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Im Winter 1976 ärgert sich ein Redakteur der KlangBild (Ausgabe Jan. 1977)

von Gert Redlich im Feb. 2018 - Es ist also nicht neu, daß ich mich über viel zu dämliche oder populistische Verkäufersprüchen und anderes unseriöses Gebaren ärgere.
Auch aus meiner Hifi-Studio (Aushilfs-) Verkaufszeit weiß ich, daß man mit Scheinwissen und solchen Sprüchen auch jeden Mist an den Mann bringen kann. Übrigens - Kundinnen waren zu der Zeit eine ganz seltene Spezies.
In der KlangBild Januar 1977 rezensiert der Redakteur einen vermutlich gekauften verkaufsfördernden Bericht (besser tituliert : einen Artikel) einer großen Fernseh- und Radio- Programm- zeitschrift. Ich vermute, daß es die HörZu war, denn er spricht von einer "großen" Zeitschrift.

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Eine Streitschrift wider die falschen "Ratgeber"
Das Herz einer Box...

„... ist ein ganz gewöhnliches, trichterförmiges Stück Pappe."

Diese Aussage ist so falsch wie die Behauptung, der Mond bestehe aus weißem Käse. Wenn man schon den Lautsprecher als Herz der Box bezeichnen will, worüber man streiten kann, dann besteht dieser - zum Beispiel ein dynamischer Tieftöner in der am meisten verwendeten Bauweise - aus Magnet, Distanzring, Schwingspulenträger, Schwingspule, Korb, Zentrierung, Sicke, Membran und Abschlußkalotte. (Wobei diese Aufstellung je nach Hersteller unterschiedlich ist.)

Und die Membran besteht gewiß nicht aus ganz gewöhnlicher Pappe. Die Membran soll zugleich leicht und sehr steif sein, um Partialschwingungen, die Verzerrungen produzieren, gar nicht erst aufkommen zu lassen. (Die Idee, eine Laut-Sprechermembran aus Blattgold herzustellen, ist absurd; entweder ist Blattgold nicht steif genug, oder es ist so schwer, daß die Membranaufhängung sich jeder Membranbewegung mit Riesenkräften entgegenstemmt.)
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Warum wir so empört sind?

Nun müssen wir Sie, verehrte Leserin, sehr geehrter Leser, um Entschuldigung bitten, weil wir in unserer Empörung geradezu mit der Tür ins Haus gefallen sind. Warum wir so empört sind? Weil der oben zitierte Satz aus einem zweiteiligen Artikel stammt, der millionenfach verbreitet wurde. Und der verfaßt wurde - so jedenfalls der Autor -, um Sie, sehr geehrte Leser, endlich richtig zu beraten beim Kauf einer HiFi-Stereo-Anlage.

Noch ein Beispiel

Was ist das für ein Konglomerat aus uralt-abgestandenen Vorurteilen, Verdrehungen und Unterstellungen, aus denen diese „Beratung" sich zusammensetzt! Dürfen wir Ihnen noch so einen Satz zumuten? „Kinder hören bis etwa 16.000 Hz, 40jährige bis 13.000-und je älter man wird, desto tauber werden die Ohren. Also: eine Anlage, die 40 bis 12.500 Hz verarbeiten kann, ist meist ausreichend."

Das ist pauschalisierter Unsnn

Was wem als ausreichend zu erscheinen hat, möchten wir niemandem vorschreiben, ja noch nicht einmal diskutieren!

Aber - diese Rabulistik mit der abnehmenden Empfindlichkeit für hohe Frequenzen bei zunehmendem Alter geht voll am Problem vorbei. Die Musik, die wir hören, besteht nicht aus reinen Sinustönen, sondern aus Klängen. Ein Klang setzt sich zusammen aus Grundton und Obertönen; je weniger Obertöne im Linienspektrum eines Klanges erscheinen, desto weicher klingt das Instrument, je mehr es enthält, desto härter und strähnender ist der Klang. Nun arbeitet das menschliche Ohr nicht als Frequenzanalysator.

Der Klangeindruck und die Hüllkurve

Für den Klangeindruck, den wir empfinden, ist vielmehr entscheidend die Hüllkurve an das komplexe Oszillogramm des Klanges. Diese Hüllkurve verläuft unterschiedlich, je nachdem, ob im Klang die hohen Frequenzen vertreten sind oder nicht. Deshalb können auch ältere Menschen sehr wohl unterscheiden, ob in einem Klang die hohen Frequenzanteile vorhanden sind oder nicht, obwohl sie reine Sinustöne oberhalb einer bestimmten Frequenz nicht mehr wahrnehmen können.

