Die KlangBild Serie 1977 - "HiFi on the Rocks"
"GROSSER BRUDER TECHNIK"
von Gert Redlich im Feb. 2018 - Bei den Musik-Freaks und selbst- ernannten High-End Gourmets geht viel zu oft die Mär um : Denn "sie" (die Rundfunkleute) wissen nicht, was sie tun.
Doch die Rundfunkleute "wissen sehr genau, was sie tun". Und es wird auf jeder Tonmeistertagung und den IRT Versammlungen immer wieder kontrovers diskutiert, was "sie" tun sollten oder müssen oder möchten. Auch wird die technische Grundlage des bisherigen analogen UKW-Rundfunks immer wieder in Frage gestellt.
Doch die Rundfunk-Fachleute wissen auch, was 98% aller unserer Mitmenschen überhaupt in der Lage sind, zu hören und zu bewerten. Und das ist der eigentliche Maßstab für den gesetzlichen Aufrag unserer Hörfunk-"Anstalten". Die Rundfunkleute sind bislang noch in der Lage, überzogene spinnerte Anforderungen für die 2% der überhaupt verbliebenen UKW-Hörer zu relativieren.
Im Gegensatz dazu philosophieren die Verantwortlichen der Fernseh-"Anstalten" populistisch mit HD, 2K, 4K und sogar spinnerter 8K Auflösung in allen Wohnstuben samt Altersheimen - bei Nachrichtensendungen und dem Rest des Programmes bis hin zu Helene Fischer.
Sie lesen aus meinen Worten, daß ich einiges von dem oben Gesagten mit dem zwangs- finanzierten Auftrag des öffentlichen Rundfunks nicht unter einen Hut zu bringen vermag.
Der Vergleich - damals - von Mono zu Stereo und zu Quadro
Die allermeisten Rundfunkleute sind in speziellen Fachschulen 3 Jahre lang ausgebildet worden, damit sie eine Grundahnung von der Materie haben und wissen, was machbar und was sinnvoll ist. Weiter unten lesen sie die Einschätzung des Herrn Peterreins mit dem Vergleich von der Umstellung von ehemals Mono zu Stereo (1963) und dann einem gedanklichen Sprung von 2-Kanal Stereo zu 4-Kanal Quadrophonie (1974). Und dieses Wissen hier stammt aus 1977. Die Grundlage des Ohres bzw. des Hörens hat sich aber in den letzten 40 Jahren nicht verändert, eher das Wunschdenken und die Sprücher der Anbieter.
Und ein beachtenswerter Spruch ist aufhebenswert :
Der Lautsprecherentwickler Dr. Paul Klipsch hatte Kritikern seiner Starrköpfigkeit entgegnet: Ich werde meine Boxen erst dann ändern, wenn sich die Physik ändert - und das hatte sie dann doch nicht gemacht. Die Physik ist erstaunlicherweise gleich geblieben, - das "Klipschhorn" natürlich auch. - Bei den allermeisten Surround-Vorführungen von 5+1 und 7+1 und 9+1 war der 19,2 Hz Tiefschlag der Basspauke das schlagende Argument für den Kauf der 9 x 180 Watt Sinus für das 24qm Wohnzimmer.
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Es geht los: (KlangBild 1977 Heft 10)
HiFi on the Rocks - Titel : "GROSSER BRUDER TECHNIK"
Die Aufnahme- und Sendetechnik bei Musik- sendungen im UKW-Hörfunk. Ein Gespräch mit Oberingenieur Wilhelm Peterreins, Bayerischer Rundfunk, von Franz Schöler.
Bei uns eingetroffene "Leserklagen" und unsere persönlichen Erfahrungen mit manchmal nicht gerade optimalem Rundfunkempfang in den verschiedensten Orten und Empfangslagen haben uns dazu bewogen, die Probleme des Rundfunks einmal mit einem technisch versierten Spezialisten zu diskutieren.
Unser Gesprächspartner war Wilhelm Peterreins, Oberingenieur in der Produktionstechnik des Bayerischen Rundfunks und Leiter der Hauptabteilung Produktion des Hörfunks des BR. Zwei wesentliche Aspekte kamen dabei im Anschluß an das nachfolgend abgedruckte Interview zur Sprache.
