Wo fängt bei Lautsprecher-Boxen "Hifi" an und wo riecht es nach Schummelei ?
In unserer hintersten Ecke im Lager standen sie, die beiden billigen schwarzen "Hifi"-Boxen aus 1974. Zwei Stück für 79.- DM (West). Und jetzt mehr als 30 Jahre später stellt sich raus, an einem ordentlichen Verstärker klingen sie gar nicht so übel.
Es ist natürlich kein Vergleich zu modernen Boxen ab Baujahr 2010 und so richtig laut gehen sie auch nicht. Das Alu-Lochgitter auf der Frontseite und das Finish (Holzimitat) machen dennoch einen guten und soliden Eindruck.
Doch es lohnt ein Blick hinein und ein Vergleich mit dem Etikett, das hinten drauf ist.
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Ein Gehäuse aus der Goßserienfertigung
Das Gehäuse ist kein Wunderwerk, aber erstaunlich robust und präzise und sauber gefertigt. Da ist nichts schief oder krumm oder gerissen. Es gab auch 1985 schon Holzwerke, also richtige Fabriken mit CNC gesteuerten Holzbearbeitungs- maschinen. Diese Maschinen frästen aus einer ganz normalen Spanplatte ganz präzise V-förmige Nuten heraus. Solche Nuten waren zum späteren Umklappen von den 4 Seitenteilen zu einer Wanne - der eigentlichen Box - vorbereitet. Auf der Rückseite waren solche Spanplatten oft bereits mit einer braunen oder schwarzen Kunststoff-Folie mit einer Art Holzoberfläche beschichtet, hier aber noch nicht. Das wurde später nachgeholt und war damit ein weiterer Arbeitsschritt.
Die beiden runden oder auch eckigen Löcher für Hoch- und Tieftöner wurden dann noch ausgefräst sowie auch die "Ritzen" für die umgebogenen Kanten des Alu-Lochgitters. Weiterhin wurden die jeweils 3 oder 4 Löcher für die Verschraubung der beiden Chassis gebohrt.
Vor dem Hochklappen der 4 Seitenteile wurde auf oder in die Nuten noch vollautomatisch Holzleim "eingebracht", also aufgepinselt oder als Leimraupe per Roboter aufgespritzt und dann wurde diese Wanne vollautomatisch zugeklappt und zum Trocknen fixiert. Fertig war das wirklich absolut gerade bzw. rechteckige Gehäuse.
Auch die jetzt umlaufende Nut auf der noch offenen Rückseite der Wanne - für den versenkten späteren Deckel - war bereits eingefräst. Ein gelernter Schreiner müsste sich sehr bemühen, diese Präzision in akzeptabler Zeit hin zu bekommen.
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Die Minimal- Konstruktion / -Konzeption
Daß man mit Breitbandchassis durchaus Hifi machen konnte, hatte ja nicht nur BOSE mit der 901 bewiesen. Doch der elektronische oder mechanische Aufwand (Beispiel OHM F) war erheblich. Einfacher war es, mit billigsten Hoch- und Tiefton-Chassis den DIN Frequenzbereich der DIN 45500 abzudecken. Dort war (für Lautsprecher) ein recht großer Toleranzbereich bezüglich der Qualität, also des Frequenzganges und des Klirrfaktors definiert.
Und bei der Frequenzweiche benötigte man mindestens eine Spule für den Tieftöner und einen Kondensator für den Hochtöner. Oftmals kam man mit noch weniger Bauteilen aus. Die Amerikaner von Infinity hatten das mit der POS1 vorgemacht, die hatte nur einen Kondensator am Hochtöner und klang dennoch recht gut.
Bei obiger Box verträgt das Basschassis maximal echte 12 bis 15 Watt Sinus und der Hochtöner vielleicht 2 Watt. Also die genannten 25/40 Watt sind schon sehr "mutig". Dennoch hat das Tieftonchassis mit seiner immer noch intakten Gummisicke eine gute elastische Membranauslenkung, auch nach fast 40 Jahren. Da ist noch nichts gerissen oder verhärtet.
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Technische Details :
Der Tieftöner hat ca. 3,6 Ohm Innenwiderstand und die Drossel - eine Luftspule - hat etwa 1,0 Ohm Innenwiderstand. Der Hochtöner ist über einen 10 µF Kondensator angekoppelt und hat etwa 3,4 Ohm. Aus diesen Daten kann man in etwa schließen, daß im Verhältnis 3,6 zu 1,0 ca. 25% der Verstärkerleistung im Tieftonbereich in der Drossel in Wärme umgesetzt werden. Mehr über solche Gedanken der Effizienz von passiven Boxen finden Sie bei den BOSE 901 Berechnungen.
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Was darf das Ganze am Ende kosten ?
