit ist, das Rohrende offen zu lassen und die ganze Länge gut mit Wolle zu stopfen. Man erhält dann ein System, das unter dem Schlagwort "Reise ohne Wiederkehr" bekannt ist. Der Schall soll sich totlaufen und keine Möglichkeit haben, störende Resonanzen zu bilden. Diese Variante ist aber eher bei den geschlossenen Boxen einzuordnen.
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Das gefaltete Rohr mit den stehenden Wellen
Nach diesem enttäuschenden Ergebnis besteht aber noch kein Grund zu resignieren. Die am häufigsten realisierten Bauformen der Transmissionline-Boxen weichen ja auch erheblich von dem einfachen Rohr ab.
In Bild 14 ist eine typische Gehäuseform dargestellt. Sie erinnert noch an das gefaltete Rohr, allerdings ist der Raum hinter dem Lautsprecherchassis bedeutend größer und wird zum Ende hin stetig kleiner.
Es wurde zunächst ein 25cm-Chassis mit niedriger Resonanzfrequenz, mittlerer Membranmasse und kleinem Q-Faktor eingesetzt.
fs = 19Hz
QTS = 0,26
Mma = 37g
VAS = 310 I
Bxl = 9,8 Tm
Es stellt sich nun die Frage, ob am Rohrende ein ähnlicher Schalldruckverlaul vorhanden ist wie in Bild 6a. Bild 15 zeigt, daß der Kurvenverlauf stark von Bild 6a abweicht.
Eine Grundresonanz bei ca. 35 Hz ist vorhanden, ebenfalls Resonanzspitzen mit ungefähr der 3fachen, 5fachen und 7fachen Frequenz.
Das könnte man mit der Lauflänge von 2,40 m in Einklang bringen. Positiv fällt auf, daß die schädlichen Resonanzen auch ohne Dämpfungswolle schon bedeutend schwächer vorhanden sind als in Bild 6a.
Man wird sie also viel leichter unterdrücken können. Offensichtlich sind aber die Verhältnisse nicht mehr so klar wie bei dem einfachen Rohr.
Der tiefe Einbruch bei 125 Hz und die zahlreichen Spitzen im Frequenzgang deuten auf stehende Wellen hin, die es ebenfalls zu bedampfen gilt.
Mit dem Dämpfungsmaterial spielen / probieren
Was geschieht, wenn man die große Kammer locker mit langfaseriger Schafwolle füllt - (Polyesterwolle tut es auch und ist viel billiger; Schafwolle ist aber unbestritten für diesen Zweck das beste Dämpfungsmaterial.), - erkennt man aus Bild 16. Die Grundresonanz ist nur wenig, die anderen Resonanzen sind schon sehr stark geschwächt. Das erweckt Hoffnung auf ein besseres Ergebnis als bei der obigen Transmissionline.
In Bild 17 ist der Frequenzgang der gesamten Box ohne und mit Dämpfungswolle geschrieben worden, im Vergleich dazu die Box mit verschlossener TL-Öffnung (Bild 17a). Man sollte nämlich nie den Vergleich
mit der einfachsten Box - der geschlossenen - scheuen, damit man abschätzen kann, ob sich der konstruktive Aufwand lohnt.
In der Tat wird bei der unbedämpften Box (Bild 17b) der Baß ganz erheblich verstärkt. Gegenüber dem geschlossenen Zustand kommen im Bereich von 25 Hz bis 90 Hz ganze 6 dB hinzu.
Aber danach folgt bis 200 Hz ein Einbruch, was auf eine Auslöschung infolge falscher Phasenlage hindeutet. Wahrscheinlich ist dies mit dem oft erwähnten "Transmissionline-Loch" gemeint.
Da wir sowieso eine Überhöhung im Baß vorfinden, können wir wieder die Angelegnheit mit viel Dämpfungswolle entschärten. In Bild 17c verläuft der Frequenzgang der im ersten Teil hinter dem Lautsprecher stark und im zweiten Teil locker bedämpften Box schon viel ausgeglichener.
