Peter Burkowitz (†) und "Die Welt des Klanges"
In der "stereoplay" Ausgabe Mai 1991 beginnt eine Artikelserie von Peter Burkowitz. - Der damalige Chefredakteur Karl Breh kannte sie alle, die Koryphäen der Tontechnik und der "highfidelen" Edelstudiotechnik. Ob es ein Siegfried Linkwitz oder Eberhard Sengpiel war, das waren die unbestech- lichen Geister, die mit dem Gehör jede Legende, jeden Mythos oder jedes virtuelle Wunschdenken und erst recht die verklärte Wahrheit der Erinnerung sofort entlarven konnten.
Das alles steht in den 25 Artikeln "über den Klang".
1991 - DIE WELT DES KLANGS
Musik auf dem Weg vom Künstler zum Hörer (5 von 25)
von Peter K. Burkowitz 1991 bis 1993.
Das Orchester, ein komplexes Gebilde, Teil II
Noch mehr Ausübende
Der erste Hauptabschnitt stand unter der Überschrift „Die Elemente einer Aufnahme". Die sind ja nun mit den bisher behandelten Teilen noch keineswegs vollzählig.
Schon den Kreis der Ausübenden sollte man nicht verlassen, ohne auch über die Manager, Orchesterwarte, Besteller und Gewerkschaften gesprochen zu haben.
Die Etappe
Es war ja schon zu Anfang davon die Rede, wie wichtig auch im Musikbetrieb eine reibungslos funktionierende Logistik ist. Als Beispiele hatte ich die Planung und personelle Reserven erwähnt. So hat denn auch zumindest jeder professionelle „Klangkörper" seinen eigenen Verwaltungsapparat mit Bürobetrieb, es sei denn, er ist, wie beispielsweise beim Rundfunk, Teil einer größeren Gesamtbelegschaft.
Der Manager
Selbst in kleineren Besetzungen geht so lange mehr als unvermeidlich schief, bis jemand die Rolle des „Geschäftsführers" übernimmt. Und man weiß ja, daß sogar Solisten, sobald sie den Zeitpunkt entsprechender Reputation für gekommen halten, sich einen Manager zulegen.
Der kann dann in den Vertragsverhandlungen ungeniert Tacheles reden, während der Künstler alle verfügbare Zeit der Pflege seines Talents und der Vorbereitung seiner Auftritte widmet, was wiederum der Förderung seines Image dient.
Innerhalb der schwer abzugrenzenden Riege der Stars funktioniert das denn auch finanziell von ausreichend bis überragend.
Manager von Format
Aber - als Solist in der Musik ist man ebenso dran wie der Solist im Sport: je höher der Gipfel, um so steiler der Anstieg und um so enger die Plattform fürs Verweilen. Solche Manager sind oft mehr, als die englische Vokabel für „Geschäftsführer" andeutet. Gerade an der Seite bedeutender Künstler habe ich nicht selten auch Manager von Format erlebt. Solche, die eben nicht nur Geld zählen und Verträge aushandeln, sondern ihren Star auch seelisch wieder auf die Beine bringen, wenn dieser mal ein Tief hat. Und das kommt ja bei Künstlern häufiger und heftiger vor als beim Menschen nach DIN 08/15.
So ist der gute Künstler-Manager zugleich Aquisiteur, Interessenvertreter, Buchhalter, Anwalt, Seelenarzt und während der Aufnahmesitzungen meist noch „Mädchen für alles". Die einschlägigen Darstellungen in manchem Hollywood-Film sind da durchaus nicht so übertrieben, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.
Der Orchesterwart
Wenn von der Logistik des Orchesterbetriebs die Rede ist, klingeln in erster Linie dem Orchesterwart die Ohren. Ob es nun die Noten sind, die rechtzeitig vor Proben, Aufführungen und Aufnahmen auf den richtigen Pulten liegen müssen, oder die Instrumente, die bei Tourneen mit größter Sorgfalt oft um den ganzen Globus zu transportieren sind, stets landen in diesem Revier alle Wünsche und Beschwerden beim Orchesterwart. Sein Dasein ist durchaus nicht weniger bewegt als das der Musiker selbst.