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- Anmerkung : Dieser Satz rechts unter dem Bild ist ebenfalls sehr mißverständlich und müsste verbessert werden. Ein Tonmeister "mixt" keinen Sound zusammen. Soetwas mache ich Zuhause auf meiner Hobby-Anlage. Ein Tonmeister weiß (er hat es detailliert gelernt), wie akustische Instrumente klingen müssen und wie er das bei der Live- oder Studioaufnahme realisiert. Bei Pop-Musik steht der Sound (der Band) auf der Bühne bereits fest und dazu braucht man später keinen Ton-"meister" mehr.
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Erstens ist eine „naturgetreue" Aufnahme beim Rundfunk ähnlich wie bei der Herstellung von anderen Tonkonserven und auch bei der Live-Übertragung von Konzerten gar nicht wünschenswert. Der Störpegel wäre ziemlich hoch, weil auch jedes Hüsteln oder Füßescharren eines gelangweilten Konzertbesuchers exakt mit übertragen würde.
Die drei Bezeichnungen zu unterscheiden wäre wichtig
Auch die "Tontechniker" (???) der Rundfunkanstalten versuchen heute, mit Hilfe der Multikanal-Technik von einer Musikdarbietung einen ausgewogenen und räumlich tiefengestaffelten Eindruck zu vermitteln.
- Anmerkung : Hier wird meiner Meinung nach der Beruf des Tonmeisters, des Toningenieurs und des Tontechnikers in einen Topf geworfen und das ist überhaupt nicht korrekt und verleitet zu völlig falschen Auffassungen bzw. einem verwaschenen Verständnis. Das sind drei ziemlich genau aufeinander abgestimmte - nur teilweise überlappende - Aufgabenbereiche.
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Die Sinne und das Wahrnehmungssystem des Menschen
Ein zweites Problem haben diejenigen, die von naturgetreuer Nachbildung einer Musikdarbietung im Rundfunk während einer Live-Übertragung reden, nicht durchdacht: Das akustische Wahrnehmungssystem des Menschen war während seiner Evolution immer gekoppelt mit seinen optischen Sinneswerkzeugen.
Was sich spätestens dann zeigte, wenn eines der beiden Wahrnehmungssysteme ausfiel, also jemand blind oder taub wurde. In dem Fall nämlich „überperfektionierte" der Körper die noch vorhandenen Sinnesorgane in ihrer Empfindlichkeit, weil dann die ausgefallenen Eindrücke mit ihnen kompensiert werden mußten.
Ein blinder Mensch hört oft viel feinere Nuancen als ein sehender, weil er lernen muß, gewissermaßen mit seinen „Ohren zu sehen" und sich zu orientieren, während ein Tauber mit den Augen „hören lernen" muß.
Immer wieder kommen die Sinnestäuschungen ...
In der Praxis ergeben sich die bekannten Sinnestäuschungen: Wenn auf dem Fernsehschirm der Solo-Violinist in Großaufnahme zu sehen ist, glaubt man ihn auch lauter spielen zu hören. Und wer im Konzertsaal sitzt und das Orchester sieht, hat einen anderen Klangeindruck als derjenige, der die Augen schließt und aufgrund des abfallenden Schalldrucks längst nicht mehr alle Gruppen des Klangkörpers wirklich voneinander unterscheiden kann.
Ein Symphonieorchester in den eigenen vier Wänden über eine HiFi-Anlage zu hören ist eine grundsätzlich andere Hörerfahrung als das Konzerterlebnis, bei dem auch die Augen „mithören".
Dem "Tontechniker" beim Rundfunk stellt sich darum von vornherein das Problem, die nicht vorhandenen visuellen Eindrücke durch spezielle Mischtechniken zu ersetzen, also das musikalische Ereignis in gewissem Maße zu visualisieren und ein so ausgewogenes Klangbild zu schaffen, wie man es am besten Sitzplatz eines Konzertsaals hätte, und darüber hinaus die entgangenen optischen Eindrücke künstlich zu erschaffen.
Tonmeister oder Ingenieur oder Techniker ?
Der Tontechniker ist darum in ähnlicher Weise ein Dramaturg wie der Dirigent, der unter künstlerischen Aspekten eine klangliche Balance schafft, und er muß ähnliches künstlerisches Einfühlungsvermögen besitzen, wenn die Tonkonserve auch die künstlerischen Vorstellungen optimal speichern soll.
Das Interview mit Wilhelm Peterreins vom BR (aus 1977)
Welchen Standard heute die professionelle Elektronik der Rundfunkanstalten aufweist, wo die Mängel liegen und warum auch in diesem Bereich die Monitor-Lautsprecher, nach denen die Klangbalance eingepegelt wird, das größte Problem darstellen, erläutert Wilhelm Peterreins im nachfolgenden Gespräch.
