Bezüglich UKW Stereo in 1963 geistern einige Legenden und Halbwahrheiten durch die Hifi-Landschaft
von Gert Redlich im Dez. 2014
Auf mehreren anderen Seiten hier im Hifi-Museum (und auch im Tonband-Museum) habe ich bereits aus- geführt, daß da einiges von der verkündeten Historie weit an der Realität oder gar an der Wahrheit vorbei festgeschrieben wird.
So zum Beispiel in alten Fachzeitschriften und vor allem in den vielen großen und bunten Prospekten aus diesen frühen Jahren von "Hifi und Stereo".
Bezüglich der Wahrheit ist es selbst bei dem in den letzten Jahren deutlich gestiegenen Lebensalter nur natürlich, daß in wenigen Jahren niemand mehr da ist, der das fundiert und glaubwürdig gerade rücken kann.
Die Anzeigen rechts aus der Hifi-Stereophonie Herbst 1963 zum Beispiel gaukelten den bislang unbedarften Kunden völligen Unsinn vor. Ohne UKW Stereo-Sender gab es (bei uns) nämlich noch gar kein Stereo auf UKW und auf Mittelwelle sowieso nicht - sehr wohl aber in Japan !!! Selbst die in den Anzeigen beworbenen Geräte gab es so noch nicht oder sie waren nur "halb fertig" - nämlich "Decoder vorbereitet"
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Was gab den Anstoß, das von damals alles mal zu hinterfragen ?
Im Frühjahr 2014 bekam ich einen dicken schweren SCOTT Röhrenreceiver geschenkt. An und für sich ist das für uns - außer daß es erfreulich ist und wir dafür sehr dankbar sind - nichts Besonderes. Doch dieser Scott Stereomaster 380 hatte es in sich.
Es war einer der allerersten hier in Deutschland eingelandeten (verkauften ??) funktionierenden UKW Stereo Receiver aus dem frühen Herbst 1963.
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Aber auch das ist (war) noch nichts Außergewöhnliches.
Doch dieser SCOTT Receiver Stereomaster 380 stammt aus einer ganz speziellen Lieferung von 14 (oder 16 oder 20 Stück) an den West-Berliner SFB, den "Sender Freies Berlin" der ARD. Der SFB sollte während der Funkausstellung 1963 das (bei uns) neue UKW-Stereo für alle ARD Sender nur erstmal demonstrieren und zwar jetzt richtig publikumswirksam.
Damit war gemeint : echt live über die neue UKW- Sende-Antenne ganz oben auf dem Funkturm am Messegelände und mit einem speziell dafür gebauten (anfangs nur 100 Watt starken und dann) 1,2 KW starken UKW Stereo- Röhren-Sender (und bereits mit dem in USA zum Gesetz erklärten amerikanischen 19 KHz Stereo-Pilotton Verfahren). Dazu kommt noch mehr aus der Hifi-Zeitschrift US-Audio von 1962.
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Wieso kaufte der SFB keine deutschen Geräte - sondern amerikanische Geräte ?
Selbstverständlich kann jeder Entscheider seine Auswahl treffen, auch in einem ARD Sender. Und der damalige mit dieser Aufgabe betraute Mitarbeiter des SFB - ein Herr Dr. Schwarze - hatte sich über seine Diplomarbeit und dann über seine Dissertation als für diese Aufgabe absolut qualifiziert profiliert, nämlich genau zu wissen, was er da plant und macht.
Mir war aber beim Durchlesen der 1963er Hifi-Stereophonie Jahrgänge und auch im fonoforum aufgefallen, die deutschen Firmen boten haufenweise (damals !!) hypermoderne Stereogeräte in großen Anzeigen an. Und da stellte sich mir eben die Frage, warum entscheidet sich ein technischer Entscheider einer deutschen Sendeanstalt für amerkanische Geräte, wenn es doch genügend davon im eigenen Land geben sollte (oder laut der Anzeigen geben würde).
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Und deshalb habe ich Prof. Dr.-Ing. Schwarze in 2014 besucht.
Und so habe ich ihn gebeten, zu erzählen, wie das damals wirklich war. Angefangen haben wir mit seinem Studium an der TU Berlin, bei dem die Akustik eine große Rolle gespielt hatte, über seine wissenschaftliche Zeit beim Heinrich Hertz Institut bis zu seinem Wechsel zum westberliner SFB in 1962. Dort wurde direkt neben dem Funkturm am Messegelände neben dem alten "Haus des Rundfunks" das neue SFB Gebäude errichtet - mit einer Menge an damals modernsten tontechnischen Einrichtungen und auch schon mit neuen Fernsehstudios.
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Beim SFB wurden bereits Stereoaufnahmen aufgezeichnet.