Allerdings gibt es bei 100 Hz immer noch eine Auslöschung zwischen dem direkt abgestrahlten Schall und dem aus der TL-Öffnung. Bei dieser Boxenkonstruktion müßte das in Kauf genommen werden, da bei noch stärkerer Bedämpfung die Erhöhung des Baßpegels so gering wäre, daß man lieber gleich eine geschlossene Box bauen sollte.
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Ein Versuch mit anderen Gehäusevarianten
Versuchsweise wird jetzt die Box umgebaut, indem das mittlere Brett näher zur Rückwand verlegt wird (in Bild 14 gestrichelt). Die Querschnittsfläche des TL-Kanals wird so verringert und das Volumen hinter dem Lautsprecher vergrößert.
Zur großen Überraschung sind bei beiden Gehäusevarianten die Impedanzkurven verschieden (Bild 18). Man kann erkennen, daß bei der kleineren TL-Öffnung die Impedanzspitze und der tiefste Punkt (P) jetzt bei einer tieferen Frequenz (P') liegen. Die Lauflänge der TL hat sich durch den Umbau der Box nicht geändert und trotzdem soll die Rohrresonanz sich verändert haben? Da stimmt offensichtlich etwas nicht!
So mißtrauisch geworden, fällt auch eine verdächtige Ähnlichkeit der Impedanzkurve mit der einer Baßretlexbox auf. Die Kammer hinter dem Lautsprecher könnte man als Volumen und die zweite Hälfte der Line als überdimensionale Baßreflexöffnung auffassen. So könnte man auch die Verschiebung der Impedanzkurve in Richtung tiefere Frequenzen erklären.
Denn wenn man bei einer Baßreflexbox das Boxenvolumen vergrößert, sinkt bekanntlich die Boxenresonanzfrequenz. Dasselbe geschieht bei Verringerung der Tunnelfläche. Durch den Umbau hat die Box also ein Verhalten gezeigt, wie man es von einer echten Baßreflexbox erwarten würde.
Andererseits hat eine Sondenmessung, durch die der Schalldruckverlauf bestimmt wurde, gezeigt, daß dieser für die Grundresonanz ganz ähnlich wie in Bild 4 verläuft. Das spricht ja wieder dafür, daß es sich jm eine Transmissionline handelt.
Wie dem auch sei: man hat es offensichtlich mit einer Mischform zu tun. Und je nachdem, wie die geometrischen Verhältnisse liegen, überwiegt wohl das eine oder andere Prinzip.
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Weitere Erkenntnisse ....
In Bild 19 ist die typische Bauform einer Transmissionline-Box skizziert, wie sie sehr häufig gebaut wird. Hier hat man eine noch deutlichere Trennung des Volumens hinter dem Lautsprecher und dem Kanal, den man als Baßreflextunnel auffassen könnte.
Auch bei dieser Box ähnelt der Schalldruckverlauf an der Öffnung (Bild 20) den Verhältnissen der einfach gefalteten Line (Bild 15). Selbstverständlich müssen die starken Resonanzen im Mitteltonbereich wieder bedämpft werden. Dazu wird nicht nur das große Volumen, sondern auch der Kanal locker mit Wolle gefüllt.
Erwartungsgemäß gibt es gegenüber der geschlossenen Version eine deutliche Baßanhebung von 6dB bei 50 Hz (Bild 21), so daß es insgesamt zu einer Überhöhung in diesem Bereich kommt.
Diese Überhöhung kann man ohne weiteres durch eine stärkere Bedämpfung zügeln. Diese Maßnahme wurde sich auch positiv auf den Mitteltonbereich auswirken. In Bild 22 erkennt man nämlich noch starke Resonanzen, die das Ausschwingverhalten ungünstig beeinflussen.
Bild 23 zeigt das Spektrum der Box unter gleichen Meßbedingungen. aber mit fest verschlossener TL-Öffnung. Insgesamt ist das Ausschwingverhalten zwar deutlich besser geworden, aber zufriedenstellend kann man es noch nicht nennen.
