aus der FUNK-TECHNIK Nr. 18/1950 (Sept Heft)
Ein früher ausführlicher Artikel über das Konzept der Füllschrift
Ein Artikel während oder kurz vor der Deutschen Funkausstellung 1950.
Langspielplatten in Deutschland (im Jahr 1950)
Es hatte lange den Anschein, als ob die deutsche Schall- plattenindustrie nicht gewillt (... oder nicht in der Lage ...) war, Langspielplatten auf den Markt zu bringen. Noch vor Jahresfrist wurde im Hinblick auf die interessanten Nachrichten über die amerikanischen Microgroove- Langspielplatten immer wieder erklärt, daß es in Deutschland aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus unmöglich sei, Schallplatten mit anderen Umdrehungszahlen als 78 je Minute zu liefern.
1950 hat sich die Lage geändert. Seit einigen Monaten verkauft Decca auch innerhalb Englands Langspielplatten mit 33 1/3 U/min, nachdem sie diese bereits seit längerer Zeit nach den USA ausführte - und dies, obwohl uns noch 1949 "angeblich zuständige Stellen" anläßlich der Radioausstellung in Zürich erklärten, daß „USA-Langspielplatten nicht nach Europa kommen ...".
Telefunken kündigte auf der Funkausstellung an, daß sie den Vertrieb von Decca-Langspielplatten in Deutschland aufnehmen wird und auch die erforderlichen Plattenspieler liefern will. Vorerst wird man sich auf die 30cm 33er LP mit rd. 18 ... 22 Minuten Spieldauer beschränken. Vorerst also . . . wer aber garantiert uns, daß nicht eines Tages die RCA ihre Kleinplatte (bei uns später die 45er Single) mit 45 U/min in irgendeiner Form nach Deutschland bringt und den Markt hierzulande noch mehr verwirrt, als er es schon ohnehin ist? Mögliche Vertragsschwierigkeiten lassen sich umgehen und Rohstoff sorgen (Vinilyte!) beheben!
Nach dieser einleitenden Bemerkung, die lediglich eine wirtschaftliche Lage kennzeichnen soll, möchten wir auf die beiden deutschen Verfahren zum Aufnehmen von Langspielplatten hinweisen. Wenige Wochen vor der Funkausstellung nahm der überraschte Schallplattenfreund zur Kenntnis, daß es gleich zweimal gelungen war, Schallplatten zu pressen, deren Spieldauer trotz Festhalten an der Umdrehungsgeschwindigkeit (78 U/min) und Rillenprofil (0,13mm Rillenbreite) beträchtlich höher als bisher ist.
Ein Vergleich bei 78er Schellack besagt: | 25-cm-Platte | 30-cm-Platte |
bisherige Spieldauer | max. 3 min 17 sec | max. 4 min 30 sec |
Spieldauer der neuen 78er Langspielplatte | ca. 5min | 7 ... 9 min |
Man verwirklichte einen lange bekannten Gedanken :
- (Anmerkung: ein Patent von Eduard Rhein über das Füllschriftverfahren)
Abgehen vom gleichbleibenden Rillenabstand und Übergang zum „gesteuerten Rillenabstand" entsprechend dem Lautstärkecharakter der Darbietung.
Zur Erklärung sei auf Abb. 1 verwiesen. Links in dieser Mikroaufnahme einer normalen Schallplatte sehen wir fünf Rillen ohne Musik und weiter rechts einige Rillen mit lauter Musik . . . und immer bleibt der Rillenabstand gleich, nämlich 0,13 mm. Derart geschnittene Platten haben ganz unabhängig vom Inhalt stets die gleiche Spieldauer.
Beide Erfinder hatten nun den gleichen Gedanken: man steuere den Rillenabstand entsprechend der Lautstärke, d. h. man lege ihn so fest, daß zwar immer der notwendige Mindestabstand (bei 78er Schellackplatten 0,025mm) zwischen zwei Rillen als Steg übrigbleibt, sonst aber sich jede Rille der vorhergehenden so eng wie irgend möglich anschmiegt.
Wir kommen damit zur zweiten Mikroaufnahme, diesmal einer Platte nach dem neuen Verfahren (Abb. 2). Links wieder einige Rillen ohne Musik, jetzt sehr eng aneinanderliegend und daher raumsparend, und daneben lauter werdende Musik mit größerem Rillenabstand bei gleicher minimaler Stegbreite.
Wer sich die Mühe macht, beide Fotos auszuzählen, findet im ersten Plattenausschnitt 10 Rillen und im zweiten, gleich großen, dagegen 16 Rillen! Gleichzeitig wird klar, warum beim zweiten Verfahren die maximale Spieldauer einer Schallplatte nicht mehr genannt werden kann.