Im Routinebetrieb, in dem das meiste vorher feststeht und bekannt ist, werden seine Talente in der Regel nicht strapaziert. Wenn hingegen Ungewöhnliches auf dem Spielplan steht, beispielsweise Film- oder Fernsehaufnahmen, dann muß er auf hellwach schalten. Denn mit Sicherheit werden dann alle paar Minuten die Noten gewechselt, falsch geschriebene Stimmen müssen korrigiert und kopiert werden, die Sitzordnung stimmt oft nur für Momente, und auf Seite 11 des genial flüchtig hingeworfenen Arrangements taucht überraschend ein Marimbaphon auf, von dem vorher niemand was wußte. Wenn er dann dazu noch in den Pausen die Kaffeetheke betreuen soll, wird aus dem „-Wart" schnell ein „-Wirt", von dem man allerdings erwartet, daß all die Extrawürste inklusive sind.
So genießen denn gute Orchesterwarte in Klangkörpern, wo solcherlei vielgestaltige Geschäfte wichtig sind, auch die gebührende Wertschätzung.
Der Besteller
Stellen Sie sich vor, Sie sind Produzent, kommen in eine fremde Gegend und sollen dort Aufnahmen machen, für die Sie keine feststehende Besetzung, sondern eine am Ort zu beschaffende Anzahl bestimmter Instrumentalisten benötigen. Sie kennen aber niemanden.
In diesem Fall, der in allen großen Musikzentren alltäglich ist, schlägt die Stunde des „Bestellers". Nicht selten sind das selbst aktive Musiker, die ihre Erfahrung und ihren guten Draht zum örtlichen Musikermarkt nutzen, um sich durch Vermittlung geeigneter Kollegen ein Zubrot zu verdienen.
Agent und Agentur
Von dieser rechtlich ganz unverbindlichen Form der Beschaffung ist es im Endeffekt nur ein relativ kleiner Schritt bis zur professionell arbeitenden Künstleragentur. Die findet man überall dort, wo das Musikleben floriert und sich infolgedessen die berufsmäßige Vermittlung von Musikern auch geschäftlich lohnt. Selbst die Arbeitsämter als staatliche Einrichtung befassen sich mit diesem Thema.
Auch Musiker haben ihre Gewerkschaft
Historisch gesehen ist es noch gar nicht so lange her, daß Musiker als Arbeitnehmer froh sein konnten, wenn wenigstens ihre tatsächlich erbrachte Leistung bezahlt wurde. Wieviel das war, richtete sich ganz simpel nach Angebot und Nachfrage. War kein Engagement in Sicht, ging es ans Eingemachte - so denn solches vorhanden war. Da ging es Künstlern nicht anders als anderen Abhängigen auch.
Erst mit der Einführung anerkannter Interessenvertretungen gab es eine gewisse Sicherheit, die vor groben Fällen von Willkür schützte. Was auch der beste Zusammenschluß von Werktätigen natürlich nicht bewirken kann, ist eine Vermehrung der Nachfrage. Allein davon hängt jedoch letzten Endes ihr Wohlergehen ab. Auch diese Binsenweisheit gilt für Musiker wie für alle anderen Erwerbsbürger - sollte man meinen. Aber Musiker sind ja Künstler, und da verwundert es nicht, wenn man denn auch im Dunstkreis des US-Musikkommerzes den ersten massiven Versuch zur Umkehr von Ursache und Wirkung erleben konnte.
Nicht ohne meinen "Dummy" - die Tricks und Auswüchse
Die Sache geht ganz einfach: Man hat sich organisiert, und nun hat die Organisation auch dafür zu sorgen, daß man an jedem Engagement teilnimmt. Gegen Gage natürlich. Das sieht dann so aus, daß am Aufnahmetermin nicht die Anzahl Musiker dasitzt, die der Auftraggeber für das Stück brauchte, sondern es sind alle da, die die Gewerkschaft hingeschickt hat. Und das sind mit Sicherheit nicht weniger, als in der Partitur stehen.