Die unschöne Resonanz, die man voreilig dem TL-Prinzip in die Schuhe schieben könnte, ist bei der geschlossenen Version noch vorhanden. Es kann sich nur um Schwingungen der Boxenwände handeln, da beim Treiber allein diese Resonanzen nicht auftreten.
Die Messung in Bild 24, die ohne Gehäuse (Freiluft) im Nahfeld des Lautsprechers gemacht wurde, beweist das. Es ist auch kein Wunder, daß dieses Problem auftaucht, wenn man die Konstruktion der Testbox kennt : Die 19mm-Spanplatten ohne aufwendige Versteifungen sind für so ein großes Gehäuse einfach nicht ausreichend! (Es zeigt sich also wieder. wie wichtig eine stabile Konstruktion bei großen Boxen ist.)
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Ausschwingverhalten und Einschwingverhalten
Da das Ausschwingverhalten in der Praxis von Raumresonanzen überlagert wird, ist es nicht von so großer Bedeutung wie das Einschwingverhalten.
Um das beurteilen zu können, betrachten wir die Bilder 23 und 24 "von hinten", in der umgekehrten Zeitabfolge. In den Bildern 25 und 26 sieht man deutlich, daß bei der TL-Version die Box sehr viel länger braucht, um den Maximalwert zu erreichen, als bei der geschlossenen Box. Die stärkere Baßabstrahlung erkauft man sich also durch verlängerte Ein-und Ausschwingzeiten.
Der Q-Faktor
ES wird immer wieder behauptet, für Transmissionline-Boxen wären nur Lautsprecher mit einem Q-Faktor zwischen 0,6 und 1,0 brauchbar. Dies hat sich bei allen vorangegangenen Versuchen ganz und gar nicht bestätigt.
Es wurden nämlich Lautsprecher mit den unterschiedlichsten Thiele-Small- Parametern eingesetzt. Dabei zeigte sich, daß bei Treibern mit hohem Q-Faktor der Baßbereich im Verhältnis zum Mitteltonbereich stärker vertreten war auf Kosten des Wirkungsgrades und des Impulsverhaltens. Das ist genau das, was man schon von den geschlossenen Boxen her kennt. Da aber die am häufigsten gebaute Form der Transmissionline in ihrem Verhalten der Baßreflexbox stark ähnelt, kann man folgerichtig auch Treiber mit niedrigem Q-Faktor einsetzen und die bekannten Vorzüge nutzen.
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Zusammenfassung und Ergebnis dieser Untersuchung
Als Ergebnis dieser Untersuchung hat sich herausgestellt, daß es zwei Gruppen von Transmissionline-Boxen gibt. Einmal das reine Rohr mit konstantem Querschnitt. Hier sind die Resonanzen im Mitteltonbereich noch so deutlich an der Öffnung vorhanden, daß man sehr stark dämpfen muß. Dabei geht aber auch die erwünschte Baßverstärkung zum großen Teil verloren. Außerdem erreicht man wegen der notwendigen hohen Membranmasse einen nur mäßigen Wirkungsgrad.
Eine viel größere Bedeutung haben die gefalteten Transmissionline-Boxen mit der großen Kammer hinter dem Lautsprecher. Hier hat es sich gezeigt, daß sie entscheidende Merkmale der Baßreflexboxen besitzen. Sie haben einen hohen Wirkungsgrad und eine sehr tiefe untere Grenzfrequenz.
Wenn man es sich leisten kann, großvolumige Gehäuse aufzustellen, so kann man mit diesen Konstruktionen äußerst baßstarke Boxen mit akzeptablem Impulsverhalten verwirklichen (richtige Bedämpfung vorausgesetzt).
Und zur Frage, ob sie nach dem Transmissionline- oder nach dem Baßreflex-Prinzip arbeiten, ist zu sagen, daß letzten Endes nur das Ergebnis wichtig ist und weniger, wie der Baß im Detail zustande kommt.
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