Peter Burkowitz (†) und "Die Welt des Klanges"
In der "stereoplay" Ausgabe Mai 1991 beginnt eine Artikelserie von Peter Burkowitz. - Der damalige Chefredakteur Karl Breh kannte sie alle, die Koryphäen der Tontechnik und der "highfidelen" Edelstudiotechnik. Ob es ein Siegfried Linkwitz oder Eberhard Sengpiel war, das waren die unbestech- lichen Geister, die mit dem Gehör jede Legende, jeden Mythos oder jedes virtuelle Wunschdenken und erst recht die verklärte Wahrheit der Erinnerung sofort entlarven konnten.
Das alles steht in den 25 Artikeln "über den Klang".
1991 - DIE WELT DES KLANGS
Musik auf dem Weg vom Künstler zum Hörer (11 von 25)
von Peter K. Burkowitz 1991 bis 1993.
Mischungs-Verhältnis
Kleine Kostprobe vom Unlehrbaren
Der Spielraum für das Hantieren mit Mikrophonen im seriösen Musikbetrieb ist eng begrenzt. Das eigentliche Problem für den Aufnehmenden besteht darin, daß er die Grenzen nur mit dem Gehör erfassen kann.
Wer beispielsweise vier und mehr Jahre Tonmeisterei studiert hat und dennoch den tückisch sachten Übergang zur Disproportion beim Zumischen von Stützkanälen zu spät oder vielleicht gar nicht bemerkt, der kann außer seinen eigenen Sinnesorganen kein Lehrbuch und keine Ausbildungsstätte haftbar machen. Denn auch dort kann man solche Fragen nur anhand von "Vorher-Nachher- Übungen" trainieren und besprechen.
Man kann es nicht messen
Es gibt weder die Möglichkeit, das Fragliche zu messen, noch es durch Diskussion fürs individuelle Empfinden bewußtzumachen.
Der englische Produzent George Martin hat ein Buch geschrieben, dessen Titel "wie die Faust aufs Auge" zu derlei Imponderabilien paßt: "All You Need Is Ears".
Man könnte danach versucht sein, beruflichen Erfolg in der Welt der Klänge nur noch den Ohren zuzuschreiben. Aber, wie das so ist mit flotten Schlagzeilen, sie wecken bei ambitionierten Sinnesbegabten Hoffnung auf mühelose Karriere. Wenn dann das Hörtalent später mangels weiterreichender Sachkunde einen tontechnischen Flop nach dem anderen baut, wird sehr schnell klar, daß auch die nicht gedruckte Fortsetzung des Buchtitels auf dem Einband hätte stehen sollen: "... provide you know the rest of the game".
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- Anmerkung : Hier las ich zum ersten Mal diesen Spruch:
Alles, das Du brauchst sind Ohren - vorausgesetzt Du kennst auch den Rest des Spiels".
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Fachwissen und die berühmten "goldenen Ohren"
Es kommt auf beides an: Fachwissen und die berühmten "goldenen Ohren". Soviel hier vorweg von einer kleinen Dosis des "Uniehrbaren"', denn es könnte ja sein, daß unter den Lesern dieser Serie auch Interessenten für aufnahmetechnische Berufe sind.
Nach dem ersten Versuch kommt der Mikrophonwald
Die Erfahrung mit dem Solisten-Mikrophon leitet in der Regel alsbald über zu weiteren Experimenten mit Stützmikrophonen, ganz allgemein für solche Schallquellen, die im Verhältnis zum Ganzen zu schwach oder zu entfernt klingen. Hat man die erst mal gebührend "angehoben", kommt einem vieles, was vorher ganz richtig erschien, auch zu weit weg beziehungsweise zu leise vor. Also stellt man dort auch "Stützen" hin. Und ehe man sich versieht, ist der "Mikrophonwald" da.
Der sichere Griff an den richtigen Regler
Doch um wieviel schwerer ist es, mit ein paar Dutzend davon Balance zu halten, statt mit einem (Paar)! Da ist dann nämlich der sichere Griff an den richtigen Regler vonnöten, bevor es zu laut oder zu leise wird!
Und das kann ganz schön hektisch werden, wenn zum Beispiel in einem temporeichen Stück schnell wechselnde Soli aus unterschiedlichen Richtungen des Orchesters nur geringfügig hervorzuheben, danach aber sofort wieder in die Normalstellung zurückzubringen sind.