Frage Schöler: (1)
Auf der Berliner Funkausstellung 1977 wurden weitere wesentliche Verbesserungen in der Übertragungsqualität von Rundfunk (und Fernsehen) für die nächsten Jahre angekündigt. Der optimale Standard scheint demnach noch nicht erreicht zu sein, oder?
Peterreins:
Nein, da kann man sicher noch einiges machen, wenn ich etwa an die vielen Möglichkeiten denke, mit Compandersystemen zu arbeiten, die in der Tonstudiotechnik verwendet werden und auch im Rundfunk, nur dort nicht, wo Sie es sich erwarten, nämlich in der drahtlosen Übertragung. Da verhalten wir uns noch abwartend und beobachtend.
Frage Schöler: (2)
Gute HiFi-Empfänger und -Verstärker sind meiner Meinung nach heute besser als die sogenannte professionelle Technik in den Rundfunkanstalten.
Wenn man die Herstellung von Programm-Material mit der Qualität der reproduzierenden Apparatur vergleicht, wird auf der Wiedergabeseite - also von den Herstellern von UKW-Tunern - ein Aufwand getrieben, der höher ist als die ausgestrahlte Programmqualität.
Peterreins:
Teilweise möchte ich Ihnen recht geben, denn es ist zweifelsfrei so, daß wir viele Stunden am Tag eine technische Qualität ausstrahlen, die diese HiFi-Anlagen mit ihren hochgezüchteten Möglichkeiten nicht gerade überfordert, um das einmal vorsichtig auszudrücken. Aber wir werden auch in den Dingen, auf die es uns ankommt, diese Qualität ausfahren, gerade in der symphonischen und in der E-Musik.
Ich muß allerdings auf eines hinweisen: Manche der Anlagen gehen über das hinaus, was das menschliche Ohr leistet, und da erhebt sich für mich wirklich die Frage: Ist solche Qualität notwendig, oder ist es nur Geldschneiderei?
Frage Schöler: (3)
Wo sollen wesentliche Verbesserungen erzielt werden ?
Peterreins:
Wesentlich besser nicht in dem Sinne, daß wir mit noch viel weniger Klirrfaktor glänzen können oder mit objektiv meßbaren Größen. Man kann das noch um das eine oder andere dB verbessern. Aber wir werden noch stärker bemüht sein, die Aufnahmen noch - und jetzt vermeide ich ausdrücklich das Wort "Naturtreue" - weiter zu verbessern in der Aufschlüsselung des künstlerischen Erlebnisses.
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Die Sache mit der„naturgetreuen" Aufnahme gehört doch seit Jahren der Vergangenheit an. Ich war gestern in Bayreuth und habe mir dort den „Parsifal" angehört. Vom technischen Standpunkt betrachtet, würde uns die „naturgetreue" Aufzeichnung einer solchen Aufführung nichts bringen. Die Wortverständlichkeit ist trotz der hervorragenden Akustik dieses weltberühmten Hauses zu gering, als daß wir sie so unseren Hörern anbieten könnten. In der Aufnahmetechnik können wir schon eine viel bessere Wortverständlichkeit erzielen, als der Konzertbesucher sie dort jemals erlebt. In vielen Fällen wollen wir nicht das natürliche Klangerlebnis nachbilden, sondern eine technisch „gemachte" Aufführung, in der wir auch die visuellen Aspekte berücksichtigen müssen.
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Frage Schöler: (4)
Bedeutet das auch, daß sie verstärkt die räumliche Tiefenstaffelung der Konzertbühne akustisch nachbilden?
Peterreins:
Das streben wir schon immer an. In den Kindertagen der Stereophonie war man schon froh, wenn man von links nach rechts eine zweidimensionale Perspektive hatte. Aber inzwischen hat man gesehen, daß das, was man bei der Monophonie schon hatte - nämlich die räumliche Tiefenstaffelung - auch bei der Stereophonie realisiert werden muß.
Gerade in der E-Musik bemühen wir uns, eine Aufschlüsselung der Tiefenperspektive zu erreichen und die Durchsichtigkeit so gut wie möglich zu gestalten. Eine solche räumliche Auflösung ist durchaus möglich. Es gibt einen Trend zu betonter „Präsenz" - also zur Hervorhebung der Frequenzen um die 2 bis 4 kHz -, durch die man eine im Moment frappierende Qualität erreicht. Aber nur im Moment. Die Tiefenstaffelung und die räumliche Wiedergabe leiden aber unter dieser übertrieben präsenten Wiedergabe.