Wird nämlich ein Musikstück mit vielen lauten Stellen und allgemein hoher Durchschnittslautstärke aufgezeichnet, so können weniger Rillen (geringerer Spieldauer) untergebracht werden als bei einem Musikstück, das weniger Lautstärkenunterschiede und geringere Durchschnittslautstärke aufweist.
Ein besonders schönes Beispiel bietet Abb. 3, eine Aufnahme einer der neuen Schallplatten von Eduard Rhein, bespielt mit einer Stelle aus „Sehwanensee". Es liegt gerade die berühmte Stelle mit dem Donnerschlag unter dem Mikroskop, dem je drei Rillen ganz leiser Musik vorangehen und folgen. Instruktiver kann das neue Verfahren wohl nicht dargestellt werden.
Man erkennt noch etwas: soll ein Musikstück von nur 6 Minuten Spieldauer aufgezeichnet werden - während doch 8 .. 9 Minuten zur Verfügung stehen - so kann seine Dynamik verbessert werden. In diesem Falle werden die lauten Stellen angehoben und mit größerer Amplitude als sonst geschnitten. Damit sind auch wichtige Verbesserungen im Verhältnis Signal /Rauschen möglich!
Bekannt gewesen, aber . . .
Schon eben sagten wir, daß der Grundgedanke des veränderlichen Rillenabstandes längst bekannt war; er ist beinahe so alt wie die moderne Schallplatte mit Berliner-Schrift. U. a. meldete ihn Columbia Ende der 20er Jahre in London zum Patent an, konnte ihn jedoch nicht in die Tat umsetzen, weil man damals keine Möglichkeit fand, den Stichel bei der Aufnahme der Lautstärke entsprechend zu steuern, wie H. A. Schmidt anläßlich einer Presseveranstaltung der Deutschen Grammophon in Berlin erläuterte.
Columbia wendete sich daher von diesem System wieder ab und überraschte im Jahre 1948 die USA mit der Microgroove-Langspielplatte, deren Umdrehungszahl auf 33 1/3 U/min herabgesetzt worden war. In Deutschland ist anscheinend unabhängig voneinander an zwei Stellen weitergearbeitet worden, und zwar von der Deutschen Grammophon-Gesellschaft in Hannover und von Eduard Rhein in Hamburg. Rhein nennt sein Verfahren „Füllschrift", weil er den nutzlosen Abstand zwischen den Rillen auffüllt, während die Deutsche Grammophon-Gesellschaft etwas wissenschaftlicher vom System der „Variablen Micrograde" spricht. Der Abstand zwischen den Rillen ist doch „variabel", er wird in Micro (1u = 1/1ooo mm) ausgedrückt.
Beide Entwickler haben Steuersysteme entwickelt, mit deren Hilfe der Schneidestichel bei der Aufnahme nicht mehr einen konstanten Vorschub wie bisher erhält, sondern je nach Lautstärkeinhalt der aufzuzeichnenden Musik näher heran an die vorhergehende Rille geführt wird oder weiter entfernt davon gehalten wird. Man wird leicht einsehen, wie kompliziert die Vorrichtungen sein müssen.
Rhein hat für diese Steuerung in achtjähriger Arbeit eine „Maschine" mit 56 Röhren entwickelt, während die Deutsche Grammophon-Gesellschaft mit einer wesentlich kleineren Anlage von nur acht Röhren auskommt, an deren Konstruktion sie immerhin zehn Jahre gearbeitet hat.
Zwei konkurrierende Verfahren oder Eifersüchteleien ?
Wir bemühten uns, von beiden Seiten genauere Aufschlüsse über Aufnahmesystem und, mögliche Verwandtschaft beider Verfahren zu erhalten, leider ohne Erfolg. Rhein erklärt, daß er sein Verfahren 1941 der Deutschen Grammophon - Gesellschaft zur Kenntnis brachte - d. h. seinen Grundgedanken, denn damals war sein System noch nicht durchentwickelt - während die DGG erklärt, ihre Entwicklung basiert auf jenem an sich bekannten Gedanken, der auch dem Patent der Columbia zugrunde liegt.
Jedenfalls sind nähere technische Einzelheiten über das Aufnahmegerät noch nicht erhältlich; ihre Freigabe hängt wohl mit der noch ungeklärten Patentlage zusammen.
