aus der FUNK-TECHNIK Nr. 16/1949 (?? Heft)
Revolution im amerikanischen Schallplattengeschäft
In der FUNK-TECHNIK Bd. 4 (1949) H. 6, S. 158, wurde eine kurze Notiz über das Erscheinen einer Langspielplatte der Radio Corporation of America (RCA) veröffentlicht.
Diese neue aus Vinylit hergestellte Platte hat einen Durchmesser von nur 18 cm; sie besitzt ein großes, von einem Wulstrand umgebenes Loch und kann nur auf besonderen, von der RCA hergestellten Plattenwechslern abgespielt werden. Bemerkenswert ist ihre Drehzahl: während die bekannte Columbia-Langspielplatte „Microgroove" für eine Umdrehungszahl von 33 U/min eingerichtet ist, beträgt die Drehzahl der neuen RCA-Platte 45 U/min. Jede Seite wird in 5 Minuten und 15 Sekunden abgespielt, so daß eine Seite aller zehn auf den Wechsler aufgelegten Platten zusammen 53 Minuten Spieldauer ergibt, die außerordentlich rasche Wechselzeit eingeschlossen.
Der speziell entwickelte Tonarm drückt mit nur 5 Gramm auf die Platte; als Nadel dient ein Saphir. Die Konstruktion des Plattenwechslers mit seinem 5cm !! starken Dorn in der Mitte schließt die Verwendung normaler Schallplatten (78 U/min) aus, so daß der Amerikaner heute drei verschiedene Plattenspieler benötigt: Motor mit 33 U/min für „Microgroove"- Langspielplatten, neuer Plattenwechsler der RCA für 45 U/min sowie den Standard-Plattenspieler für 78 U/min. Ferner muß man wissen, daß der Tonarm für Columbia-Langspielplatten nicht für die (Anmerkung: alten 78er) Standard-Schallplatten verwendet werden kann; sein Saphirstift ist für deren größeren Rillendurchmesser zu dünn.
Die Verwirrung ist groß und die geschäftliche Reaktion entsprechend. Die Fabrikanten großer und teurer Radiogeräte mit Schallplatteneinrichtung könnten sich noch am besten durch den Einbau von zwei Abspielvorrichtungen helfen: ein umschaltbarer Motor mit 33 U/min und 78 U/min und zwei Tonarmen spielt Columbia- und Standard-Schallplatten, und der zweitere kleinere und verhältnismäßig billige Plattenwechsler überträgt RCA-Kleinplatten.
Bei Table Grammophones (Tischradios mit Schallplattenspieler) ist dies schon schwieriger zu erreichen, weil deren kleineres Gehäuse keinen Platz für zwei Plattenspieler mit drei Tonarmen besitzen.
Leider reagiert das Publikum nicht wie erwartet. Die Nachfrage nach „Console"-Empfängern, also Schrank-Radiogeräten mit Schallplattenspieler (ohne Fernsehzusatz) hat nahezu aufgehört, noch vorhandene Geräte der genannten Art müssen 60 ... 70% unter Preis verkauft werden. Die großen amerikanischen Warenhäuser und Kettenläden haben ihre Konsequenzen gezogen, sie stellten den Vertrieb von kombinierten Radio/SchaUplattenspielern ohne Fernsehzusatz ein und legten gleichzeitig ihre Schallplattenabteilungen still. Man wartet ab, während sich die großen Firmen des Schallplattenmarktes zum Entscheidungskampf rüsten.
Ganz ohne Zweifel ist die Konstruktion der neuen RCA-Kleinplatten technisch unnötig und lediglich als Konkurrenzmanöver gegenüber den Columbia-Langspielplatten (Anmerkung: 30cm mit 33 U/min) zu werten. Diese konnten sich bereits gut einführen; in den ersten zehn Monaten nach ihrem Start im Juni 1948 wurden fast 3 Millionen Stück verkauft, dazu annähernd 600.000 Plattenspieler, die meisten davon stellte Columbia selbst her.
Die Freude des Amerikaners am Neuen und die unleugbaren technischen Vorzüge der (neuen 33er) Langspielplatte gegenüber der (alten 78er) Standard-Platte lassen erkennen, daß in absehbarer Zeit die letztgenannte keine Chancen mehr haben wird. Die RCA als eine der größten Schallplatten-Gesellschaften der USA mußte also schleunigst zur Gegenwehr greifen, wollte sie nicht hoffnungslos aus dem Feld geschlagen werden.
Der Leidtragende wird - wie immer in solchen Fällen - der Besitzer der nunmehr „veralteten" Abspielvorrichtungen sein. Ihre Zahl schätzt man auf nahezu 15 Millionen. Sie werden natürlich nicht sofort zu der neuen Methode der Firmen Columbia und RCA übergehen wollen, so daß man sie andersherum „kriegen" muß: die Industrie wird ihnen noch einige Jahre hindurch Platten mit 78 U/min liefern, aber nur vorhandene Aufnahmen, während alle - oder sicherlich die wichtigsten - Neuaufnahmen nur auf Columbia-Langspiel bzw. RCA-Victor-Kleinplatten zu haben sind.
Es bleibt noch die Frage offen, was die übrigen Schallplattenfirmen unternehmen werden; aber das ist viel mehr eine Angelegenheit der Kapitalkraft als etwa der wohlfundierter technischer Argumente.
Karl Tetzner (Chefredakteur - erst der Funk-Technik, später der Funkschau)
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Das war eine erste "Einschätzung" aus 1949
Die Skepsis des Karl Tetzner resultiert sicher aus den bitteren Erfahrungen mit Neuerrungenschaften, die wider alle Notwendigkeiten in ein im Wieder-Aufbau befindliches Land mit gänzlich anderen Sorgen hereingetragen wurden.
Ähnlich reserviert wurden die ersten Farbfernsehvorführungen auf einer Berliner Radio Messe 1951 betrachtet, aber das kommt dann später bei den 1951er Ausgaben.
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