Es gibt ja auch Lautsprecher, die in dieser Hinsicht sehr schlecht sind. Der HF-Teil eines Tuners kann nicht für die „flache" Reproduktion eines Klangbildes verantwortlich sein, das müßte schon ein Ergebnis des verzerrenden NF-Teils eines Tuners sein.
Frage Schöler: (5)
Wie ist der Stand der im Rundfunk benutzten professionellen Elektronik allgemein - angefangen von den verwendeten Tonabnehmern bis zu den Monitor-Lautsprechern?
Peterreins:
Eines der vielen Glieder, die von der Aufnahme bis zur Ausstrahlung verwendet werden, ist natürlich das schwächste. Wir versuchen, die Glieder der Aufnahme- und Wiedergabekette - angefangen von den elektroakustischen Wandlern, also den Mikrofonen, über die Verstärker, Regieanlagen, Mischeinrichtungen bis zum Lautsprecher - dem letzten Stand der Technik anzupassen.
Aber bleiben wir gleich beim Thema Lautsprecher. In einem Haus wie dem unseren stehen etwa 160 Regie-Lautsprecher in den verschiedensten Räumen. Wir können es uns nicht leisten, in dem einen Raum das Neueste, im nächsten einen älteren Lautsprecher und im dritten ein noch älteres Modell als Monitor zu benutzen. Wir sind gezwungen, in bestimmten Zeitabständen die gesamte Einrichtung zu erneuern - was nicht ganz billig ist. Wenn wir einen neuen Lautsprecher als Standard-Abhörmonitor einführen, wird er für ein Jahrzehnt der Standard sein müssen! Und die Lieferfirma muß uns garantieren, daß sie das betreffende Produkt über zehn Jahre hinweg in exakt derselben technischen und klanglichen Qualität nachliefern bzw. Ersatzteile liefern kann. Wir können es uns nicht leisten, daß dieses wichtigste Kontrollorgan bei Aufnahmen irgendwelche Toleranzen aufweist.
Exemplarstreuungen und unterschiedliche Raumakustik bereiten uns sowieso Probleme. Darum müssen wir als Monitor auf jeden Fall den klanglich gleichen Typ von Lautsprecher verwenden, der den unterschiedlichen Raumakustiken anpaßbar sein muß.
Frage Schöler: (6)
Wie viele Geräte sind technisch an der Erstellung des Rundfunkprogramms beteiligt?
Peterreins:
Beim Umschnitt einer Tonkonserve auf unser Band sind Plattenspieler und Bandmaschinen, Entzerrerglieder, mindestens ein Vorverstärker, Mischverstärker, Regler, Endverstärker, Leistungsverstärker und mindestens zwei Lautsprecher vonnöten.
Dabei bleibt der Lautsprecher unser größtes Sorgenkind. Wir fragen uns: Hat es sehr viel Sinn, alle anderen Glieder bis zum Exzeß zu verbessern, wenn das letzte Kontrollorgan noch das schwächste Glied ist?
Der EMT-Plattenspieler, den wir derzeit noch benutzen - die sind ja auch in der Umstellung -, kommt unseren harten Einsatzbedingungen entgegen. Hier stellt ja nicht ein HiFi-Amateur mit großer Liebe von einer Platte ein Band her, sondern es muß ein großes Sendevolumen mit konstanter Qualität produziert werden. Und da hat uns der Plattenspieler der genannten Firma jahrzehntelang treue Dienste geleistet. Ein Gerät, mit dem ich zwei- bis dreihundert Programmstunden pro Woche von Platte auf Band umschneiden will, muß sehr robust sein. Das gilt auch für die verwendeten Tonabnehmer.
Natürlich verschleißen die auch mit der Zeit, aber das ermitteln wir regelmäßig mit Hilfe unserer Meßplatten, mit denen wir feststellen, ob die Tondosen und dazugehörigen Vorverstärker noch in den festgesetzten Toleranzschläuchen liegen. Die Plattenspieler und Arme sind zugegeben sehr massebehaftet, aber sie müssen halt auch ständig funktionieren und von jeder Tontechnikerin in allen Räumen bedienbar sein.