Auch in den Studios hat der Auftraggeber nur dort freie Bahn, wo keine Organisation um das Wohlergehen ihrer Mitglieder besorgt ist. Da darf es einen dann nicht überraschen, wenn dem Aufnahmeteam des anreisenden Produzenten die komplette Besatzung des Mietstudios, einschließlich derer, die man gar nicht braucht, ebenso dienst - wie einnahmewillig entgegenlächelt.
Man muß dazu wissen, daß es in der „Branche" eine vielgeübte Praxis ist, zu Aufnahmen für das eigene „Label" (die Platten-Marke) das eigene Aufnahmeteam mitzubringen (so man denn ein solches aufgrund von Größe und Bedeutung des eigenen Unternehmens beschäftigt).
Seilschaften und Schutzmaßnahmen
Dafür gibt es auch gute Gründe, denn Produzent, Künstler und Aufnahmeteam sind meist eine seit langem aufeinander eingespielte „Seilschaft" (wie man heute sagen würde), bei der es, ganz ähnlich wie bei einem Hochseilakt, ziemlich riskant wäre, aus anderen als in der Aufgabe liegenden Gründen den Partner zu wechseln.
Es hat Jahrzehnte gedauert, und manche gute Gcschäftschance ist verspielt worden, bis diese Auswüchse einer überzogenen Interessenpolitik so weit „dereguliert" waren, daß künstlerisches Arbeiten nicht auf Schritt und Tritt durch nichtkünstlerische Hemmnisse behindert wurde.
Allerdings entsprang dies weniger der besseren Einsicht der Erfinder der „Schutzmaßnahmen", sondern mehr dem Zwang der Tatsachen, die da vor allem durch das Aufblühen eines unabhängigen Studiogeschäfts im Popmusikbereich entstanden waren. Diese Tatsachen, man kann auch sagen die rauhe Wirklichkeit eines Überangebots von Studiokapazität, hat hier und da eine gewisse Kompromißbereitschaft einkehren lassen. Und da ist ja auch noch der praktische Brauch, bestimmte Leistungen pauschal zusammenzufassen. Da läßt sich so manches drin unterbringen, was als Einzelposten auf Widerspruch stoßen könnte.
Gestoppte Sternstunden - alte Relikte
Noch ein anderes Relikt aus der arbeitsrechtlichen Gründerlaune ist die Erwähnung wert: Die Zeitkontrolle.
Während es im sonstigen Arbeitsleben die Unternehmen waren, die zwecks Gerechtigkeit für alle die Stechuhr einführten, drehten die Musikergewerkschaften den Spieß um und setzten die Kontrolluhr dem Auftraggeber vor die Nase.
Das sieht dann so aus, daß ein Abgesandter mit Stoppuhr anwesend ist, der mindestens mit der gleichen Präzision, mit der im Saal gespielt wird, nach Erreichen der tariflich erlaubten Sitzungsdauer den künstlerischen Fluß aller Mitwirkenden jäh unterbricht, es sei denn, alle Konditionen für Überstunden sind vorher ebenso präzise ausgehandelt.
Jeder Produzent, der mit Weltstars und einem viele hunderttausend Dollar schweren Budget in solche Aufnahmesitzungen geht, wird die nötigen Vereinbarungen vorher treffen, denn es kommt ihn unter Umständen viel teurer zu stehen, wenn er wegen einer abgewürgten „Sternstunde" mit einer atmosphärisch lahmen und deshalb möglicherweise schlechter verkäuflichen Aufnahme nach Hause kommt.
Die Rechtsgrundlage der Rechteinhaber
Bevor eine Musikproduktion, gleich ob selbständig oder Teil einer Firma, tätig werden kann, muß sie für die geplante Arbeit eine Rechtsgrundlage in Form von Verträgen schaffen. Das fängt mit den aufzunehmenden Werken beziehungsweise Stücken oder Titeln an.