Die Tonmeister und Toningenieure beim SFB und sicher auch bei den anderen ARD Sendern waren 1962 / 1963 bereits mit Stereo Aufnahmen vertraut, wenn auch noch nicht perfekt vertraut. Denn bislang wurden (beim SFB) die Aufnahmen auf den damals verfügbaren Telefunken M5-Stereo und M10 Bandgeräten aufgenommen und ab und zu mal auf Platten gepresst.
Es gab beim SFB früher sogar eine experimentelle 2-Sender UKW Stereo- Versuchsreihe. Bei den Plattenfirmen wurde 1962 fast nur noch in Stereo - und zwar perfekt - aufgenommen (eigentlich bereits ab 1956/58) und eventuelle "Mono-Probleme" (sogenannte Auslöschungen vonganzen Frequenzbereichen beim Abspielen von Stereoplatten mit Mono-Abtastern oder umgekehrt) einfach auf das Abspielgerät, den Plattenspieler abgewälzt. Und das verbale Abwälzen von diesen "Schwächen oder Fehlern" auf "die Anderen" ging beim UKW Radio natürlich nicht.
Doch die Frage (besser gesagt : die Forderung) war ja, es muß später im Live-Betrieb kompatibel zu den alten (nur) Mono-Empfängern sein. Die 2-Sender Technik war bei den ARD Kollegen sowieso nicht mehrheitsfähig und dazu viel zu teuer. Aus Amerika kam nämlich ein fertiges 1-Sender UKW Konzept mit der 19 kHz Multiplex Pilottontechnik und alles über einen, den gleichen bisherigen leicht modifizierten Sender für Mono und Stereo.
Also technologisch konnte man die neuen Stereo-Sender sogar aus den alten Mono-Sendern hoch- bzw. aufrüsten. Bislang hatte das aber noch keiner gemacht und so wurden auch keine dieser neuen Stereo- Aufnahmen in Mono abgehört, das war bislang einfach nicht gefordert. Bei den ersten Versuchen ergab sich aber, daß diese geforderte Mono-Kompatibilität gar nicht mehr trivial war.
Sehr ähnlich erging es 1966/67 den Farbfernseh Befürwortern und Ingenieuren, als es hieß, das jetzt in Farbe aufgenommene Bild muß !! auch in schwarz weiß - nach wie vor - problemlos empfangbar sein.
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Also machen wir beim SFB mal Stereo über UKW ...
Dipl. Ing. Dietrich Schwarze hatte im Frühjahr 1963 seine Dissertation erfolgreich abgegeben und war nun ein junger stolzer Dr.-Ing. und dazu für die Haupt-Abteilung (HA) "Technische Planung und Ausrüstung" und neben anderen Kollegen - wie insbesondere sein geschätzter Kollege Helmut Krüger - auch für die Studiotechnik beim SFB zuständig.
So fragte er bei allen namhaften deutschen Firmen wie BRAUN, Grundig, Telefunken, der deutschen Philips, Loewe, Saba, Siemens, Wega, Blaupunkt usw. an (es gab ja bei uns in Deutschland wirklich genügend Hersteller), der SFB "benötige" zur Funkausstellung im Herbst 1963 für die öffentliche Demonstration in den Messehallen 20 hochwertige UKW Stereo-Geräte (also Empfänger) nach der vom IRT beschlossenen (amerikanischen) Stereo-Norm, also mit europäischer Deemphasis (Entzerrung).
Es kam entweder keine Antwort oder "sie" seien bzw. waren nicht fertig oder "sie" hatten keine solchen Geräte - auch nicht in einer kleinen Serie von 20 Stück. Obwohl bei Grundig die Werbung schon seit dem Sommer vollmundig verkündete, GRUNDIG mache Stereo - auch auf UKW - , konnte oder wollte auch der große Max Grundig keine Tuner oder Receiver mit Decoder mal "vorbeischicken".
Das war natürlich damals schon sehr peinlich (übrigens auch wieder verglichen mit August 1967 - dem Beginn des deutschen PAL Farbfernsehens, als die legendäre deutsche Robert Bosch Fernsehanlagen GmbH aus Darmstadt die 4 Farb-Kameras nicht liefern konnte, sodaß Philips - aus Holland - einspringen "durfte" und mußte).
Und so knüpfte vermutlich der deutsche Scott-Importeur - damals die Firma Melchers aus Bremen - die Fäden zu den SCOTT Entwicklern in den USA, die dem SFB dann die benötigten - für die deutsche Norm modifizierten - STEREO-Receiver direkt von SCOTT anboten und später - vor oder zum Messebeginn - auch lieferten.
Und einer dieser allerersten nahezu fabrikneuen SCOTT Stereo-Receiver steht jetzt hier bei uns in Wiesbaden im Labor.
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