Wir beobachten aber bei allen für uns in Frage kommenden Geräten die technologische Entwicklung, und wenn sich tatsächlich technische Verbesserungen abzeichnen, stellen wir auch die finanziellen Mittel für die Umstellung auf neue Geräte zur Verfügung.
Frage Schöler: (7)
Über einen guten Tuner hört man nicht nur den Eigenrumpel der Platte, die gerade im Sender gespielt wird, sondern geringfügig auch den des von Ihnen verwendete Laufwerks, Tonarms und Abtasters.
Peterreins:
Das ist die Schwäche des von uns derzeit noch verwendeten Spielers. Das ist uns bekannt. Da haben wir Verbesserungen mit speziellen Gummiaufhängungen erzielen können, um den Rumpel auf ein bei diesem Modell nicht mehr absenkbares Maß herunterzudrücken. Ich gebe Ihnen aber recht: Es gibt heute Plattenspieler auf dem Markt, die besser sind als unsere professionellen Apparaturen.
Frage Schöler: (8)
Der HiFi-Liebhaber kann heute Verstärker im Laden kaufen, die im Hörbereich frequenzgangmäßig maximale Abweichungen von ±0,3dB aufweisen. Arbeiten Sie auch mit solchen Verstärkern ?
Peterreins:
Nein. Wir benutzen Verstärker, deren Frequenzbereich bewußt beschnitten ist. Für uns stellen sich andere Probleme viel vordringlicher.
Der Klirrfaktor von Lautsprechern im tieffrequenten Bereich ist weit problematischer als eine Frequenzgangabweichung von -0,3dB bei 15kHz. Natürlich kann man Verstärker mit einer Bandbreite bis 3 Megahertz bauen, das Fernsehen macht uns das seit Jahren vor. Aber für Rundfunkzwecke sind solche Verstärker nicht gedacht. Uns genügt der Frequenzbereich von 40Hz bis 15kHz. Wie sich Frequenzgangabweichungen in der ganzen Kette summieren, hängt vom Einzelfall ab.
Frage Schöler: (9)
Die Röhrentechnik scheint auch im Rundfunkbereich außer Mode gekommen zu sein, oder?
Peterreins:
Wenn Sie sagen „außer Mode gekommen', gebe ich Ihnen recht. Wenn Sie fragen: „Haben Sie noch Röhrenverstärker?", muß ich Ihnen auch mit Ja antworten. Unser drittes und viertes Programm-das Gastarbeiterprogramm - werden in Sendekomplexen abgespielt, die noch Röhrenverstärker haben. Ich glaube nicht, daß unsere Hörer den Unterschied wahrnehmen. Die Streitfrage, ob Transistor- oder Röhrenverstärker besser klingen, ist momentan wieder in die Diskussion gekommen. Ich mag mich da nicht beteiligen. Bei Gitarrenverstärkern mag es so sein, daß der weiche Einlauf in den Klirrfaktor günstiger ist und angenehmer klingt, aber bei der HiFi-Anlage handelt es sich schon eher um Glaubensbekenntnisse, wenn man Röhre oder Transistor wählt. Bei den Hunderten von Kilowatt, mit denen die Programme ausgestrahlt werden, brauchen wir auf jeden Fall Röhren-Leistungsverstärker.
Frage Schöler: (10)
Je nach Art des Programms - direkt gespielte Platte, Bandmitschnitt oder Live-Übertragung - gibt es klangliche Unterschiede.
Peterreins:
Das Bandrauschen werden Sie mit einer empfindlichen Anlage hören, das wissen wir. Die Rauschabstände sind nicht so hoch, als daß man es nicht wahrnehmen könnte. Jedes zwischengeschaltete Glied kann Änderungen des Frequenzgangs bewirken. Der Geräuschspannungsabstand beträgt laut Studionorm 57 bis 60dB, aber bei Live-Reportagen müssen wir als akutelles Medium bisweilen auch geringere technische Qualität in Kauf nehmen, weil da in erster Linie die inhaltliche Qualität zählt.
Und bisweilen müssen wir auch bei Produktionen technische Kompromisse eingehen. Wenn wir beispielsweise das Recht für einen Opernmitschnitt aus dem Münchner Nationaltheater, aus Salzburg oder Bayreuth bekommen, gibt es eventuell Ärger mit sichtbar aufgehängten Mikrofonen. Man weiß natürlich sehr genau, wo das Mikrofon hängen müßte. Wenn der Regisseur es aber verschwinden lassen will, können wir dem nichts entgegenhalten und bekommen dann auch nicht die optimale technische Qualität.