Wenn diese urheberrechtlich geschützt sind, was meist der Fall sein wird, muß mit den Inhabern der Rechte verhandelt werden. Komponisten, Bearbeiter, Arrangeure und Texter lassen ihre Rechte in der Regel von staatlich autorisierten Gesellschaften vertreten. In Deutschland ist das beispielsweise die GEMA, Gesellschaft für Musikalische Aufführungsrechte.
Wenn ausländische Rechte dazukommen und vielleicht auch noch Kopplungen unterschiedlicher Herkunft beabsichtigt sind, kann ein solcher Vorgang sehr komplex und langwierig werden, bis alle Genehmigungen und Konditionen vorliegen. Besonders heikel wird es, wenn Aufnahmen verschiedener prominenter Künstler auf einer Platte zusammen erscheinen sollen. Da ist je nach Situation und Stimmung alles von wortlosem Nicken bis Drohung mit Kündigung drin.
Um den Nervus rerum II (die Finanzen).
Neben der Klärung der Urheberrechte muß man mit den Ausübenden über die Honorare einig werden. Das können Einmalzahlungen sein, mit denen alle Ansprüche abgegolten sind. Diese Form der Honorierung war und ist am gängigsten bei der Bezahlung von Ensemblemusikern und sonstigen nicht lizenzpflichtigen beziehungsweise lizenzüblichen Leistungen.
Solisten und Prominente hingegen erwarten in der Regel Lizenzverträge, die ihnen einen prozentualen Anteil am Verkauf sichern. Welche Handelsstufe dabei als Bezugswert dient (Fabrikabgabepreis, Großhandels- oder Einzelhandelspreis), bleibt der Verhandlung im Einzelfall überlassen.
Die Vor- und Nachteile
Jedes der Modelle hat für beide Seiten, den Produzenten beziehungsweise die Firma wie auch den Künstler, seine Vor- und Nachteile.
Für wen die Rechnung auf lange Sicht besser aufgeht, ergibt sich oft erst nach längerer Laufzeit einer Veröffentlichung. Natürlich sind beide Seiten bestrebt, für sich jeweils die günstigste Ausgangsposition zu schaffen. Das heißt, der Produzent oder die Firma wird versuchen, die Anlaufkosten eines neuen Projekts so niedrig wie möglich zu halten, während es im Interesse der Lizenzkünstler liegt, zumindest so weit auf Nummer Sicher zu gehen, daß auch im Falle eines Flops eine gewisse Sockeleinnahme herauskommt.
Deshalb sind auch Mischungen aus Festbetrag und dann eben geringeren Lizenzen oder Lizenzvorauszahlungen und andere Varianten üblich. Wieweit sich beide Seiten im Einzelfall flexibel zeigen, hängt wiederum sehr von der Bedeutung des jeweiligen Projekts ab. Mißlich können dabei solche Fälle enden, in denen überhöhte Lizenzforderungen zum Erliegen eines Vorhabens führen oder sogar die Bindung mit dem Künstler aufgelöst werden muß.
Wenn der Künstler kündigt
Das letztere geschieht nicht selten im Pop-Geschäft, vor allem, wenn ein Name schnell zu Erfolg gekommen ist und dessen Inhaber nun meint, daß die Lizenzprozente auch proportional steigen müßten.
Natürlich gibt es für eine Vertragsbeendigung oder für einen Firmenwechsel auch andere Motive. Jedoch sind Meinungsverschiedenheiten über den gebührenden Anteil am Erfolg mit Abstand der häufigste Grund, wenn man nicht mehr miteinander klarkommt.
Neue Methoden - "Künstler" an den Initialkosten beteiligen
Über den Anteil am Mißerfolg, beziehungsweise an den oft erheblichen Vorleistungen des Herstellers der Aufnahmen wird dabei meist geflissentlich geschwiegen.
Da man dem US-Musikgeschäft eine Neigung zu besonders nüchternem Kalkül nachsagt, wird man auch zuerst dort auf der Suche nach einer Lösung dieses Problems fündig. Dort hat man schon seit geraumer Zeit die Künstler an den Initialkosten ihrer Projekte beteiligt.
