1955 - "Moderne" Kondensator-Mikrofone beim NWDR
Unsere Leser fragten uns häufig, welche Mikrofone im Rundfunk- und Fernsehstudio- betrieb heute benutzt werden, um den gewachsenen Ansprüchen an die Übertragungs- qualität zu entsprechen. Nachstehend berichtet ein Mitarbeiter einer Mikrofonfirma (Hiller Hamburg) über die neuen, vom NWDR entwickelten Kondensatormikrofone M 59 und M 60. - Anmerkung : Diese Mikrofone wurden von der Firma Hiller für den NWDR gebaut.
Moderne Mikrofone müssen einen gegen früher erweiterten Frequenzumfang aufweisen, sie sollen großen Rauschabstand besitzen, und außerdem verlangt man, daß sie möglichst klein sind. Film- und Fernsehstudios wünschen, wenn das überhaupt möglich wäre, „unsichtbare" Mikrofone. Etwas weniger scharfe Bedingungen stellen in dieser Hinsicht die Reporter und Veranstalter von Konzerten. Trotzdem bleibt der Ruf nach möglichster "Kleinheit" bestehen. Außerdem muß ein modernes Mikrofon temperaturfest sein. Die Kunststoff-Membranen früherer Ausführungen waren häufig den hohen Temperaturen von Bühnen- und Atelier- Scheinwerfern nicht gewachsen.
Eine Neuentwicklung des NWDR, die Typen M 59 und M 60, tragen allen diesen Anforderungen Rechnung. In der speziell für Mikrofonverstärker entwickelten Röhre MSC2 steht weiter ein Bauelement zur Verfügung, um den Rauschpegel extrem niedrig zu halten.
Das Mikrofon M 59 ist ein Druckgradientenempfänger mit nierenförmiger Richtcharakteristik, deren Maximum in Achsrichtung liegt. Diese Kennlinie wird dadurch gewonnen, daß der Schall zusätzlich durch einen Lochkranz auf die Rückseite der Membrane geführt wird. Bei Nieren-Mikrofonen älterer Bauart waren dagegen zwei Membranen erforderlich.
Die für die Nieren-Charakteristik nötige Phasendrehung wird beim Typ M59 durch die Anordnung des seitlichen Lochkranzes sowie durch die Ausbildung des Luftpolsters hinter der Membrane erzielt. Der akustische Umweg zwischen dem auf die Vorder- und die Rückseite der Membran wirkenden Druck wird durch eine aufsteckbare Plexiglasscheibe von 35 mm (J) vergrößert. Zusammen mit dem phasendrehenden Glied in der Kapsel wird auf der Rückseite des Mikrofons eine Abschattung von 25db bewirkt. Durch Abnehmen der Umwegscheibe läßt sich diese Abschattung auf ca. 6db verringern (Bild 4).
Das eigentliche Mikrofon enthält Kapsel, Röhre MSC2 und den Gitterableitwiderstand. Alle übrigen platzraubenden Einzelteile des Verstärkers sind in einer getrennten Baueinheit untergebracht, dem „Restverstärker". So gelangte man zu außerordentlich kleinen Abmessungen.
Die Kapsel (Bild 1) besteht aus speziell behandeltem Neusilber, um Einflüsse durch Alterung des Materials weitgehend auszuschalten. Die Elektroden haben einen Abstand von 27µ; sie sind durch eine geschliffene und polierte Quarzscheibe gegeneinander isoliert. Die Membrane besteht aus neuartiger Metallfolie von etwa 2µ Dicke. Sie wird in einem elektrochemischen Spezialverfahren hergestellt, da bislang gewalzte Folien mit der geforderten Gleichmäßigkeit und insbesondere porenfrei nicht zur Verfügung stehen. Um die nötige Steifigkeit zu erreichen, wird die Membran einer Wärmebehandlung unterzogen, ihr Gewicht beträgt etwa 3 mg. Alle genannten Faktoren spielen eine entscheidende Rolle, Abweichungen machen sich sofort nachteilig im Frequenzgang und in der Empfindlichkeit bemerkbar.