Ein wesentlicher Teil der Arbeit von Tonmeistern ist heute die Positionierung von Mikrofonen. Da können oft Zentimeter eine wesentliche Rolle spielen. Aber selbst wenn die Rundfunkanstalt die Opernaufführung finanziert hat, haben nicht die Tontechniker des Senders, sondern der Regisseur das letzte Wort.
Frage Schöler: (11)
Es gibt auch in Ihrem Hause zwei „Schulen" von Aufnahmephilosophie. Die einen sagen: Wir nehmen mit optimaler Positionierung der Mikrofone alles inklusive der Nebengeräusche, der hustenden Zuschauer usw. mit, so daß der Zuhörer zu Hause den Eindruck bekommt, er sitze selber im Konzertsaal.
Die andere Fraktion sagt: Wir möchten nur das Werk selber tontechnisch optimal vermitteln und arbeiten mit Mikrofonen, die nur das Geschehen auf der Bühne übertragen. Wie sieht derzeit die Praxis aus?
Peterreins:
Hier gehen wir keine Kompromisse ein. Die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden „Schulen" - einerseits die „Produktionsschule" und andererseits die „Reportageschule" - ist seit einigen Jahren abgeschlossen.
Wer selber in Bayreuth gewesen ist, will zusammen mit dem Werk, das er gesehen und gehört, auch die ganze Atmosphäre des Konzertsaals vermittelt wissen. Es gibt aber auch Tausende von Rundfunkhörern, die nicht in Bayreuth gewesen sind und sich nur eine einwandfreie Aufführung, wie sie sie von den Produktionen der Schallplattenindustrie gewohnt sind, anhören wollen.
Wir neigen in letzter Zeit auch angesichts der Konkurrenzsituation zur Schallplatte zur „Produktionsschule", also zur Live-Übertragung, die wie eine produzierte Platte klingt. Auf dem Pop-Sektor werden viele Live-Platten mit ungenügender technischer Qualität, aber hervorragend eingefangener Atmosphäre angeboten. Das können wir je nach Wunsch auch machen. Aber es hängt wohl von modischen Trends ab, wie man Musik aufzeichnet.
Frage Schöler: (12)
Sind die Toningenieure des BR dem „Klassik-Ideal" verpflichtet, Musik mit möglichst wenigen Mikrofonen optimal aufzuzeichnen?
Peterreins:
Nein, das ist schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr so. Ich kenne diese alte Schule. Sie hat ja in Monophonie erstaunlich gute Ergebnisse erbracht, zum Teil sogar phantastische. Heute kann man das nicht mehr machen. Unsere Kunden würden kommen und sagen: „Aber beim ,Feuervogel' höre ich am Schluß auf Platte diese Triangel sehr gut, und bei euch nicht."
In Wirklichkeit hört er sie im Konzertsaal auch nicht sonderlich gut, und wir bringen sie ihm stärker, weil wir ihm auch diesen Effekt liefern wollen. Wir arbeiten darum mit sehr vielen Mikrofonen und Multikanal-Technik. Das hat auch ökonomische Gründe. Bei einer vielkanaligen Aufnahme kann man bei der Mischung mit einer kleinen Crew arbeiten. Ich glaube im Gegensatz zu manchen Vertretern der alten Aufnahmeschule nicht, daß man bei Verwendung von nur ein oder zwei gut aufgestellten Mikrofonen dieselbe Plastizität und Ausgewogenheit der Aufnahme erreicht, wie sie die Verwendung vieler Mikros ermöglicht.
Die Verdeckungseffekte, vor denen viele warnten, haben sich in der Praxis einer Aufnahme im Konzertsaal nicht als so gravierendes Problem herausgestellt. Die Konkurrenz zur Plattenindustrie zwingt uns sowieso zur Multitrack-Aufzeichnung. Wir spielen ja auch viele Platten im Rundfunk. Und es würde etwas seltsam aussehen, wenn wir am selben Abend eine Platte mit sehr durchsichtigem Klangbild und darauf folgend eine Eigenaufnahme spielen würden, bei der nur mit zwei Mikrofonen im klassischen Verfahren gearbeitet wurde. Unsere Hörer würden sagen: Das klingt aber merkwürdig - da haben die wohl vergessen zu sagen, daß es sich um eine historische Aufnahme handelt. Bei Pop-Produktionen wiederum zählt nur der „Sound" und der modische Geschmack. Da möchte ich mich jedes Urteils enthalten.