Lizenzen beginnen da erst zu fließen, wenn diese Initialkosten zurückverdient sind. Doch auch das hat wieder Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, daß den Künstlern dann gute Aufnahmen auch mit überraschend geringem technischen Aufwand gelingen und daß auch sonst alles bemerkenswert rational abläuft.
Neu - eine genaue Kostenrechnung
Der Nachteil ist, daß der Hersteller über seine Initialkosten pingelig buchhalten muß, und zwar so, daß alles projektweise nachgewiesen werden kann wie bei einer genau spezifizierten Handwerkerrechnung. Das aber paßt meist nicht zu den Verwaltungsgepflogenheiten größerer Unternehmungen, die eher gewohnt sind, ihre Dienstleistungsabteilungen nur nach Kostenstellen und nicht auch noch detailliert nach ihren erzeugten Leistungen abzurechnen.
Daher wurde die Methode der Künstlerbeteiligung an den Initialkosten auch in den unabhängigen kommerziellen Pop-Studios erfunden, die als marktorientierte Servicebetriebe ja ohnehin gewohnt waren, dem Kunden detaillierte Leistungsabrechnungen zu präsentieren. Als sich die vorteilhaften Wirkungen dann herumsprachen, wollten die Großen natürlich auch davon profitieren, was jedoch immer wieder mangels eindeutiger Belege zu Argwohn und Meinungsverschiedenheiten führte.
Zum Thema Nervus rerum, sprich Finanzen, bleibt noch die allgemein interessierende Frage, wie das ganze Musikgeschäft denn nun überhaupt finanziert wird. Der Laie hat da wohl überwiegend nur vage Vorstellungen.
Die Wundertüte und die Wirklichkeit
Schön wäre es ja, wenn es die gäbe! Besonders für kulturell wertvolle Erzeugnisse - die nicht unbedingt synonym mit Klassik sein müssen - würde man sich jeweils den großen Mäzen wünschen, bevor der Kalkulator seine Nichtmachbarkeitsstudie auf den Planungstisch legt.
Doch wir haben ja nun mal eine Wirklichkeit, und die ist anders. Diese Wirklichkeit bringt Mäzene nur äußerst sporadisch hervor. Und wenn überhaupt, dann eher für Fußball als für gute Musik.
Ergo muß der Musikbetrieb danach trachten, sich selbst am Leben zu halten. Das heißt, seine Erzeugnisse müssen sich über den Verkauf selbst finanzieren.
Für kleine Unternehmen ist das eine schwierige Aufgabe. Man findet sie daher in der Klassik nur in genügend gesuchten Repertoire-Nischen oder als Spezialisten für ganz bestimmte Gebiete.
Für die international und in allen Repertoiresparten tätigen Großen hingegen entsteht durch das breit gefächerte Angebot eher die Möglichkeit, einzelne Musikgattungen oder Projekte intern zu subventionieren, wenn es denn sein muß.
Auch läßt das große Volumen Prestigeobjekte zu, die eine längere Amortisationsdauer benötigen. Dennoch darf man nicht übersehen, daß auch die kulturell ambitioniertesten Musikunternehmen Betriebe der Marktwirtschaft sind und daher deren Gesetzen folgen müssen.
The Big Spendors
Da ist es dann doch bemerkenswert, daß einige von diesen Großen es geschafft haben, eine weltweit interessierte Hörerschaft seit Jahrzehnten mit dem Besten zu versorgen, das es auf dem Gebiet der „Großen Klassik" gibt.
Von den traditionsreichen Häusern, die die Wirren der Branche von der Frühzeit bis heute überstanden haben, wären da in erster Linie zu nennen die Kataloge der Marken RCA, HMV, Columbia, Electrola, Decca. Und, seit dem Wiederaufbau nach dem II Weltkrieg wohl auch international anerkanntermaßen als primus inter pares, die DGG mit ihrem herausragenden Angebot und der besonders imagewirksamen Archiv-Produktion an ihrer Seite.