  • (Siehe die MP3 Technik - wie es funktioniert mit dem MP3.)

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Dinge mit dem dicken Hammer zurechtzurücken

Unser „Ratgeber" liebt es offensichtlich, die Dinge mit dem dicken Hammer zurechtzurücken, und natürlich hat er auch zum Thema Ausgangsleistung ein kräftiges Wörtlein zu sagen. Nur schmeißt er dabei alles durcheinander: Ausgangsleistung, Belastbarkeit, Wirkungsgrad, Schalldruck, Raumgröße, Druckkammerlautsprecher.

Dieses Thema wirft einen Berg von Fragen auf, hoch wie die Alpen, und man kann es nicht in ein paar Zeilen abhandeln.

Aber man muß doch deutlich sagen: Die Bedämpfung der konventionellen Box, die natürlich den Wirkungsgrad herabsetzt, wurde nicht erfunden, um den armen Kunden zu schröpfen, sondern um Verzerrungen, die sich bei der Wandlung von tonfrequenten Wechselspannungen in Schallwellen einschleichen, zu vermindern oder gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Bedeutende Lautsprecher-Entwickler vertreten die Ansicht, daß die starke akustische Bedämpfung nicht der Weisheit letzter Schluß ist, sondern ein Kompromiß, und daß das letzte Wort in diesem Fall noch nicht gesprochen ist.

Den Verstärker der Box anpassen

Aber der Musikfreund, der sich hier und heute stark bedämpfte Boxen anschaffen möchte, dem möchten wir raten: Wählen Sie einen Verstärker (bzw. ein Steuergerät) mit Leistungsreserven, die über jene Leistung hinausgehen, die Sie zur Erzeugung des Ihnen angenehmen Schalldrucks benötigen. Sonst haben Sie bei Modulationsspitzen einen grausamen Klirrgrad. Sie können das ausprobieren: Nehmen Sie ein kleines Heimradio und drehen Sie den Lautstärkeregler voll auf - dann hören Sie mehr Verzerrungen als Musik.

Noch eine pauschalisierte Empfehlung

In daumendicken Buchstaben hat unser „Ratgeber" den zweiten Teil seiner Ausführungen überschrieben: „Heute sind die ,Kompakten' besser." Womit er meint - das wird im folgenden deutlich -, daß seiner Meinung nach die Zweier- und Dreier-Kombinationen in ihrer Qualität den Einzelbausteinen überlegen sind. Bei dieser Aussage sind wir wieder einmal verblüfft über das Fehlen jeglichen Maßstabs.

Niemand bezweifelt im Ernst, daß es heute Kombinationen gibt, deren technischer Standard vor einigen Jahren noch nicht denkbar war. Modernste Technik hat eine Reihe von wesentlich kleineren und zugleich leistungsstärkeren Baugruppen geschaffen. Aber die stehen natürlich für Einzel-Bausteine auch zur Verfügung. Und wie man auf der "hifi 76" ohne Schwierigkeit feststellen konnte, ist die Palette der Kombinationen von „ganz preisgünstig" bis „um die 2.400.- Mark" ausgedehnt worden, während das Preisspektrum der Einzelbausteine sich von „superteuer" nach unten hin in die Klasse „unter tausend Mark für Tuner und Verstärker" erweitert hat.

Die Frage : Ist der bemängelte "Artikel" gekauft ?

Wieso Hersteller, die Einzelbausteine auf den Markt bringen, ein schlechtes Gewissen haben müssen, wie unser „Ratgeber" meint, ist nicht einzusehen. Wieso soll „beim Stand der Technik das Kompaktgerät dem Einzelbaustein überlegen" sein? Für beide werden doch fast identische Baugruppen verwendet, wenn beide von einem Hersteller stammen und derselben Gerätegeneration angehören.

Seien Sie versichert, daß Sie die freie Wahl haben, sehr geehrter Leser: Sie können eine Kombination oder Einzelgeräte in derselben Preisklasse mit derselben Technologie kaufen. (Allerdings: die „Traumanlage" besteht nach wie vor aus Einzelteilen, einen Sequerra-Tuner werden Sie in einer Kombination so bald nicht finden.)

Zum Thema Cassettenrecorder weiß der Autor auch erstaunliche Dinge zu vermelden: „Schwach im Kompaktgerät ist noch immer der Cassettenrecorder. Hier ist die Technik noch nicht so ausgereift wie bei Radios und Plattenspielern. Hier wird es in den nächsten Jahren neue wichtige Erfindungen geben. Tonverbesserungen wie das Telefunken-Kompandersystem, automatischer Suchlauf, Cassettenwechsler."