Wenn also 2 Boxen bei uns hier für je 40.- DM angeboten wurden, zieht man zuerst mal die deutsche Mwst. ab. Das waren damals aber nur 15% (stimmt das für 1986 ?). Weiterhin will und muß der Verkäufer bis zu 30% Handelsspanne erhalten, damit er das Teil überhaupt transportiert und verkauft. Was bleibt denn jetzt für das Material und die Herstellung übrig ? Ich rechne großzügig mit etwa 55% (vom 40.- DM Brutto-Verkaufspreis) für die fertige Box
Stellen wir mal die Stückliste (das Material) zusammen :
- 1 Tiefton-Chassis
- 1 Hochton-Chassis
- 1 Spule
- 1 Kondensator
- 1 Anschlußkabel 3m x 2adrig x 0,5mm² mit DIN Stecker
- 1 Kabelbaum Innenverkabelung 2adrig x 0,5mm²
- 1 Boxengehäuse (die Wanne)
- 1 Boxen-Rückwand
- 2 Stück Steinwolle oder Mineralwolle gelb
- 1 Dichtungskit oder Acryl-Paste für die Zuleitung
- 1 ALU-Lochblech für die Front, eloxiert und abgewinkelt
- 4 Stahlschrauben mit Muttern Tieftöner
- 3 Stahlschrauben mit Muttern Hochtöner
- 6 Spanplattenschrauben für die Rückwand
- 1 Aufkleber (selbstklebend)
- 1 Versandkarton mit Innenpolsterung
dazu die Arbeitsleistung :
- 1 Aufbringen von schwarzer Farbe mit Spritzpistole an diversen Stellen
- 1 Montage der beiden Chassis und der Spule
- 1 Verlöten der Innenverkabelung
- 1 Einlegen der beiden Dämmwolle Teile
- 1 Abdichten der Zuleitung
- 1 Verschrauben des Gehäuses
- 1 Prüfen der Grundfunktion und
- 1 Verpacken und Zwischenlagern
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Das alles braucht man am Fließband, bis die Box auf die Reise gehen kann. Und eigentlich muß sie auch noch stichprobenartig (und eventuell wieder ausgepackt und) auf ihre Hifi-Funktion geprüft werden, bevor sie in den Karton rein kommt.
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Wie konnte das für 25 DM funktionieren ?
Soetwas funktioniert nur bei richtig großen Stückzahlen von über 10.000 Produktions-Einheiten in einer richtigen Fabrik. Max Grundig war in diesem Bereich der langjährige Marktführer für fertige Hifi- und Consumer-Geräte, die SEL/ITT in Pforzheim sowie Philips (und vielleicht noch Siemens) waren die Marktführer für einzelne Lautsprecher-Chassis und Komponenten in Riesenstückzahlen. Im Schatten dieser Fabriken gab es Montagewerke, die aus solchen "Brocken" dann "Noname- oder OEM-Boxen" zusammenbauten.
Zu dieser Zeit fing es aber bereits an, daß die Japaner mit Blick auf den Weltmarkt an die oben genannten Stückzahlen hinten mindestens eine Null dran setzten und anstelle von 10.000 Einheiten gleich mal 250.000 Einheiten auflegten. In Japan waren neben Matsushita vor allem Pioneer die Chassis Lieferanten.
So lange, wie der Transport der fertigen Boxen aus Japan wegen des Volumens noch vergleichsweise "viel" Geld kostete, waren unsere Boxenbauer noch konkurrenzfähig. Als aber die großen und vor allem schnellen Containerschiffe die Frachtraten erheblich dezimierten, nahmen die Asiaten den Weltmarkt auch mit großvolumigen Lowcost- Produkten wie Lautsprechern ins Visier und die Europäer konnten selbst die 10.000 Stück nicht mehr absetzen.
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Es gab aber noch ein Problem
Neben den Versandhändlern kauften auch Warenhäuser (Karstadt) und Kaufhäuser und Elektrohandels-Ketten wie Metro und die Elektro-Märkte diese Boxen bei diesem Lieferanten ein und klebten ihren "Markenamen" drauf - also aufgekaufte Marken wie AEG, Telefunken, UHER, DUAL und weitere - und boten diese gleichen Boxen aber für überzogene 198.- DM an. Wie oben gesagt, die Audio-Wiedergabe unserer Musterbox war (insbesondere für 1985) ganz ordentlich.
Die Stereo- und Hifi-Zeitschriften bzw. alle damaligen Audio- Medien waren natürlich immer auf der Suche nach Sensationen und fanden schnell heraus, daß Abmessungen, Gewichte, Chasiss, alles dieselben waren, aber zum vierfachen oder fünffachen Preis. Das muß man doch mal publizieren.
Somit waren die hochpreisigen Varianten dieser einen Box schnell unglaubwürdig und wurden zu Ladenhütern und wurden später verramscht. Das wäre nicht schlimm, aber die Kunden waren auf einmal verunsichert, von den Verkäufern oder Herstellern beschummelt oder belogen worden zu sein.
Und sie übten sich in einer gefährlichen Kaufzurückhaltung. In dieser Epoche ab 1978 brach der Hifi-Markt zwei mal kräftig ein und eine Menge Hersteller überlebten das nicht.
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