Frage Schöler: (13)
Wie gut sind die Postleitungen, die zur Übertragung benutzt werden?
Peterreins:
Genauso gut wie die vorher erwähnten Verstärker. Sie arbeiten im Bereich bis 15 kHz mit denselben Toleranzen. Daß es dabei mal Ausfälle gibt und daß auch der Frequenzgang mal völlig schief liegen kann, das haben wir immer wieder. Dann muß man nachmessen und die Fehler schnell wieder beseitigen. Bei den Leitungen nach Nürnberg hatten wir lange Jahre wegen der alten Niederfrequenz-Leitungen der Bundespost einen rapiden Frequenzgangabfall ab 10kHz, und die Nürnberger haben sich zu Recht immer beklagt, daß sie nicht die volle Leistung des Bayerischen Rundfunks empfingen. Aber jetzt haben wir trägerfrequente Leitungen nach Nürnberg, die genauso gut sind wie die nach Ismaning.
Frage Schöler: (14)
Arbeiten Sie wie viele amerikanische Sender mit Limitern und Kompressoren, um einen besonders eindrucksvollen mittenbetonten Klang zu haben?
Peterreins:
Mit Sicherheit bei einzelnen Produktionen, wie das in der Schallplattenindustrie heute auch üblich ist. Manchmal aus Schutzgründen, weil man bei einer Live-Übertragung nicht sicher sein kann, ob der Herr an der Pauke besonders stark draufhaut. Darum wird in das Mikrofon, das die entsprechende Schlagzeuggruppe aufnimmt, ein Begrenzer eingebaut.
Übers ganze Programm arbeiten wir nicht mit Begrenzern - nur bei den Mittelwellensendern, bei denen zur Erzielung einer größeren Reichweite und guten Wortverständlichkeit über die großen Entfernungen hinweg mit einem Kompressor gearbeitet wird.
Frage Schöler: (15)
Es gibt im ganzen Bundesgebiet einige ausgesprochen schlechte Empfangslagen für UKW-Sendungen, in Bayern beispielsweise Seeshaupt und das Ostufer des Starnberger Sees. Wie lösen Sie das technisch ?
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Peterreins:
Wir lösen es, wie Sie ja selber sagen, nicht. Wir haben da und dort Versorgungslücken. Die könnte man durch zusätzliche Ortssender beseitigen. Nur braucht man dafür auch Lizenzen für Frequenzen. Leider ist es zur Zeit nicht möglich, mit den zur Verfügung stehenden UKW-Frequenzen in Bayern noch mehr Sender aufzustellen. Wir haben, was die Leistung und die Standorte betrifft, im vorgesehenen Frequenzplan das Maximum an Sättigung erreicht.
Mehr ist im Moment nicht drin. Oft ist es eine Antennenfrage. Ich glaube nicht, daß man einen Ort wie Seeshaupt als nicht versorgt bezeichnen kann. Erhöhung der Strahlleistung bringt nur wenig, selbst eine Verdoppelung der Leistung bringt nur einen unbedeutenden Gewinn.
In der Innenstadt von großen Kommunen kann man ausgezeichneten Stereoempfang nur durch gute Hochantennen erreichen, denn wir versorgen den Kunden von vornherein nur so, daß mit einer vernünftigen Antenne ein vernünftiges Ergebnis erzielt werden kann.
Mit Zimmerantennen und den vielen schlechten Gemeinschaftsantennen, die es noch gibt, kann man kein befriedigendes Ergebnis erwarten, das muß ich klar und deutlich sagen. Für Stereoempfang ist es nun mal sehr wichtig, daß die Antenne auch auf den gewünschten Sender ausgerichtet ist. Wenn das nicht der Fall ist, hat man beachtliche Verzerrungen.
Daß die Zwischenverstärker in Gemeinschaftsantennen das Klangbild merkbar verzerren, wenn nur billige Dipole verwendet werden, ist kein Wunder. Wer wirklich optimalen Rundfunkempfang haben will, für den ist eine Rotorantenne, wie ich sie mir auch auf den Dachboden gebaut habe, eigentlich unerläßlich. Leider wird die UKW-Antenne in den Gemeinschaftsanlagen als Stiefkind behandelt. Wenn man nachmessen würde, könnte man feststellen, daß in vielen Fällen die vorgeschriebenen Werte für Gemeinschaftsantennen nicht erreicht werden. Allein schon durch die Tatsache, daß die wenigsten gerichtet sind, ist ein hoher Störabstand illusorisch.