Der erfahrene Könner wird damit fertig. Er hat den "Soll-Klang" sozusagen als Vorlage im Ohr und vergleicht damit das, was er tatsächlich hört. Ihm gelingt auf diese Weise sogar die Einstellung eines optimal überzeugenden Gesamteindrucks bei großem Opernorchester mit Chören und Solisten und drei Dutzend Mikrophonen.
Ein Zuschauer würde sich wundern, wie relativ wenig er dabei die Einstellung der vielen Einzelregler während des Ablaufs der Aufnahme ändert. Im wesentlichen wird er die Hände an dem (oder den) Hauptregler(n) haben.
Ein Weg mit Pannen und Irritationen
Doch der Weg dahin ist weit. Und gepflastert mit Pannen und Irritationen. Es ist außerdem heute so ziemlich der einzig mögliche, denn nur so kann man im Verlauf der Aufnahme am sichersten auf erwartete und unerwartete Balanceverschiebungen reagieren, ohne den fahrenden Zug wegen irgendwelcher Umbauten anhalten zu müssen.
Und wer sagt denn, daß ein überzeugender Gesamteindruck nur durch naturalistische Klang-'Photographie" zu erreichen ist? ... so, wie es etwa mit einem einzigen Stereomikrophon angenähert werden könnte?
Hilfe vom Optischen
Es trifft sich ganz gut, daß ich schon wieder bei Klangphilosophie gelandet bin, denn ich wollte einen Vergleich anbringen, der vielleicht den von Puristen gern geschmähten Polymikrophonismus in neues und besseres Licht rückt:
Beim Photographieren spricht man schon lange von einer "Totalen", wenn man alle zu einem Motiv gehörenden Einzelheiten in ihrer Gesamtheit abbildet. Kein Filmemacher käme aber auf die Idee, im Verlauf einer Handlung immer in der Totalen zu bleiben; sozusagen per fest auf die Bühne gerichtetem Guckkasten.
Damals beim Fernsehen
Der eine oder andere Leser wird sich vielleicht erinnern, daß solche Praktiken tatsächlich aufkamen, als man begann, Musikveranstaltungen fürs Fernsehen aufzubereiten.
Sehr bald stellte sich heraus, daß - ähnlich wie bei einem Film mit Spielhandlung - die einzelnen Szenen, Figuren und Akzente jeweils ihrer Bedeutung entsprechend ins Bild gerückt werden müssen. Andernfalls breitet sich in Kürze lähmende Statik aus.
Mit anderen Worten: Sobald ein zeitlicher Ablauf im Gange ist (und Musik ist zeitlicher Ablauf in Reinkultur), sollte das Standbild beziehungsweise die Totale theoretisch nur noch ein Darstellungselement unter vielen sein.
Solistischen Passagen nach "vorne" holen
Ins Akustische übertragen kann das bedeuten, daß Soli, beispielsweise im Verlauf einer Oper, soweit 'nach vorn geholt" werden, wie ein Kameramann das auch bei der Bildführung tun würde. In der Tat werden schon seit geraumer Zeit Tonaufnahmen für Film und Fernsehen mit Vorliebe vielspurig gemacht, um beim Abmischen das im Bild Dargestellte akustisch entsprechend anpassen zu können. Besonders alle solistischen Passagen hat man dann jeweils auf getrennten Spuren zur Verfügung.
Auch unter dem rein akustischen Repertoire großer Gesangsstars findet man seit jeher nicht wenige Aufnahmen, denen der Insider das akustische Rampenlicht für die Solostimme voraussagen kann, bevor der erste Ton zu hören ist.
Das Ziel - das akustische "Ambiente" aus einem Guß
Nun hat natürlich auch der Vergleich mit dem Optischen irgendwo seinen kleinen Hinkefuß. Denn der erfahrene Aufnahmemann wird darauf achten, daß bei aller Detailbelichtung das akustische "Ambiente" seiner Aufnahme ein Guß bleibt. Einzige legitime Ausnahme wären Musikstücke mit hörspielmäßig inszenierter Handlung.
Wie schon gesagt, es bedarf eines wahren Meisters der Töne (deshalb heißt er wohl auch so), um auf einem vollgepackten Mischpult mit, sagen wir mal, 48 individuell eingestellten Mikrophonkanälen über einen längeren Aufnahmeabschnitt hinweg homogen Balance zu halten. Das ist auch deshalb viel schwerer als mit (nur) einem zentralen Mikrophon(paar), weil jede Bewegung und jede Lautstärkeänderung der Ausübenden von den näher stehenden, zahlreichen Einzelmikrophonen quasi vergrößert dargestellt werden.