Die Wirtschaft und das Repertoire
Die wirtschaftliche Bedeutung der eng geschnittenen Schallplatten ist sehr groß. Zuerst einmal ist wichtig, daß alle bisherigen Plattenspieler einschließlich der uralten Koffergrammofone weiter benutzt werden können, denn - wie oben bereits gesagt - Umdrehungszahl und Rillenprofil sind beibehalten worden. Man muß weder einen neuen Plattenspielermotor noch einen Tonarm mit dünnerer Nadel und geringerem Auflagedruck wie bei USA-Longplayer erwerben.
Daneben besteht jetzt die Möglichkeit, einen neuen Schallplattentyp herauszubringen: die 21cm Platte, die den Inhalt einer bisherigen 25cm Platte enthält. Weil diese neue Plattenart einen kleinen Durchmesser besitzt, genügt eine geringere innere Steifigkeit, d. h. die Dicke und damit das Volumen der Platte kann herabgesetzt werden. Eine 21cm Platte würde gegenüber einer 25cm Platte etwa 30% Materialersparnis erlauben . . . ein beachtlicher Faktor im Hinblick auf die in letzter Zeit stark angestiegenen Preise für Schellack. Der Inhalt einer 30cm Platte bisheriger Prägung könnte nunmehr bequem auf einer 25cm Platte mit engem Riilenabstand untergebracht werden.
Dem Vernehmen nach sollen in Kürze 21cm Platten nach dem Rheinschen Verfahren auf den Markt kommen. Tatsächlich lieferbar ist dagegen seit Beginn der Funkausstellung die Serie VM 78 der Deutschen Grammophon-Gesellschaft mit 30cm Durchmesser, vorerst mit sogenannter „lizenzfreier" Musik bespielt, d. h. mit den Kompositionen längst verstorbener Musiker wie Beethoven, Mozart usw. Die Urheberrechtsorganisationen haben sich nämlich zur Zeit noch nicht bereit erklärt, Schallplatten mit lizenzpflichtiger Musik mit einer längeren Spieldauer als 5 Minuten zuzulassen, wenigstens in Deutschland. Die Verhandlungen zur Aufhebung dieses Bannes sind im Gange.
Tatsächlich sind Fragen des Repertoires usw. in der Schallplattenindustrie ebenso wichtig wie die oben skizzierten technischen Probleme. Es hat den Anschein, als ob wir auch in Deutschland auf die kleine Platte mit populärer Musik {Tanzschlagern usw.) zusteuern, deren Prototyp die 18cm Vinilyte- Langspielplatte der RCA ist. (Spieldauer 5 Minuten, die jedoch selten ausgenutzt werden, 45 U/min. Preis 65 ... 90 Cent.) Die knappen Hinweise auf die Möglichkeit, eine Schlagerplatte bisherigen Inhalts auf 21cm unterzubringen, deuten die Richtung an.
Natürlich wird es weitgehend vom geforderten Preis abhängen, in welcher Form sie sich durchsetzt. Die RCA verkaufte binnen Jahresfrist 20 Millionen Kleinplatten trotz des Zwanges für den Kunden, zugleich einen neuartigen Plattenwechsler zum Abspielen erwerben zu müssen. Der Erfolg beruht in erster Linie auf dem Trumpf, billig zu sein, den die Platte neben vielen anderen Vorzügen besitzt.
Auf der anderen Seite bietet sich für das klassische Musikprogramm ein weites Feld. Die Deutsche Grammophon-Gesellschaft sagt: eine statistische Erhebung hat bewiesen, daß 95% aller jener Musikstücke, die sich - vom kommerziellen Standpunkt aus gesehen - für eine Schallplattenaufnahme eignen, eine Spieldauer von weniger als 9 Minuten besitzen. Damit wäre ausgedrückt, daß wir in Deutschland die Langspielplatte mit 33 1/3 U/min und 20 Minuten Spieldauer nicht brauchen (siehe „Decca"). Die Zukunft muß erweisen, wer recht hat.
Jedenfalls ist das Gebiet der Tonaufzeichnung und Reproduktion in voller Bewegung, worüber wir demnächst in einem besonderen Beitrag noch berichten werden. Die deutsche Fonoindustrie ist dabei, gut vorzusorgen. Immer mehr Plattenspieler mit umschaltbarer Geschwindigkeit kommen auf den Markt, wobei einige Vorsichtige das Tempo 45 U/min gleich mit vorsehen. Die Tonarme erhalten auswechselbare Systeme, umschaltbare Ent-
lastungsfedern und ähnliche Feinheiten, so daß mit den modernsten Geräten dieser Art alle vorkommenden Schallplatten abgespielt werden können.