Frage Schöler: (16)
Arbeiten Sie schon mit dolbyisierten Sendungen? Wie steht es um Quadro-Ausstrahlungen ?
Peterreins:
Quadrophonische Sendungen strahlen wir nicht mit Absicht aus, wohl unabsichtlich, wenn wir eine entsprechend kodifizierte Platte spielen.
Die ARD hat derzeit nicht vor, Quadro-Programme einzuführen, weil wir jenseits des Streits um alle Systeme nicht so ganz davon überzeugt sind, daß die Quadrophonie - auch die „diskrete", echt vierkanalige - wirklich für den Hörer einen Fortschritt bringt.
Die Einführung würde uns nicht einmal so viel kosten, wohl aber den Verbraucher und den Käufer von entsprechenden HiFi-Anlagen. Wir können uns nicht dazu entschließen, diese Dinge zu forcieren und damit dem Verbraucher einen enormen zusätzlichen Kostendruck aufzulasten. Diesen wirtschaftlichen Aspekt muß man mal ehrlich sehen. Außerdem würde die Quadrophonie unserer Meinung nach nicht denselben qualitativen
Sprung bedeuten wie die Einführung der Stereophonie seinerzeit.
Die Quadrophonie wirft ja auch große künstlerische Probleme auf, denn es gibt mit Ausnahme von Berlioz' Fanfarenchören ja keine entsprechende Literatur. Man darf ja bei Quadrophonie nicht mal den Kopf wenden, ohne daß man beachtliche Verwerfungen wahrnimmt. Ich frage mich, ob das noch ein musikalischer Genuß ist. Auch die Einführung des Dolby-Systems würde uns nicht viel kosten, wir brauchten nur eines an jedem Sender oder - wenn wir noch schlauer sind - am Ausgang jedes Funkhauses. Aber wir haben zwei große Probleme.
Wenn wir dolbyisierte Sendungen ausstrahlen, muß die Unterhaltungsindustrie - also die Hersteller „brauner Ware" - die entsprechenden Entzerrer-Glieder in die UKW-Empfänger einbauen.
Zweitens fragen wir uns: Ist das Dolby-System (Anmerkung : das war noch das analoge Dolby) wirklich das beste und modernste? Es ist zwar weltweit verbreitet, aber es hat Probleme bei der Pegel-Kalibrierung, und das haben Nachfolgesysteme wie das von Telefunken nicht. Wir möchten nicht den Anstoß zu dolbyisierten Tunern geben, weil der Kauf eines solchen Tuners durch Einführung eines besseren anderen Systems eine nachträglich falsche Ausgabe würde.
Frage Schöler: (17)
Ich kenne auch kaum Tuner, die für eine Deemphasis von 25 Mikrosekunden vorbereitet sind.
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Peterreins:
Ja, das ist es auch. Aber es wäre im Grunde nur ein Schaltglied, das umgelötet und geändert werden müßte.
Frage Schöler: (18)
Aber stellen Sie sich mal vor, da kämen Hunderttausende von Menschen mit ihren Receivern, Tunern und Radiogeräten in die Geschäfte und möchten die Dinger umgelötet haben. Wie soll das denn aussehen?
Peterreins:
Ja, ganz recht! Die andere Preemphasis ist nicht mal das Hauptproblem. Wir wollen nicht eine Masse von Verbrauchern verführen, etwas zu kaufen, von dem wir nicht ganz sicher sind, daß es wirklich der letzte Stand der Technik oder vielleicht doch schon wieder überholt ist. Daß insgesamt ein Kompandersystem gerade für die Versorgung von Grenzgebieten nützlich wäre, davon sind wir schon überzeugt. Aber man darf nichts übereilen.
Es gibt Untersuchungen vom Institut für Rundfunktechnik, aber wir haben noch keine Entscheidung getroffen. Es rufen natürlich immer wieder die Hersteller von Empfangsgeräten an, denn für die würde die Umstellung einen fetten Batzen Geld bedeuten. Aber ... Sie verstehen mich ? !
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Das war ein Gespräch mit Oberingenieur Wilhelm Peterreins, Bayerischer Rundfunk, von Franz Schöler im Jahr 1977.
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