Das Polymikrophonie-Eldorado
Eine ganz besondere Spielwiese der Polymikrophonie ist das weite Feld der Pop-und Jazz-Aufnahmen. Das heißt, genau genommen auch erst, seitdem es keine Utopie mehr ist, drei Musiker mit zwölf Mikrophonen aufzunehmen und die dann auf 24 Bandspuren zu verteilen.
Das kann gute Gründe haben: Wenn ein Buddy Rich oder Gene Krupa neben einem Steinway Grand sitzt, dann ist jeder Zentimeter näher an den Klaviersaiten ein Gewinn an Trennung und "Definition".
Ist man aber erst mal mit einer Membran zehn Zentimeter über den Diskantsaiten, dann bleibt gar nichts anderes übrig, als über die Mitten und Bässe auch ein Mikro zu hängen/stellen/legen - was auch immer. Auch unter dem Resonanzboden sind schon manche Experten klangfündig geworden.
Auf einmal 4 Mikros fürs Klavier
Und schon sind wir bei vier Mikrophonen allein fürs Klavier. Da fällt dann der Sound vom Schlagzeug doch entschieden ab, wenn man nur eins davor baut. Also eins vors Fell der großen Trommel.
Damit der Anschlag schön tiefsatt und tonlos kommt, entspinnen sich dann (wenn man Zeit hat und klangsensible Partner vorfindet) stundenlange Diskussionen, ob das Mikro vor der Mitte oder mehr zum Rand stehen soll, ob das ganze Ding nicht mit Schallschluck ausgestopft werden sollte oder ob man nicht besser zwischen beiden Fellen eine Röhre einbaut oder alles zusammen oder ob nicht besser noch das eine Fell ganz abgenommen wird ...
Nach ein paar Jahren Erfahrung . . .
Wenn man damit, und mit vielem anderen, ein paar Jahre experimentiert
hat, entwickelt sich schließlich aus der Erfahrung die zunächst noch etwas dunkle Ahnung, daß es doch wohl zuallererst an den Musikanten liegt und an der Art, wie sie ihre Instrumente spielen, ob sie schon mit einem Mikrophon so klingen, wie man sich das vom Einsatz mehrerer erhofft hatte.
Die große und die kleine Trommel
Aber wir sind ja noch auf dem Wege dahin und haben grade festgestellt, daß die große Trommel mit der Tretmaschine nun ganz brauchbar kommt.
Kleine Trommel und vor allem High-Hat sind jetzt aber irgendwo, nur nicht vorne. Also brauchen die auch je eins. Macht drei Mikros für die "Schießbude", wenn keine Bongos, Tom-Toms und andere Geräuschdelikatessen serviert werden.
Wir hatten damals nur 4 Mikrophone
Da hatte ich es vergleichsweise gut, als ich Anfang der Fünfziger im Berliner Sportpalast das Oscar Peterson Trio und Stan Kenton aufzunehmen hatte: Es gab für keine Sitzung mehr als vier Mikrophone. Mehr waren einfach nicht drin. Und transportable Mischpulte mit mehr als vier Reglern gab es auch nicht. Alles in Royal Mono natürlich.
Damals gab es nur rein akustische Klangerzeuger
Aber ich bin schon wieder auf historischen Abwegen. Das waren ja alles rein akustische Klangerzeuger. Keine Elektronik, keine Strippe von der Gitarre zum Mischpult, kein Keybord. Heute wird die meiste Gebrauchsmusik nur noch mit letzteren gemacht, und da gibt es denn auch manche Mikrophonprobleme nicht mehr. Denn wenn der Ton elektronisch erzeugt wird, ist die akustische Trennung zum anderen Instrument zwangsläufig total.
Ob die Welt des Klangs dadurch schöner geworden ist, muß jeder nach seinem eigenen Geschmack herausfinden. Auf jeden Fall hat die Vielfalt zugenommen; und das wird auch so bleiben, vorausgesetzt, die alte Machart mit ihrer echten Akustik und ihrer heute nur noch per Zufall erreichten körperhaften Plastik der Instrumente stirbt auch in der leichten Muse nicht aus.
Jetzt ist fast alles gesagt - über die Mikros
Damit ist über Mikrophone so ziemlich alles gesagt, was den Liebhaber aufgenommener Musik interessieren könnte. Für den berufsmäßigen Anwender ist es eins der ausgedehntesten Kapitel, in dem auch nach Jahrzehnten das Lernen noch nicht aufhört.