So muß z. B. auch der Abstand zwischen Auflagefläche der Membran und Gegenelektrode mit Diamanten ausgedreht werden, Abstandsänderungen von mehr als 0,5µ sind nicht tragbar. Die Messung der Kapselkapazität (35pF) und damit des Abstandes zwischen Membran und Gegenelektrode wird in einer Hochfrequenzschaltung nach Riegger vorgenommen. Die Auslenkung der Membran bei normalem Schalldruck beträgt etwa 0,001µ, die dabei auftretende Kapazitätsänderung Delta C etwa 1,4 pF.
Die Schaltung
Das Mikrofon arbeitet in Nf-Schaltung ohne Kopplungskondensator (Bild 3). Der Gitterableitwiderstand besitzt eine Größe von etwa 7 x 10 hoch9 Ohm (7000 Megohm). Dieser Widerstand hat keinen Einfluß auf die günstigen Rauscheigenschaften, er verhindert aber ein Blockieren der Röhre durch Gitteraufladung bei Gleichdruckstößen (z. B. Pistolenknall). Die Vorspannung der Kapsel beträgt 60V, sie wird durch einen Spannungsteiler erzeugt.
Eine Besonderheit zeigt sich im Frequenzgang (Bild 5) und beim Ausgangscheinwiderstand. Bedingt durch die Kapazität des Kabels zwischen Mikrofon und Vorverstärker fällt die Frequenzkurve bei 15 kHz um ca. 8db. Dieser Abfall wird durch geeignete Dimensionierung der Mikrofonkapsel ausgeglichen. Der Scheinwiderstand von 200Ohm bei 1000Hz geht gleichzeitig auf 60Ohm bei 15.000 Hz herunter. Praktisch kommt aber nur hochohmiger Abschluß der Kapsel (nachgeschalteter Verstärkereingang 5 x Ri) in Frage. Hierbei ist die Kurve hinreichend gerade.
Die Type M 60 arbeitet als reiner Druckempfänger mit einer nach den hohen Frequenzen hin zunehmenden Richtcharakteristik. Der durch Druckstauung bedingte Anstieg bei hohen Frequenzen ist bis auf eine leichte Überhöhung von 3 bis 4 db kompensiert. Durch diese Maßnahme ist der Frequenzgang praktisch geradlinig (Bild 6).
Die mechanische Membranspannung ist bei diesem Mikrofon extrem hoch; an den Einspannpunkten liegt sie knapp unterhalb der Fließgrenze des Materials. Infolge des geringen Abstandes zwischen Membran und Gegenelektrode beträgt die Feldstärke ca. 35 000 V/cm. Es leuchtet ein, daß nur eine Membran mit absolut glatter Oberfläche Verwendung finden darf. Selbst die kleinste Rauhigkeit der Membranoberfläche würde bei dieser enormen Feldstärke zu Überschlägen und damit zur Zerstörung der Kapsel führen.
Zubehör
Die Bauelemente des Restverstärkers sind in einem rohrförmigen Gehäuse untergebracht. Zur Verbindung zwischen Mikrofon und Verstärker dient ein dreiadriges, abgeschirmtes Spezialkabel von etwa 10 m Länge (Bild 7).
Die Kapazität dieses Kabels muß einen ganz bestimmten Wert (1750 pF) aufweisen, da die Kabelkapazität mit in den Frequenzgang eingeht. Eine Ader des Kabels sowie die Abschirmung dienen als Heizleitungen der Röhre MSC2. Deswegen muß der Schleifenwiderstand dieser beiden Leitungen in sehr engen Toleranzen liegen. Diese Bedingungen stellen hohe Anforderungen an den Kabelhersteller.
Das Kabel ist auf beiden Enden mit der gleichen Tuchel-Kleinkupplung versehen. So wird verhindert, daß jemand aus Gedankenlosigkeit mehrere Kabel zusammensteckt. Dadurch würde nämlich der Frequenzgang verschlechtert und die Röhre unterheizt. Um das Kabel auch gegen mechanische Beanspruchungen zu schützen, ist es mit einem Kunststoffmantel und zusätzlich mit einer Schutzbeflechtung aus Perlonband versehen.
Ein aufsteckbarer Schwanenhals sowie eine Klammer, bilden zusammen mit dem Restverstärker ein Klemmstativ zum Anschrauben an Rednerpulte. Im unteren Rohrende des Schwanenhalses sind Kapazitäten und Widerstände zum Ausgleich für das bei dieser Kombination entfallende Kabel enthalten. Die gleiche Maßnahme wird in den Tisch- und Bodenstativen mit eingebautem Verstärker getroffen. Dieser befindet sich im Gußfuß der Einheit.
