Herbst 1969 - Probleme der modernen Schallplattenwiedergabe
Artikel 1 (von 4) - herausgegeben von EMT
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Bitte erschrecken Sie nicht über manchmal sehr lange Sätze. Hier waren die Ingenieure am Werk und sie haben ihr Bestes an Wissen gegeben.
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Aufgabe eines Plattenabspielgerätes
Ein Tonabnehmer-System hat die auf einem Teller liegende, mit gleichförmiger Drehbewegung laufende Platte abzutasten, wobei der das System tragende Tonarm der Rillenspirale auf der Schallplatte ohne eigenen Widerstand folgen soll.
Diese an und für sich einfach erscheinende Aufgabe kann bei den heute zu erfüllenden sehr hohen Qualitätsansprüchen nur mit einem entsprechend hohen Aufwand an Entwicklung und Fertigung erreicht werden.
Die Qualitätskennzeichen eines Abspielgerätes
Die Güte eines Schallplatten-Abspielgerätes ist im wesentlichen durch geringe Drehzahlabweichungen (Tonhöhenschwankungen), geringe Erschütterungen vom Antrieb (Rumpeln) und kleine Verzerrungen bei der Abtastung gekennzeichnet.
Optimale Eigenschaften verlangen ein exaktes Abstimmen der einzelnen Baugruppen eines Abspielgerätes, wie Laufwerk, Tonarm und Tonabnehmersystem, aufeinander.
Was man heutzutage als Abtastprobleme diskutiert, entsteht aus den grundsätzlichen Unterschieden zwischen Aufzeichnung und Abtastung, wie sie im folgenden näher erläutert werden sollen.
Über die Aufzeichnung
Schallplatten werden generell mit einem dreikant- förmigen Schneidstichel (Bild 2) geschnitten. Der Schneidkopf trägt den elektrodynamischen Antrieb für den Schneidstichel und wird während des Schneidvorganges langsam radial zur Plattenmitte über ein (zuletzt elektronisch gesteuertes) Vorschubgestänge bewegt.
Zum Abtasten dagegen verwendet man meist Tonabnehmer-Systeme mit sphärisch geschliffenen Abtastnadeln (seltener biradiale, elliptische), wobei sich das Tonabnehmer-System am Tonarm auf einem Kreisbogen zum Plattenzentrum hin bewegt. Schon dieser Unterschied bedingt lineare und nichtlineare Verzerrungen bei der Wiedergabe. (Warum die Tangential-Technik hier ausgelassen wurde, ist nicht erklärt.)
Die Rille und die Flanken
Die geometrischen Abmessungen einer Schallplattenrille mit eingezeichneter Abtastnadel sind in Bild 3 ersichtlich. Die heute übliche Stereo-Aufzeichnung (45°/45°) wird unter zweimal 45° Bewegungsrichtung des Schneidstichels zur Plattenebene durchgeführt.
Die Modulation der inneren Rillenflanke gehört zum linken Kanal und die der äusseren Rillenflanke entsprechend zum rechten Kanal (Bild 3b). Die Bilder 3c zeigen die 4 Grundmöglichkeiten einer Sinus-Aufzeichnung: Links, Rechts, Links + Rechts = Seitenschrift und Links - Rechts = Tiefenschrift.
Die Aufzeichnung in der Schallplatte wird heute entsprechend genormter Schneidkennlinien durchgeführt [2] [3]. Den Verlauf solch einer Kennlinie (das Produkt aus Amplitude und Kreisfrequenz), die Geschwindigkeitsamplitude oder Schnelle (v = alfa • Omega) in Abhängigkeit von der Frequenz, zeigt Bild 4. Die Zeitkonstanten betragen 75/318/3180 us.
Die Schnelle v ist also nicht konstant; denn beim Schneiden werden die Tiefen abgesenkt und die Höhen angehoben.
Die Tiefenabsenkung ist erforderlich, da ohne sie bei konstanter Schnelle die grösser werdenden Amplituden dann zuviel Platz auf der Platte beanspruchen würden und die Abtastung so grosser Amplituden auch problematisch wäre.
Die Höhenanhebung ist erforderlich, um einen ausreichend grossen Fremdspannungsabstand zu erhalten. Übersteuerungen sind nicht möglich, da auf Grund der Amplituden-Statistik in der Natur mit steigender Frequenz die Amplituden-Anteile abnehmen.
Zu den Grenzen der Aufzeichnung ist aber noch folgendes zu sagen: Auf Grund der geometrischen Abmessungen des Schneidstichels ergeben sich Grenzen für die maximal mögliche Aussteuerung einer Platte. Bei 33 1/3 U/min. und kleinem Abspieldurchmesser liegt die maximale Spitzenschnelle unter 20 cm/s [4]. Bezogen auf die Auslenkung bei hohen Frequenzen, sind das nur einige um! (Dicke des menschlichen Haares etwa 50 bis 100 um).