In diesem Zusammenhang sei auf die kleine Verbesserung der Austrophon-Schallplatten hingewiesen. Sie werden in Zukunft mit verstärktem Lochrand geliefert, so daß sie der etwas rauheren Behandlung im Plattenwechsler gewachsen sind. Ein Ausbrechen des Lochrandes ist damit unmöglich geworden.
Autor unbekannt - evtl. Herr Rint oder Herr Tetzner
Ergänzung: (immer noch Okt. 1950)
Die Decca-Langspielplatte aus Vinylit
In dem in der FUNK-TECHNIK Bd. 5 (1950), H. 18, S. 554 veröffentlichten Aufsatz „Langspielplatten in Deutschland" wurde bereits auf die Decca-Vinylit-Platte hingewiesen. Wir sind jetzt in der Lage, Näheres über diesen interessanten Tonträger zu sagen, der Aussicht hat, in Deutschland eingeführt zu werden.
Das Suchen nach neuen Schallplattenarten, die mehr Musik je Gewichtseinheit und Raumeinheit für die Lagerung verbunden mit verbesserter Tonwiedergabe, längerer Spiellebensdauer und größerer mechanischer Haltbarkeit geben, hat in der Langspiel-Schallplatte aus dem plastischen Werkstoff Vinylit eine Lösung gefunden. Die 12"- Decca- Langspielplatte liefert eine Spieldauer von 28 Minuten gegenüber einer solchen von 4 Minuten bei der Schellackplatte gleichen Durchmessers.
Die Qualitäten im Einzelnen
Zu diesem Vorteil kommen das erheblich verringerte Oberflächengeräusch und die praktisch vollkommene Unzerbrechlichkeit der Platte. Diese Fortschritte zu erreichen, verlangte aber nicht nur einen neuen Werkstoff, sondern bedeutete auch eine Neukonstruktion des Tonträgers und grundsätzliche Änderung des Abspielverfahrens. Die höhere Geräuschfreiheit ist in der Hauptsache in der Homogenität des Werkstoffes zu suchen, der im Vergleich zu der aus Füllstoffen, z. B. Schieferpuder, zusammengesetzten „Schellack"-Platte uniformen Charakter hat.
Die Formmöglichkeit des Plastikstoffes läßt kleinere Rillen zu, deren geringeres Tonvolumen höheren Verstärkungsgrad bedingt. Dieser kann aber zufolge der kleinen Rauscheigenschaft des Vinylits bedenkenlos zugelassen werden. Während bisher 96 Rillen auf einem Zoll (Anmerkung: des Durchmessers) lagen, werden bei der Decca-Platte 300 Rillen auf gleicher Strecke untergebracht. Diese Verengung zusammen mit der von 78 auf 33 1/3 verringerten Abspielumdrehungszahl führt zu einer Spieldauererhöhung auf das 4- bis 5fache der bislang erreichten Spielzeit.
Der neue Plattenwerkstoff wurde von der britischen Geon-Fabrik (South Wales) hergestellt und mit „Geon 205" bezeichnet; er wird zu 25cm (10")- und 30cm (12")-Platten gepreßt. Der Hersteller beansprucht nicht, daß Geon 205 die endgültig beste Mischung sei, vielmehr erwartet man, daß weitere Forschungen noch einen besseren Werkstoff bringen.
Ein neuer Tonabnehmer erforderlich
Eine unerläßliche Forderung für das Abspielen der Vinylit-Platte ist ein geeigneter, im besonderen, leichter Tonabnehmer, der dem Abnutzungswiderstand des Werkstoffes entspricht. Safir- und Diamant-Nadeln müssen die Stahl- und Fiber-Nadeln endgültig ablösen.
Es hat sich gezeigt, daß nach 50 Abspielungen der Zuwachs an Oberflächengeräusch etwa 1,3db - gegen 6db bei der Schellackplatte ist, welches als Größe als „unhörbar" gilt. Das Oberflächengeräusch des Geon bei neuer Platte ist 15 bis 16mal geringer als bei einer herkömmlichen neuen Platte.
Als der neuen Platte anhaftender Nachteil wurde die starke Neigung zur statischen Aufladung erkannt; diese Erscheinung führt zur Staubansammlung in den Rillen, die Störgeräusche erzeugen kann. Ein feuchter Lappen soll das Übel aber steuern helfen.
Die Unzerbrechlichkeit der Plastikplatte darf schließlich nicht auf die Möglichkeit zu ihrer rauheren Behandlung schließen lassen; man muß mit ihr wegen recht großer Empfindlichkeit gegen Kratzer sogar besonders schonend umgehen. (Nach „British Plastics" Nr. 255, August 1950)