Etüde im Eimer
Wie übrigens das Lernen auch ziemlich bizarr anfangen kann . . . Hatten wir doch da zu Zeiten meiner eigenen ersten Rundfunk-Berufsschritte einen ebenso gewissenhaften wie weltfremden Volontär zu Gast. Er wollte Medien-Journalist werden, wie man das heute nennen würde. Dazu gehört natürlich auch der Umgang mit Mikrophonen. Und den lernt man erwiesenermaßen am besten, indem man mit ihnen umgeht. Es wurden also allerhand Übungen arrangiert; Besprechung von vorne, von hinten, von der Seite, von unten, von oben, laut, leise, nur Vokale, nur Zischlaute, mit vorgehaltener Hand, mit zugehaltenen Ohren ... Er trug alle Stellungen und die daraus resultierenden Klangergebnisse wahrheitsgemäß und sorgfältig in sein Praktikantenheft ein.
Im Kopfstand üben
Anfangs hatten die Betreuer ja wirklich nur Sachdienliches im Sinn gehabt. Aber schon bei den letzten beiden Übungen müssen sie sich sachte herausgefordert gefühlt haben. Jedenfalls wurden weitere Übungen anberaumt: im Stehen, im Sitzen, im Knien, im Liegen. Schließlich auch im Kopfstand (ein Assistent hielt oben die Beine fest). Auch dies stand tags darauf säuberlich in der Kladde.
Unterwasserschall im Stalleimer
Nun muß man dem ersten Nachkriegsjahr einiges nachsehen. Manchmal hatten die Stimmungen Ähnlichkeit mit dem Freisetzen von Überdruck nach stundenlanger Klausur in der Schulklasse. Jedenfalls stach das Team nunmehr der Hafer. Denn als nächste Übung wurde Unterwasserschall ersonnen. Er fand statt mit den Vokalen A, E, I, O, U, kopfüber in einem Stalleimer voll klaren Trinkwassers. Die Ergebnisse zeitigten nichts Unerwartetes. Weder in puncto Schall, noch hinsichtlich höherer Verfügung. Die Führung des Studienheftes wurde mit "sehr gut" bewertet.
Was die seriöse Seite des Umgangs mit Mikrophonen angeht, möchte ich sagen, daß es, neben dem Mischen eines Klangbildes, das der Kunst am nächsten stehende Kapitel ist. Denn Mikrophone markieren die Schnittstelle zwischen Künstler und Technik.
Nennen Sie die "Schnittstelle" lieber "Interface"
A propos Schnittstelle: Wer sich im Trend der Zeit ausdrücken möchte, sagt besser "Interface". Das macht mehr her und entkräftet den Argwohn, man würde womöglich nichts von Bits und Bytes wissen.
Jetzt wird('s) gemischt
Das schönste Mikrophon-Arsenal wäre vergebens, träfe es nicht im Regieraum auf ein heutzutage überwiegend gigantisches Gebilde, das "Mischpult". Eine Kostprobe davon aus einem aktuellen Pop-Studio war bereits in Heft 6/91 abgebildet.
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In 1947 - runde Regler beim RIAS
Als ich das erstemal einen Mischregler in die Hand nahm, war das ein großer runder Drehknopf, geeicht in Neper (früher bei der Post übliche Maßeinheit für die Dämpfung auf Fernmeldeleitungen). Ganz komfortable "Pulte" (die nur höheren Dienstgraden zugeteilt wurden) enthielten davon drei Stück für Eingänge und einen als Hauptregler für den zusammengemischten Ausgang.
Alles mit überbrückten T-Gliedern in passiver, streng widerstandsangepaßter 600- oder 200-Ohm-Technik. Diese Stellglieder waren nicht nur in irgendeiner Stellung "widerstandsangepaßt ", sondern behielten den Wert über den ganzen Regelbereich.
Ganz kurz etwas mehr Studio-Technik im Dteail
(Für technisch Interessierte: Das Leitbild aller Konstruktionen war die im Fernmeldewesen etablierte Übertragung elektrischer "Leistung". Danach wird ein Maximum verfügbarer Leistung übertragen, das heißt von der "Quelle" an den "Verbraucher" oder die "Last" weitergegeben,
wenn der Ausgangswiderstand der Quelle, der " Quellwiderstand", genau mit dem Eingangswiderstand der Last, dem "Lastwiderstand ", übereinstimmt.