In der Praxis hat man aber für die hohen Frequenzen eine weitere Aussteuerungsgrenze, die vom Abtastradius abhängt: Der Krümmungsradius des Berührungskreises von der Abtastnadel muss kleiner sein als der Krümmungsradius der aufgezeichneten Modulation beim Amplituden-Maximum (siehe Bild 5). Hieraus ergibt sich, dass bei den höchsten Frequenzen nur eine Schnelle von etwa 4 cm/s verzerrungsfrei abgetastet werden kann [5].
Über die Physik der Abtastung :
Lineare Verzerrungen:
Betrachtet man die Wellenlänge der Aufzeichnung, so fällt auf, dass diese nicht konstant ist, sondern linear mit kleiner werdendem Abspielradius abnimmt.
Es gelten die Beziehungen für die Wellenlänge
(D = Abspieldurchmesser und n = Drehzahl)
Ist das Ganze fertig ausgerechnet, findet man für die Frequenz f = 20kHz bei D = 30cm (Durchmeser) eine Wellenlänge der Aufzeichnung von . .
Von außen nach innen wird es immer "schlechter" !!
Das Verhältnis zwischen grösstem und kleinstem (nutzbaren) Rillendurchmesser beträgt nun bei der 30cm-Platte etwa 2,5:1 bis 3:1.
Die Wellenlänge aus dem obigen Beispiel verringert sich innen auf etwa 10µ und ist damit schon kleiner als der Verrundungsradius der Abtastnadel von 15µ.
Da deswegen die aufgezeichnete Amplitude nicht voll abgetastet werden kann, tritt also mit kleiner werdendem Abspielradius ein Verlust in den Höhen auf, der sogenannte „Wellenlängenverlust" (die Bilder 6 a und b verdeutlichen dies).
Rechts im Bild 6 : Wellenlängen-Verlust
6) a = Rillengeometrie
6) b = Abtaststift in der modulierten Rille
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- Anmerkung : Das Ohr bzw. das Gehirn ist erstaunlich lernfähig und der Musik-Hörer nimmt diesen schleichenden Höhenverlust (innerhalb der Spieldauer der LP zum Ende zu) fast gar nicht wahr. Das akustische Empfinden läßt sich "betrügen" (das wäre etwas zu krass ausgedrückt) oder leicht beschubsen.
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Über die nichtlinearen Verzerrungen
Nichtlineare Verzerrungen treten heute in erster Linie nur bei der Wiedergabe auf und hängen von der Geometrie der Abtastnadel und des gesamten Systems, einschliesslich Tonarm, ab. Man nennt sie „geometrische Abtastverzerrungen".
Es entstehen zum Beispiel bei der Abtastung von Seitenschrift Spurverzerrungen und sogenannte „Klemmeffekt"-Verzerrungen dadurch, dass die Abtastnadel kugelförmig ist und demzufolge die von einem dreikantförmigen Schneidstichel aufgezeichnete Sinus-Kurve verzerrt abgetastet wird beziehungsweise durch den Klemmeffekt die Abtastnadel zusätzlich senkrecht zur Aufzeichnung eine Bewegung ausführt. Auch bei Tiefenschriftabtastung entstehen Spurverzerrungen. Die Bilder 7 a bis c verdeutlichen das Gesagte.
Man versuchte nun, in der Praxis diese Art der Verzerrungen durch Änderung der Abtastnadelformen zu reduzieren. So gibt es heute elliptisch geschliffene Abtastdiamanten, die theoretisch wegen ihrer Annäherung an den dreikantförmigen Schneidstichel deutlich verringerte Abtastverzerrungen liefern müssten. In der Praxis aber haben messtechnische Untersuchungen und auch Abhörversuche dies nicht voll bewiesen [6].
Die Ursache liegt mit Sicherheit einmal an der höheren spezifischen Belastung der Rillenwand (der Verrundungsradius ist um etwa 1/3 kleiner als bei herkömmlichen, sphärisch geschliffenen Abtastnadeln) und zum anderen an der mechanischen Ausführung.
Es ist fertigungstechnisch schwierig, einen exakten elliptischen Schliff durchzuführen (keine sogenannte Überkompensation, scharfe Kante,) und die Abtastnadel in Bezug auf die Achsenlage des elliptischen Querschnittes genau in den Nadelträger einzupassen. Untersuchungen an Abtastern mit elliptischen Nadeln zeigten mitunter die in Bild 8 skizzierten Fehler.