Der Schreiber hatte den Fortschritt verschwiegen

Den ersten Satz dieses Zitats wollen wir nicht so ganz ablehnen, aber dann! Gerade bei Cassettendecks hat die Technik erstaunliche, ungeheure, unfaßbare Fortschritte gemacht - die Philips Compact-Cassette wurde als handliches Diktiergerät entwickelt - zur Aufnahme und Wiedergabe von Sprache - und heute überträgt sie in Spitzen-Decks bis 15kHz!

Es liegt nicht an der mangelnden technischen Reife, es liegt am Prinzip der Compact-Cassette - schmales, dünnes, langsames Band, Bandführung, Tonkopf etc. -, daß der Cassettenrecorder die Qualität der Schallplatte und des 19cm-Spulentonbandes nicht voll erreicht hat!

Das Telefunken-Kompandersystem ist bis jetzt ausschließlich für den professionellen Einsatz entwickelt. Und Suchlauf und Cassettenwechsler - soll das zur Tonverbesserung beitragen, und wenn ja, wie? (Cassettenwechsler gibt es übrigens seit Jahren - ein mechanisch ungemein anfälliges Gerät, mit dem niemand recht glücklich geworden ist.)

  • Anmerkung : Leider, weder das Lenco (Wechsler-) Gerät noch das von Tandberg hatte länger als 6 Monate funktioniert.

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Die schwerste und dümmste Unterstellung

Verehrte Leserin, sehr geehrter Leser, es würde noch einige Seiten füllen, alles wenigstens einigermaßen richtigzustellen, was hier versiebt wurde. Aber auf einen Punkt muß ich unbedingt noch kommen: das sind die Preise, die unser „Ratgeber" in seinen Artikeln angibt. Er schreibt (fett gedruckt): „Bei HiFi-Anlagen sind Preisunterschiede von 1.000 Mark für technisch Ähnliches nicht die Ausnahme, sie sind die Regel."

Was soll das heißen? Daß eine Anlage, die in einem Geschäft zum Beispiel 1.800.- DM (Endverbraucherpreis) kosten soll, mit unerheblichen Änderungen in einem anderen Geschäft für nur 800.- DM (Endverbraucherpreis) verkauft wird?

Oder soll das heißen: Es gibt Hersteller, die durch unerhebliche Änderungen den erheblichen Mehrpreis von 1.000,- DM zu erzielen versuchen?

Solche Mutmaßungen (oder soll man Verdächtigungen sagen?) entbehren jeder Grundlage. Es gibt selbstverständlich Preisunterschiede, aber nicht in solchen Größenordnungen.

Oder meint unser „Ratgeber": Für mich sind die technischen Unterschiede nicht festzustellen, darum, liebe Leser, kauft das Billigste, was ihr kriegen könnt?

Man möchte es fast annehmen, wenn er verkündet, für 250.- DM könne man eine Spitzenbox kaufen und für 1.100.- DM eine anständige HiFi-Anlage.

Zurecht - es ist populistische Volksverdummung

Wenn man in diesem Falle nicht klar und deutlich sagt, was man unter „Spitzenbox" und „anständiger" HiFi-Anlage versteht, dann ist eine solche Aussage schlichte Volksverdummung, und damit ist niemandem gedient.

Im Gegenteil: Der gläubige Leser handelt sich vielleicht Gerätschaften ein, mit denen er schon nach einigen Wochen sehr unzufrieden ist, weil sich sein Ohr inzwischen trainiert hat und weil er den Klang seiner Anlage im Ohr hat und also vergleichen kann. Ganz besonders schlimm dabei ist, daß sich gerade solche unterqualifizierten Geräte schlecht wiederverkaufen lassen.

Wer also unserem „Ratgeber" Vertrauen schenkt, erleidet entweder finanzielle Verluste, oder er findet sich mit dem Schicksal ab, eine jämmerliche Musikwiedergabe-Apparatur anhören zu müssen. Auf Dauer.

Zum Schluß möchte ich den Ausspruch einer von mir hochgeschätzten Dame zitieren. Sie sagte: „Wissen Sie, in solchen Zeitungen werden doch auch medizinische Ratschläge abgedruckt... Wenn die von derselben Qualität sein sollten - dann grenzt das an Totschlag!"

Peter Kaiser im Winter 1976 - KlangBild Jan. 1977
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