Werden nun mehrere Regler mit ihren Ausgängen nach dieser Methode, der sogenannten "Leistungsanpassung", zusammengeschaltet, dann erhöht sich mit jedem Regler mehr die am Knoten (der Sammelschiene) wirksame Dämpfung nach der Formel für geometrische Addition. Diese Dämpfung muß durch nachfolgende Verstärker wieder ausgeglichen werden. Schon bei etwa sechs Reglern wurden jedoch Dämpfungswerte erreicht, bei denen man bereits das Grundrauschen der damaligen Verstärker hören konnte.
Zudem gaben die meist verwendeten dynamischen Mikrophone nur sehr geringe Signalpegel ab. Erst mit der Verbesserung der Verstärkertechnik konnte man die sogenannte "Leistungsanpassung" allmählich zugunsten der "Spannungsanpassung" (die ja im strengen Sinne keine "Anpassung" mehr ist) aufgeben. Dabei arbeitet man mit niederohmigen Ausgängen, die (relativ) hochohmig abgeschlossen werden. So kann man beispielsweise mit vernachlässigbarem Pegelverlust mehrere Verbraucher an eine Quelle schalten.)
Die moderne Mischtechnik
Der eigentliche Durchbruch zur modernen Mischtechnik wurde jedoch erst durch die Integration von Reglern und rauscharmen Vorverstärkern möglich. So waren lange Zeit sechs Eingänge auf den besseren Anlagen mancher Schallplattenbetriebe schon ein Zeichen fortschrittlichen Geschäftsgeistes.
Es hatte auch etwas Gutes - damals
Der Zwang, mit diesen beschränkten Mitteln alles und jedes aufzunehmen, hatte überdies die heilsame Wirkung, daß die Regiebelegschaft nach der optimalen Balance vor den wenigen Mikrophonen suchen mußte.
Sie konnten nicht auf Verdacht ein paar Dutzend verteilen und dann daraus ein artifizielles Gemengsel zurechtzaubern, das ja nur dann eindrucksvoll klingt, wenn man mindestens so laut abhört, wie die Mikrophone die Instrumente "hören".
Bei leisen Lautstärken klingt es nicht
Bei Abhörlautstärken darunter klingt es alsbald gepreßt und verstopft. Dies ist der entscheidende Nachteil sorglos gehandhabter Polymikrophonie und zugleich ihr sicheres Erkennungsmerkmal.
Hinzu kam, daß die Verstärker und Abhörlautsprecher im Regieraum oberhalb 90 Phon Lautstärke alsbald ihren Geist aufgaben. (Heute würde jeder Walkman-Freak bei 90 Phon erst mal die Batterien wechseln.)
Es mußte also relativ leise gut klingen. Das war, nebenbei bemerkt, eine vorzügliche Zwangsjacke für die richtige Anpassung an die Hörverhältnisse zu Hause.
Weshalb manche Steinzeit Aufnahmen leise so gut klingen
Wer unter den besonders ohrsensiblen Lesern sich schon mal gefragt haben sollte, weshalb manche Aufnahmen aus der elektroakustischen Steinzeit (vornehmlich der Gattung Tanz und Jazz) schon bei kleiner Abhörlautstärke so frappierend gut klingen, der weiß jetzt, warum. Aber das war schon wieder ein lustvoller Seitensprung zur Aufnahmephilosophie.
Schwierig - die enormen Kabellängen für Mirophone
Um zum Mischpult zu gelangen, muß das oft armdicke Kabelbündel von den Mikrophonen im Saal nicht selten abenteuerliche Wege gehen. Von Oberlichtklappen durch Treppenhäuser, Speiseaufzugsschächte, tote Lichtkabelkanäle bis zu Abflußröhren ist schon alles für diesen Zweck in Gebrauch gewesen. Selten, daß mal ein Gebäude passend vorbereitet ist.
Da trifft es sich gut, daß man heute ohne allzu prophetische Begabung voraussagen kann, wieviel Mühen sich ein Aufnahmeteam wird sparen können, wenn die Glasfasertechnik eines Tages auch in den Studiobetrieb Einzug hält.
Was Telekom für Tausende von Fernsprechverbindungen mittels eines dünnen Laserkabels recht ist, sollte ja irgendwann einmal auch für den kunstkommerziellen Audiobetrieb billig (genug) sein.
Peter K. Burkowitz