Flattergeräusche, wie sie bei Windeinwirkung oder bei sehr schnellem Bewegen des Mikrofons (Schwenken des Galgens im Studio) auftreten, lassen sich durch einen aufsteckbaren Windschutzkorb verhindern.
Stromversorgung
Zur Stromversorgung dienen entweder Batterien (120V-Anode/ 4V-Sammler) oder das in Bild 3 angegebene Netzanschlußgerät. Bei Netzanschluß sind die Anforderungen an Konstanz und Fremdspannungs-Freiheit sehr hoch. Die der Heizspannung (3,8V ± 0,2V) überlagerte Fremdspannung darf 8µV nicht überschreiten; bei der Anodenspannung sind max. 50µV zugelassen. Zur Stabilisierung der Anodenspannung dient eine Glimmröhre, für die Heizspannung wird eine neuartige Selengegenzelle verwendet, deren Elemente speziell ausgesucht und nach besonderem Verfahren gealtert werden. Die Stromdurchlaßkurve weist bei dem zu stabilisierenden Spannungswert einen scharfen Knick auf. Durch den erhöhten Stromfluß bei Spannungsanstieg ergibt sich aus dem Zusammenwirken mit dem Vorwiderstand die stabilisierende Wirkung.
Und in der Praxis . . .
Erst beim praktischen Arbeiten mit den neuen Mikrofonen fällt so richtig auf, welcher Fortschritt im Vergleich zur alten „Kondensatorflasche" erzielt wurde. Trotz der zierlichen Ausführung sind diese Mikrofone ungemein robust. Wir ließen bei Versuchen das angeschlossene Mikrofon auf dem Labortisch liegen und rissen es aus Unachtsamkeit mit der Anschlußschnur auf den Boden. Im Nachbarzimmer hörte man zwar im Lautsprecher das Geräusch des Falles, aber man maß ihm keine Beachtung zu, weil die Übertragung störungsfrei weiterlief.
Ungemein praktisch sind die verschiedenen Zubehörteile. Mit der Stativklemme läßt sich im Handumdrehen ein Rednermikrofon zusammenstellen, das allen Anforderungen gewachsen ist. Sehr zweckmäßig sind auch die ringförmigen Gummipolster am Restverstärker (Bild 7). Sie schützen diese Baugruppe bei starken Stößen und verhindern weitgehend das Zustandekommen von „Fremderdungen" beim zufälligen Berühren einer Erdleitung (Wasserrohr, Dampfheizung).
Über die klanglichen Eigenschaften ist kein Wort zu verlieren. Sie übertreffen theoretisch die UKW-Qualität, denn als erstes Glied einer langen Übertragungskette muß das Mikrofon besser sein als alle angeschlossenen Einheiten. Wir führten versuchsweise die Übertragung eines Volksfestes durch und benutzten zur Wiedergabe einen Breitbandverstärker sowie einen großen Abhörschrank. Die Qualität übertraf (gehörmäßig beurteilt) die mancher UKW-Sendung. Bei den Aufnahmen wirkte sich die Rückwärtsdämpfung von 25 db sehr vorteilhaft aus. Nähert man das Mikrofon mit der Rückseite einem gleichzeitig betriebenen Lautsprecher, so wird man stets aufs Neue davon überrascht, wie spät die akustische Rückkopplung einsetzt.
Hersteller: Albert Hiller KG, Hamburg-Eidelstedt
Technische Daten
-- | M 59 | M60 |
Frequenzumfang | 40... 15.000 Hz linear | 40... 15 000 Hz linear |
Richtcharakteristik | nierenförmig | kugelförmig |
Ausgangsscheinwiderstand | 200 Ohm bei 1000 Hz | 200 Ohm bei 1000 Hz |
Klirrfaktor | < l% | < l% |
Röhre | MSC 2 | MSC 2 |
Abmessungen (Durchmesser/ Länge) und Gewicht | 18 mm/74 mm 52 g | 18 mm/74 mm 52 g |
Stromversorgung | NG60 | NG60 |
Ersatzlautstärke*)
*) Vgl. RADIO-MAGAZIN 1954, Nr. 6, Seite 195