Kulturell repräsentativ bedeutet Risiken eingehen
Wenn auch nicht so sehr vom Blickwinkel schallplattenhistorischer Tradition her, so doch aber aufgrund ihrer Klassik-Kataloge gehören hierher auch die Marken Telefunken (Teldec) und Philips. Allen Genannten ist gemein, daß sie immer wieder Repertoire-Projekte riskiert haben, die sich zum Planungszeitpunkt nicht mit Sicherheit „rechnen" ließen, das heißt, deren Amortisation innerhalb angemessener Zeit nicht klar vorauszuplanen war. Gerade diese Projekte sind es aber, die einen Katalog kulturell repräsentativ machen und ihn dadurch von einem Supermarkt der Alltäglichkeit unterscheiden.
Nun könnte man natürlich über das delikate Thema „Schallplatte & Geld" noch ganze Fässer Tinte vergießen. Für ein pauschales Verständnis des Musikbetriebes, und mehr soll das ja hier nicht werden, wäre das jedoch zuviel des Guten.
Wieviel Mehrwert(steuer) ist Musik wert?
Ein Aspekt verdient jedoch noch Erwähnung, bevor das Thema zu den mehr technischen Dingen zurückkehrt, und das ist die Mehrwertsteuer, die der Hörer beim Kauf einer Platte entrichtet.
Hier weiß der einigermaßen informierte Bürger ja wohl, daß es verschiedene Sätze gibt, je nachdem, um welche Art Waren es sich handelt. Die Spanne reicht zur Zeit (1991) von 5% für lebensnotwendige Güter, wie zum Beispiel Nahrungsmittel, und geht bis 14% für Dinge des gehobeneren Verbrauchs einschließlich Autos und Luxusartikel.
Dazwischen gibt es einen verminderten Satz von 7% für Kulturgüter und Entsprechendes. Nun raten Sie mal, wo der Fiskus die beiden Kulturgüter „gedrucktes Wort" und „aufgenommene Musik" eingestuft hat? Sie erinnern sich an das Tauziehen vor dem Bundesverfassungsgericht im Jahre 1974 ? Richtig! Dann brauchen Sie nicht zu raten, denn dann wissen Sie ja, daß die Buchhändlerlobby es fertiggebracht hat, für ihre Produktpalette 7% herauszuholen, und zwar einschließlich Wegwerf-Paperbacks und Pornos.
Diesmal hat die Lobby der MI versagt
Die Entscheidung (5.3.1974, Az.-1 BvR 712/68) fiel zu einem Zeitpunkt, als der Nachkriegs-Wirtschaftsverband der Schallplattenfirmen noch auf jungen und wackligen Beinen stand und daher in Bonn nur mit einem dünnen Stimmchen zu hören war.
Außerdem wurde das Stimmchen auch noch mißverstanden, insofern, als den regierungsamtlichen Entscheidungsträgern wohl nicht gegenwärtig war, daß es auf Schallplatten außer „Der Egon steht im Fußballtor" auch noch Mozart und Beethoven gab.
Kenner der Szene meinten damals, die Einstufung von Schallplatten mit 14% könne auch daran gelegen haben, daß der eine oder andere Abgeordnete möglicherweise schon mal ein Buch gelesen hat, was ja ohne technische Hilfsmittel geht, während man für das Abspielen von Schallplatten einen Apparat braucht und daher, fiskalisch einträglich, gefolgert werden kann, daß die Platte nur ein Zubehör zum Plattenspieler ist. Und der ist ja ein Luxusgerät mit 14%! So nahe liegt die Logik beim Nutzen, wenn man Fiskus ist.
Doch es ist Licht in Sicht. Europa-Recht steht ins Haus. Es wird „harmonisiert". Und die Europäer westlich des Hunsrück haben Musik schon als Kulturgut erkannt!
Ich hatte immer gedacht, Musikkultur sei eine deutsche Errungenschaft.
Peter K. Burkowitz
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