Weitere Abtastverzerrungen ergeben sich durch die vertikalen und tangentialen Spurfehlwinkel. Ein vertikaler Spurfehlwinkel entsteht, wenn die Schwingungsebene des Nadelträgers bei der Abtastung in Bezug auf die Plattenebene nicht den gleichen Winkel einschliesst wie bei der Aufzeichnung. (Es soll hierbei erwähnt werden, dass der Schneidkopf beim Schneiden einer Lackfolie um einen bestimmten Winkelwert zurückgeneigt werden muss wegen der „Nachfederung" des Materials, um für die Abtastung den jetzt genormten Wert des vertikalen Spurwinkels von +15° zu erzielen).
Ein Tangentenfehlwinkel entsteht durch den Tonarm, der den Abtaster auf einem Kreisbogen über die Platte führt - im Gegensatz zum Schneidvorgang, bei dem der Schneidkopf ja radial zum Zentrum der Platte hingeführt wird.
Alle diese geschilderten Abtastverzerrungen werden heute durch moderne Aufzeichnungsverfahren, zum Beispiel "Teldec Tracing Simulator" oder "RCA-Dyna-Groove-Verfahren" [1] [7], weitgehend reduziert.
Dies erreicht man dadurch, dass man mittels eines Analog-Rechners für jeden Augenblickswert des aufzuzeichnenden Signals die zu erwartenden Abtastverzerrungen in Bezug auf Phase und Amplitude berücksichtigt, also mit anderen Worten, die Aufzeichnung vorverzerrt, so dass bei der Abtastung unter optimalen Bedingungen (15° vertikaler Spurwinkel und 15µm Verrundungsradius des Abtaststiftes) die Verzerrungen kompensiert werden.
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Über die Nadelführung
Die Mindestgrösse der Auflagekraft für eine sichere Nadelführung hängt von mehreren Komponenten ab.
Für den statischen Fall soll die Auflagekraft grösser als die Rückstellkraft des Abtast- systems sein. Einem Wert der Rückstellkon- stanten von etwa 0,4 p/60µm Auslenkung für einen modernen Abtaster entspricht der Compliance- Wert von etwa 15 x 10-6 cm/dyn (wobei man als „Compliance" oder Nachgiebigkeit den reziproken Wert der Rückstellkonstante bezeichnet und 1 pond = 981 dyn ist).
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und daraus für das obige Beispiel der Compiance eine Rückstellkraft von etwa 0,7p.
Für den dynamischen Fall müssen bei der Abtastung hoher Frequenzen Beschleunigungskräfte berücksichtigt werden. Das Produkt aus „ruhender" (effektiver) Masse des gesamten Tonarmes und Erdbeschleunigung soll grösser sein als jenes aus effektiver Nadelmasse und Nadelbe- schleunigung.
wobei die effektive Masse an der Nadelspitze bei heutigen guten Abtastsystemen etwa 1mg beträgt. Die Beschleunigung b = v X co ist für eine Frequenz von 15 kHz bei maximaler Schnelle v = 5 cm/s etwa 5 X 103 m/s2 und damit etwa 500 mal grösser als die Erdbeschleunigung!
Die ruhende Masse des gesamten Tonarmes soll also unter Berücksichtigung der eben genannten Werte und der eingangs aufgestellten Bedingung
sein. Die heute üblichen Werte sind 10—30g. Sie liegen also mit Sicherheit darüber.
Die bei der Abtastung hoher Frequenzen entstehende vertikale Beschleunigungskomponente erfordert zur Aufrechterhaltung eines sicheren Kontaktes zwischen Nadel und Rille auch unter Berücksichtigung eines eventuellen Plattenschlages aber grössere Auflagekräfte, als zuvor die Rechnung ergab. Da in der Rille meist statische Kräfte und dynamische Beschleunigungskräfte kombiniert auftreten, wird noch ein Sicherheitsfaktor für das erforderliche Auflagegewicht berücksichtigt.
Was die Abtastfähigkeit eines Tonabnehmersystems in Abhängigkeit von der Frequenz anbelangt, so kann der Verlauf der sogenannten „mechanischen Impedanz", das ist der Quotient zwischen minimaler Auflagekraft und konstanter Schnelle (Verringerung der Auflagekraft, bis gerade noch einwandfreie Sinus-Abtastung möglich ist) darüber Auskunft geben [8] [9].
Darüber gibt es auch eine Dissertation - eine längere Abhandlung über den Verschleiß von Diamant-Spitze und Vinyl-Plattenrille.
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Dieser Artikel steht natürlich bei den Plattenspielern.
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